L 4 KR 436/10

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 7 KR 264/09
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KR 436/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 12 KR 13/12 R
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 21. Juli 2010 wird zurückgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten auch des Berufungsverfahrens.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Forderung der von der Beklagten mit Bescheid vom 05.06.2009 geltend gemachten Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge für den Versicherten H. F. für den Zeitraum vom 22.02.2006 bis 31.08.2006 in der Gesamthöhe von 2.520,80 EUR.

Der bei der Beklagten gegen Krankheit versicherte H. F. bezog zunächst Krankengeld von der Beklagten bis 21.02.2006 und anschließend in der Zeit vom 22.02.2006 bis 31.08.2006 Arbeitslosengeld von der Klägerin. Mit Rentenbescheid der deutschen Rentenversicherung Westfalen vom 29.08.2006 wurde ihm befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung beginnend ab 01.07.2005 und befristet bis 31.12.2006 bewilligt. Der Versicherte wurde mit Schreiben der Klägerin vom 29.08.2006 dazu angehört, dass das Arbeitslosengeld ab 22.02.2006 zu Unrecht gezahlt wurde. Der Versicherte hat dazu Stellung genommen und mitgeteilt, er sei seiner Mitteilungspflicht nachgekommen und habe am 11.01.2006 der Agentur für Arbeit mitgeteilt, dass er seit dem 01.02.2006 rückwirkend eine Rente wegen voller Erwerbsminderung beziehe, dabei sei dort eine Kopie des Rentenbescheids gemacht worden. Von der Klägerin wurde daraufhin die Bewilligung des Arbeitslosengeldes ab 22.02.2006 aufgehoben und die Leistung vom Versicherten zurückgefordert. In der Akte der Klägerin findet sich eine Kassenanordnung zur Absetzung von KV/PV-Beiträgen vom 06.09.2006 sowie eine Beendigungsmitteilung vom 10.10.2006, dass die Forderung getilgt sei.

Die Beklagte hat im Rahmen der Beitragsüberwachung nach § 251 Abs. 5 SGB V im März 2009 eine Prüfung durchgeführt und aufgrund dieser Prüfung der Bundesagentur mitgeteilt, dass für den Versicherten H. F. Beiträge in Höhe von 2.520,80 EUR zu Unrecht im maschinellen Verfahren abgesetzt worden seien. Nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 SGB V i.V.m. § 20 Abs. 1 Nr. 2 SGB XI seien Personen, die in der Zeit diese Leistungen nach dem SGB III beziehen, versicherungspflichtig zur Kranken- und Pflegeversicherung. Dies gelte auch, wenn die Entscheidung, die zum Bezug der Leistung geführt habe, rückwirkend aufgehoben oder die Leistung zurückgefordert oder zurückgezahlt worden ist. Wenn einem nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 SGB V versicherten Leistungsbezieher Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung zugebilligt werde, habe die Bundesagentur für Arbeit gegen den Rentenversicherungsträger nach § 335 Abs. 2 SGB III Ersatzanspruch auch bezüglich der Beiträge, wenn und soweit wegen der Gewährung von Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe oder Unterhaltsgeld ein Erstattungsanspruch der Bundesagentur gegen den Rentenversicherungsträger besteht. Nach Auffassung der AOK handle es sich bei § 335 Abs. 2 i.V.m. Abs. 5 SGB III um eine Regelung, die ausschließlich die Erstattung der Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge aufgrund des Leistungsbezugs nach dem SGB III bei der rückwirkenden Zubilligung von Rente oder Übergangsgeld regelt. Eine Verrechnung der Beiträge nach § 335 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Abs. 5 SGB III komme nicht in Frage, da die Versicherungspflicht der Bezieher einer Leistung nach dem SGB III vorrangig vor der Versicherungspflicht als Bezieher einer Rente (§ 5 Abs. 8 SGB V) bzw. dem Fortbestehen der Versicherung wegen Bezugs von Übergangsgeld (§ 192 Abs. 1 Nr. 3 SGB V) ist. Damit fehle es an dem geforderten weiteren Krankenversicherungsverhältnis. In einer Entscheidung zur früheren Bestimmung des § 157 Abs. 4 AFG (BSG Urteil vom 31.10.1991 Az.: 7 RAr 46/90) sei das BSG zu dem Ergebnis gekommen, dass die Bundesagentur sich hinsichtlich ihres Anspruchs auf Erstattung der Krankenversicherungsbeiträge ausschließlich an den Rentenversicherungsträger und nicht auch an den Leistungsbezieher zu halten hat. Die Bestimmung des § 157 Abs. 4 AFG unterscheide sich von § 335 Abs. 2 SGB III im Wesentlichen dadurch, dass die Leistungsbewilligung wegen der Gewährung der Rente beziehungsweise des Übergangsgeldes rückwirkend aufgehoben worden sein musste. Nicht geteilt werde die Auffassung, dass wegen der Nichtanwendbarkeit des § 335 Abs. 2 SGB III eine Erstattungspflicht der Krankenkasse nach § 335 Abs. 1 SGB III gegeben sei. Voraussetzung hierfür wäre das Bestehen eines weiteren Krankenversicherungsverhältnisses und dies fehle in den betroffenen Fällen. Die Zahlung von Beiträgen habe der Gesetzgeber dadurch ausschließen wollen, dass der Bundesagentur für Arbeit ein Erstattungsanspruch auf die Beiträge aus dem nachrangigen Versicherungsverhältnis eingeräumt wurde. Da in der Praxis diese Beiträge nur durch den Rentenversicherungsträger bzw. Rehabilitationsträger beziffert werden können, sei die Abwicklung zwischen diesen und der Bundesagentur in § 335 Abs. 2 SGB III normiert worden. Entsprechend habe der Gesetzgeber die Renten- bzw. Rehabilitationsträger von der Verpflichtung zur Beitragsentrichtung freigestellt.

Die Beklagte gab der Klägerin Gelegenheit, sich zum Sachverhalt der nachgeforderten Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge zu äußern.

Mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 05.06.2009 machte die Beklagte, da eine Stellungnahme zur Anhörung nicht eingegangen ist, Beiträge für den Versicherten F. in Höhe von 2.520,80 EUR geltend sowie Säumniszuschläge von insgesamt 1.853,50 EUR. Nach den Feststellungen des Senats sind die geforderten Beiträge für die Versicherten B., B. und T. durch Rücknahme der Verfahren vor dem Sozialgericht Nürnberg zwischenzeitlich erledigt (S 7 KR 263/09, S 7 KR 262/09 und S 7 KR 265/09).

Mit der Klage vom 24.06.2009 wandte sich die Bundesagentur für Arbeit gegen den Bescheid der beklagten AOK vom 05.06.2009 in Sachen des Versicherten H. F. und beantragte, den Bescheid der Beklagten vom 05.06.2009 aufzuheben und festzustellen, dass die Klägerin nicht verpflichtet sei, die im Bescheid vom 05.06.2009 geforderten Beiträge zur Krankenversicherung, Pflegeversicherung und die Säumniszuschläge für den Versicherten H. F. zu bezahlen. Die aufgrund des Bescheides vom 05.06.2009 von der Klägerin an die Beklagte gezahlten Beiträge seien der Klägerin wieder auszuzahlen, außerdem wurde beantragt, diese gemäß § 27 SGB IV ab Klageerhebung zu verzinsen und der Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Zur Begründung der Klage wurde ausgeführt, dass gemäß § 142 Abs. 1 Nr. 2, 4 SGB III der Anspruch auf Arbeitslosengeld ruhe, wenn ein Anspruch auf Rente zuerkannt wird. Eine rückwirkende Zuerkennung führe zum rückwirkenden Ruhen des Arbeitslosengeldes. Das rückwirkend einsetzende Ruhen des Arbeitslosengeldanspruchs begründe grundsätzlich einen Erstattungsanspruch gegenüber dem Rentenversicherungsträger nach § 103 SGB X. Bestehe ein Erstattungsanspruch seien der Bundesagentur für Arbeit die auf das Arbeitslosengeld entrichteten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung zu ersetzen (§ 335 Absatz 2 SGB III). Der Erstattungsanspruch bestehe jedoch nur, soweit der andere Träger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Arbeitslosengeldgewährung Kenntnis erhalten hat. Habe dieser in Unkenntnis seine Leistung erbracht, bestehe kein Erstattungsanspruch, in diesem Fall komme eine Aufhebung der Bewilligung und Erstattung des Arbeitslosengeldes durch den Leistungsbezieher in Betracht.
Nach Auffassung der Klägerin entspreche die Rechtsauffassung der Beklagten, dass ein weiteres Krankenversicherungsverhältnis im Sinne des § 335 Abs. 1 S. 3 SGB III in den Fällen der rückwirkenden Rentengewährung nicht bestehe, nicht der Intention des Gesetzgebers. Folge dieser Auffassung wäre nämlich, dass die Bundesagentur für Arbeit letztlich Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge anstelle des vorrangig zur Leistung verpflichteten Trägers zu tragen hätte. Intention des Gesetzgebers sei es hingegen gewesen, grundsätzlich den Leistungsträger mit den Krankenversicherungsbeiträgen zu belasten, der für die Hauptleistung vorrangig zuständig sei; sofern ein Ausgleich zwischen dem vorab- und nachrangigen Leistungsträger nicht möglich sei, solle der Ausgleich über die doppelte Beiträge empfangende Krankenkasse erfolgen. Die frühere Regelung des § 157 Abs. 3 a AFG sei inhaltlich unverändert in § 335 Abs. 1 S. 2 SGB III übernommen worden. Der Gesetzgeber habe dabei erkannt, dass dieser Zielsetzung eventuell die Konkurrenzregelungen im SGB V entgegen stehen können, weil sie die für die Erstattung durch die Krankenkassen erforderliche Versicherung ausschließen. Er habe deshalb ausdrücklich geregelt, dass die Konkurrenzregelungen im SGB V einem Erstattungsanspruch der Bundesagentur für Arbeit gegenüber der Krankenkasse nicht entgegenstehen. Nach ihrer Auffassung bestimme die frühere Regelung des AFG, beziehungsweise des SGB V, dass eine rückwirkende Aufhebung der Arbeitslosengeldbewilligung nichts an der zwischenzeitlich bestandenen Versicherungspflicht ändere. Daraus folge andererseits: Gelte diese Regelung nicht, so werde durch eine rückwirkende Aufhebung der Bewilligung auch die Versicherungspflicht rückwirkend beseitigt. Werde aber die Versicherungspflicht aufgrund des Arbeitslosengeldbezugs rückwirkend beseitigt, gehe auch die darauf aufbauende Konkurrenzregelung in § 5 Abs. 8 SGB V ins Leere. Es bleibe festzustellen, dass im Streitzeitraum zwei Krankenversicherungsverhältnisse bestanden haben und deshalb unter Berücksichtigung der Regelung in § 335 Abs. 1 S. 2 3. Halbsatz SGB III die Rechtsauffassung der Beklagten nicht haltbar sei. Da die Beklagte die geltend gemachten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung ohne Rechtsgrundlage gefordert habe, sei die Klägerin auch nicht zur Erstattung der geforderten Säumniszuschläge verpflichtet. Die Pflicht zur Verzinsung ergebe sich aus § 27 Abs. 1 SGB IV.

Die Beklagte legte hingegen nochmals ihre bereits im Bescheid niedergelegte Rechtsauffassung dar und wies vor allem darauf hin, dass die Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V gemäß § 5 Abs. 8 SGB V nachrangig sei und die Versicherungspflicht als Leistungsbezieher nach dem SGB III bei der Rückforderung der Leistung nicht beseitigt werde. Daher bestehe aufgrund der Zubilligung einer Rente kein weiteres Versicherungsverhältnis im Sinne des § 335 Abs. 1 SGB III. Das BSG habe im Urteil vom 10.08.2000 (B 11 AL 119/98 R) zum Nichtbestehen einer Versicherung Stellung genommen. Eine andere Bewertung könne auch hier nicht erfolgen. Würde man der Auffassung der Klägerin folgen, wäre der Regelungsgehalt des § 335 Abs. 2 SGB III ad absurdum geführt und überflüssig. Die Intention des Gesetzgebers Doppelleistungen auszuschließen, sei dadurch gewährleistet, dass er eben mit dem § 335 Abs. 2 i.V.m. Abs. 5 SGB III eine speziell auf diesen Sachverhalt zugeschnittene Norm geschaffen habe und die Bundesagentur für Arbeit dadurch einen Erstattungsanspruch auf die von ihr zu Unrecht gezahlten Beiträge gegenüber dem Renten- bzw. Rehabilitationsträger erhalte. Die Durchsetzung dieses Anspruchs sei der Klägerin ohne weiteres möglich. Sofern sie allerdings wegen Verjährung oder aufgrund von ihr getroffener Vereinbarung mit den Rententrägern diese nicht mehr durchsetzen könne, liege dies in ihrem Verantwortungsbereich. Entgegen der Auffassung der Klägerin werde allein der Träger der Rentenversicherung nach § 335 Abs. 2 S. 4 SGB III von der Verpflichtung, Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung zu entrichten, freigestellt. Dementsprechend richte sich die Höhe der vom Rentenversicherungsträger an die Klägerin zu erstattenden Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung nach der Leistungspflicht des Trägers der Rentenversicherung und nicht nach den von der Klägerin nach § 232a Abs. 1 SGB V gezahlten Beiträgen.

Mit Urteil vom 21.07.2010 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen, der Klägerin die Kosten des Verfahrens auferlegt und die Berufung zugelassen.

Das Sozialgericht kam zum Ergebnis, dass die Beklagte zu Recht die im angefochtenen Prüfbescheid genannte Beitragsforderung erhoben habe und die Klägerin ihre IT-Ab-setzung bezogen auf die streitigen Beitragsforderungen nicht auf § 335 Abs. 1 S. 2 SGB III stützen kann. Das in § 335 Abs. 1 S. 2 SGB III geforderte weitere Krankenversicherungsverhältnis bestehe nicht. Mit § 335 Abs. 1 S. 2 SGB III, wonach nicht der Arbeitslose, sondern die Krankenkasse die Erstatterin sein solle, wenn bei ihr neben der Versicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 ein weiteres Krankenversicherungsverhältnis bestanden hat, sollten Fallgestaltungen erfasst werden, bei denen aus einem Nebeneinander von Leistungsbezug und einem anderen zur Krankenversicherungspflicht führenden Sachverhalt, insbesondere einem Beschäftigungsverhältnis, eine zweifache Versicherung begründet würde. Anwendbar wäre die Regelung nur, wenn dann aus jedem der Tatbestände die Pflicht zur Zahlung der Beiträge erwachse und bei rückwirkender Aufhebung der Leistungsbewilligung durch die Klägerin ein Ausgleich durch die Rückzahlung der Beiträge durch die begünstigte Krankenkasse erfolgen soll. Im vorliegenden Fall der rückwirkenden Bewilligung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung durch den Rentenversicherungsträger für den Zeitraum, in dem Leistungen des Arbeitslosengeldes nach § 117 ff SGB III gewährt wurden, habe der Gesetzgeber jedoch eine Beitragszahlung durch den Rentenversicherungsträger überhaupt nicht vorgesehen.

Nach § 335 Abs. 2 S. 4 SGB III seien die Träger der Rentenversicherung gerade nicht verpflichtet, Beiträge zur Krankenversicherung zu entrichten. Die fehlende Verpflichtung des Rentenversicherungsträgers zur Zahlung von Beiträgen an die Krankenkasse führe dazu, dass es bei der Leistung der Beiträge der Klägerin an die Krankenkasse verbleibe und, falls die Voraussetzungen hierfür vorliegen, ein Erstattungsanspruch nach § 335 Abs. 2 S. 1 zustehe, der aber gemäß § 335 Abs. 2 S. 3 SGB III der Höhe nach beschränkt sei. Es sei entgegen der Rechtspraxis der Klägerin nicht möglich, anstelle des Ersatzanspruches nach § 335 Abs. 2 S. 1 SGB III auf den Ersatzanspruch nach § 335 Abs. 1 S. 2 SGB III zurückzugreifen, weil der in § 335 Abs. 2 SGB III vorgesehene Ausgleich der Annahme eines weiteren Krankenversicherungsverhältnisses im Sinne des § 335 Abs. 1 S. 3 SGB III entgegenstehe. Ein weiteres Krankenversicherungsverhältnis nach § 335 Abs. 1 S. 2 SGB III bestehe nur, wenn neben der Versicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 SGB V eine Zweitversicherung bestand. Entgegen der Auffassung der Klägerin bedeute die Regelung in § 335 Abs. 1 S. 2 Halbsatz 3 SGB III und die darin enthaltene Bezugnahme auf § 5 Abs. 1 Nr. 2 SGB V nicht, dass die Aufhebung der Leistungsbewilligung rückwirkend die Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 entfallen lasse. An der Versicherungspflicht aus § 5 Abs. 1 Nr. 2 SGB V habe sich daher nichts geändert, es sei insbesondere keine weitere Versicherung in der hier streitbefangenen Zeit hinzugetreten, was sich aus § 335 Abs. 2 SGB III ergebe. Darüber hinaus bestehe gemäß § 5 Abs. 8 SGB V auch ein Nachrang der Versicherung in der KVdR gegenüber der durch die Zahlung von Arbeitslosengeld nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 SGB V bestehenden Versicherung.

Mit Schriftsatz vom 26.10.2010 hat die Klägerin die vom Sozialgericht zugelassene Berufung eingelegt. Zur Begründung der Berufung haben die Beteiligten den Vortrag aus der ersten Instanz wiederholt. Die Klägerin ist insbesondere der Auffassung, dass die Rechtsauffassung des Sozialgerichts Nürnberg, die sich mit der Sichtweise der Krankenkassen decke, nicht der Intention des Gesetzgebers entspreche. Deshalb könne das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 21.07.2010 keinen Bestand haben.

Die Klägerin beantragte in der mündlichen Verhandlung vom 15.12.2011,
das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 21.07.2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 05.06.2009 aufzuheben und festzustellen, dass die Klägerin nicht verpflichtet ist, die im Bescheid geforderten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung sowie die Säumniszuschläge für den Versicherten H. F. an die Beklagte zu bezahlen.
Weiterhin beantragte sie festzustellen, dass die gezahlten Beiträge gemäß § 27 SGB IV ab Klageerhebung zu verzinsen sind und die Beklagte die Kosten des Verfahrens zu tragen hat.

Die Beklagte hingegen beantragte,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten der Klägerin, der Beklagten und des Sozialgerichts Nürnberg Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG) gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 21.07.2010 und den zu Grunde liegenden Bescheid der Beklagten vom 05.06.2009 erweist sich als unbegründet.

Zutreffend sind die Beteiligten davon ausgegangen, dass es sich um eine nach § 78 Abs. 1 Nr. 3 SGG ohne Vorverfahren zulässige Anfechtungsklage handelt (§ 54 Abs. 1 SGG), die mit Schriftsatz vom 24. 06.2009 beim Sozialgericht Nürnberg fristgerecht erhoben wurde (§ 87 Abs. 1 SGG).
Die Beklagte hat die von der Klägerin ohne Anerkennung einer Rechtspflicht bezahlten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung für den Versicherten H. F. in Höhe von 2.520,80 EUR nicht zu erstatten, denn der Bescheid der Beklagten vom 05.06.2009 erweist sich als rechtmäßig.

Das Sozialgericht hat zu Recht ausgeführt, dass die von der Klägerin geleisteten Zahlungen von Arbeitslosengeld an den Versicherten H. F. für die Zeit vom 22.06.2006 bis 31.08.2006 zu einer Beitragspflicht in der Kranken- und Pflegeversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 SGB V und § 20 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB XI geführt haben und diese Beitragspflicht rückwirkend auch durch die Rückforderung der Leistungen (Arbeitslosengeld) aufgrund des rückwirkend bewilligten Rentenbezugs nicht entfallen ist.

Einen Anspruch auf den Ausgleich der für den Versicherten gezahlten Krankenversicherungsbeiträge könnte die Klägerin nicht auf § 103 SGB X stützen, dieser wäre vielmehr nach § 335 Abs. 2 SGB III geltend zu machen (vgl. Kater in Kasseler-Kommentar § 103 SGB X Anmerkung 81).

Entgegen der Auffassung der Klägerin kann sie ihren Anspruch auf Rückerstattung der Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge nicht auf § 335 Abs. 1 SGB III stützen, denn die Bestimmung des § 335 Abs. 1 SGB III regelt die Abwicklung der Beitragszahlung zur Krankenversicherung im Verhältnis der Bundesagentur zum Leistungsbezieher im Falle einer rückwirkenden Aufhebung der Bewilligung der Leistung und deren Rückforderung. Dabei besteht grundsätzlich eine Rückzahlungspflicht des Leistungsempfängers gegen die Bundesagentur (§ 335 Abs. 1 S. 1 SGB III). Nur für den Fall, dass für den Zeitraum, für den die Leistung zurückgefordert worden ist, ein weiteres Krankenversicherungsverhältnis bestanden hat, ist diejenige Stelle zur Erstattung der Beiträge verpflichtet, an die die Beiträge aufgrund der Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 SGB V gezahlt wurden (§ 335 Abs. 1 S. 2 SGB III) insoweit wird also der Leistungsempfänger von der Ersatzpflicht befreit (§ 335 Abs. 1 S. 3 SGB III).
Für die Fälle, in denen Versicherungspflichtigen nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 SGB V, also Personen , die Arbeitslosengeld oder Unterhaltsgeld nach SGB III beziehen, nachträglich eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung oder Übergangsgeld von einem nach § 251 Abs. 1 SGB V beitragspflichtigen Reha-Träger gewährt wird, hat der Gesetzgeber in § 335 Abs. 2 SGB III eine eigene Regelung getroffen. Aufgrund dieser Bestimmung erhält die Bundesagentur vom Träger der Rentenversicherung oder vom Reha-Träger die Beiträge, soweit ein Erstattungsanspruch der Bundesagentur gegen den Träger der Rentenversicherung oder dem Reha-Träger besteht (§ 335 Abs. 2 S. 1 und 2 SGB III). Der Unterschied besteht darin, dass vom Rentenversicherungsträger die Beitragsanteile zu ersetzen sind, die dieser für dieselbe Zeit aus der Rente zu entrichten gehabt hätte (§ 335 Abs. 2 S. 3 Ziff,1 SGB III), der Rehabilitationsträger hat den Beitrag zu ersetzen, den er als Krankenversicherungsbeitrag hätte leisten müssen, wenn der Versicherte nicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 SGB V versichert gewesen wäre (§ 335 Abs. 2 S. 3Ziff. 2 SGB III). Gleiches gilt jeweils für die Beiträge zur sozialen Pflegeversicherung nach § 335 Abs. 5 SGB III, der auf die Absätze 1 bis 3 verweist.

Aus dieser Systematik des Gesetzes folgt für den Senat, dass § 335 Abs. 2 SGG III also eine lex specialis darstellt.

Unstreitig ist hier, dass dem Versicherten nachträglich Leistungen der Rentenversicherung in Form einer zeitlich begrenzten Rente wegen voller Erwerbsminderung bewilligt wurden, was zu einem nachträglichen Entfallen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld gegenüber der Klägerin geführt hat. Die Leistung des Arbeitslosengeldes ohne die bezahlten Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge wurden vom Versicherten auch zurückgefordert und sind, soweit aus der Akte der Klägerin ersichtlich, von diesem auch erstattet worden. Nicht erkennbar ist, dass sich die Klägerin mit einem Erstattungsanspruch an den Rentenversicherungsträger gewandt hat.

Entgegen der Auffassung der Klägerin kann aus der Gesetzessystematik des § 335 SGB III, der eine Folgebestimmung des §§ 157 Abs. 3a AFG darstellt, nicht abgeleitet werden, dass über die Möglichkeit der Rückforderung der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung nach § 335 Abs. 2 (für die Pflegeversicherung i.V.m. Abs. 5) SGB III hinaus zusätzlich noch die Möglichkeit besteht, die Krankenkasse zur Rückzahlung der Beiträge nach § 335 Abs. 1 S. 3 SGB III in Anspruch zu nehmen. Die Auslegung, die die Klägerin bezüglich dieser Bestimmung vornimmt, ist nicht mit dem Gesetzeswortlaut und den bisher dazu ergangenen Entscheidungen, insbesondere aber auch nicht mit der Intention des Gesetzgebers zu vereinbaren. Vor allem kann der Klägerin nicht darin gefolgt werden, dass als "weiteres Krankenversicherungsverhältnis" im Sinne des § 335 Abs. 1 S. 2 SGB III die Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 SGB V gilt. Dies ergibt sich zum einen schon daraus, dass für diese Versicherten in Abs. 2 eine ausdrückliche Regelung getroffen wurde, die nicht nötig gewesen wäre, würde man der Auffassung der Klägerin folgen. Die hier maßgebliche Regelung war bereits in der Vorgängerregelung des § 157 Abs. 3a AFG mit Wirkung vom 01.01.1993 eingeführt worden (durch Art. 1 Nr. 47, Art. 10 Abs. 1 des Gesetzes zur Änderung von Förderungsvoraussetzungen im AFG und anderen Gesetzen vom 18.11.1992 BGBl. 1992, Seite 2044). In den Gesetzesmaterialien zu dieser Bestimmung findet sich folgende Begründung: "Nach geltendem Recht können Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung vom Leistungsempfänger nicht zurückgefordert werden, wenn der Bescheid aufgehoben und die Leistung zurückgefordert wird. Die frühere Praxis der Bundesanstalt für Arbeit den Leistungsempfänger insoweit bei Verschulden auf Schadenersatz in Anspruch zu nehmen, ist vom Bundessozialgericht nicht gebilligt worden. Satz 1 des neuen Abs. 3a (AFG) sieht deshalb einen öffentlich-rechtli chen Erstattungsanspruch der Bundesanstalt gegen den Leistungsempfänger hinsichtlich der von der Bundesanstalt für ihn entrichteten Krankenversicherungsbeiträge vor, soweit der Verwaltungsakt, der zum Bezug der AFG-Leistungen und zu der Beitragszahlung geführt hat, mit Rückwirkung aufgehoben und die Leistung zurückgefordert worden ist. Hat im maßgeblichen Zeitraum ein weiteres Krankenversicherungsverhältnis bestanden, so soll nach Satz 2 des neuen Absatzes 3a die Krankenkasse, die die Krankenversicherung nach §§ 155 ff. AFG durchgeführt hat, die "doppelt" entrichteten Beiträge der Bundesanstalt erstatten. Der Leistungsempfänger soll dadurch von seiner Leistungspflicht entlastet werden. Unter den Voraussetzungen der Sätze 1 und 2 bleibt das Krankenversicherungsverhältnis nach § 155 ff. von der Regelung des § 155 Abs. 2 S. 3 ausgenommen." (vgl. dazu BT-Drucksache 12/3211 Seite 28 zitiert nach Hengelhaupt in: Hauck/Noftz SGB III § 335 Anm. 9,10).
Bereits damals wurde davon ausgegangen, dass die Bundesanstalt und die Spitzenverbände der Krankenkassen das Nähere über die Erstattung der Beiträge durch eine Vereinbarung regeln werden (so auch § 335 Abs. 1 S. 4 SGB III). (Hengelhaupt, a.a.O., Rn. 10).

Der Senat ist bei der Auslegung des Begriffs "weiteres Krankenversicherungsverhältnis" ebenso wie die Literatur (vgl. Düe in Niesel/Brandt SGB III § 335 Anm. 13, 14, Hengelhaupt, a.a.O. Anm. 58; Eicher/Schlegel, SGB III Rn. 52 zu § 335 SGB III) zu der Auffassung gelangt, dass darunter nur ein weiteres Versicherungsverhältnis in der GKV verstanden werden kann, das z.B. aufgrund der Aufnahme eines Beschäftigungsverhältnisses entstanden ist. Diese Situation entsteht zum Beispiel bei Aufnahme eines Beschäftigungsverhältnisses ohne Mitteilung gegenüber der Bundesagentur mit einer sachgerechten Belastung der Trägerseite, weil sie in diesen Fällen doppelte Beiträge erhält. Satz 2 findet deshalb dann keine Anwendung, wenn der Arbeitslose ohne eigene Beitragsleistung zweitversichert war, wie z.B. beim Bezug von Krankengeld/Verletztengeld, Anspruch auf Gesundheitsfürsorge nach § 46 Strafvollzugsgesetz oder Heilfürsorge nach dem Soldatenversorgungsgesetz. Ebenso stellt eine Familienversicherung nach § 10 SGB V kein weiteres Versicherungsverhältnis dar. Dies wurde vom BSG im Urteil vom 05.02.1998 (B 11 AL 69/97 R, SozR 3-4100 § 157 Nr. 2) bereits für die Familienversicherung entschieden. Dort wird ausgeführt: "Ein weiteres Krankenversicherungsverhältnis im Sinne des § 157 Abs. 3a AFG bestand für die Klägerin im streitigen Zeitraum nicht, ein solches Krankenversicherungsverhältnis wurde durch die von ihr während des Leistungsbezugs ausgeübte Beschäftigung nicht begründet (denn die Beschäftigung war geringfügig)". Der Gesetzgeber gehe damit von einem Vorrang der eigenen Mitgliedschaft und von einer Subsidiarität der Familienversicherung aus, die sich daraus rechtfertige, dass die Leistung ohne Entrichtung zusätzlicher Beiträge zum Zwecke des Familienlastenausgleichs auf Kosten der Solidargemeinschaft erbracht werde (BSG, a.a.O., Rn. 18). Das BSG hat daher die Bestimmung des § 157 Abs. 3a AFG a.F. ebenfalls als Ausnahmeregelung betrachtet. Die Gesetzesmaterialien zu § 157 Abs. 3a Satz 2 AFG bestätigten die Auffassung, dass nur ein während des Leistungsbezugs aktuell bestehendes weiteres Krankenversicherungsverhältnis die Erstattungspflicht derjenigen Krankenkasse, die die Krankenversicherung nach §§ 155 bis 161 AFG durchführt, begründet und zum Ausschluss der Versicherungspflicht des Leistungsempfängers führt." (BSG, a.a.O., Rn. 19).

Indirekt hat das BSG die vom Senat vertretene Auffassung im Urteil vom 05.05.2010 (B 11 AL 17/09 R, SozR 4-1500 § 144 Nr. 6) bereits angedeutet, ohne dass es in der dortigen Entscheidung darauf angekommen ist. Das BSG hat entschieden, dass auch die
Alhi-Bezieher in die Fassung der ab 01.04.2008 geänderten Regelung des § 335 Abs. 1 SGB III weiterhin einzubeziehen sind und ist dabei selbstverständlich davon ausgegangen, dass kein Anspruch der dort Beklagten (Bundesagentur) gegen die Kasse nach § 335 Abs. 1 Satz 2, Abs. 5 SGB III) besteht, da kein "weiteres Kranken- oder Pflegeversicherungsverhältnis" bestanden hat. (BSG. a.a.O., Rdnr. 19, 21).

Die von der Beklagten geforderten Säumniszuschläge sind ebenfalls nicht zu beanstanden. Die Verpflichtung der Beklagten auf Zahlung der in der Höhe zwischen den Beteiligten unstreitigen Säumniszuschläge ergibt sich aus § 24 Abs. 1 SGB IV, der Anwendung findet (§ 1 Abs. 1 Satz 1 SGB IV).

Da zur Regelung des § 335 SGB III bisher offensichtlich durch die Bundesagentur und die Spitzenverbände der Krankenkassen noch keine Vereinbarung nach der Ermächtigung des § 335 Abs. 1 S. 4 getroffen werden konnte und zu dieser Rechtsfrage keine Entscheidung des BSG vorliegt, war wegen grundsätzlicher Bedeutung die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Ziffer 1 SGG zuzulassen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a. SGG in Verbindung mit § 154 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und entspricht dem Verfahrensausgang.

Der Streitwert war auf 2.520,80 EUR festzusetzen (§ 52 Abs. 3 GKG)
Rechtskraft
Aus
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