Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
18
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 9 SO 92/09
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 18 SO 237/10
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Spätaussiedler im Sinne des Art. 7 Abs. 1d Nr. 2 AGBSHG in der bis zum 31.12.2004 gültigen Fassung sind auch Ehegatten und Abkömmlinge eines Spätaussiedlers.
I. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 27.10.2010 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Sozialhilfeleistungen in Höhe von 12.640,65 EUR, die der Kläger den Abkömmlingen eines Spätaussiedlers (- L. B. - und - A. -) in der Zeit vom 15.04.2002 bis zum 31.12.2003 nach deren Umzug aus einem Übergangswohnheim für Spätaussiedler in den Zuständigkeitsbereich des Klägers gewährt hat.
A. B. (geb.1961), L. B. (geb. 1960) und A. (geb. 1987) wohnten nach ihrer Einreise in die Bundesrepublik bis zum 28.02.2002 in einem Übergangswohnheim in G., Landkreis S ...
A. B. ist als Spätaussiedler gemäß § 4 BVFG anerkannt. Seine Ehefrau L. B. und seine Tochter A. (im Folgenden: Hilfeempfänger) sind Abkömmlinge eines Spätaussiedlers nach § 7 Abs. 2 BVFG.
Zum 01.03.2002 verzogen die Hilfeempfänger aus dem Übergangswohnheim in G. in eine Wohnung im Zuständigkeitsbereich des Klägers. Auf den Antrag der Hilfeempfänger vom 05.03.2002 gewährte der Kläger ab dem 01.03.2002 bis zum 31.12.2003 Sozialhilfeleistungen nach den §§ 11 ff. BSHG.
Mit Schreiben vom 10.04.2003, beim Beklagten eingegangen am 15.04.2003, machte der Kläger seinen Anspruch auf Kostenerstattung nach § 107 BSHG beim Beklagten geltend.
Im folgenden Schriftverkehr anerkannte der Beklagte dem Grunde nach seine Erstattungspflicht für die dem Spätaussiedler A. B. gewährten Sozialhilfeleistungen und erstattete dem Kläger insoweit einen Betrag in Höhe von 22.117,43 EUR. Der weiterhin vom Kläger geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch für die den Hilfeempfängern in der Zeit vom 15.04.2002 bis zum 31.12.2003 gewährten Sozialhilfeleistungen in Höhe von 12.640,65 EUR wurde vom Beklagten mit der Begründung abgelehnt, dass sich seine sachliche Zuständigkeit nach Art. 7 Abs.1 d) Nr. 2 AGBSHG auf die Leistungen für Spätaussiedler beschränke und dass die Leistungen für Ehegatten und Abkömmlinge von Spätaussiedlern nicht in seine Zuständigkeit fielen.
Mit Schreiben vom 09.11.2006 verzichtete der Beklagte auf die Einrede der Verjährung.
Am 17.09.2009 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Würzburg (SG) erhoben mit dem Ziel, den Beklagten zur Erstattung der Kosten nach § 107 Abs. 1 BSHG zu verurteilen. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass sich die Zuständigkeit des Beklagten als überörtlicher Sozialhilfeträger nach Art. 7 Abs.1 d) Nr. 2 AGBSHG auch auf die Ehegatten und Abkömmlinge von Spätaussiedlern erstrecke.
Mit Urteil vom 27.10.2010 hat das SG den Beklagten verurteilt, dem Kläger Sozialleistungen in Höhe von 12.640,65 EUR zu erstatten. Der Kläger habe einen Anspruch aus § 107 Abs. 1 BSHG auf Erstattung der von ihm in der Zeit vom 15.04.2002 bis zum 31.12.2003 an die Hilfeempfänger erbrachten Sozialhilfeleistungen in Höhe von 12.640,65 EUR, weil § 107 BSHG die einschlägige Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Erstattungsanspruch sei, weil die Voraussetzungen des § 107 BSHG erfüllt seien und weil der Beklagte erstattungspflichtig im Sinne des § 107 BSHG sei. Die Klage sei aber hinsichtlich des geltend gemachten Zinsanspruchs abzuweisen. § 107 BSHG sei als Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Erstattungsanspruch einschlägig, obwohl diese Vorschrift zum 01.01.2005 mit In-Kraft-Treten des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27. Dezember 2003 außer Kraft getreten sei. Die Anwendung des § 107 BSHG beruhe auf den Grundsätzen des intertemporalen Verwaltungsrechts, auf die bei Fehlen besonderer Übergangs- oder Überleitungsvorschriften - wie hier - zurückzugreifen ist. Insoweit richte sich die Beurteilung eines Sachverhalts grundsätzlich nach dem Recht, das zur Zeit der anspruchsbegründenden Ereignisse oder Umstände (hier der Leistungsgewährung) gegolten habe, soweit nicht später in Kraft getretenes Recht ausdrücklich oder stillschweigend etwas anderes bestimme (BSG, U.v. 24.03.2009, B 8 SO 34/07). Dies gelte auch für Erstattungsansprüche eines abgeschlossenen Erstattungsverhältnisses. Da maßgeblicher Umstand im Rahmen des vom Kläger geltend gemachten Anspruchs der Anfall von Sozialhilfekosten sei, sei das im Zeitpunkt des Anfalls dieser Kosten geltende Recht - hier § 107 BSHG - anzuwenden (BSG, a.a.O.). Nach § 107 Abs. 1 BSHG sei, wenn eine Person vom Ort ihres bisherigen gewöhnlichen Aufenthalts verziehe, der Träger der Sozialhilfe des bisherigen Aufenthaltsortes verpflichtet, dem nunmehr zuständigen örtlichen Träger der Sozialhilfe die dort erforderlich werdende Hilfe außerhalb von Einrichtungen im Sinne des § 97 Abs. 2 Satz 1 zu erstatten, wenn die Person innerhalb eines Monats nach dem Aufenthaltswechsel der Hilfe bedürfe. Diese Verpflichtung entfalle nach § 107 Abs. 2 BSHG, wenn für einen zusammenhängenden Zeitraum von zwei Monaten keine Hilfe zu gewähren sei. Sie ende spätestens nach Ablauf von zwei Jahren seit dem Aufenthaltswechsel. Die Voraussetzungen des § 107 BSHG seien vorliegend erfüllt, und im Übrigen zwischen den Beteiligten nicht streitig. Die Hilfeempfänger seien mit ihrem Umzug aus dem Übergangswohnheim in eine Wohnung im Zuständigkeitsbereich des Klägers "verzogen" im Sinne des § 107 BSHG. Mit dem Umzug sei der Kläger als örtlicher Sozialhilfeträger für die Hilfegewährung zuständig (§§ 96, 99 BSHG, Art. 1 AGBSHG) geworden. Die Hilfeempfänger seien innerhalb eines Monats ab dem Umzug hilfebedürftig geworden und hätten dementsprechend ab dem 01.03.2002 Sozialhilfeleistungen vom Kläger erhalten. Bis zur Einstellung der Hilfeleistung habe der Kläger den Hilfeempfängern Sozialhilfeleistungen in unstreitiger Höhe von 12.640,65 EUR gewährt. Weiterhin sei der Beklagte vorliegend erstattungspflichtig nach § 107 BSHG. Erstattungspflichtig nach § 107 BSHG sei der Träger der Sozialhilfe des bisherigen Aufenthaltsorts, der für die nach einem Umzug am Zuzugsort erforderlich werdende Hilfe zuständig gewesen wäre, wenn die Hilfeempfänger innerhalb des bisherigen Aufenthaltsortes umgezogen wären (BVerwG, U.v. 13.03.2003, 5 C 10.02; BayVGH, U.v.25.09.2003, 12 B 99.3489). Von diesem Grundsatz ausgehend ergäben sich im vorliegenden Fall in Anwendung des Art. 7 Abs. 1 d) Nr. 2 AGBSHG die sachliche Zuständigkeit und damit die Erstattungspflicht des Beklagten. Aus Art. 7 Abs. 1 d) Nr. 2 AGBSHG ergebe sich, dass der Beklagte als überörtlicher Träger der Sozialhilfe (weiter) sachlich zuständig gewesen wäre, wenn die Hilfeempfänger aus dem Übergangswohnheim in eine Wohnung im Landkreis S. gezogen wären. Nach dem ersten Halbsatz des Art. 7 Abs. 1 d) Nr. 2 AGBSHG ist der überörtliche Träger der Sozialhilfe für alle Hilfen an Aussiedler und Spätaussiedler im Sinne des BVFG in Einrichtungen der vorläufigen Unterbringung bis zur dauernden Unterbringung in einer Wohnung zuständig. Aus der gesetzlichen Formulierung "bis zur dauernden Unterbringung in einer Wohnung" folgt im vorliegenden Fall nicht, dass die Zuständigkeit des Beklagten nach dem Umzug der Hilfeempfänger ausgeschlossen wäre. Zwar seien die Hilfeempfänger aus dem Übergangswohnheim in eine Wohnung verzogen. Aber der zweite Halbsatz des Art 7 Abs. 1 d) Nr. 2 AGBSHG sehe vor, dass die Zuständigkeit (des überörtlichen Sozialhilfeträgers) bestehen bleibe, bis eine Verpflichtung zur Kostenerstattung nach § 103 Abs. 3 BSHG enden würde. Diese Vorschrift erweitere und verlängere die sachliche Zuständigkeit des überörtlichen Sozialhilfeträgers wie die Kostenerstattungspflicht nach § 103 Abs. 3 BSHG in zeitlicher Hinsicht um einen Zeitraum von längstens zwei Jahren nach dem Verlassen des Übergangswohnheims (BayVGH, Urteil vom 19.02.2004, 12 B 03.1941). Die sachliche Zuständigkeit des Beklagten sei somit nicht schon aus dem Grund ausgeschlossen, dass die Hilfeempfänger aus dem Übergangswohnheim in eine Wohnung gezogen seien. Vielmehr sei festzuhalten, dass die vom Kläger geltend gemachten Aufwendungen für die vom 15.04.2002 bis zum 31.12.2003 gewährten Sozialhilfeleistungen an die Hilfeempfänger innerhalb des Zeitraums von zwei Jahren nach dem Verlassen des Übergangswohnheims (hier: 28.02.2002) liegen. Weiterhin lägen die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 d) Nr. 2 AGBSHG vor. Insbesondere sei diese Vorschrift auf die Hilfebedürftigen als Abkömmlinge eines Spätaussiedlers anwendbar. Dies ergebe sich aus der teleologischen Auslegung des Art. 7 Abs. 1 d) Nr. 2 AGBSHG, dessen Sinn und Zweck darin bestehe, die örtlichen Sozialhilfeträger zu schützen, in deren Zuständigkeitsbereich sich ein Übergangswohnheim für Spätaussiedler befinde. Diese sollten durch Art. 7 Abs. 1 d) Nr. 2 AGBSHG vor einer übermäßigen finanziellen Belastung geschützt werden. Eine solche übermäßige Belastung würde dann eintreten, wenn die betreffenden örtlichen Sozialhilfeträger die Sozialhilfeleistungen für die Aussiedler und Spätaussiedler zu tragen hätten, während andere örtliche Träger, in deren Zuständigkeitsbereich sich kein Übergangswohnheim befindet, vor solchen finanziellen Belastungen "verschont" bleiben würden. Der Schutz der betreffenden örtlichen Sozialhilfeträger und eine angemessene "Lastenverteilung" erfolge durch Art. 7 Abs. 1 d) Nr. 2 AGBSHG in der Form, dass die finanzielle Belastung durch die Übertragung der Zuständigkeit auf den überörtlichen Träger auf "mehrere Schultern", nämlich auf die gesamten Kommunen des jeweiligen Bezirks, verteilt würden (BayVGH, Urteil vom 11.02.2002, 12 B 00.420). Dieser Schutz wäre aber bei der vom Beklagten vertretenen engen Auslegung des Art. 7 Abs. 1 d) Nr. 2 AGBSHG in den Fällen ausgehöhlt, in denen ein Spätaussiedler mit Familienmitgliedern einreise, die selbst keine Spätaussiedler sind, sondern eben nur Ehegatten oder Abkömmlinge von Spätaussiedlern. Denn dies könne dazu führen, dass der überörtliche Träger lediglich für ein Familienmitglied - nämlich für den anerkannten Spätaussiedler - zuständig wäre, während der örtliche Träger entgegen dem dargelegten Schutzzweck für alle übrigen (u.U. zahlreichen) Familienmitgliedern zuständig wäre. Weiterhin sei in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, dass in den genannten Fällen die enge Auslegung des Art. 7 Abs. 1 d) Nr. 2 AGBSHG zu einer "Aufsplitterung" der Zuständigkeit für die Gewährung von Sozialhilfeleistungen innerhalb von Spätaussiedlerfamilien kommen würde (überörtlicher Träger für Spätaussiedler, örtlicher Träger für die übrigen Familienmitglieder). Angesichts des dargelegten Schutzzwecks des Art. 7 Abs. 1 d) Nr. 2 AGBSHG sei davon auszugehen, dass diese Konsequenz nicht dem Willen des Gesetzgebers entspreche, der ersichtlich eine einheitliche Zuständigkeit habe schaffen wollen. Die teleologische Auslegung des Art. 7 Abs. 1 d) Nr. 2 AGBSHG ergebe somit, dass unter den Begriff "Spätaussiedler" im Sinne dieser Vorschrift auch die Ehegatten und Abkömmlinge von Spätaussiedlern fallen würden. Die somit nach Art. 7 Abs. 1 d) Nr. 2 AGBSHG begründete sachliche Zuständigkeit des Beklagten entfalle schließlich nicht dadurch, dass der Bezirk durch Verordnung vom 16.12.1997 (RAbl.1997, s. 272) nach Art. 10 Abs. 2 AGBSHHG die kreisfreien Gemeinden und Landkreise für die Durchführung und Entscheidung über Hilfen nach Art. 7 Abs. 1 d) AGBSHG herangezogen habe. Denn diese Heranziehung führe nicht zu einer Kostenerstattungsverpflichtung anstelle des überörtlichen Trägers (BayVGH, U.v.11.02.2002,
12 B 00.420). Die Klage sei somit im Hinblick auf den geltend gemachten Kostenerstattungsanspruch in Höhe von 12.640,65 EUR begründet.
Am 18.11.2010 hat der Beklagte gegen dieses Urteil Berufung eingelegt. Streitgegenständlich sei die Frage, ob die sachliche Zuständigkeit des Beklagten im damaligen Zeitraum nach Art. 7 Abs. 1 d Nr. 2 AGBSHG nur für den Personenkreis der Aussiedler und Spätaussiedler vorgelegen habe oder aber darüber hinaus auch für deren Angehörige. Das BVFG differenziere sehr deutlich zwischen dem Aussiedler selbst und dessen Ehegatten und Abkömmling, da die Eigenschaft des Spätaussiedlers höchstpersönlicher Natur sei. Auch in den bayerischen Ausführungsbestimmungen zum BVFG werde deutlich zwischen Spätaussiedlern und Ehegatten und Abkömmlingen differenziert. Für eine analoge Anwendung des Art 7 Abs. 1 d Nr. 2 AGBSHG für Ehegatten und Spätaussiedler bestehe kein Raum, da schon keine Gesetzeslücke bestanden habe. Auch für eine teleologische Auslegung sei kein Raum. Der in Art 7 Abs. 1 d Nr. 2 AGBSHG genannte Personenkreis sei anhand eindeutiger gesetzlicher Kriterien bestimmbar.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 27.10.2010 aufzuheben und die
Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 27.10.2010
zurückzuweisen.
Er bezieht sich auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der beigezogenen Behördenakten sowie der Gerichtsakten in beiden Instanzen verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Beklagten ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG).
Die Berufung ist aber nicht begründet. Der Kläger hat Anspruch auf Erstattung der Kosten, die er für die Hilfeempfänger in Höhe von 12.640,65 EUR für den Zeitraum vom 15.04.2002 bis 31.12.2003 aufgewendet hat. Das zusprechende Urteil des SG vom 27.10.2010 erweist sich daher als rechtmäßig. Der Senat weist die Berufung daher aus den Gründen des angefochtenen Urteils zurück und sieht daher von der weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG). Ergänzend ist im Hinblick auf die Berufungsbegründung des Beklagten lediglich auf Folgendes hinzuweisen.
Das SG hat die hier entscheidungserhebliche Vorschrift des Art. 7 Abs. 1 d) Nr. 2 AGBSHG zu Recht dahingehend ausgelegt, dass der Beklagte für die Leistungen für den streitgegenständlichen Zeitraum sachlich zuständig war und damit gegenüber dem vorleistenden Kläger erstattungspflichtig ist.
Nach dem ersten Halbsatz des Art. 7 Abs. 1 d) Nr. 2 AGBSHG ist der überörtliche Träger der Sozialhilfe für alle Hilfen an Aussiedler und Spätaussiedler im Sinne des BVFG in Einrichtungen der vorläufigen Unterbringung bis zur dauernden Unterbringung in einer Wohnung zuständig. Aus der gesetzlichen Formulierung "bis zur dauernden Unterbringung in einer Wohnung" folgt im vorliegenden Fall nicht, dass die Zuständigkeit des Beklagten nach dem Umzug ausgeschlossen wäre, da gem. Art 7 Abs. 1 d) Nr. 2, 2. HS AGBSHG die Zuständigkeit (des überörtlichen Sozialhilfeträgers) bestehen bleibt, bis eine Verpflichtung zur Kostenerstattung nach § 103 Abs. 3 BSHG enden würde. Diese Vorschrift erweitert und verlängert die sachliche Zuständigkeit des überörtlichen Sozialhilfeträgers wie die Kostenerstattungspflicht nach § 103 Abs. 3 BSHG in zeitlicher Hinsicht um einen Zeitraum von längstens zwei Jahren nach dem Verlassen des Übergangswohnheims (BayVGH, Urteil vom 19.02.2004, 12 B 03.1941). Die sachliche Zuständigkeit des Beklagten war somit nicht schon aus dem Grund ausgeschlossen, dass die Hilfeempfänger aus dem Übergangswohnheim in eine Wohnung gezogen sind. Vielmehr ist festzuhalten, dass die vom Kläger geltend gemachten Aufwendungen für die vom 15.04.2002 bis zum 31.12.2003 gewährten Sozialhilfeleistungen an die Hilfeempfänger innerhalb des Zeitraums von zwei Jahren nach dem Verlassen des Übergangswohnheims (hier: 28.02.2002) liegen.
Die Hilfeempfänger gehören auch als Abkömmlinge eines Spätaussiedlers zu dem in
Art. 7 Abs. 1 d) Nr. 2 AGBSHG genannten Personenkreis. Dies ergibt die Auslegung des Art. 7 Abs. 1 d) Nr. 2 AGBSHG.
Um die Bedeutung einer Gesetzesvorschrift zu ermitteln, kommen zunächst die herkömmlichen Auslegungsmethoden zur Anwendung. Danach ist auf den Wortlaut der Norm (grammatische Auslegung), ihren Zusammenhang (systematische Auslegung), ihren Zweck (teleologische Auslegung) sowie die Gesetzesmaterialien und die Entstehungsgeschichte (historische Auslegung) abzustellen (vgl aus der Rechtsprechung des BVerfG: BVerfGE 11, 126, 130; 82, 6, 11; 93, 37, 81; 105, 153; aus der Rechtsprechung des BSG: U. v. 06.20.2011, B 9 SB 7/10; dazu auch Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl 1995, S 141 ff; 163 ff). Dabei sind die konkret einschlägigen verfassungsrechtlichen Vorgaben zu berücksichtigen. Ist von mehreren möglichen Auslegungen nur eine mit dem GG vereinbar, muss diese gewählt werden (verfassungskonforme Auslegung; vgl etwa BVerfGE 88, 145, 146; 93, 37, 81). Die Grenzen jeder Auslegung ergeben sich daraus, dass einem nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Gesetz nicht durch Auslegung eine entgegengesetzte Bedeutung verliehen werden darf (vgl BVerfGE 59, 330, 334; 93, 37, 81; dazu auch Larenz/Canaris, aaO, S 143).
Zwar lässt der Wortlaut des Art. 7 Abs. 1 d) Nr. 2 AGBSHG sowohl eine enge als auch eine weite Auslegung des Begriffs "Spätaussiedler" zu, im sprachlichen Zusammenhang betrachtet legt Art. 7 Abs. 1 d) Nr. 2 AGBSHG jedoch bereits ein weites Begriffsverständnis nahe. Nach anerkannten Auslegungsgrundsätzen richtet sich die Wortlautinterpretation zunächst nach dem allgemeinen Sprachgebrauch eines Ausdrucks bzw einer Wortverbindung. Haben Ausdrücke in der Rechtssprache eine spezifische Bedeutung erhalten, geht der besondere Sprachgebrauch des Gesetzes vor (vgl Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 5. Aufl 1983, S 305 ff). Nach diesen Grundsätzen könnte Art. 7 Abs. 1 d) Nr. 2 AGBSHG so verstanden werden, dass von diesem Begriff nur Spätaussiedler im Sinne des § 4 BVFG, nicht aber deren Ehegatten und Abkömmlinge erfasst werden. Für diese enge Auslegung könnte sprechen, dass das BVFG und in dessen Folge auch das Bayerische Ausführungsgesetz zum BVFG zwischen der Rechtsstellung des Spätaussiedlers und der Stellung der Ehegatten und Abkömmlinge differenziert und für Letztere nur einen Teil der Vorschriften für Spätaussiedler für entsprechend anwendbar erklärt (vgl. § 7 Abs. 2 BVFG). Eine solche enge Auslegung würde indes den Sinn und Zweck der Zuständigkeitsvorschrift des Art 7 Abs. 1d) Nr. 2 AGBSHG völlig außer Acht lassen. Für die Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers spielt es keine Rolle, ob es sich um einen Spätaussiedler oder um dessen Ehegatten oder Abkömmling handelt, wie das SG zu Recht ausgeführt hat. Der mit der Regelung verfolgte Zweck - gerechtere Verteilung der Sozialhilfelasten - trifft sowohl in Bezug auf die Spätaussiedler selbst als auch in Bezug auf deren Ehegatten und Abkömmlinge zu. Es ist daher sachgerecht, den Begriff "Spätaussiedler im Sinne des BVFG" auch auf die Ehegatten und Abkömmlinge zu erstrecken, für die ja auch einige Vorschriften des BVFG, wenn auch analog, gelten. Bei einer solchen Auslegung ist der Wortsinn des Begriffes daher noch nicht überschritten.
Für dieses Normverständnis spricht auch das systematische Deutungskriterium, da sich die hier einschlägigen Vorschriften des BSHG und des AGBSHG so als sinnvolle, einheitliche Regelung für Spätaussiedler und ihre Abkömmlinge erweisen. Bei einer engen Auslegung des Art. 7 Abs. 1 d) Nr. 2 AGBSHG wäre dies in den Fällen, in denen ein Spätaussiedler mit Familienmitgliedern einreist, nicht gewährleistet. Dann wäre der überörtliche Träger nämlich lediglich für ein Familienmitglied - nämlich für den anerkannten Spätaussiedler im engen Sinne - zuständig, während der örtliche Träger entgegen dem dargelegten Schutzzweck für alle übrigen (u.U. zahlreichen) Familienmitgliedern zuständig wäre. Für eine solche "Aufsplitterung" der Zuständigkeit für die Gewährung von Sozialhilfeleistungen innerhalb von Spätaussiedlerfamilien lässt sich kein vernünftiger Grund finden.
Die stattgebende Entscheidung des SG ist daher rechtmäßig, so dass die Berufung des unterlegenen Beklagten zurückzuweisen war.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG in Verbindung mit § 154 Abs, 1 VwGO.
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), sind nicht gegeben, zumal es sich bei der strittigen Norm des Art 7 Abs. 1 d) Nr. 2 AGBSHG um eine Norm des Landesrechts handelt, die der Revision durch das BSG entzogen ist (§ 162 SGG).
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Sozialhilfeleistungen in Höhe von 12.640,65 EUR, die der Kläger den Abkömmlingen eines Spätaussiedlers (- L. B. - und - A. -) in der Zeit vom 15.04.2002 bis zum 31.12.2003 nach deren Umzug aus einem Übergangswohnheim für Spätaussiedler in den Zuständigkeitsbereich des Klägers gewährt hat.
A. B. (geb.1961), L. B. (geb. 1960) und A. (geb. 1987) wohnten nach ihrer Einreise in die Bundesrepublik bis zum 28.02.2002 in einem Übergangswohnheim in G., Landkreis S ...
A. B. ist als Spätaussiedler gemäß § 4 BVFG anerkannt. Seine Ehefrau L. B. und seine Tochter A. (im Folgenden: Hilfeempfänger) sind Abkömmlinge eines Spätaussiedlers nach § 7 Abs. 2 BVFG.
Zum 01.03.2002 verzogen die Hilfeempfänger aus dem Übergangswohnheim in G. in eine Wohnung im Zuständigkeitsbereich des Klägers. Auf den Antrag der Hilfeempfänger vom 05.03.2002 gewährte der Kläger ab dem 01.03.2002 bis zum 31.12.2003 Sozialhilfeleistungen nach den §§ 11 ff. BSHG.
Mit Schreiben vom 10.04.2003, beim Beklagten eingegangen am 15.04.2003, machte der Kläger seinen Anspruch auf Kostenerstattung nach § 107 BSHG beim Beklagten geltend.
Im folgenden Schriftverkehr anerkannte der Beklagte dem Grunde nach seine Erstattungspflicht für die dem Spätaussiedler A. B. gewährten Sozialhilfeleistungen und erstattete dem Kläger insoweit einen Betrag in Höhe von 22.117,43 EUR. Der weiterhin vom Kläger geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch für die den Hilfeempfängern in der Zeit vom 15.04.2002 bis zum 31.12.2003 gewährten Sozialhilfeleistungen in Höhe von 12.640,65 EUR wurde vom Beklagten mit der Begründung abgelehnt, dass sich seine sachliche Zuständigkeit nach Art. 7 Abs.1 d) Nr. 2 AGBSHG auf die Leistungen für Spätaussiedler beschränke und dass die Leistungen für Ehegatten und Abkömmlinge von Spätaussiedlern nicht in seine Zuständigkeit fielen.
Mit Schreiben vom 09.11.2006 verzichtete der Beklagte auf die Einrede der Verjährung.
Am 17.09.2009 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Würzburg (SG) erhoben mit dem Ziel, den Beklagten zur Erstattung der Kosten nach § 107 Abs. 1 BSHG zu verurteilen. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass sich die Zuständigkeit des Beklagten als überörtlicher Sozialhilfeträger nach Art. 7 Abs.1 d) Nr. 2 AGBSHG auch auf die Ehegatten und Abkömmlinge von Spätaussiedlern erstrecke.
Mit Urteil vom 27.10.2010 hat das SG den Beklagten verurteilt, dem Kläger Sozialleistungen in Höhe von 12.640,65 EUR zu erstatten. Der Kläger habe einen Anspruch aus § 107 Abs. 1 BSHG auf Erstattung der von ihm in der Zeit vom 15.04.2002 bis zum 31.12.2003 an die Hilfeempfänger erbrachten Sozialhilfeleistungen in Höhe von 12.640,65 EUR, weil § 107 BSHG die einschlägige Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Erstattungsanspruch sei, weil die Voraussetzungen des § 107 BSHG erfüllt seien und weil der Beklagte erstattungspflichtig im Sinne des § 107 BSHG sei. Die Klage sei aber hinsichtlich des geltend gemachten Zinsanspruchs abzuweisen. § 107 BSHG sei als Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Erstattungsanspruch einschlägig, obwohl diese Vorschrift zum 01.01.2005 mit In-Kraft-Treten des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27. Dezember 2003 außer Kraft getreten sei. Die Anwendung des § 107 BSHG beruhe auf den Grundsätzen des intertemporalen Verwaltungsrechts, auf die bei Fehlen besonderer Übergangs- oder Überleitungsvorschriften - wie hier - zurückzugreifen ist. Insoweit richte sich die Beurteilung eines Sachverhalts grundsätzlich nach dem Recht, das zur Zeit der anspruchsbegründenden Ereignisse oder Umstände (hier der Leistungsgewährung) gegolten habe, soweit nicht später in Kraft getretenes Recht ausdrücklich oder stillschweigend etwas anderes bestimme (BSG, U.v. 24.03.2009, B 8 SO 34/07). Dies gelte auch für Erstattungsansprüche eines abgeschlossenen Erstattungsverhältnisses. Da maßgeblicher Umstand im Rahmen des vom Kläger geltend gemachten Anspruchs der Anfall von Sozialhilfekosten sei, sei das im Zeitpunkt des Anfalls dieser Kosten geltende Recht - hier § 107 BSHG - anzuwenden (BSG, a.a.O.). Nach § 107 Abs. 1 BSHG sei, wenn eine Person vom Ort ihres bisherigen gewöhnlichen Aufenthalts verziehe, der Träger der Sozialhilfe des bisherigen Aufenthaltsortes verpflichtet, dem nunmehr zuständigen örtlichen Träger der Sozialhilfe die dort erforderlich werdende Hilfe außerhalb von Einrichtungen im Sinne des § 97 Abs. 2 Satz 1 zu erstatten, wenn die Person innerhalb eines Monats nach dem Aufenthaltswechsel der Hilfe bedürfe. Diese Verpflichtung entfalle nach § 107 Abs. 2 BSHG, wenn für einen zusammenhängenden Zeitraum von zwei Monaten keine Hilfe zu gewähren sei. Sie ende spätestens nach Ablauf von zwei Jahren seit dem Aufenthaltswechsel. Die Voraussetzungen des § 107 BSHG seien vorliegend erfüllt, und im Übrigen zwischen den Beteiligten nicht streitig. Die Hilfeempfänger seien mit ihrem Umzug aus dem Übergangswohnheim in eine Wohnung im Zuständigkeitsbereich des Klägers "verzogen" im Sinne des § 107 BSHG. Mit dem Umzug sei der Kläger als örtlicher Sozialhilfeträger für die Hilfegewährung zuständig (§§ 96, 99 BSHG, Art. 1 AGBSHG) geworden. Die Hilfeempfänger seien innerhalb eines Monats ab dem Umzug hilfebedürftig geworden und hätten dementsprechend ab dem 01.03.2002 Sozialhilfeleistungen vom Kläger erhalten. Bis zur Einstellung der Hilfeleistung habe der Kläger den Hilfeempfängern Sozialhilfeleistungen in unstreitiger Höhe von 12.640,65 EUR gewährt. Weiterhin sei der Beklagte vorliegend erstattungspflichtig nach § 107 BSHG. Erstattungspflichtig nach § 107 BSHG sei der Träger der Sozialhilfe des bisherigen Aufenthaltsorts, der für die nach einem Umzug am Zuzugsort erforderlich werdende Hilfe zuständig gewesen wäre, wenn die Hilfeempfänger innerhalb des bisherigen Aufenthaltsortes umgezogen wären (BVerwG, U.v. 13.03.2003, 5 C 10.02; BayVGH, U.v.25.09.2003, 12 B 99.3489). Von diesem Grundsatz ausgehend ergäben sich im vorliegenden Fall in Anwendung des Art. 7 Abs. 1 d) Nr. 2 AGBSHG die sachliche Zuständigkeit und damit die Erstattungspflicht des Beklagten. Aus Art. 7 Abs. 1 d) Nr. 2 AGBSHG ergebe sich, dass der Beklagte als überörtlicher Träger der Sozialhilfe (weiter) sachlich zuständig gewesen wäre, wenn die Hilfeempfänger aus dem Übergangswohnheim in eine Wohnung im Landkreis S. gezogen wären. Nach dem ersten Halbsatz des Art. 7 Abs. 1 d) Nr. 2 AGBSHG ist der überörtliche Träger der Sozialhilfe für alle Hilfen an Aussiedler und Spätaussiedler im Sinne des BVFG in Einrichtungen der vorläufigen Unterbringung bis zur dauernden Unterbringung in einer Wohnung zuständig. Aus der gesetzlichen Formulierung "bis zur dauernden Unterbringung in einer Wohnung" folgt im vorliegenden Fall nicht, dass die Zuständigkeit des Beklagten nach dem Umzug der Hilfeempfänger ausgeschlossen wäre. Zwar seien die Hilfeempfänger aus dem Übergangswohnheim in eine Wohnung verzogen. Aber der zweite Halbsatz des Art 7 Abs. 1 d) Nr. 2 AGBSHG sehe vor, dass die Zuständigkeit (des überörtlichen Sozialhilfeträgers) bestehen bleibe, bis eine Verpflichtung zur Kostenerstattung nach § 103 Abs. 3 BSHG enden würde. Diese Vorschrift erweitere und verlängere die sachliche Zuständigkeit des überörtlichen Sozialhilfeträgers wie die Kostenerstattungspflicht nach § 103 Abs. 3 BSHG in zeitlicher Hinsicht um einen Zeitraum von längstens zwei Jahren nach dem Verlassen des Übergangswohnheims (BayVGH, Urteil vom 19.02.2004, 12 B 03.1941). Die sachliche Zuständigkeit des Beklagten sei somit nicht schon aus dem Grund ausgeschlossen, dass die Hilfeempfänger aus dem Übergangswohnheim in eine Wohnung gezogen seien. Vielmehr sei festzuhalten, dass die vom Kläger geltend gemachten Aufwendungen für die vom 15.04.2002 bis zum 31.12.2003 gewährten Sozialhilfeleistungen an die Hilfeempfänger innerhalb des Zeitraums von zwei Jahren nach dem Verlassen des Übergangswohnheims (hier: 28.02.2002) liegen. Weiterhin lägen die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 d) Nr. 2 AGBSHG vor. Insbesondere sei diese Vorschrift auf die Hilfebedürftigen als Abkömmlinge eines Spätaussiedlers anwendbar. Dies ergebe sich aus der teleologischen Auslegung des Art. 7 Abs. 1 d) Nr. 2 AGBSHG, dessen Sinn und Zweck darin bestehe, die örtlichen Sozialhilfeträger zu schützen, in deren Zuständigkeitsbereich sich ein Übergangswohnheim für Spätaussiedler befinde. Diese sollten durch Art. 7 Abs. 1 d) Nr. 2 AGBSHG vor einer übermäßigen finanziellen Belastung geschützt werden. Eine solche übermäßige Belastung würde dann eintreten, wenn die betreffenden örtlichen Sozialhilfeträger die Sozialhilfeleistungen für die Aussiedler und Spätaussiedler zu tragen hätten, während andere örtliche Träger, in deren Zuständigkeitsbereich sich kein Übergangswohnheim befindet, vor solchen finanziellen Belastungen "verschont" bleiben würden. Der Schutz der betreffenden örtlichen Sozialhilfeträger und eine angemessene "Lastenverteilung" erfolge durch Art. 7 Abs. 1 d) Nr. 2 AGBSHG in der Form, dass die finanzielle Belastung durch die Übertragung der Zuständigkeit auf den überörtlichen Träger auf "mehrere Schultern", nämlich auf die gesamten Kommunen des jeweiligen Bezirks, verteilt würden (BayVGH, Urteil vom 11.02.2002, 12 B 00.420). Dieser Schutz wäre aber bei der vom Beklagten vertretenen engen Auslegung des Art. 7 Abs. 1 d) Nr. 2 AGBSHG in den Fällen ausgehöhlt, in denen ein Spätaussiedler mit Familienmitgliedern einreise, die selbst keine Spätaussiedler sind, sondern eben nur Ehegatten oder Abkömmlinge von Spätaussiedlern. Denn dies könne dazu führen, dass der überörtliche Träger lediglich für ein Familienmitglied - nämlich für den anerkannten Spätaussiedler - zuständig wäre, während der örtliche Träger entgegen dem dargelegten Schutzzweck für alle übrigen (u.U. zahlreichen) Familienmitgliedern zuständig wäre. Weiterhin sei in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, dass in den genannten Fällen die enge Auslegung des Art. 7 Abs. 1 d) Nr. 2 AGBSHG zu einer "Aufsplitterung" der Zuständigkeit für die Gewährung von Sozialhilfeleistungen innerhalb von Spätaussiedlerfamilien kommen würde (überörtlicher Träger für Spätaussiedler, örtlicher Träger für die übrigen Familienmitglieder). Angesichts des dargelegten Schutzzwecks des Art. 7 Abs. 1 d) Nr. 2 AGBSHG sei davon auszugehen, dass diese Konsequenz nicht dem Willen des Gesetzgebers entspreche, der ersichtlich eine einheitliche Zuständigkeit habe schaffen wollen. Die teleologische Auslegung des Art. 7 Abs. 1 d) Nr. 2 AGBSHG ergebe somit, dass unter den Begriff "Spätaussiedler" im Sinne dieser Vorschrift auch die Ehegatten und Abkömmlinge von Spätaussiedlern fallen würden. Die somit nach Art. 7 Abs. 1 d) Nr. 2 AGBSHG begründete sachliche Zuständigkeit des Beklagten entfalle schließlich nicht dadurch, dass der Bezirk durch Verordnung vom 16.12.1997 (RAbl.1997, s. 272) nach Art. 10 Abs. 2 AGBSHHG die kreisfreien Gemeinden und Landkreise für die Durchführung und Entscheidung über Hilfen nach Art. 7 Abs. 1 d) AGBSHG herangezogen habe. Denn diese Heranziehung führe nicht zu einer Kostenerstattungsverpflichtung anstelle des überörtlichen Trägers (BayVGH, U.v.11.02.2002,
12 B 00.420). Die Klage sei somit im Hinblick auf den geltend gemachten Kostenerstattungsanspruch in Höhe von 12.640,65 EUR begründet.
Am 18.11.2010 hat der Beklagte gegen dieses Urteil Berufung eingelegt. Streitgegenständlich sei die Frage, ob die sachliche Zuständigkeit des Beklagten im damaligen Zeitraum nach Art. 7 Abs. 1 d Nr. 2 AGBSHG nur für den Personenkreis der Aussiedler und Spätaussiedler vorgelegen habe oder aber darüber hinaus auch für deren Angehörige. Das BVFG differenziere sehr deutlich zwischen dem Aussiedler selbst und dessen Ehegatten und Abkömmling, da die Eigenschaft des Spätaussiedlers höchstpersönlicher Natur sei. Auch in den bayerischen Ausführungsbestimmungen zum BVFG werde deutlich zwischen Spätaussiedlern und Ehegatten und Abkömmlingen differenziert. Für eine analoge Anwendung des Art 7 Abs. 1 d Nr. 2 AGBSHG für Ehegatten und Spätaussiedler bestehe kein Raum, da schon keine Gesetzeslücke bestanden habe. Auch für eine teleologische Auslegung sei kein Raum. Der in Art 7 Abs. 1 d Nr. 2 AGBSHG genannte Personenkreis sei anhand eindeutiger gesetzlicher Kriterien bestimmbar.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 27.10.2010 aufzuheben und die
Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 27.10.2010
zurückzuweisen.
Er bezieht sich auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der beigezogenen Behördenakten sowie der Gerichtsakten in beiden Instanzen verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Beklagten ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG).
Die Berufung ist aber nicht begründet. Der Kläger hat Anspruch auf Erstattung der Kosten, die er für die Hilfeempfänger in Höhe von 12.640,65 EUR für den Zeitraum vom 15.04.2002 bis 31.12.2003 aufgewendet hat. Das zusprechende Urteil des SG vom 27.10.2010 erweist sich daher als rechtmäßig. Der Senat weist die Berufung daher aus den Gründen des angefochtenen Urteils zurück und sieht daher von der weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG). Ergänzend ist im Hinblick auf die Berufungsbegründung des Beklagten lediglich auf Folgendes hinzuweisen.
Das SG hat die hier entscheidungserhebliche Vorschrift des Art. 7 Abs. 1 d) Nr. 2 AGBSHG zu Recht dahingehend ausgelegt, dass der Beklagte für die Leistungen für den streitgegenständlichen Zeitraum sachlich zuständig war und damit gegenüber dem vorleistenden Kläger erstattungspflichtig ist.
Nach dem ersten Halbsatz des Art. 7 Abs. 1 d) Nr. 2 AGBSHG ist der überörtliche Träger der Sozialhilfe für alle Hilfen an Aussiedler und Spätaussiedler im Sinne des BVFG in Einrichtungen der vorläufigen Unterbringung bis zur dauernden Unterbringung in einer Wohnung zuständig. Aus der gesetzlichen Formulierung "bis zur dauernden Unterbringung in einer Wohnung" folgt im vorliegenden Fall nicht, dass die Zuständigkeit des Beklagten nach dem Umzug ausgeschlossen wäre, da gem. Art 7 Abs. 1 d) Nr. 2, 2. HS AGBSHG die Zuständigkeit (des überörtlichen Sozialhilfeträgers) bestehen bleibt, bis eine Verpflichtung zur Kostenerstattung nach § 103 Abs. 3 BSHG enden würde. Diese Vorschrift erweitert und verlängert die sachliche Zuständigkeit des überörtlichen Sozialhilfeträgers wie die Kostenerstattungspflicht nach § 103 Abs. 3 BSHG in zeitlicher Hinsicht um einen Zeitraum von längstens zwei Jahren nach dem Verlassen des Übergangswohnheims (BayVGH, Urteil vom 19.02.2004, 12 B 03.1941). Die sachliche Zuständigkeit des Beklagten war somit nicht schon aus dem Grund ausgeschlossen, dass die Hilfeempfänger aus dem Übergangswohnheim in eine Wohnung gezogen sind. Vielmehr ist festzuhalten, dass die vom Kläger geltend gemachten Aufwendungen für die vom 15.04.2002 bis zum 31.12.2003 gewährten Sozialhilfeleistungen an die Hilfeempfänger innerhalb des Zeitraums von zwei Jahren nach dem Verlassen des Übergangswohnheims (hier: 28.02.2002) liegen.
Die Hilfeempfänger gehören auch als Abkömmlinge eines Spätaussiedlers zu dem in
Art. 7 Abs. 1 d) Nr. 2 AGBSHG genannten Personenkreis. Dies ergibt die Auslegung des Art. 7 Abs. 1 d) Nr. 2 AGBSHG.
Um die Bedeutung einer Gesetzesvorschrift zu ermitteln, kommen zunächst die herkömmlichen Auslegungsmethoden zur Anwendung. Danach ist auf den Wortlaut der Norm (grammatische Auslegung), ihren Zusammenhang (systematische Auslegung), ihren Zweck (teleologische Auslegung) sowie die Gesetzesmaterialien und die Entstehungsgeschichte (historische Auslegung) abzustellen (vgl aus der Rechtsprechung des BVerfG: BVerfGE 11, 126, 130; 82, 6, 11; 93, 37, 81; 105, 153; aus der Rechtsprechung des BSG: U. v. 06.20.2011, B 9 SB 7/10; dazu auch Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl 1995, S 141 ff; 163 ff). Dabei sind die konkret einschlägigen verfassungsrechtlichen Vorgaben zu berücksichtigen. Ist von mehreren möglichen Auslegungen nur eine mit dem GG vereinbar, muss diese gewählt werden (verfassungskonforme Auslegung; vgl etwa BVerfGE 88, 145, 146; 93, 37, 81). Die Grenzen jeder Auslegung ergeben sich daraus, dass einem nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Gesetz nicht durch Auslegung eine entgegengesetzte Bedeutung verliehen werden darf (vgl BVerfGE 59, 330, 334; 93, 37, 81; dazu auch Larenz/Canaris, aaO, S 143).
Zwar lässt der Wortlaut des Art. 7 Abs. 1 d) Nr. 2 AGBSHG sowohl eine enge als auch eine weite Auslegung des Begriffs "Spätaussiedler" zu, im sprachlichen Zusammenhang betrachtet legt Art. 7 Abs. 1 d) Nr. 2 AGBSHG jedoch bereits ein weites Begriffsverständnis nahe. Nach anerkannten Auslegungsgrundsätzen richtet sich die Wortlautinterpretation zunächst nach dem allgemeinen Sprachgebrauch eines Ausdrucks bzw einer Wortverbindung. Haben Ausdrücke in der Rechtssprache eine spezifische Bedeutung erhalten, geht der besondere Sprachgebrauch des Gesetzes vor (vgl Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 5. Aufl 1983, S 305 ff). Nach diesen Grundsätzen könnte Art. 7 Abs. 1 d) Nr. 2 AGBSHG so verstanden werden, dass von diesem Begriff nur Spätaussiedler im Sinne des § 4 BVFG, nicht aber deren Ehegatten und Abkömmlinge erfasst werden. Für diese enge Auslegung könnte sprechen, dass das BVFG und in dessen Folge auch das Bayerische Ausführungsgesetz zum BVFG zwischen der Rechtsstellung des Spätaussiedlers und der Stellung der Ehegatten und Abkömmlinge differenziert und für Letztere nur einen Teil der Vorschriften für Spätaussiedler für entsprechend anwendbar erklärt (vgl. § 7 Abs. 2 BVFG). Eine solche enge Auslegung würde indes den Sinn und Zweck der Zuständigkeitsvorschrift des Art 7 Abs. 1d) Nr. 2 AGBSHG völlig außer Acht lassen. Für die Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers spielt es keine Rolle, ob es sich um einen Spätaussiedler oder um dessen Ehegatten oder Abkömmling handelt, wie das SG zu Recht ausgeführt hat. Der mit der Regelung verfolgte Zweck - gerechtere Verteilung der Sozialhilfelasten - trifft sowohl in Bezug auf die Spätaussiedler selbst als auch in Bezug auf deren Ehegatten und Abkömmlinge zu. Es ist daher sachgerecht, den Begriff "Spätaussiedler im Sinne des BVFG" auch auf die Ehegatten und Abkömmlinge zu erstrecken, für die ja auch einige Vorschriften des BVFG, wenn auch analog, gelten. Bei einer solchen Auslegung ist der Wortsinn des Begriffes daher noch nicht überschritten.
Für dieses Normverständnis spricht auch das systematische Deutungskriterium, da sich die hier einschlägigen Vorschriften des BSHG und des AGBSHG so als sinnvolle, einheitliche Regelung für Spätaussiedler und ihre Abkömmlinge erweisen. Bei einer engen Auslegung des Art. 7 Abs. 1 d) Nr. 2 AGBSHG wäre dies in den Fällen, in denen ein Spätaussiedler mit Familienmitgliedern einreist, nicht gewährleistet. Dann wäre der überörtliche Träger nämlich lediglich für ein Familienmitglied - nämlich für den anerkannten Spätaussiedler im engen Sinne - zuständig, während der örtliche Träger entgegen dem dargelegten Schutzzweck für alle übrigen (u.U. zahlreichen) Familienmitgliedern zuständig wäre. Für eine solche "Aufsplitterung" der Zuständigkeit für die Gewährung von Sozialhilfeleistungen innerhalb von Spätaussiedlerfamilien lässt sich kein vernünftiger Grund finden.
Die stattgebende Entscheidung des SG ist daher rechtmäßig, so dass die Berufung des unterlegenen Beklagten zurückzuweisen war.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG in Verbindung mit § 154 Abs, 1 VwGO.
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), sind nicht gegeben, zumal es sich bei der strittigen Norm des Art 7 Abs. 1 d) Nr. 2 AGBSHG um eine Norm des Landesrechts handelt, die der Revision durch das BSG entzogen ist (§ 162 SGG).
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