S 10 AS 1661/10

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
10
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 10 AS 1661/10
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Gewährung zuschussweiser Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum vom 04.06.2009 bis 30.11.2009.

Der Kläger erbte im Jahr 2006 von seinen Eltern das von ihm bewohnte Hausgrundstück im Zuständigkeitsbereich des Beklagten. Bereits im Jahr 2007 bezog er darlehensweise Grundsicherungsleistungen. Der Beklagte wies den Kläger im Rahmen der damaligen Bewilligung darauf hin, dass es sich bei dem Hausgrundstück um grundsätzlich verwertbares Vermögen handele. Mit Bescheid vom 18.10.2007 wurde der Kläger aufgefordert, Nachweise für fruchtlose Verwertungsbemühungen vorzulegen. Andernfalls sei eine weitere Leistungsgewährung nicht möglich.

In der Folgezeit bestritt der Kläger seinen Lebensunterhalt aus seiner geringfügigen Beschäftigung sowie einem Darlehen seiner Schwester.

Am 04.06.2009 stellte er erneut einen Antrag auf Grundsicherungsleistungen. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 21.07.2009 bewilligte der Beklagte dem Kläger die begehrten Leistungen unter Hinweis auf das vorhandene Hausgrundstück darlehensweise für den Zeitraum vom 04.06.2009 bis zum 30.11.2009.

Hiergegen erhob der Kläger am 30.07.2009 Widerspruch. Die Leistungen seien ihm als Zuschuss zu gewähren. Er sei nicht bereit, sein Elternhaus zu veräußern.

Mit Änderungsbescheid vom 16.12.2009 passte der Beklagte die Höhe der darlehensweise bewilligten Leistungen an das tatsächliche Einkommen des Klägers an.

Mit Widerspruchsbescheid vom 16.07.2010 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Der Kläger sei Eigentümer eines unangemessen großen Hausgrundstückes. Sowohl die Wohnfläche von 145 qm als auch die Grundstücksfläche seien zu groß. Der Verkehrswert belaufe sich auf 110.000,- EUR und überschreite die Vermögensfreigrenzen. Eine zuschussweise Leistungsgewährung scheide daher aus.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner am 29.07.2010 erhobenen Klage, mit der er weiterhin die Gewährung der Leistungen als Zuschuss begehrt.

Die Veräußerung des Hausgrundstücks sei unwirtschaftlich. Der Verkehrswert sei von dem Beklagten mit 110.000,- EUR beziffert worden; tatsächlich erzielbar seinen jedoch nur ca. 50.000,- EUR bis 60.000,- EUR. Zudem würde die Verwertung für ihn auch eine besondere Härte bedeuten. Es handele sich um sein Elternhaus. Schließlich sei es auch unverhältnismäßig, eine Veräußerung zu verlangen, wenn nur geringfügige ergänzende Leistungen bezogen würden.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten unter Abänderung seines Bescheides vom 21.07.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.07.2010 zu verurteilen, die ihm als Darlehen bewilligten Leistungen als Zuschuss zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Hausgrundstück des Klägers sei unangemessen. Es liege weder eine besondere Härte noch eine Unwirtschaftlichkeit der Veräußerung vor. Es sei nicht ersichtlich, dass das Haus nur unter Wert verkauft werden könne.

Das Gericht hat Beweis über die Größe der Wohnfläche, den Verkehrswert sowie die Verwertbarkeit des Hausgrundstückes durch Einholung eines Wertgutachtens des Gutachterausschusses für Grundstückswerte im Kreis Höxter erhoben. Nach dem Wertgutachten vom 21.06.2011 beläuft sich die Wohnfläche des Hauses bei einer Einparteiennutzung auf 211 qm und bei einer Zweiparteienbenutzung auf 174 qm. Der Verkehrswert wurde zum Stichtag 04.06.2009 mit 97.000,- EUR beziffert. Die durchschnittliche Verwertungsdauer wurde mit ca. 12 Monaten angegeben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den in der Verwaltungsakte des Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.
Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der angefochtene Bescheid vom 21.07.2009 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 16.12.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.07.2010 ist rechtmäßig und beschwert den Kläger nicht in seinen Rechten gemäß § 54 Absatz 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Der Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II als Zuschuss zu gewähren. Der Kläger war im streitgegenständlichen Zeitraum nicht hilfebedürftig im Sinne von § 9 Absatz 1, 2 SGB II a.F ... Nach Auffassung der Kammer verfügte er über verwertbares Vermögen, das seinen Vermögensfreibetrag nach § 12 Absatz 2 SGB II in Höhe von 8.850,- EUR überstieg. Der Kläger war und ist Eigentümer eines Hausgrundstückes, das im streitgegenständlichen Zeitraum einen Verkehrswert von 97.000,- EUR hatte. Das Hausgrundstück war weder nach § 12 Absatz 3 Satz 1 Nr. 4 SGB II a.F. noch nach § 12 Absatz 3 Satz 1 Nr. 6 SGB II a.F. geschützt. Es ist unangemessen. Seine Verwertung war auch nicht offensichtlich unwirtschaftlich und stellte keine unangemessene Härte dar.

Leistungen nach dem SGB II erhalten gemäß § 7 Absatz 1 Satz 1 SGB II a.F. Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben (Nr. 1), die erwerbsfähig (Nr. 2) und hilfebedürftig (Nr. 3) sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (Nr. 4).

Hilfebedürftig i.S.v. § 7 Absatz 1 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. § 9 Absatz 1 SGB II a.F. ist, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, u.a. aus dem zu berücksichtigenden Vermögen sichern kann, und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Nach § 12 SGB II a.F. sind als Vermögen alle verwertbaren Vermögensgegenstände wie z.B. bewegliche Sachen, Immobilien und Forderungen zu berücksichtigen. Nach § 12 Absatz 3 Satz 1 Nr. 4 SGB II a.F. ist als Vermögen nicht zu berücksichtigen, ein selbst genutztes Hausgrundstück von angemessener Größe oder eine entsprechende Eigentumswohnung und nach § 12 Absatz 3 Satz 1 Nr. 6 SGB II aF Sachen und Rechte, soweit ihre Verwertung offensichtlich unwirtschaftlich ist oder für den Betroffenen eine besondere Härte bedeuten würde.

1) Nach der gebotenen anzustellenden Verwertungsprognose, wäre der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum in der Lage gewesen, das Hausgrundstück zu verwerten. Es war auch nicht über den Marktwert hinaus belastet.

Vermögen ist verwertbar, wenn seine Gegenstände verbraucht, übertragen und belastet werden können. Die Verwertung muss für den Betroffenen einen Ertrag bringen, durch den er, wenn auch nur kurzzeitig, seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Tatsächlich nicht verwertbar sind Vermögensgegenstände, für die in absehbarer Zeit kein Käufer zu finden sein wird, etwa weil Gegenstände dieser Art nicht (mehr) marktgängig sind oder weil sie, wie Grundstücke infolge sinkender Immobilienpreise, über den Marktwert hinaus belastet sind. Zur Abgrenzung der Bewilligung von Leistungen als Zuschuss gegenüber der nur darlehensweisen Gewährung nach § 9 Absatz 4 SGB II a.F. genügt es für eine lediglich darlehensweise Gewährung von Leistungen nicht, dass dem Hilfesuchenden Vermögen zusteht, wenn in dem Zeitpunkt, in dem die Darlehensgewährung erfolgen soll, bis auf weiteres nicht absehbar ist, ob er einen wirtschaftlichen Nutzen aus dem Vermögen wird ziehen können. Vielmehr liegt eine generelle Unverwertbarkeit im Sinne des § 12 Absatz 1 SGB II a.F. vor, wenn völlig ungewiss ist, wann eine für die Verwertbarkeit notwendige Bedingung eintritt. Maßgebend für die Prognose, ob ein rechtliches oder tatsächliches Verwertungshindernis besteht beziehungsweise wegfällt, ist im Regelfall der Zeitraum, für den die Leistungen bewilligt werden, also regelmäßig der sechsmonatige Bewilligungszeitraum des § 41 Absatz 1 Satz 4 SGB II a.F. Für diesen Bewilligungszeitraum muss im Vorhinein eine Prognose getroffen werden, ob und welche Verwertungsmöglichkeiten bestehen, die geeignet sind, Hilfebedürftigkeit abzuwenden. Eine Festlegung für darüber hinaus gehende Zeiträume ist demgegenüber nicht erforderlich und wegen der Unsicherheiten, die mit einer langfristigen Prognose verbunden sind, auch nicht geboten. Nach Ablauf des jeweiligen Bewilligungszeitraumes ist erneut und ohne Bindung an die vorangegangene Einschätzung zu überprüfen, wie für einen weiteren Bewilligungszeitraum die Verwertungsmöglichkeiten zu beurteilen sind (BSG, Urteil vom 27.01.2009, Az.: B 14 AS 42/07 R).

Der Gutachterausschuss für Grundstückswerte im Kreis Höxter hat die durchschnittliche Verwertungsdauer mit 12 Monaten angegeben. Abgestellt auf den Antrag vom 04.06.2009 wäre dem Kläger prognostisch eine Verwertung innerhalb des Prognosezeitraums von sechs Monaten nicht möglich gewesen. Nach Auffassung der Kammer war im Rahmen der Verwertungsprognose jedoch zu berücksichtigen, dass der Kläger bereits im Jahr 2007 Grundsicherungsleistungen bezogen hat und dabei zu einer Verwertung des Hausgrundstückes aufgefordert worden war. In der Zeit bis zum erneuten Leistungsantrag am 04.06.2009 war der Kläger nach eigenen Angaben ohne Berücksichtigung des Hausgrundstückes grundsätzlich weiter hilfebedürftig. Er habe seinen Lebensbedarf mit einem Darlehen seiner Schwester sichergestellt. In einem solchen Fall ist der Kläger – anders als, wenn er seine Hilfebedürftigkeit in der Zwischenzeit z.B. durch Einkommen überwunden hätte - so zu stellen, als habe er durchgehend Grundsicherungsleistungen bezogen. Andernfalls hätte es der Hilfebedürftige in der Hand durch "geschickte" Leistungsantragstellungen, die Verwertungsfrist immer wieder aufs Neue für sich in Anspruch zu nehmen.

Unter Berücksichtigung der Verwertungsdauer von 12 Monaten ab dem Jahr 2007, war dem Kläger prognostisch eine Verwertung im streitgegenständlichen Zeitraum möglich. Das Hausgrundstück war auch nicht über den Marktwert hinaus belastet.

2) Das Hausgrundstück ist mit einer Wohnfläche von 174 qm bzw. 211 qm nicht mehr angemessen im Sinne von § 12 Absatz 3 Satz 1 Nr. 4 SGB II a.F.

Bei dem Begriff der angemessenen Größe handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der der vollen gerichtlichen Überprüfung unterliegt (BSG, Urteil vom 07.11.2006, Az.: B 7b AS 2/05 R). In Anlehnung an die Vorschriften des 2. Wohnungsbaugesetzes vom 19. August 1994 (BGBl I 2137) gilt bei einem Familienheim eine Größe von 130 qm bei einem vier Personen Haushalt noch als angemessen (vgl. BSG, Urteil vom 15.04.2008, Az.: B 14/7b AS 34/06 R). Für jede weitere im Haushalt lebende Person ist eine Fläche von 20 qm zu addieren bzw. bei weniger Personen in Abzug zu bringen (vgl. Eicher/Spellbrink, 2. Auflg., § 12 SGB II Rdnr. 71). Bei einem Zwei-Personen-Haushalt ist jedenfalls eine Wohnfläche bis zu 90 qm angemessen (vgl. BSG, Urteil vom 15.04.2008, Az.: B 14/7b AS 34/06 R).

Das im Eigentum des Klägers stehende Hausgrundstück weist eine Wohnfläche von minimal 174 qm auf. Diese Wohnfläche überschreitet sogar die Angemessenheitsgrenze für Vier-Personen erheblich.

Die Verwertung des Hausgrundstücks ist auch nicht offensichtlich unwirtschaftlich. Der Kläger hat die Immobilie geerbt. Er hat keine Investitionen in oder auf das Haus getätigt, die den Verkehrswert überschreiten.

Die Verwertung des Hausgrundstückes stellt für die Kläger auch keine besondere Härte iSv § 12 Absatz 3 Nr.6 SGB II a.F. dar. Die Verwertung ist für die Kläger lediglich mit den mit einer Vermögensverwertung stets verbundenen Einschnitten verbunden. Die Härtefallregelung des § 12 Absatz 3 Nr. 6 SGB II a.F. setzt solche Umstände voraus, die dem Betroffenen ein deutlich größeres Opfer abverlangen als eine einfache Härte und erst recht als die mit der Vermögensverwertung stets verbundenen Einschnitte (vgl. BSG Urteil vom 7.5.2009; Az.: B 14 AS 35/08 R). Zwar handelt es sich vorliegend um das Elternhaus des Klägers. Allerdings begründet dieser Umstand keine besondere Härte, sondern stellt einen mit der Verwertung von Häusern oft verbundenen Einschnitt dar. Bei selbst bewohnten Häusern handelt es sich regelmäßig um solche, die die Hilfebedürftigen in der Vergangenheit und unter Umständen auch in der Kindheit bewohnt haben.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der Kläger lediglich ergänzende Leistungen bezogen hat. Soweit eine Hilfebedürftigkeit durch staatliche Hilfe beseitigt werden soll, ist der Hilfebedürftige zunächst auf die Verwertung des Vermögens zu verweisen. Im Übrigen weist das Gericht darauf hin, dass es dem Kläger frei steht, eine Veräußerung durch eine Verwertung im Wege einer Vermietung zu vermeiden.

III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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