L 3 U 5638/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 1 U 4188/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 U 5638/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 10. November 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Verletztenrente wegen der Folgen eines Wegeunfalls am 07.02.2007 streitig.

Der 1956 geborene Kläger war im Unfallzeitpunkt als Lehrer an der Gottlieb-Daimler-Schule in A. tätig. Am 07.02.2007 war er in der Mittagspause mit dem Fahrrad, jedoch ohne Helm, auf dem Weg zurück zur Schule. Hierbei kam es zur Kollision mit einem verbotswidrig abbiegenden PKW, der von einem Schüler der Schule gefahren wurde. Es erfolgte eine Versorgung des Klägers in der Unfallchirurgischen Ambulanz des Klinikums A., wo als Erstdiagnosen eine Risswunde im mittleren Drittel des linken Unterschenkels, ventromedial (zur Köpermitte gelegen) sowie eine Prellung der unteren Thoraxapertur, jedoch keine frischen knöchernen Verletzungen oder Luxationen festgestellt wurden. Relevante Hinweise auf das Vorliegen einer Commotio cerebri bestanden nicht, der Kläger klagte nur über leichte Kopfschmerzen, jedoch keine Übelkeit oder Erbrechen. Nach Wundversorgung wurde der Kläger als arbeitsfähig entlassen (Durchgangsarztbericht Prof. Dr. B., Unfallchirurgische Klinik A., vom 08.02.2007). Im Durchgangsarztbericht ist weiter vermerkt, es liege kein Unfall im Sinne des Gesetzes vor, da sich der Unfall in der Mittagspause ereignet habe.

Am 28.02.2007 erstattete der Arbeitgeber Unfallanzeige und teilte mit, der Unfall habe sich auf dem Weg von der Mittagspause zurück zur Schule ereignet. Nach Angabe des Klägers habe er sich eine große Platz-Fleischwunde am linken Schienbein zugezogen.

Am 12.02.2007 begab sich der Kläger in Behandlung der chirurgischen Praxis Dres. C./D./E ... Am 12.02.2007 und 13.02.2007 erfolgte eine Behandlung durch Dr. D., der ein infiziertes Hämatom am linken Unterschenkel sowie einen Zustand nach Thoraxprellung diagnostizierte und eine Behandlung in Form einer Hämatomentlastung durch Entfernung der Fäden, Expression des Hämatoms und Anlage eines Chinosolverbandes durchführte. In der Folgezeit wurde der Kläger von Dr. E. behandelt, und zwar vom 14.02.2007 bis 20.02.2007 täglich und bis zum 18.05.2007 an 10 weiteren Terminen.

Am 07.03.2007 stellte der Neurologe Dr. F.-G. beim Kläger persistierende Kopfschmerzen/Cervikalgien bei Zustand nach Schädelprellung und HWS-Distorsion am 07.02.2007 sowie eine tiefe Riss-/Platzwunde am linken Unterschenkel fest. Die von ihm veranlasste Kernspintomographie des Gehirnschädels am 12.03.2007 durch Dr. Hofbauer ergab keine intracerebrale Raumforderung oder Blutung, keinen Territorialinfarkt, keine Liquorzirkulationsstörung und kein subdurales Hämatom (Arztbrief v. 13.03.2007). Eine am 14.03.2007 von Dr. H. durchgeführte Kernspintomographie der HWS ergab eine minimale mediane Bandscheibenprotrusion HWK 4/5 sowie eine flache rechts medio-laterale Bandscheibenprotrusion HWK 5/6 bei flacher Retrospondylose, ein unauffälliges cervicales und oberes thorakales Myelon sowie paravertebral keinen Hämatomnachweis (Befundbericht Dr. H. vom 15.03.2007). Nachdem Dr. E. ab 12.02.2007 Arbeitsunfähigkeit bescheinigt hatte, stellte er ab 02.04.2007 beim Kläger Arbeitsfähigkeit fest und entließ diesen aus seiner ambulanten Behandlung.

Am 08.07.2007 berichtete Dr. E., der Kläger habe sich am 10.05.2007 erneut vorgestellt, nachdem er bei einem Spaziergang am 05.05.2007 einen plötzlich stechenden Schmerz im rechten Knie verspürt habe. Die weitere Diagnostik habe einen Schrägriss im Bereich des Innenmeniskus-Hinterhorns ergeben. Am 14.08.2007 teilte Dr. E. auf Anfrage der Beklagten mit, der Kläger habe im Zusammenhang mit dem Wegeunfall keine Beschwerden im Bereich des rechten Kniegelenks angegeben und Beschwerden im Bereich der HWS erstmals am 09.03.2007 genannt. Die HWS-Beschwerden seien auf das Unfallereignis vom 07.02.2007 zurückzuführen.

Am 07.10.2007 stellte Prof. Dr. I. eine HWS-Distorsion mit persistierenden Schmerzen, Verdacht auf Innenmeniskus-Hinterhorn-Läsion rechts sowie Zustand nach Risswunde im mittleren Drittel des linken Unterschenkels und Thoraxprellung rechts fest.

Die behandelnde Ärztin für Allgemeinmedizin J. teilte am 23.10.2007 bezüglich der Vorerkrankungen mit, der Kläger habe einmalig am 12.10.1993 HWS-Schulterbeschwerden geäußert. Wegen Kniebeschwerden sei er 1994 und 1995 zweimal vorstellig geworden. Hierzu legte sie den Arztbrief des Orthopäden Dr. Becker vom 19.09.1995 vor.

Im nervenärztlichen Befundbericht vom 23.10.2007 diagnostizierte der Neurologe Dr. K. eine Anpassungsstörung mit depressiver Entwicklung nach dem Wegeunfall sowie eine Commotio cerebri. Der neurologische Befund sei regelrecht bei einer deutlich gedrückten Stimmung mit reduzierter affektiver Schwingungsfähigkeit. Der Kläger wirke kraftlos und enttäuscht. Es sei von einer Anpassungsstörung mit depressiver Entwicklung auszugehen. In einem weiteren Befundbericht vom 14.12.2007 teilte Dr. K. mit, der Kläger habe sich bei ihm telefonisch gemeldet und empört über den ersten Befundbericht geäußert. Anamnestisch habe er ergänzend angegeben, bereits vor dem Unfall depressiv herabgestimmt gewesen zu sein und deutliche Probleme, die fortbestünden, gehabt zu haben. Durch den Unfall sei die Stimmungsstörung verstärkt worden. Es habe ihn besonders gekränkt, dass ihn ein Schüler "überfahren" habe. Aufgrund dieser Angaben gelangte Dr. K. zu dem Ergebnis, es sei allenfalls von einer Verschlechterung einer bereits bestehenden depressiven Episode durch das Unfallereignis auszugehen.

Am 04.12.2007 erfolgte eine Arthroskopie mit partieller Meniskusresektion rechts.

In Zusammenhangsgutachten vom 07.02.2008 gelangte Prof. Dr. L., Ärztlicher Direktor der Klinik für Orthopädie, Unfallchirurgie und Wiederherstellungschirurgie im Marienhospital Stuttgart, nach einer Untersuchung des Klägers am 31.01.2008 zu der Beurteilung, als Unfallfolge bestehe eine reizlose, 4,5 Zentimeter lange, etwas verbreiterte und livid verfärbte Narbe am linken Unterschenkel mit Behandlungsbedürftigkeit sowie Arbeitsunfähigkeit bis zum 28.03.2007 bzw. 01.04.2007. Die Bandscheibenprotrusionen HWK 4/5 sowie die Neuro-foramenstenose HWK 5/6 rechts seien nicht auf den Arbeitsunfall zurückzuführen. Ein MRT des Schädels zeige keinen Hinweis auf Traumafolgen. An unfallunabhängigen Erkrankungen bestünden eine endogene Depression sowie ein Zustand nach (Z.n.) TE.

Im Neurologischen Zusatzgutachten vom 22.04.2008 führte Oberarzt Dr. M., Marienhospital Stuttgart, aus, ein chronisches Schmerzsyndrom der Halswirbelsäule mit posttraumatischer depressiver Episode sei durch den Unfall verursacht, nicht dagegen die degenerative mediale Meniskopathie rechts. Der Kläger sei seit 15.10.2007 wegen der Beschwerden der HWS sowie chronischer Kopfschmerzen behandlungsbedürftig und nicht arbeitsfähig. Es sei davon auszugehen, dass sich der Kläger bei dem Unfall neben der Verletzung am Unterschenkel eine Schädelprellung und eine HWS-Distorsion zugezogen habe. Das ausgeprägte Schmerzempfinden des Klägers erscheine nachvollziehbar, wobei sich jedoch kein fassbares organisches Korrelat finde. Ein chronifiziertes Schmerzsyndrom, ausgelöst durch das Unfalltrauma, habe zwischenzeitlich eine eigene Dynamik entwickelt.

Im daraufhin von Prof. Dr. N., Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychosomatik Freiburg, am 11.09.2008 erstatteten Gutachten führte dieser aus, beim Kläger bestehe eine Anpassungsstörung (ICD-10: F43.2) mit den Symptomen einer mittelgradigen Depression. Dafür sprächen eine affektive Störung, Verminderung des Antriebs, eine formale Denkstörung, Schlafstörungen sowie eine erhöhte Schmerzwahrnehmung. Der Kläger habe eine psychische Störung vor dem Unfallereignis eindeutig verneint und sei dabei auch nach Hinweis auf den abweichenden Akteninhalt geblieben. Die affektive Störung sei im Rahmen einer Reaktion auf die Schmerzsymptomatik zu sehen und daher mittelbare Unfallfolge, sofern die Schmerzen als Unfallfolge anzuerkennen seien. Ob dies der Fall sei, könne aus psychiatrischer Sicht nicht beurteilt werden. Im Rahmen einer depressiven Erkrankung komme es regelmäßig zu einer erhöhten Schmerzwahrnehmung, wodurch wiederum affektive Störungen nachteilig beeinträchtigt werden könnten. Insofern sei eine massive Beeinträchtigung des Klägers bei nur minimalen organischen Befunden erklärbar, weswegen die Diagnose einer somatoformen Schmerzstörung nicht unterstützt werde. Aufgrund der wechselseitigen Beeinflussung der depressiven und der Schmerzsymptomatik könne eine ursächliche Trennung nicht sicher vorgenommen werden. Es erscheine jedoch durch das zeitlich versetzte Auftreten der affektiven Symptomatik sechs Monate nach Bestehen der körperlichen Beschwerden ein mittelbarer Zusammenhang zu bestehen. Seit dem 15.10.2007 sei der Kläger wegen Beschwerden der HWS und chronischer Kopfschmerzen arbeitsunfähig. Bei einer Anerkennung als Unfallfolge ergebe sich durch die psychische Störung eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 20 vom Hundert (v.H).

Der Beklagte hat das für die Deutsche Rentenversicherung (DRV) Bund von der Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie B. Z. erstattete Gutachten vom 09.07.2008 beigezogen. Darin wird die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsreaktion gestellt und weiter ausgeführt, die Bewegungseinschränkungen im Bereich der HWS seien weder neurologisch noch orthopädisch eindeutig geklärt. Durch den Fahrradwegeunfall und die anschließende Weigerung, die Unfallfolgen als Wegeunfallfolgen anzuerkennen, sei der Kläger zutiefst erschüttert. Es sei weniger das Unfallereignis selbst, als vielmehr der Umgang der Umwelt mit diesem Ereignis, welcher den Kläger aus der Bahn geworfen habe.

In der beratungsfachärztlichen Stellungnahme vom 18.11.2008 führte der Neurologe und Psychiater Dr. O. aus, eine unfallbedingte Kopfverletzungs- oder HWS-verletzungsbedingte neurologische Symptomatik habe nicht festgestellt werden können. Gegenüber Dr. K. habe der Kläger telefonisch angegeben, bereits vor dem Unfall depressiv herabgestimmt gewesen zu sein. Persistierende Kopfschmerzen und Cephalgien habe er erstmals anlässlich einer Untersuchung am 07.03.2007 angegeben. Bei den MRT-Untersuchungen hätten keine unfallbedingten Veränderungen festgestellt werden können, weshalb davon auszugehen sei, dass die Gewebestrukturen im Bereich des Kopfes und Halses intakt seien. Er gehe deshalb davon aus, dass beim Kläger eine vorbestehende Gesundheitsstörung auf psychiatrischem Gebiet vorhanden gewesen sei und depressive Symptome schon vor dem Unfall bestanden hätten. Die anhaltenden Beschwerden seien deshalb nicht auf nachweislich eingetretene Unfallfolgen zurückzuführen. Beim Kläger seien keine klinisch oder neuroradiologisch nachweisbaren unfallbedingten Strukturschäden gegeben, weshalb auch keine auf Unfallfolgen beruhenden anhaltenden Beschwerden begründet werden könnten. Neurologisch/psychiatrisch seien keine Unfallfolgen nachgewiesen. Die für die psychische Gesundheitsstörung ursächlichen Kopfschmerzen stünden nicht in ursächlichem Zusammenhang mit dem Unfallereignis.

Mit Bescheid vom 10.02.2009 anerkannte die Beklagte, gestützt auf die von ihre eingeholten Gutachten sowie die beratungsärztliche Stellungnahme von Dr. O., den Unfall vom 07.02.2007 als Arbeitsunfall und lehnte die Gewährung einer Verletztenrente ab. Als Unfallfolgen anerkannt wurden eine folgenlos ausgeheilte Risswunde am linken Unterschenkel mit ca. 4,5 cm langer, reizloser, etwa verbreiterter Narbe und eine folgenlos ausgeheilte Prellung des unteren Brustkorb links. Nicht als Unfallfolgen anerkannt wurden eine degenerative Meniskopathie und ein Innenmeniskus-Hinterhorn-Riss des rechten Kniegelenks, eine minimale mediale Bandscheibenprotrusion HWK 4/5, eine flache rechtsmedio-laterale Bandscheibenprotrusion bei HWK 5/6 bei flacher Retrospondylose, eine endogene Depression, Anpassungsstörung und Kopfschmerzen. Unfallbedingte Heilbehandlung wegen der Folgen des Versicherungsfalls wurde bis 28.03.2007, eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit bis 01.04.2007 anerkannt.

Den hiergegen am 02.03.2009 eingelegten Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19.05.2009, auf den Bezug genommen wird, zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 18.06.2009 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben.

Das SG hat Beweis erhoben durch Anhörung der behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen. Der Orthopäde Dr. P. hat unter dem 09.11.2009 mitgeteilt, bereits vom Praxisvorgänger sei ein chronisches Wirbelsäulensyndrom mit Skoliose und Osteochondrose dokumentiert worden. Der Kläger habe sich dann erstmalig am 28.09.2007 wieder vorgestellt. Er habe eine ungewöhnliche Einschränkung der HWS-Beweglichkeit mit weiterhin bestehendem Muskelhartspann und Druckschmerz über dem medialen Gelenkspalt bei degenerativen Veränderungen der HWS festgestellt.

Dr. R., Facharzt für psychotherapeutische Medizin, hat unter dem 12.11.2009 berichtet, der Kläger stehe seit dem 10.04.2008 nach Überweisung durch Dr. S. wegen einer mittelgradigen Depression nach erlittenem Schleudertrauma am 07.02.2007 und einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung im Bereich der Halswirbelsäule mit inzwischen nicht korrigierbaren organischen Folgeerscheinungen in seiner Behandlung. Außerdem bestehe eine Reaktion auf schwere Belastung im Gefolge der unaufhörlichen Rechtsstreitigkeiten und der zuletzt unausweichlich gewordenen Berentung. Die Erkrankungen führten zu depressiver Herabgestimmtheit, eingeschränkter emotionaler Schwingungsfähigkeit, Schlafstörungen, Konzentrationsstörungen, Antriebslosigkeit und grüblerischem Denken ohne Anhalt für paranoide Inhalte.

Die AOK Stuttgart-Böblingen hat zu den Vorerkrankungen des Klägers mitgeteilt, vom 01.01.2000 bis 06.02.2007 sei dieser nicht wegen psychiatrischer Gesundheitsstörungen arbeitsunfähig gewesen. Vom 28.10.2003 bis 30.10.2003 und vom 23.11.2005 bis 25.11.2005 habe Arbeitsunfähigkeit wegen der Verletzung eines Muskels/einer Sehne vorgelegen.

Mit Urteil vom 10.11.2010 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, über die von der Beklagten anerkannten Unfallfolgen hinaus seien keine weiteren Unfallfolgen mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit auf den Unfall am 07.02.2007 zurückzuführen. Der nach dem Unfall erstbehandelnde Durchgangsarzt Prof. Dr. B. habe noch am Unfalltag beim Kläger lediglich eine Risswunde im mittleren Drittel des linken Unterschenkels sowie eine Prellung der unteren Thoraxapertur feststellen können. Bei der durchgeführten Röntgenuntersuchung seien keine frischen knöchernen Verletzungen oder Luxationen festgestellt worden. Auch habe der Kläger keine Schmerzen im Bereich der Halswirbelsäule und des Kopfes angegeben. Erst am 07.03.2007 habe der behandelnde Neurologe Dr. F.-G. über persistierende Kopfschmerzen und Cervicalgien sowie einen Zustand nach Schädelprellung und HWS-Distorsion vom 07.02.2007 berichtet. Eine von ihm veranlasste MRT-Untersuchung des Schädels und der HWS hätten jedoch keine Hinweise auf eine intracerebrale Blutung oder ein Hämatom ergeben. Im HWS-Bereich seien demgegenüber Bandscheibenprotrusionen im Bereich der Halswirbelkörper 4/5 sowie 5/6 festgestellt worden. Aufgrund dieser Befunde seien anhaltende unfallbedingte Schmerzen im Bereich des Kopfes und der Halswirbelsäule nicht nachgewiesen. Gleiches gelte für eine HWS-Distorsion. Nachdem der Kläger gegenüber dem Durchgangsarzt keinerlei derartige Schmerzen angegeben habe, vielmehr erstmals einen Monat nach dem Sturzereignis gegenüber Dr. F.-G. über persistierende Kopfschmerzen berichtet habe, sei ein Zusammenhang zwischen der von Dr. F.-G. vermuteten HWS-Distorsion mit dem Unfall nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit erwiesen. Auch die nachgewiesenen Bandscheibenprotrusionen im Bereich der HWS könnten die vom Kläger angegebenen Kopfschmerzen auslösen. Die von Prof. Dr. N. festgestellte Anpassungsstörung mit dem Symptom einer mittelgradigen Depression könne deshalb nicht als mittelbare Unfallfolge gewertet werden, weil die auslösenden Schmerzen nicht unfallursächlich seien. Nachdem die durch den Unfall verursachte Risswunde und die Prellung des unteren Brustkorbs folgenlos ausgeheilt seien, die Bandscheibenprotrusionen im HWS-Bereich, die Kopfschmerzen und die Anpassungsstörung mit endogener Depression nicht auf das Unfallereignis oder unfallbedingte Schmerzen zurückzuführen seien, scheide die Gewährung einer Verletztenrente aus. Auch die Innenmeniskusläsion am rechten Knie sei nicht unfallbedingt.

Gegen das am 25.11.2010 zugestellte Urteil hat der Kläger am 03.12.2010 Berufung eingelegt. Er trägt vor, er sei bereits am 12.02.2007 durch Dr. D. wegen der HWS-Beschwerden behandelt worden. Wegen der Behandlung der Risswunde im linken Unterschenkel mit komplizierter und schmerzhafter Wundheilungsstörung, die zunächst ganz im Vordergrund gestanden habe, hätten die anderen Beschwerden zunächst im Hintergrund gestanden. Die Reaktion auf diese erhebliche Schmerzsymptomatik sei als mittelbare Unfallfolge zu bewerten.

Der Kläger hat weiter den Bericht der Gutachterkommission für Fragen ärztlicher Haftpflicht vom 23.02.2009 bezüglich der Prüfung eines Behandlungsfehlers durch Dr. D. vorgelegt. Die Gutachter T., Präsident des LG a.D., Dr. U., Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe i.R. und Prof. Dr. L., gelangten darin zu der Beurteilung, ein ärztlicher Behandlungsfehler sei nicht festgestellt. Bezüglich der HWS-Distorsion wird ausgeführt, aufgrund deren verspäteter Diagnose sei die Behandlung zwar verspätet begonnen worden. Dies sei allerdings für den Kläger ohne Nachteile gewesen, da die meisten HWS-Distorsionen 1. Grades - die Kommission gehe davon aus, dass es sich um eine solche gehandelt habe, sonst hätte der Kläger bereits am Erstbehandlungstag über massivere Beschwerden geklagt - keinerlei spezieller Behandlung bedürften. Auch habe sich ein dauerhafter Schaden bezüglich der geklagten Symptome im weiteren Verlauf nicht nachweisen lassen. Zwar zeige eine Röntgenaufnahme der HWS vom 09.03.2007 eine Steilstellung als Zeichen eines stattgehabten Flexions-Extensionstraumas. Die neurologische Konsiliaruntersuchung vom 07.03.2007 habe jedoch kein neurologisches Defizit ergeben. Ebenso habe das zusätzlich angefertigte MRT des Schädels keine Traumafolge gezeigt. Bezüglich der Beschwerden am rechten Knie sei Dr. D. gleichfalls nicht vorzuwerfen, dass er diese zunächst als unfallbedingte Prellung gedeutet habe. Im weiteren Behandlungsverlauf habe der Kläger keine massiven Beschwerden geltend gemacht, sondern solche erst am 10.05.2007 nach einem plötzlichen Schmerzempfinden während eines Spaziergangs am 05.05.2007 geklagt. Es lasse sich deshalb zum einen nicht mit der gebotenen Sicherheit feststellen, dass der Meniskusschaden schon vor dem 05.05.2007 vorgelegen habe. Zum anderen scheine es auch bezüglich dieser Schmerzsymptomatik vertretbar, sie am 12.02.2007 als Prellungssymptome zu deuten und weitere Diagnoseschritte von der weiteren Schmerzentwicklung abhängig zu machen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 10. November 2010 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 10. Februar 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Mai 2009 zu verurteilen, ihm wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 07. Februar 2007 Verletztenrente nach einer MdE um 20 v.H. ab 02. April 2007 zu gewähren, hilfsweise von Amts wegen ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten einzuholen, hilfsweise ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten nach § 109 SGG zum Nachweis neurologisch-psychiatrischer Unfallfolgen bei Dr. V., Facharzt für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychoanalyse, H.-Straße 7, Stuttgart, einzuholen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts hat der Senat die behandelnden Ärzte des Klägers als sachverständige Zeugen gehört. Auf die schriftliche Aussagen von Dr. D. vom 01.05.2011 wird Bezug genommen.

Dr. E. hat in der schriftlichen Zeugenaussage vom 01.05.2011 angegeben, der Kläger habe erstmals bei der Kontrolluntersuchung am 09.03.2007 Beschwerden im Bereich der HWS bei Beugung mit Schwindelauslösung angegeben. Nach weitgehender Abheilung der Wunde des Unterschenkels habe sich der Kläger ab dem 27.04.2007 wegen anhaltender Beschwerden im Bereich der HWS vorgestellt.

Die Ärztin J. hat in den schriftlichen Stellungnahmen vom 06.05.2011 und 30.06.2011 ausgeführt, der Kläger habe sich am 09.02., 12.02., 15.02., 28.02. und 07.05.2007 in ihrer ärztlichen Behandlung befunden. Im Vordergrund der Beschwerden hätten zunächst die Schmerzen im Unterschenkel gestanden. Er habe auch Schmerzen im HWS-Schulterbereich und Kopfschmerzen gehabt. Am 28.02.2007 seien wegen erheblicher Beschwerden im HWS-Bereich Massagen verordnet worden. Wegen Schmerzen im Knie sei am 07.05.2007 eine Überweisung zum Unfallchirurgen erfolgt.

Der Senat hat weiter die Akten des Landgerichts Stuttgart (Az.: 26 O 37/09) beigezogen. Im Gutachten vom 09.04.2010 hat Dr. W., Ärztlicher Leiter Orthopädie am Universitätsklinikum Freiburg, nach gutachterlicher Untersuchung des Klägers am 26.03.2010 ausgeführt, aufgrund der Aktenlage sei nicht erkennbar, dass bei dem Unfallereignis am 07.02.2007 eine gravierende Verletzung der HWS eingetreten sei. Eine solche sei dadurch gekennzeichnet, dass bereits direkt nach dem Unfallereignis massive Beschwerden evident seien, wofür es keinerlei Belege gebe. Kopfschmerzen als alleiniges Symptom seien nicht geeignet, eine HWS-Verletzung anzuzeigen. Im für die Bruderhilfe/Sachversicherung am 08.03.2010 erstatteten traumatologisch-orthopädischen Gutachten ist Prof. Dr. X., Geschäftsführender Direktor der Zentralen Gutachtenstelle am Universitätsklinikum F., aufgrund einer Untersuchung des Klägers am 12.01.2010 zu der Beurteilung gelangt, beim Kläger bestünden u.a. persistierende Schmerzen im Bereich der HWS nach Beschleunigungsverletzung der HWS Typ II nach Spitzner sowie eine posttraumatische Belastungsstörung. Auf die mündlich erstatteten Gutachten über den Unfallhergang des Sachverständigen Dipl.-Ing. Y. in den Protokollen über die öffentliche Sitzung des LG vom 04.08.2009 und 20.01.2012 wird Bezug genommen.

Weiter beigezogen sind die bei der DRV Bund geführten Rentenakten des Klägers, auf die Bezug genommen wird. Danach bezog der Kläger ab dem 01.12.2008 zunächst befristet eine Rente wegen voller Erwerbsminderung; ab dem 01.10.2009 bezieht er eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf unbestimmte Dauer (Bescheid vom 01.07.2009).

Am 12.05.2012 hat der Kläger beantragt, ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einzuholen.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Beklagtenakten, der Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie der beigezogenen Akten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Die Beklagte hat mit den angefochtenen Bescheiden zu Recht die Bewilligung einer Verletztenrente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 07.02.2007 abgelehnt.

Versicherte haben Anspruch auf eine Verletztenrente, wenn ihre Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalles über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist (§ 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII).

Der Kläger hat zwar am 07.02.2007 einen Arbeitsunfall in Form eines Wegeunfalls erlitten, als er sich mit dem Fahrrad auf dem Weg zur Schule befand und von einem PKW angefahren wurde. Hierbei handelte es sich um eine versicherte Tätigkeit gem. § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII (sog. Wegeunfall), da sich der Kläger auf dem unmittelbaren Weg von seiner Wohnung zu dem Ort seiner Tätigkeit - der Berufsschule - befand. Dabei kam es auch zu einem Unfall im Sinne eines zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis (hier: Kollision mit dem PKW), der zum Gesundheitserstschaden geführt hat.

Es ist jedoch keine Minderung der Erwerbsfähigkeit in Folge dieses Versicherungsfalles eingetreten.

1. Zwischen den Beteiligten unstreitig ist als Unfallfolge im Sinne eines Gesundheitserstschadens eine Risswunde im Unterschenkel links aufgetreten. Diese ist zwischenzeitlich folgenlos ausgeheilt und hat nur eine reizlose, etwas verbreiterte Narbe hinterlassen. Unfallfolge war weiter ein zwischenzeitlich gleichfalls ausgeheilte Prellung des unteren linken Brustkorbs.

2. Zur Überzeugung des Senats hat sich der Kläger bei dem Unfall auch eine HWS-Distorsion zugezogen. Hierbei handelte es sich jedoch lediglich um eine HWS-Distorsion 1. Grades.

Der biomechanische Ablauf eines posttraumatischen Cervikalsyndroms erfordert eine nicht muskulär kontrollierte, energiereiche, sagittale, freie Bewegung des Kopfes gegenüber dem fixierten Rumpf. Diese darf nicht in einem Kopfanprall enden. Nach der klinischen und morphologischen Klassifikation von Störungen bei diesen Verletzungen werden diese nach Schweregraden unterschieden. Bei einer leichten Distorsion (Grad I) werden Muskeln, Bänder und Teile des I.elbandapparates gezerrt oder gedehnt, haben aber ihren mechanischen Zusammenhalt im Wesentlichen behalten. Symptomatisch für ein leichtes Trauma sind Schmerzen der Halsmuskulatur und/oder HWS, die bewegungseingeschränkt sein kann, meist nach einem Intervall (steifer Hals). Bei diesem Schweregrad ist ein symptomfreies Intervall nach dem Trauma häufig, es dauert meist mehr als eine Stunde bis maximal 48 Stunden, wobei 12 bis 16 Stunden typisch sind. Bei einem mittelschweren Trauma (Grad II) besteht meist kein schmerzfreies Intervall, selten beträgt dies weniger als eine Stunde bis maximal 8 Stunden. Dieser Schweregrad ist über die Symptome des Grades I hinaus gekennzeichnet durch eine Insuffizienz der Halsmuskulatur, Schmerzen im Mundboden-/Interskapularbereich sowie Parästhesien der Arme. Bei mittelschweren Fällen liegen mikrostrukturuelle Weichteilläsionen mit hieraus resultierender Hämatombildung mit eventueller temporärer Raumforderung vor, die durchweg kernspintomographisch nachweisbar ist (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8.Aufl. S. 464).

Relevant für die Beurteilung des Schweregrades ist auch das beschwerdefreie bzw. beschwerdearme Intervall während der posttraumatischen Frühperiode. Bei leichten Fällen (Schweregrad I), ist eine bezüglich Hinterkopf- und Nackenschmerzen sowie schmerzhaften Bewegungseinschränkungen von Kopf und Hals symptomfrei bzw. beschwerdearme Zeitspanne von Stunden bis zu einem Tag festzustellen (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O.).

Entgegen der Beurteilung im erstinstanzlichen Urteil erlitt der Kläger bei dem Unfall eine HWS-Distorsion 1. Grades. Zwar hat der Sachverständige Prof. Dr. L. im Gutachten vom 07.02.2008 ausgeführt, die Bandscheibenprotrusionen HWK 4/5 und die Neuroforamenstenose HWK 5/6 seien nicht auf den Arbeitsunfall zurückzuführen. Demgegenüber hat Prof. Dr. L. in der Stellungnahme der Gutachterkommission vom 23.02.2009, nachdem Dr. D. angegeben hatte, der Kläger habe auch über Schmerzen an der HWS berichtet, sinngemäß ausgeführt, es habe eine Distorsion vorgelegen. Die Kommission gehe davon aus, dass es sich um eine Distorsion 1. Grades gehandelt habe, da sonst der Kläger bereits am Erstbehandlungstag über massivere Beschwerden geklagt hätte. Dem schließt sich der Senat an. Für das Vorliegen einer Distorsion 1. Grades spricht auch der sonstige Ablauf. Der Lichtreflex war beidseits prompt und die Pupillomotorik unauffällig. Erst am 28.02.2007 hat die behandelnde Ärztin J. wegen der HWS-Beschwerden Massagen verordnet. Eine von Dr. E. am 09.03.2007 veranlasste röntgenologische Untersuchung der HWS zeigte eine Steilstellung mit unklarer knöcherner Struktur im mittleren Bereich der HWS. Das daraufhin erstellte MRT zeigte eine minimale mediale Bandscheibenprotrusion HWK 4/5 sowie 5/6. Die neurologische Untersuchung bei Dr. F.-G. vom 09.03.2007 hat neurologisch kein Defizit gezeigt.

3. Der Meniskusschaden am rechten Knie stellt keine Unfallfolgen dar. Ausweislich des Durchgangsarztberichts vom 08.02.2007 wurde an den unteren Extremitäten lediglich eine Risswunde am linken Unterschenkel diagnostiziert. Die Diagnose eines Meniskusschadens wurde erstmals am 10.05.2007 und damit mehr als 3 Monate nach dem Unfall durch Dr. E. gestellt, wobei der Kläger angegeben hatte, nach einem Spaziergang am 05.05.2007 sei ein plötzlicher Schmerz aufgetreten. Der Senat stützt sich hierbei auch auf die Beurteilung durch Prof. Dr. L. im Gutachten vom 07.02.2008, wonach sich die Beschwerdesymptomatik erstmals Anfang Mai 2007 entwickelt hat. Ausweislich des Berichts der Gutachterkommission vom 23.02.2009 hat Dr. D. zwar angegeben, der Kläger habe bereits bei der Vorstellung am 12.02.2007 über Kniebeschwerden rechts geklagt. Dr. D. konnte jedoch am entkleideten rechten Knie keine Schwellung feststellen, so dass die später diagnostizierte Innenmeniskus-Hinterhornläsion rechts zu diesem Zeitpunkt nicht nachgewiesen ist. Zudem bestand eine Vorschädigung, wie dem Attest der Ärztin J. vom 25.07.2007 entnommen werden kann (07.05.07: Z.n. alter Knieverletzung, jetzt Instabilität re. Knie).

4. Eine Verletzung im Bereich des Kopfes hat sich der Kläger bei dem Unfall nicht zugezogen. Der erstbehandelnde Durchgangsarzt Prof. Dr. B. hat bei der Erstversorgung eine halbe Stunde nach dem Unfall keine relevanten Hinweise auf das Vorliegen einer Commotio cerebri festgestellt. Der Kläger hatte nur leichte Kopfschmerzen, es bestand jedoch keine Übelkeit und kein Erbrechen. In der Unfallmeldung des Arbeitgebers vom 28.02.2007 war - basierend auf den Angaben des Klägers - lediglich eine Verletzung am linken Bein angegeben. Eine Schädelprellung wurde erstmals angegeben von Dr. F.-G. im Arztbrief vom 08.03.2007. Das MRT des Gehirnschädels vom 12.03.2007 hat jedoch keinen Hinweis auf eine intracerebrale Blutung und insbesondere kein subdurales Hämatom ergeben. Demgegenüber hat die den Kläger davor und zeitgleich behandelnde Ärztin J. eine Schädelprellung oder eine sonstige Kopfverletzung nicht diagnostiziert. Im ärztlichen Attest vom 25.04.2008 (Bl. 40 LSG) hat sie lediglich von einer schmerzhaft eingeschränkten Beweglichkeit der HWS berichtet. Erst in der sachverständigen Zeugenaussage vom 06.05.2011 hat sie angegeben, nach Abklingen der akuten Unterschenkelbeschwerden habe der Kläger Schmerzen im HWS-Schulterbereich und heftige Kopfschmerzen "bemerkt". Schließlich hat sie in der "berichtigenden" Auskunft vom 30.06.2011 mitgeteilt, im Vordergrund hätten zunächst die Schmerzen im Unterschenkel gestanden, der Kläger hätte auch Schmerzen im HWS-Schulterbereich und Kopfschmerzen gehabt. Eine Kopfverletzung hat die Ärztin J. aber nicht mitgeteilt.

5. Beim Kläger besteht zwischenzeitlich eine Anpassungsstörung mit Symptomen einer mittel-gradigen Depression. Diese begründet jedoch keine MdE, da sie weder eine unmittelbare noch eine mittelbare Unfallfolge darstellt. Ob ein Gesundheitsschaden dem Gesundheitserstschaden des Arbeitsunfalls als Unfallfolge zuzurechnen ist, beurteilt sich nach der Zurechnungslehre der Theorie der wesentlichen Bedingung. Danach werden als kausal und rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg dessen Eintritt wesentlich mit bewirkt haben. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs bzw. Gesundheitsschadens abgeleitet werden. Hierbei kann es mehrere rechtlich wesentliche Mitursachen geben. Sozialrechtlich allein relevant ist, ob dies (auch) das Unfallereignis gewesen war. Wesentlich ist nicht gleichzusetzen mit gleichwertig oder annähernd gleichwertig. Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange keine andere Ursache überragende Bedeutung hat. Die andere Ursache, die zwar naturwissenschaftlich ursächlich, aber nicht als "wesentlich" anzusehen ist und damit als Ursache nach der Theorie der wesentlichen Bedingung und im Sinne des Sozialrechts ausscheidet, kann in bestimmten Fallgestaltungen als "Gelegenheitsursache" oder Auslöser bezeichnet werden. Hierbei kann bei der Abwägung der Schwere des Unfallereignisses Bedeutung zukommen. Allein ein gravierendes, nicht alltägliches Unfallgeschehen oder besondere Probleme in der anschließenden Heilbehandlung berechtigen jedoch nicht, einen rechtlich wesentlichen Ursachenbeitrag ohne weiteres zu unterstellen. Gesichtspunkte für die Beurteilung der besonderen Beziehung einer versicherten Ursache zum Erfolg sind neben der versicherten Ursache bzw. dem Ereignis als solchem, einschließlich der Art und des Ausmaßes der Einwirkung, die konkurrierende Ursache unter Berücksichtigung ihrer Art und ihres Ausmaßes, der zeitliche Ablauf des Geschehens sowie Rückschlüsse aus dem Verhalten des Verletzten nach dem Unfall, den Befunden und Diagnosen des erst behandelnden Arztes sowie der gesamten Krankengeschichte. Weiterhin ist zu prüfen, ob ein Ereignis nach wissenschaftlichen Maßstäben überhaupt geeignet ist, eine bestimmte körperliche oder seelische Störung hervorzurufen (BSG, Urteil vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R - juris Rn. 13 ff.).

Beweisrechtlich ist hierbei zu beachten, dass der je nach Fallgestaltung ggf. aus einem oder mehreren Schritten bestehende Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und den Unfallfolgen als anspruchsbegründende Voraussetzung positiv festgestellt werden muss. Hierbei gibt es im Bereich des Arbeitsunfalls keine Beweisregel, dass bei fehlender Alternativursache die versicherte naturwissenschaftliche Ursache automatisch auch eine wesentliche Ursache ist, weil dies bei komplexem Krankheitsgeschehen zu einer Beweislastumkehr führen würde. Für die Feststellung des Ursachenzusammenhangs - der haftungsbegründenden und der haftungsausfüllenden Kausalität - genügt jedoch hinreichende Wahrscheinlichkeit (BSG, a.a.O., juris Rn. 20).

Auch psychische Reaktionen können rechtlich wesentlich durch ein Unfallereignis verursacht werden. Psychische Gesundheitsstörungen können nach einem Arbeitsunfall in vielfältiger Weise auftreten: Sie können unmittelbare Folge eines Schädel-Hirn-Traumas mit hirnorganischer Wesensänderung sein, sie können aber auch ohne physische Verletzungen, z.B. nach einem Banküberfall, entstehen, sie können die Folge eines erlittenen Körperschadens, z.B. einer Amputation, sein; sie können sich infolge der Behandlung des gesundheitlichen Erstschadens erst herausbilden. Zwar können auch mittelbare psychische Unfallfolgen entstehen und sind zu entschädigen, wenn sie durch den Arbeitsunfall wesentlich verursacht wurden. Dies setzt jedoch voraus, dass jeder Teil der Ursachenkette festgestellt ist (BSG, a.a.O.).

Unter Zugrundelegung dieses Maßstabes stellt die Anpassungsstörung mit Symptomen einer mittelgradigen Depression keine Unfallfolgen dar. Sie beruht nicht rechtlich wesentlich auf den Gesundheitsschäden, die sich der Kläger bei dem Unfall am 07.02.2007 zugezogen hat.

Der Kläger hat sich bei dem Unfall zwar eine HWS-Distorsion 1. Grades zugezogen. Hierbei handelt es sich aber nicht um eine gravierende Verletzung wie z.B. ein Schädel-Hirn-Trauma oder eine Amputation, wie sie das BSG beispielhaft als Ursachen für durch Fehlverarbeitung entstandene mittelbare Unfallfolgen aufgezählt hat, sondern um eine Verletzung, die regelmäßig innerhalb von 4 Wochen wieder ausheilt (Schönberger/Mehrtens/Valentin, S. 464). Die Schwere des Unfallereignisses spricht somit gegen einen Ursachenzusammenhang (vgl. BSG, a.a.O., juris Rn. 35). Soweit Dr. M. im Gutachten vom 22.04.2008 die Kausalität bejaht hat, ist er von tatsächlich nicht vorliegenden Erstschäden ausgegangen, indem er unterstellt hat, der Kläger habe sich bei dem Unfall auch eine Schädelprellung zugezogen.

Gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht weiter, dass die HWS des Klägers bereits vorgeschädigt war. Unfallunabhängig bestanden Bandscheibenprotrusionen HWK 4/5 und eine Neuroforamenstenose HWK 5/6, wie der Sachverständige Prof. Dr. L. im Gutachten vom 07.02.2008 festgestellt hat. Auch der behandelnde Orthopäde Dr. P. hat in der sachverständigen Zeugenaussage vom 09.11.2009 als vorbestehende Gesundheitsbeeinträchtigungen ein Wirbelsäulensyndrom, eine Skoliose und eine Osteochondrose genannt.

Zudem beruht die Schmerzsymptomatik des Klägers in hohem Maße auch auf dem - unfallunabhängigen - Meniskusschaden des rechten Knies, aufgrund dessen am 04.12.2007 eine Arthroskopie mit partieller Meniskusresektion rechts durchgeführt werden musste.

Selbst wenn der Beurteilung von Prof. Dr. N. im Gutachten vom 11.09.2008, wonach die affektive Störung im Rahmen einer Reaktion auf die Schmerzsymptomatik zu sehen ist, gefolgt wird, stellt jene deshalb keine mittelbare Unfallfolge dar, da die Schmerzen wesentlich auch auf unfallunabhängigen Gesundheitsstörungen beruhten.

Zur Überzeugung des Senats ist jedoch nicht die Schmerzsymptomatik, sondern eine Fehlverarbeitung ursächlich für die Anpassungsstörung des Klägers. Der Senat macht sich die Beurteilung der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Z. im für die Deutsche Rentenversicherung Bund erstellten nervenfachärztlichen Gutachten vom 09.07.2008 zu eigen, dass durch den Fahrradwegeunfall und die anschließende Weigerung, die Unfallfolgen als Wegeunfallfolgen anzuerkennen, der Kläger zutiefst erschüttert worden ist und es weniger das Unfallereignis selbst, als vielmehr der Umgang der Umwelt mit diesem Ereignis ist, der den Kläger aus der Bahn geworfen hat.

So ist bereits der Unfall zunächst nicht als Arbeitsunfall eingestuft worden. Im Durchgangsarztbericht vom 08.02.2007 wird angegeben, es liege kein Unfall im Sinne des Gesetzes vor, weil er sich in der Mittagspause ereignet habe. Erst auf die Unfallanzeige des Arbeitgebers vom 28.02.2007 hin und nach zahlreichen medizinischen Ermittlungen ist das Ereignis als Unfallereignis anerkannt worden. Weiter ist die Behandlung wegen des Unfallereignisses mit Eintritt der vollschichtigen Arbeitsfähigkeit zum 02.04.2007 abgeschlossen worden. So hat Dr. E. der Beklagten mit Schreiben vom 08.07.2007 mitgeteilt, die Behandlung des Meniskusschadens laufe ausschließlich zu Lasten der Krankenkasse. Es hat sich ein Arzthaftungsprozess gegen Dr. D. wegen der Versorgung der Fleischwunde am linken Schienbein angeschlossen, der für den Kläger negativ endete. Schließlich zog sich der Schadensersatzprozess gegen den Unfallverursacher, einem Schüler aus der Schule des Klägers, über mehrere Jahre. Wie dem Bericht von Dr. K. entnommen werden kann, hat sich der Kläger dadurch gekränkt gefühlt, dass er von einem Schüler "überfahren" worden sei. Schließlich hat auch Dr. R. in der sachverständigen Zeugenaussage vom 12.11.2009 die Auffassung vertreten, die Erkrankung des Klägers sei zu bewerten als Reaktion auf eine schwere Belastung im Gefolge der unaufhörlichen Rechtsstreitigkeiten.

Eine rentenberechtigende MdE liegt damit nicht vor.

Weitere Ermittlungen des Senats in Form der Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens von Amts wegen waren nicht veranlasst. Nachdem bereits eine gutachterliche Untersuchung des Klägers auf nervenärztlichem Gebiet durch Prof. Dr. N. erfolgt ist und das im Rentenverfahren von der Ärztin Z. erstattete Gutachten beigezogen worden ist, erachtet der Senat den Sachverhalt als aufgeklärt. Allein der Zeitablauf seit der Erstattung des Gutachtens durch Prof. Dr. N. begründet keinen weiteren Aufklärungsbedarf. Prof. Dr. N. hat den Kläger am 05.09.2008 und damit mehr als anderthalb Jahre nach dem Unfall gutachterlich untersucht. Zum Zeitpunkt der gutachterlichen Untersuchung lag bereits die Anpassungsstörung mit den Symptomen einer mittelgradigen Depression vor. Für die Beurteilung des Kausalzusammenhangs zwischen dem Unfall und diesen Erkrankungen sind spätere Änderungen im Gesundheitszustand des Klägers - für die im Übrigen keine Anhaltspunkte vorliegen - unbeachtlich.

Auch soweit der Kläger hilfsweise die Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens gem. § 109 SGG beantragt hat, war der Antrag in Anwendung des dem Gericht nach § 109 Abs. 2 SGG eingeräumten Ermessens abzulehnen.

Zum einen würde durch die Zulassung des erst mit Schriftsatz vom 10.05.2012 gestellten, bei Gericht am 12.05.2012 eingegangenen Antrags die Erledigung des auf den 16.05.2012 terminierten Rechtsstreits verzögert.

Zum anderen hat der Kläger den Antrag nach der freien Überzeugung des Senats aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht. Nach der Überzeugung des Senats hätte der Antrag vorher vorgebracht werden können und auch müssen (§ 109 Abs. 2 Var. 2 SGG), nachdem den beigezogenen Akten des Landgerichts zu entnehmen war, dass dort keine weitere medizinische Beweisaufnahme beabsichtigt war, deren Ergebnis ggf. noch abzuwarten gewesen wäre und dort bereits am 20.01.2012 Termin zur Verkündung einer Entscheidung auf den 07.02.2012 bestimmt worden ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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