L 7 SO 198/12 NZB

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 12 SO 167/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 198/12 NZB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 22. November 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Das am 27. Dezember 2011 beim Sozialgericht Stuttgart (SG) eingelegte und von dort am 13. Januar 2012 an das Landessozialgericht (LSG) weitergeleitete Rechtsmittel ist als Nichtzulassungsbeschwerde gegen das in der mündlichen Verhandlung vor dem SG vom 22. November 2011 verkündete Urteil aufzufassen. Dieses Rechtsmittel ist als rechtzeitig eingelegt zu behandeln, obwohl die Nichtzulassungsbeschwerde an sich fristwahrend nur beim LSG eingereicht werden kann (vgl. § 145 Abs. 1 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)). Denn das mit der Verkündung verlautbarte und damit wirksam gewordene Urteil ist dem Kläger erst am 3. Januar 2012 mittels Postzustellungsurkunde, mithin erst nach Beschwerdeeinlegung, zugestellt worden; die Einlegung des Rechtsmittels gegen verkündete Urteile bereits vor der Zustellung ist zulässig (vgl. Keller in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 10. Auflage, § 125 Rdnr. 4c, § 133 Rdnr. 2a, § 143 Rdnr. 2b). Darauf, welche Konsequenzen ein etwaiges nachlässiges Verhalten des unzuständigen Gerichts bei verfristeten Rechtsmitteln haben könnte (vgl. hierzu etwa Senatsbeschluss vom 29. August 2011 - L 7 SO 552/11 NZB - unter Verweis u.a. auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE), etwa BVerfG SozR 3-1500 § 67 Nr. 22), kommt es deshalb hier nicht an. Bedenken gegen die Prozessfähigkeit des Klägers (§ 71 Abs. 1 SGG) hegt der Senat derzeit nicht. Die Beschwerde hat jedoch keinen Erfolg, weil sie jedenfalls unbegründet ist.

Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG bedarf die Berufung der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluss des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750,00 Euro nicht übersteigt. Dies gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft (Satz 2 a.a.O.). Beide Voraussetzungen sind in Anbetracht des Beschwerdewerts und des Zeitraums, für den Leistungen geltend gemacht werden, nicht gegeben. Mit Blick auf die vom Kläger mit seiner Klage begehrte VVS-Monatsfahrkarte für 5 Zonen ist die letztgenannte Vorschrift nicht tangiert. Ferner ist die erforderliche Berufungssumme von mehr als 750,00 Euro nicht erreicht, weil sich der Preis einer Monatsfahrkarte für 5 Zonen nach den Feststellungen des SG auf 140,50 Euro beläuft. Das SG hat im Urteil vom 22. November 2011 die Berufung auch nicht zugelassen.

Nach § 144 Abs. 2 SGG ist die Berufung nur zuzulassen, wenn (1.) die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder (2.) das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder (3.) ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Der Kläger hat zur Begründung seiner Beschwerde einen der gesetzlich abschließend geregelten Zulassungsgründe des § 144 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 SGG (grundsätzliche Bedeutung, Divergenz, wesentlicher entscheidungsrelevanter Verfahrensmangel) nicht ausdrücklich geltend gemacht; sinngemäß rügt er indessen Verfahrensmängel im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG. Gründe für die Zulassung der Berufung nach den Nrn. 1 und 2 a.a.O. sind nicht ersichtlich (zur abschließenden Aufzählung der Einmalbedarfe in § 31 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vgl. nur Bundessozialgericht (BSG) BSGE 99, 137 = SozR 4-1300 § 44 Nr. 11 (jeweils Rdnr. 19)).

Mit seinem Beschwerdevorbringen macht der Kläger geltend, das SG habe seinem Verlegungsantrag nicht stattgegeben; außerdem sei die Kammervorsitzende befangen gewesen. Der Kläger rügt damit Verstöße gegen § 62 SGG, Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes sowie gegen § 60 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 42 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO).

a) Mit seinem Ablehnungsgesuch auf der Grundlage der letztgenannten Bestimmungen vermag der Kläger - unabhängig davon, dass dieses nicht ausreichend substantiiert erscheint - jedoch schon deswegen nicht durchzudringen, weil eine Nichtzulassungsbeschwerde auf einen erst nach Beendigung der Instanz gestellten Befangenheitsantrag regelmäßig nicht gestützt werden kann (vgl. BSG, Beschluss vom 13. Juli 1998 - B 9 VS 8/98 B - (juris; m.w.N.)).

b) Auch die Rüge eines Verstoßes gegen das rechtliche Gehör trifft nicht zu. Ein Gehörsverletzung kann im Rahmen der hier maßgeblichen Prozessordnung des SGG nur bejaht werden, wenn ein derartiger Verfahrensmangel vorliegt und darüber hinaus entscheidungserhebliches Vorbringen aufgrund eines solchen Verfahrensfehlers verhindert worden ist (ständige Rechtsprechung; vgl. nur BSG, Beschluss vom 29. November 1988 - 7 BAr 52/87 - (juris)). Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben. Zwar ist die mündliche Verhandlung "Kernstück" des gerichtlichen Verfahrens, sie hat zentrale Gewährleistungsfunktion für den Anspruch der Beteiligten auf rechtliches Gehör und dient der erschöpfenden Erörterung des Streitstoffs mit ihnen (vgl. BSGE 44, 292 f. = SozR 1500 § 124 Nr. 2; BSGE 53, 83, 85 f. = SozR a.a.O. Nr. 7; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr. 33). Der Beteiligte muss indessen seinerseits alles Zumutbare getan haben, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen (vgl. BSG SozR 4-1500 § 60 Nr. 4).

Dem Anspruch auf rechtliches Gehör ist in der Regel dadurch genügt, dass das Gericht die mündliche Verhandlung anberaumt (§ 110 Abs. 1 Satz 1 SGG), der Beteiligte ordnungsgemäß geladen und die mündliche Verhandlung zu dem festgesetzten Termin eröffnet wird (vgl. BSG, Beschluss vom 21. Juli 2005 - B 11a/11 AL 261/04 B -; BSG, Beschluss vom 7. Juli 2011 - B 14 AS 35/11 B - (beide juris)). Dies ist hier der Fall. Der Kläger ist zu dem auf den 22. November 2011, 12.00 Uhr anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung entgegen seiner Darstellung nicht erst am 23. November 2011, sondern bereits am 20. September 2011 mittels Postzustellungsurkunde durch Einlegen der - in einem verschlossenen Umschlag zwecks Zustellung zur Post aufgegebenen - Terminsbestimmung in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten geladen worden; die Ausführung erfolgte insoweit nach § 176 Abs. 1 und 2 ZPO i.V.m. den §§ 177 bis 181 ZPO. Das SG hat die Sache am Terminstag außerdem ausweislich der Niederschrift vom 22. November 2011 erst um 12.05 Uhr aufgerufen. Ferner ist eine Entscheidung aufgrund mündlicher Verhandlung trotz Abwesenheit eines Beteiligten grundsätzlich ohne Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör möglich, wenn dieser in der Ladung darauf hingewiesen worden ist, dass auch im Fall seines Ausbleibens verhandelt und entschieden werden kann (vgl. nochmals BSG, Beschluss vom 7. Juli 2011 a.a.O.); auch das ist in der unter dem 19. September 2011 angeordneten Terminsbestimmung geschehen.

Darüber hinaus stand der Umstand, dass das persönliche Erscheinen des Klägers angeordnet war, hier der Durchführung des Termins nicht entgegen (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 16. Dezember 1993 - 13 RJ 37/93 - (juris)). Allerdings kommt eine Gehörsverletzung dann in Betracht, wenn der Beteiligte einen Vertagungs- oder Verlegungsantrag gestellt hat und ferner erhebliche Gründe für eine Terminsaufhebung und -verlegung vorliegen (§ 202 SGG i.V.m. § 227 Abs. 1 ZPO). Einen derartigen Antrag hat der Kläger zwar in der Beschwerdeschrift vom 28. November 2011 behauptet und hierfür sein Alter (über 77 Jahre) angeführt, das es ihm nicht erlaube, ganztägig von 9.00 bis etwa 15.00 Uhr durchzuhalten; ein solcher rechtzeitig gestellter Antrag ist indes nicht aktenkundig; das Schreiben des Klägers vom 21. November 2011 ist erst am 24. November 2011 beim SG eingegangen. Zwar hat der Kläger am 21. November 2011, also am Vortag der mündlichen Verhandlung, nachmittags auf der Geschäftsstelle der 12. Kammer des SG angerufen und mitgeteilt, dass er an der Sitzung vom 22. November 2011 nicht teilnehmen könne, weil es ihm gesundheitlich nicht gutgehe; er habe einen zu hohen Blutdruck und Schmerzen im Knie. Außerdem hat er laut dem am 21. November 2011 gefertigten Aktenvermerk der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle nachgefragt, ob eine solche "Mammut-Sitzung" nicht auf zwei Termine verlegt werden könne und ferner um Entscheidung über seinen Prozesskostenhilfeantrag gebeten. Dass er Wert darauf lege, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen, hat der Kläger, der im Übrigen nach Kenntnislage des Senats Ladungen zu mündlichen Verhandlungen in aller Regel bislang keine Folge geleistet hat, damit indessen nicht hinreichend zum Ausdruck gebracht. Aber auch ungeachtet einer entsprechenden Willensbekundung des Klägers, der es bei Anordnung des persönlichen Erscheinens als Voraussetzung für eine Terminsverlegung im Übrigen grundsätzlich nicht bedarf (vgl. BSG, Beschluss vom 7. Februar 2001 - B 9 VM 1/00 B -; BSG, Beschluss vom 24. September 2002 - B 13 RJ 55/02 B - (beide juris); Keller in Meyer-Ladewig u.a., a.a.O., § 62 Rdnr. 6f), musste der auf den 22. November 2011 anberaumte Termin zur mündlichen Verhandlung vom SG hier nicht verlegt werden. Denn ein hinreichend substantiierter Verlegungsgrund (vgl. hierzu nochmals BSG, Beschluss vom 7. Juli 2011 a.a.O.; ferner Bundesfinanzhof, Beschluss vom 6. Dezember 2011 - XI B 64/11 - (juris) (beide jeweils auch zur Prozessverschleppung)) war für das SG, das die Anordnung des persönlichen Erscheinens überdies in der Sitzung vom 22. November 2011 aufgehoben hat, aus den vom Kläger im Ferngespräch vom 21. November 2011 angeführten gesundheitlichen Gründen nicht zu ersehen; insbesondere ergab sich aus dessen Angaben über hohen Blutdruck und Schmerzen im Knie nicht schlüssig, dass er aus eben diesen Gründen nicht in der Lage gewesen wäre, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen; solches ist noch nicht einmal den mit der Nichtzulassungsbeschwerde eingereichten Arztunterlagen, die im Übrigen vom 4. und 6. Mai 2010 datieren, zu entnehmen. Ein Vertagungsgebot ergab sich ferner nicht aus dem im vorgenannten Ferngespräch mitgeteilten Wunsch des Klägers auf Verteilung der insgesamt sechs am Sitzungstag vom 22. November 2011 verhandelten Klagesachen auf zwei Sitzungstage. Über das Prozesskostenhilfegesuch des Klägers hatte das SG im Übrigen bereits mit Beschluss vom 18. November 2011 entschieden.

Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 193 SGG.

Mangels Anfechtbarkeit der vorliegenden Nichtzulassungsentscheidung (§ 177 SGG) wird das Urteil des SG vom 22. November 2011 hiermit rechtskräftig (§ 145 Abs. 4 Satz 4 SGG).
Rechtskraft
Aus
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