L 11 AS 333/12 ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
11
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 10 AS 1203/11
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 AS 333/12 ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Ein wiederholter Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist unzulässig, wenn sich die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse nicht geändert haben.
2. Ein Antrag auf Abänderung einer die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ablehnenden Entscheidung nach § 86b Abs 1 Satz 4 SGG setzt grundsätzlich keine Änderung der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse vorraus. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und dem Willen des Gesetzgebers.
I. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klagen gegen den Bescheid vom 23.08.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.10.2011 und den Bescheid vom 22.11.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.11.2011 wird abgelehnt.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Streitig ist die Kürzung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Arbeitslosengeld - Alg II) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) im Hinblick auf zwei Sanktionsbescheide im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes.

Die Antragstellerin (ASt) bezieht Alg II vom Ag. Wegen der Nichtbefolgung einer Meldeaufforderung vom 01.07.2011 im Hinblick auf einen Vorsprachetermin beim Ärztlichen Dienst am 21.07.2011 minderte der Ag mit Sanktionsbescheid vom 23.08.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.10.2011 das Alg II für die Zeit vom 01.09.2011 bis 30.11.2011 im Umfang von 36,40 EUR monatlich (10 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs). Einen Antrag der ASt auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs vom 01.09.2011 gegen den Sanktionsbescheid vom 23.08.2011 hat das Sozialgericht Nürnberg (SG) mit Beschluss vom 09.09.2011 (Az: S 10 AS 1192/11 ER) abgelehnt. Der Beschluss wurde der ASt am 22.09.2011 zugestellt. Beschwerde gegen den Beschluss wurde nicht erhoben.

Wegen der Nichtbefolgung einer weiteren Meldeaufforderung vom 29.09.2011 im Hinblick auf einen Vorsprachetermin beim Ag am 11.10.2011 zur Besprechung eines neuen Termins zur ärztlichen Untersuchung und deren Ziel minderte der Ag mit Sanktionsbescheid vom 22.11.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.11.2011 das Alg II für die Zeit vom 01.12.2011 bis 29.02.2012 im Umfang von 36,40 EUR monatlich (10 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs). Auch ein Schreiben des Dr. D. vom 07.10.2011, wonach die ASt während des Zeitraums ihrer Krankschreibung aufgrund und Umfang der Krankheit Termine nicht wahrnehmen könne, und eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Zeit vom 07.10.2011 bis 21.10.2011 seien nicht ausreichend. Insbesondere liege keine Bettlägerigkeitsbescheinigung vor. Einen Antrag der ASt auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs vom 25.11.2011 gegen den Sanktionsbescheid vom 22.11.2011 hat das SG mit Beschluss vom 29.12.2011 (Az: S 10 AS 1548/11 ER) abgelehnt. Der Beschluss wurde der ASt am 03.01.2012 zugestellt. Beschwerde gegen den Beschluss wurde nicht erhoben.

Die Klagen der ASt gegen den Sanktionsbescheid vom 23.08.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.10.2011 und den Sanktionsbescheid vom 22.11.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.11.2011 hat das SG mit Urteil vom 30.03.2012 abgewiesen (Az: S 10 AS 1203/11). Die Berufung (Az: L 11 AS 397/12) dagegen hat der Senat mit Beschluss vom 11.05.2012 (Az: L 11 AS 290/12) zugelassen. Die ASt hat dabei u.a. vorgetragen, ihres Wissens nach liege für den 21.07.2011 keine ärztliche Bescheinigung vor.

Am 25.04.2012 hat die ASt beim Bayerischen Landessozialgericht beantragt, die Sanktionen vom 23.08.2011 und 22.11.2011 im einstweiligen Rechtsschutz aufzuheben, um weitere Rechtsverletzungen zu verhindern.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die beigezogene Verwaltungsakte des Ag, die Gerichtsakte einschließlich der Akte des Berufungsverfahrens L 11 AS 397/12 sowie die Akten des SG in den Verfahren S 10 AS 1192/11 ER und S 10 AS 1548/11 ER Bezug genommen.

II.

Der Antrag der ASt, mit dem sie sinngemäß (unter Abänderung der Beschlüsse des SG vom 09.09.2011 - S 10 AS 1192/11 ER und vom 29.12.2011 - S 10 AS 1548/11 ER) die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klagen gegen den Bescheid vom 23.08.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.10.2011 und den Bescheid vom 22.11.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.11.2011 begehrt, ist ohne Erfolg.

Diesbezüglich hatte die ASt bereits beim SG entsprechende Anträge hinsichtlich der Sanktionsbescheide vom 23.08.2011 (Az: S 10 AS 1192/11 ER) und vom 22.11.2011 (S 10 AS 1548/11 ER) gestellt, die mit Beschlüssen vom 09.09.2011 bzw. 29.12.2011 abgelehnt worden sind. Beschwerde dagegen ist nicht erhoben worden. Die ablehnenden Beschlüsse nach § 86b Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind der Rechtskraft fähig (vgl Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl, § 86b Rn 19a mwN) und binden die Beteiligten bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache. Sie stehen damit erneuten Anträgen auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung entgegen.

Anderes ergibt sich auch dann nicht, wenn man den Antrag der ASt als einen solchen iSv § 86b Abs 1 Satz 4 SGG auf Abänderung der Entscheidungen des SG im einstweiligen Rechtsschutz durch den Senat ansieht. Im Hinblick auf das anhängige Berufungsverfahren in der Hauptsache (Az: L 11 AS 397/12) ergibt sich für den Senat die Zuständigkeit zur Entscheidung über den Abänderungsantrag (vgl Keller aaO Rn 20a) und die Möglichkeit einer Abänderung kommt grundsätzlich auch bei ablehnenden Entscheidungen des SG in Betracht (vgl dazu LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 17.12.2009 - L 7 SO 5021/09 ER - veröffentlicht in juris - Rn 3 mwN). Eine Änderung der Sach- oder Rechtslage ist keine Zulässigkeitsvoraussetzung, da nach der Gesetzesbegründung (BR-Drs 132/01 S 49; BT-Drs 14/5943 S 25) die Regelung des § 80 Abs 7 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) mit ihrer Beschränkung auf veränderte Umstände bzw schuldlos unterlassenes Vorbringen bewusst nicht in das SGG übernommen worden ist (vgl Wehrhahn in: Breitkreuz/Fichte, SGG, § 86b Rn 53; Keller aaO Rn 20 mwN; anders jeweils ohne Auseinandersetzung mit der Gesetzgebungsbegründung: LSG Baden-Württemberg aaO Rn 4; Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 3. Aufl, Rn 183f). Allerdings liegen die Voraussetzungen für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung hinsichtlich der beiden Sanktionsbescheide nicht vor.

Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage ist nur möglich, wenn das besondere Interesse der ASt an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung das vom Gesetz vorausgesetzte Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit des Verwaltungsaktes überwiegt, wobei bei der Prüfung der Interessen zuerst auf die Erfolgsaussichten in der Hauptsache abzustellen ist.

Unter Berücksichtigung des § 39 Nr 1 SGB II ist von einem Regel-Ausnahme-Verhältnis zugunsten des Suspensiveffektes auszugehen, da der Gesetzgeber die sofortige Vollziehung zunächst angeordnet hat. Davon abzuweichen besteht nur Anlass, wenn ein überwiegendes Interesse des durch den Verwaltungsakt Belasteten feststellbar ist (vgl Beschluss des Senats vom 18.11.2008 - L 11 B 948/08 AS ER). Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung muss eine mit gewichtigen Argumenten zu begründende Ausnahme bleiben (Keller aaO Rn 12a). Ist der Verwaltungsakt offenbar rechtswidrig und ist der Betroffene dadurch in seinen subjektiven Rechten verletzt, wird ausgesetzt, weil dann ein überwiegendes öffentliches Interesse oder Interesse eines Dritten an der Vollziehung nicht erkennbar ist. Ist die Klage aussichtslos, wird die aufschiebende Wirkung nicht angeordnet. Sind die Erfolgsaussichten nicht in dieser Weise abschätzbar, bleibt eine allgemeine Interessenabwägung, wobei die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens und die Entscheidung des Gesetzgebers in § 39 Nr 1 SGB II mitberücksichtigt werden (vgl zum Ganzen: Keller aaO Rn 12f; Beschluss des Senats aaO).

Vorliegend sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache nach wie vor nicht abzuschätzen. Die ASt hat unbestrittenermaßen die Meldetermine nicht wahrgenommen. Wie im Beschluss zur Zulassung der Berufung vom 11.05.2012 (Az: L 11 AS 290/12 NZB) durch den Senat ausgeführt, wird im Berufungsverfahren noch zu klären sein, ob die ASt tatsächlich nicht in der Lage gewesen ist, die Termine wahrzunehmen und ob hinsichtlich der Aufforderung zur Meldung am 11.10.2011 ein in § 309 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) genannter Grund zugrunde gelegt werden kann. Die übrigen Voraussetzungen für den Erlass von Sanktionbescheiden wegen den Meldepflichverletzungen nach § 32 SGB II liegen offensichtlich vor. Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache sind daher völlig offen.

Ein überwiegendes Interesse der ASt an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist nicht gegeben. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die betroffenen Sanktionszeiträume September bis November 2011 bzw Dezember 2011 bis Februar 2012 längst abgelaufen sind und auch der Umfang der Sanktionen mit jeweils 10% des maßgeblichen Regelbedarfs nicht so gravierend erscheint, dass aktuell eine Existenzsicherung gefährdet und ein Abwarten des Ausgangs der Hauptsache nicht zumutbar erscheint. Zudem sieht die gesetzgeberische Wertung grundsätzlich die sofortige Vollziehbarkeit der Sanktionsbescheide vor. Die Erfolgsaussichten der Klagen in der Hauptsache sind völlig offen, so dass auch daraus keine andere Interessenabwägung herleitbar ist.

Die ursprünglichen Entscheidungen des SG in den Beschlüssen vom 09.09.2011 (Az: S 10 AS 1192/11 ER) und 29.12.2011 (Az: S 10 AS 1548/11 ER) war somit nicht abzuändern.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Der Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved