L 7 SO 4303/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 5 SO 4201/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 4303/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 22. Juni 2010 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über eine Absenkung des Regelsatzes um 10 v.H.; vornehmlich sind Fragen des Prozessrechts zu klären.

Der am 1976 geborene alleinstehende Kläger, der im Hausanwesen seiner Eltern lebt, bezog zunächst Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch. Aufgrund der Feststellung des zuständigen Rentenversicherungsträgers (Schreiben vom 8. Juni 2007), dass der Kläger zumindest seit 21. Mai 2007 voll erwerbsgemindert sei, es jedoch nicht unwahrscheinlich sei, dass die volle Erwerbsminderung behoben werden könne, bewilligte der Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 20. Juni 2007 für die Zeit vom 2. März bis 31. Juli 2007 Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) in Höhe von monatlich 383,19 Euro; die Hilfegewährung erfolgte befristet, weil der Kläger im Bescheid u.a. aufgefordert wurde, einen Nachweis über die Aufnahme einer ärztlichen Behandlung vorzulegen. Mit Änderungsbescheid vom 11. Juli 2007 bewilligte der Beklagte ab 1. Juli 2007 bis 29. Februar 2008 Leistungen in Höhe von monatlich 417,19 Euro; erneut wurde der Kläger aufgefordert, Nachweise über eine Behandlungsaufnahme vorzulegen. Durch Bescheid vom 3. August 2007 erfolgte schließlich eine nochmalige Leistungserhöhung auf 556,20 Euro ab 1. Juli 2007.

Auf den am 8. Februar 2008 formlos gestellten Weitergewährungsantrag bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 20. Februar 2008 Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII für die Zeit vom 1. März 2008 bis 28. Februar 2009 in Höhe von monatlich 558,20 Euro; der Leistungsbewilligung zugrunde lagen ein Mischregelsatz von 312,00 Euro, ferner Kosten der Unterkunft von insgesamt 59,72 Euro und der Heizung von 45,47 Euro; außerdem erfolgte eine Übernahme der Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung und zur Pflegeversicherung in Höhe von insgesamt 141,01 Euro. Der Bescheid enthielt den Hinweis, dass der Kläger nach den §§ 60 ff. des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I) zur Mitwirkung verpflichtet sei und deshalb den geforderten Nachweis über die Aufnahme einer ärztlichen Behandlung bis spätestens 20. April 2008 vorzulegen habe; sofern er den Nachweis nicht innerhalb der genannten Frist einreiche, werde der maßgebliche Regelsatz ab 1. Mai 2008 um 25 v.H. gemindert.

Nachdem der Kläger hierauf nicht reagiert hatte, hob der Beklagte mit Änderungsbescheid vom 5. Juni 2008 den vorgenannten Bescheid ab 1. Juli 2008 teilweise auf und bewilligte nunmehr unter Kürzung des Regelsatzes um 10 v.H. (312,00 Euro abzüglich 31,20 Euro) vom 1. Juli 2008 bis 28. Februar 2009 nur noch monatlich 527,00 Euro. Den gegen die Regelsatzkürzung gerichteten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19. August 2008 zurück.

Deswegen hat der Kläger am 22. September 2008 Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben.

Während des Klageverfahrens erging der Bescheid des Beklagten vom 26. Januar 2009, mit dem dem Kläger - unter erneuter Regelsatzkürzung um 10 v.H., jedoch unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich gestiegenen Beiträge zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung - für die Zeit vom 1. März 2009 bis 28. Februar 2010 Leistungen in Höhe von monatlich 535,60 Euro bewilligt wurden. Diesen Bescheid, der über den zum Beklagten einzulegenden Rechtsbehelf des Widerspruchs belehrte, focht der Kläger nicht an. Dagegen legte er gegen den mit gleicher Rechtsbehelfsbelehrung versehenen Bescheid vom 25. Februar 2010 über die Leistungsbewilligung für die Zeit vom 1. März 2010 bis 28. Februar 2011 in Höhe von monatlich 524,59 Euro (unter erneuter Regelsatzkürzung um 10 v.H.) Widerspruch ein; über diesen Rechtsbehelf ist seitens des Beklagten - soweit ersichtlich - bislang nicht entschieden.

Das SG hat mit Urteil vom 22. Juni 2010 die Klage wegen des Bescheids vom 5. Juni 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. August 2008 abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es im Wesentlichen ausgeführt, Rechtsgrundlage für die Regelsatzabsenkung sei § 39 Abs. 1 SGB XII; bei der vom Kläger geforderten Mitwirkungshandlung handele es sich um eine Vorbereitungshandlung im Sinne der genannten Bestimmung. Das Urteil hat die Rechtsmittelbelehrung enthalten, dass es mit der Berufung zum Landessozialgericht angefochten werden könne.

Gegen dieses dem Kläger am 6. August 2010 zugestellte Urteil richtet sich sein am 6. September 2010 beim SG eingegangenes Schreiben vom 23. August 2010, mit dem er eine "Klage zur Fristwahrung bzw. Berufung zur Fristwahrung" geltend gemacht hat.

Die Beteiligten sind mit Verfügung vom 18. Oktober 2011 auf die Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit der Berufung hingewiesen worden.

Mit Schreiben vom 23. April 2012 hat der Kläger dem Senat unter Formulierung eines "erweiternden Klagebezugs" den Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 23. März 2012 vorgelegt, mit dem sein Widerspruch gegen den eine Regelsatzkürzung um 20 v.H. verfügenden Bescheid vom 28. Februar 2012 zurückgewiesen worden ist. Der Senat hat nach Anhörung der Beteiligten mit Beschluss vom 8. Mai 2012 (L 7 SO 1903/12) diese Klage abgetrennt und das Verfahren insoweit im Instanzwege an das sachlich zuständige SG verwiesen.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vom 24. Mai 2012 sind die Voraussetzungen für eine vergleichsweise Erledigung des Verfahrens dergestalt, dass der Beklagte den Bescheid vom 5. Juni 2008 (Widerspruchsbescheid vom 19. August 2008) durch rechtsbehelfsfähigen Bescheid gemäß § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) mit Blick auf den vom Kläger in dem auf den 24. August 2010 datierten Anhang zu seinem Schreiben vom 23. August 2010 angesprochenen "Überprüfungsantrag vergleichbar nach § 44 SGB X" erneut überprüfe, ausführlich erörtert worden; zu einem derartigen Vergleichsabschluss hat sich der Kläger nicht entschließen können.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 22. Juni 2010 sowie den Bescheid des Beklagten vom 5. Juni 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. August 2008 aufzuheben, hilfsweise, den Rechtsstreit an das Sozialgericht Reutlingen zurückzuverweisen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil sowie die streitbefangenen Bescheide für zutreffend.

Zur weiteren Darstellung wird auf die Verwaltungsakten des Beklagten, die Klageakte des SG (S 5 SO 4201/08), die weitere Akte des SG (S 5 SO 129/10), die Berufungsakte des Senats (L 7 SO 4303/10) sowie die weiteren Senatsakten (L 7 SO 894/11 NZB, L 7 SO 1903/12) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Das als Berufung auszulegende Rechtsmittel des Klägers ist unzulässig.

Das beim SG am 6. September 2010 eingegangene Schreiben des Klägers vom 23. August 2010 ist als Berufung auszulegen. Zwar ist im Schreiben von einer "Klage zur Fristwahrung bzw. Berufung zur Fristwahrung" die Rede. Damit war indes nicht gemeint, dass der Kläger erneut Klage wegen des Bescheids vom 5. Juni 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. August 2008 hat erheben wollen. Prozesshandlungen - so auch die Einlegung eines Rechtsmittels - sind entsprechend dem in § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuchs zum Ausdruck gekommenen allgemeinen Rechtsgedanken unter Berücksichtigung des wirklichen Willens des Erklärenden, wie er nach den äußerlich in Erscheinung getretenen Umständen verstanden werden musste, auszulegen (vgl. Bundessozialgericht (BSG) SozR 4-1500 § 158 Nr. 2; BSG SozR 4-1500 § 151 Nr. 3; ferner Bundesverwaltungsgericht Buchholz 310 § 124a VwGO Nr. 38). Deshalb ist bei Würdigung einer Prozesserklärung grundsätzlich nicht allein am Wortlaut zu haften, sondern anhand des maßgebenden objektiven Erklärungswerts zu bestimmen, was der Beteiligte mit der Prozesshandlung erkennbar gemeint hat.

Unter Beachtung dieser Auslegungskriterien ist das Schreiben des Klägers vom 23. August 2010 als Berufung zu werten. Der Kläger hat sich im vorbezeichneten Schreiben ausdrücklich unter Nennung des Aktenzeichens S 5 SO 4201/08 auf das Urteil des SG vom "03.08.2010" bezogen, wobei er hinsichtlich des Datums ersichtlich auf das Begleitschreiben der Geschäftsstelle rekurriert hat, mit dem das Urteil versandt worden ist, und zusätzlich neben dem Begriff der "Klage" auch den Terminus der "Berufung" verwendet hat. Da im Schreiben des Klägers vom 23. August 2010 ferner keinerlei Ausführungen enthalten sind, die Rückschlüsse darauf zuließen, dass er einen der in § 144 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) abschließend aufgezählten Zulassungsgründe (grundsätzliche Bedeutung, Divergenz, Verfahrensmangel) hätte geltend machen wollen, konnte mit dem genannten Schreiben nur das Rechtsmittel der Berufung gemeint sein. Der Kläger hat auch in der Folgezeit nie zum Ausdruck gebracht, dass er sich in der Bezeichnung des Rechtsmittels vergriffen und ein anderes als die Berufung habe einlegen wollen; auf die ihm zur Kenntnis gebrachte, an den Beklagten gerichtete Verfügung vom 21. September 2011 sowie auf die weitere Senatsverfügung vom 18. Oktober 2011 hat er nur insoweit reagiert, als er mit Schreiben vom 11. November 2011 die "Zusammenlegung und Rücküberweisung zur erstinstanzlichen Rechtsprüfung" des vorliegenden Verfahrens L 7 SO 4303/10 mit dem beim Senat bereits zuvor durch Beschluss vom 26. September 2011 abgeschlossenen Verfahren L 7 SO 894/11 NZB begehrt hat, mit welchem seine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung in dem - die Klage auf Übernahme der Kosten für die Anschaffung von 240 Glühbirnen durch den Beklagten abweisenden - Urteil des SG vom 18. November 2010 (S 5 SO 129/10) zurückgewiesen worden war. Unter all diesen Umständen kann das vom Kläger vorliegend eingelegte Rechtsmittel nur als Berufung verstanden werden. Diese Berufung ist indessen unzulässig, weil der erforderliche Beschwerdewert nicht erreicht ist.

Nach der Vorschrift des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG bedarf die Berufung der Zulassung, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung betrifft, 750,00 Euro nicht übersteigt; dies gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft (Satz 2 a.a.O.). Mit Geldleistungen im Sinne des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG sind z.B. Zahlungsansprüche gegen den Staat oder sonstige öffentlich-rechtliche Leistungsträger gemeint, die diese bei Aufhebung des mit der Klage angegriffenen Verwaltungsakts - hier also des eine Regelsatzkürzung betreffenden Bescheids des Beklagten - schulden (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 10. Auflage, § 144 Rdnr. 10a (m.w.N.)).

Der Geldbetrag, um den mit der vorliegenden Berufung gestritten wird, erreicht indes die erforderliche Berufungssumme von mehr als 750,00 Euro im Sinne des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG nicht. Denn der vom Kläger mit seiner Klage ausdrücklich angegriffene Bescheid vom 5. Juni 2008 (Widerspruchsbescheid vom 19. August 2008) betrifft eine Kürzung des Regelsatzes um 10 v.H., d.h. um jeweils 31,20 Euro für die Zeit vom 1. Juli 2008 bis 28. Februar 2009. Die Einbeziehung weiterer Bescheide über Folgezeiträume über eine entsprechende Anwendung des § 96 SGG kommt, wie der Senat im Beschluss vom 8. Mai 2012 unter Bezugnahme auf die ständige Rechtsprechung des BSG (vgl. nur BSGE 99, 131 = SozR 4-3500 § 28 Nr. 1 (jeweils Rdnr.10); SozR 4-3500 § 21 Nr. 1 (Rdnr. 8)) ausgeführt hat, bei einem Streit um Leistungen nach dem SGB XII - wie hier - nicht in Betracht. Damit ergibt sich hier ein Gesamtbetrag von lediglich 249,60 Euro (8 Monate zu je 31,20 Euro); es liegt auf der Hand, dass damit die Beschwerdewertgrenze des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG (750,00 Euro) nicht überschritten wird. Ferner sind keine wiederkehrenden oder laufenden Geldleistungen für mehr als ein Jahr im Streit.

Die Berufung des Klägers bedurfte nach allem der Zulassung. Die Berufung ist indes im Urteil des SG vom 22. Juni 2010 nicht zugelassen worden. Eine unzutreffende Rechtsmittelbelehrung genügt zur Zulassung der Berufung nicht (vgl. BSG SozR 3-1500 § 158 Nrn. 1 und 3; BSG, Beschluss vom 2. Juni 2004 - B 7 AL 10/04 B - (juris); BSG SozR 4-1500 § 160 Nr. 17 (Rdnr. 12)). Da eine Umdeutung der Berufung des Klägers in eine Nichtzulassungsbeschwerde (§ 145 SGG) schon wegen der unterschiedlichen Zielrichtungen der beiden Rechtsmittel unzulässig ist (vgl. BSG SozR 3-1500 § 158 Nrn. 1 und 3), und zwar selbst dann, wenn der Rechtsmittelführer - wie hier - nicht rechtskundig vertreten ist (vgl. BSG SozR 4-1500 § 158 Nr. 1), darf der Senat über die Zulassung der Berufung im vorliegenden Verfahren nicht entscheiden (vgl. BSG SozR a.a.O.; BSG, Urteil vom 8. November 2001 - B 11 AL 19/01 R - (juris, Rdnr. 19)).

Nach allem ist die Berufung unzulässig; dem Senat ist sonach hier eine Prüfung des klägerischen Begehrens in der Sache verwehrt. Da dem Hauptantrag des Klägers mithin schon prozessuale Gründe entgegenstehen, konnte über seinen Hilfsantrag auf Zurückverweisung der Sache an das SG nicht mehr entschieden werden, sodass hier auf die für eine Zurückverweisung (§ 159 Abs. 1 SGG) erforderlichen Voraussetzungen nicht eingegangen werden konnte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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