L 13 R 864/11

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 4 KN 17/11
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 13 R 864/11
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Multiplikation der nach § 22 Abs. 1 und 3 Fremdrentengesetz maßgeblichen Entgeltpunkte mit dem Faktor 0,6 gemäß § 22 Abs. 4 FRG hat auch bei Versicherten zu erfolgen, die als Schwerbehinderte und Heimkehrer anerkannt sind.
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts
München vom 6. September 2011 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Die Beteiligten streiten, ob die Beklagte bei der Berechnung der Altersrente für schwerbehinderte Menschen des Klägers die nach § 22 Abs. 1 und 3 Fremdrentengesetz (FRG) ermittelten Entgeltpunkte zu Recht mit dem Faktor 0,6 multipliziert hat.

Der 1950 geborene Kläger ist als Vertriebener anerkannt (Ausweis A). Er hat seinen ständigen Aufenthalt im Bundesgebiet seit 4. April 1990. Zudem ist er Heimkehrer im Sinne des § 1 Abs. 3 des Heimkehrergesetzes vom 19. Juni 1950. Für ihn ist ausweislich der vorgelegten Schwerbehindertenausweise des Zentrums Bayern Familie und Soziales Würzburg seit 22. Juni 2009 ein Grad der Behinderung (GdB) von 80 und seit 20. Juli 2011 ein GdB von 90 anerkannt.

Der Kläger wurde in der ehemaligen Sowjetunion von August 1966 bis September 1967 zum Installateur und von September 1974 bis Juli 1975 zum Schlosser für Kälteanlagen ausgebildet. Er hat von 1986 bis 1989 das Technikum besucht und erfolgreich abgeschlossen. In der ehemaligen Sowjetunion war er bis zu seinem Zuzug in das Bundesgebiet als Elektrotechniker, Bergmann, Schlosser, Elektromonteur, Elektriker, Elektromontagearbeiter, Wächter und Elektromechaniker beschäftigt.

Die damals zuständige LVA Unterfranken stellte mit Bescheid vom 12. Dezember 1997 den Versicherungsverlauf für den Kläger fest; am 31. Dezember 2006 wurde dem Kläger eine Rentenauskunft erteilt. Mit Bescheid vom 26. März 2007 gewährte die Beklagte dem Kläger in Ausführung eines vor dem Bayerischen Landessozialgericht geschlossenen Vergleichs (Az. L 13 KN 4/06) Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 1. November 2006 auf Dauer. Ausweislich der Anlage 3 des Bescheids ist bei der Ermittlung der Entgeltpunkte für Pflichtbeitragszeiten im Zeitraum 1. September 1967 bis 9. März 1990 eine Multiplikation mit dem Faktor 0,6 erfolgt.

Mit angefochtenem Bescheid vom 22. Oktober 2010 bewilligte die Beklagte dem Kläger Altersrente für schwerbehinderte Menschen ab 1. Oktober 2010, in der ebenfalls der Faktor 0,6 berücksichtigt wurde.

Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch mit der Begründung, er sei am 4. April 1990 als Vertriebener/Heimkehrer (Vertriebenenausweis A) in das Bundesgebiet eingereist. Er habe die ehemalige Sowjetunion als deutscher Volkszugehöriger verlassen. Ihm stehe daher ein Rentenanspruch wie ein Vertriebener, nicht nur wie ein Spätaussiedler nach dem FRG, also ohne 40-prozentige Kürzung, zu. In einem Telefonat mit der Beklagten wandte er sich zudem gegen die Kürzung der Entgeltpunkte auf 25.

Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 18. Januar 2011 zurückgewiesen. Nach § 22 Abs. 4 FRG seien die maßgeblichen Entgeltpunkte mit dem Faktor 0,6 zu vervielfältigen. Die Absenkung sei nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Juni 2006 verfassungsgemäß. Lediglich für Berechtigte, die vor dem 1. Januar 1991 nach Deutschland zugezogen seien und deren Rente nach dem 30. September 1996 beginne, habe das Bundesverfassungsgericht eine zusätzliche Übergangsregelung vom Gesetzgeber gefordert. Die daraufhin eingefügte Übergangsregelung des Artikel 6 § 4 Abs. 2 Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetz (FANG) sei für den Kläger nicht einschlägig, da der dort vorgesehene Zuschlag nur für Rentenbezugszeiten bis 30. Juni 2000 zu zahlen sei. Eine Kürzung auf maximal 25 Entgeltpunkte finde beim Kläger nicht statt, da er vor dem 7. Mai 1996 in die Bundesrepublik zugezogen sei.

Hiergegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht München (SG) erhoben. Er macht erneut geltend, als Vertriebener und Heimkehrer mit dem Vertriebenenausweis A dürfe keine Kürzung um 40 % erfolgen. Auch sei das Entgelt für die Zeiträume 3. Februar 1969 bis 30. April 1969 sowie 1. Juni 1970 bis 23. Juli 1974 falsch berechnet worden. In diesen Zeiträumen habe er in einer ganz gefährlichen Grube mit Gasexplosionen gearbeitet und mehr Geld verdient als Mitarbeiter im Ministerium. Staatssekretär Dr. W. habe in einem Kongress in Moskau vom 8. bis 9. Oktober 1991 versprochen, dass in Russland geborene Deutsche, wenn sie nach Deutschland kommen, eine Rente von 100 % ohne Kürzung erhalten würden.

In der mündlichen Verhandlung am 6. September 2011 hat der Kläger noch beantragt, den Bescheid vom 22. Oktober 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. Januar 2011 abzuändern und die Rente ohne Anwendung des Faktors 0,6 für die Fremdrentenzeiten, also zu 100 %, neu zu berechnen.

Mit Urteil vom 6. September 2011 hat das SG die Klage abgewiesen. Die höhere Bewertung der Zeiten vom 3. Februar 1969 bis 30. April 1969 und 1. Juni 1970 bis 23. Juli 1974 habe der Kläger nicht weiter begehrt. Im Übrigen seien die Versicherungszeiten mit Feststellungsbescheid vom 29. Juni 1998 verbindlich und bestandskräftig festgestellt worden. Die tatsächliche Entlohnung spiele keine Rolle. Die Multiplikation der nach § 22 Abs. 1 und 3 FRG maßgeblichen Entgeltpunkte mit dem Faktor 0,6 entspreche § 22 Abs. 4 FRG in der ab dem 7. Mai 1996 geltenden Fassung. Das FRG sei für den Kläger als Vertriebener anwendbar. Verfassungsrechtliche Bedenken bestünden nicht. Die angeblichen Aussagen des ehemaligen Staatssekretärs Dr. W. in Moskau seien unerheblich.

Hiergegen hat der Kläger Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht eingelegt und auf seine Heimkehrerbescheinigung verwiesen. Außerdem müsse er aufgrund seines Schwerbehindertenausweises (GdB 90) eine Rente ohne Kürzung erhalten.

Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts München vom 6. September 2011 zu verurteilen, den Bescheid der Beklagten vom 22. Oktober 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. Januar 2011 abzuändern und seine Altersrente für schwerbehinderte Menschen ohne Multiplikation der Entgeltpunkte für Pflichtbeitragszeiten nach dem Fremdrentengesetz mit dem Faktor 0,6 neu zu berechnen sowie entsprechend höhere Altersrente zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Akten des SG und der Beklagten verwiesen, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.



Entscheidungsgründe:


Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat zu Recht die Klage gegen den angefochtenen Bescheid vom 22. Oktober 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. Januar 2011 abgewiesen. Die Beklagte hat zutreffenderweise die Entgeltpunkte, die für die vom Kläger in der ehemaligen Sowjetunion zurückgelegten Pflichtbeitragszeiten zu ermitteln waren, mit dem Faktor 0,6 multipliziert.

Der Senat weist die Berufung aus den Gründen des angefochtenen Urteils des SG vom 6. September 2011 zurück und sieht gemäß § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG - von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab. Ergänzend weist er auf folgendes hin:

Das FRG ist gemäß § 1 Bst. a) FRG auf den Kläger als anerkannten Vertriebenen anzuwenden.

Gemäß § 22 Abs. 4 FRG in der ab dem 7. Mai 1996 geltenden Fassung sind die nach § 22 Abs. 1 und 3 FRG maßgeblichen Entgeltpunkte mit dem Faktor 0,6 zu multiplizieren. Die Bestimmung in dieser Fassung ist - wie das SG bereits zutreffend ausgeführt hat - auf den Kläger anzuwenden, da für ihn kein Rentenanspruch vor dem 1. Januar 1990 (Art. 6 § 4 Abs. 2 FANG) bzw. 1. Oktober 1996 (Art. 6 § 4c Abs. 1 FANG) besteht und er auch keinen Rentenanspruch auf der Grundlage eines Sozialversicherungsabkommens hat (Art. 6 § 4 Abs. 5 FANG). Die Beklagte hat unstrittig nur die Entgeltpunkte, die sie für Beitragszeiten gemäß § 22 Abs. 1 und 3 FRG ermittelt hat, mit dem Faktor 0,6 multipliziert. Unerheblich ist, dass der Kläger auch Heimkehrer im Sinne des § 1 Abs. 3 Heimkehrergesetz sowie anerkannter Schwerbehinderter ist. Die Anwendung des § 22 Abs. 4 FRG ist für diesen Personenkreis nicht ausgeschlossen.

Verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 22 Abs. 4 FRG hat der Senat nicht. Die grundsätzliche Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmung wurde vom Bundesverfassungsgericht im Beschluss vom 13. Juni 2006 (Az. 1 BvL 9/00) festgestellt.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf einen Zuschlag an Entgeltpunkten gemäß Art. 6 § 4c Abs. 2 FANG. Dieser scheitert daran, dass ein Zuschlag an Entgeltpunkten für Zeiten des Rentenbezugs ab 1. Juli 2000 nicht mehr bezahlt wird (Art. 6 § 4c Abs. 2 S. 4 FANG), der Kläger jedoch erst ab 1. Oktober 2010 Altersrente für schwerbehinderte Menschen bezieht.

Die zeitliche Begrenzung des Anspruchs auf einen Zuschlag an Entgeltpunkten begegnet ebenfalls keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Juli 2010, 1 BvR 1201/10).

Ein Anspruch auf ungekürzte Anrechnung der Entgeltpunkte für Beitragszeiten nach dem FRG ergibt sich auch nicht aus einer Bindungswirkung eines in den Rentenbescheiden nicht aufgehobenen Vormerkungsbescheids. In dem Vormerkungsbescheid vom 12. Dezember 1997 sind - entsprechend dem Charakter von Vormerkungsbescheiden, in denen sowohl der Rechtscharakter der vorgemerkten Zeit als auch deren zeitlicher Umfang festgestellt wird, nicht hingegen eine abschließende Entscheidung über die Anrechnung und Bewertung dieser Zeiten getroffen wird (BSG, Urteil vom 30. März 2004, Az. B 4 RA 36/02 R, in Juris) - für die fraglichen Zeiträume nur die Entgelte festgestellt worden. Entgeltpunkte wurden in diesem Bescheid hingegen nicht ermittelt. Eine bindende Feststellung von Entgeltpunkten ohne Kürzung um den Faktor 0,6 ist in diesem Bescheid also nicht enthalten.

Die Berufung war daher als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung (§ 193 SGG) berücksichtigt, dass der Kläger auch im Berufungsverfahren erfolglos geblieben ist.

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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