L 6 SF 601/12 B

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
6
1. Instanz
SG Nordhausen (FST)
Aktenzeichen
S 24 SF 205/12 E
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 6 SF 601/12 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Hat der Rechtsanwalt im Klageverfahren die Höhe des geltend gemachten Anspruchs nicht beziffert, besteht im Festsetzungsverfahren kein Anlass, hierzu Ermittlungen anzustellen oder eine durchschnittliche oder sogar überdurchschnittliche Bedeutung zu unterstellen (vgl. Thüringer LSG, Beschlüsse vom 8. Mai 2012 - Az.: L 6 SF 466/12 B und 18. März 2011 - Az.: L 6 SF 1418/10 B).
Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Sozialgerichts Nordhausen vom 19. März 2012 aufgehoben und die aus der Staatskasse zu erstattenden Gebühren des Beschwer-deführers für das Verfahren Az.: S 24 AS 4228/10 auf 189,94 Euro festgesetzt. Im Übri-gen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt.

Gründe:

Die statthafte und zulässige Beschwerde gegen die Festsetzung der Rechtsanwaltsgebühren ist teilweise begründet.

Nach § 3 Abs. 1 S. 1 RVG entstehen in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbar-keit, in denen das Gerichtskostengesetz (GKG) nicht anzuwenden ist, Betragsrahmengebüh-ren, die dem im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalt aus der Landeskas-se zu erstatten sind (§ 45 Abs. 1 RVG). Den Klägern wurde im Erörterungstermin am 29. No-vember 2010 PKH gewährt und sie waren kostenprivilegierte Beteiligte i.S.d. § 183 S. 1 SGG. Dann scheidet die Anwendung des GKG aus (§ 197a Abs. 1 S. 1 SGG). Die Höhe der Vergütung errechnet sich nach dem Vergütungsverzeichnis (VV) der Anlage 1 zum RVG. Die Höhe der Rahmengebühr bestimmt der Rechtsanwalt nach § 14 Abs. 1 RVG im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Ver-mögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen (Satz 1); bei Rahmengebühren ist das Haftungsrisiko zu berücksichtigen (Satz 3). Ist die Gebühr von einem Dritten zu erset-zen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbil-lig ist (Satz 4), wobei ihm nach herrschender Meinung ein Spielraum (sogenannte Toleranz-grenze) von 20 v.H. zusteht (vgl. BSG, Urteil vom 1. Juli 2009 - Az.: B 4 AS 21/09 R m.w.N., nach juris; ständige Senatsrechtsprechung, vgl. u.a. Beschlüsse vom 17. Dezember 2010 - Az.: L 6 SF 808/10 B und 26. November 2008 - Az.: L 6 B 130/08 SF). Unbilligkeit liegt vor, wenn der Rechtsanwalt die Kriterien des § 14 Abs. 1 S. 1 RVG unter Beachtung seines Beurteilungsspielraums objektiv nicht hinreichend beachtet (vgl. Senatsbeschluss vom 17. Dezember 2010 - Az.: L 6 SF 808/10 B); dann erfolgt eine Festsetzung nur in Höhe der angemessenen Gebühren. Dies ist hier hinsichtlich aller beantragten Gebühren der Fall.

Eine höhere als die von der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle (UKB) festgesetzte Höhe der Verfahrensgebühr Nr. 3103 VV-RVG (um 20 v.H. erhöhte Hälfte der Mittelgebühr) kommt nicht in Betracht. Beim Umfang der anwaltlichen Tätigkeit ist der zeitliche Aufwand zu be-rücksichtigen, den der Rechtsanwalt tatsächlich in der Sache betrieben hat und den er davon objektiv auch auf die Sache verwenden musste (vgl. BSG, Urteil vom BSG, Urteil vom 1. Juli 2009 - Az.: B 4 AS 21/09 R) Zwar ist entgegen der Ansicht der UKB auf den gesamten Ar-beits- und Zeitaufwand des Rechtsanwalts im Verfahren ohne Einschränkung auf den Zeit-punkt des Wirksamwerdens der Beiordnung abzustellen (vgl. Senatsbeschluss vom 5. Juli 2011 - Az.: L 6 SF 252/11 B m.w.N.). Allerdings war auch dann der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit unterdurchschnittlich. Die Schriftsätze vom 22. Juni, 13. August und 14. September 2010 enthalten in weiten Teilen formelhafte, nicht auf den Fall bezogene und von dem Be-schwerdeführer auch in anderen Verfahren verwendete Ausführungen zur behaupteten Ver-weigerung der Akteneinsicht, Rundungsregelung, Kosten der Unterkunft und kostenaufwän-dige Ernährung. Nur geringe Teile haben einen konkreten Bezug zum Verfahren, was den objektiv auf die Sache verwendeten Aufwand erheblich reduziert. Mit dem Schriftsatz vom 29. November 2010 wurde lediglich eine ärztliche Bescheinigung eingereicht. Die objektive Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit war angesichts der genannten bekannten und immer wiederkehrenden Probleme unterdurchschnittlich. Trotz des einschlägigen Sachgebietes (Zweites Buch Sozialgesetzbuch - SGB II -) ist - entgegen der Ansicht der UKB - keine durchschnittliche Bedeutung der Angelegenheit für die Kläger anzunehmen, denn der Be-schwerdeführer hatte im Klageverfahren die Höhe des geltend gemachten Anspruchs nicht beziffert. Dann besteht im Festsetzungsverfahren kein Anlass, hierzu Ermittlungen anzustel-len oder eine durchschnittliche oder sogar überdurchschnittliche Bedeutung zu unterstellen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 8. Mai 2012 - Az.: L 6 SF 466/12 B und 18. März 2011 - Az.: L 6 SF 1418/10 B). Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Kläger waren unterdurch-schnittlich. Ein besonderes Haftungsrisiko ist nicht ersichtlich.

Die Gebühr Nr. 3103 VV-RVG war nach Nr. 1008 VV-RVG um 30 v.H. (30,60 Euro) zu er-höhen.

Eine höhere als die von der UKB auf die Hälfte der Mittelgebühr (100 Euro) gekürzte Ter-minsgebühr Nr. 3106 VV-RVG ist nicht festzusetzen. Zu Recht weist die Vorinstanz darauf hin, dass es für den Umfang der anwaltlichen Tätigkeit vor allem auf die Dauer des Termins ankommt (so die ständige Senatsrechtsprechung, vgl. Beschluss vom 18. März 2011 - Az.: L 6 SF 1418/10 B m.w.N.). Hier wurden im Termin am 29. November 2011 in 30 Minuten zwei vom Beschwerdeführer vertretene Verfahren gemeinsam verhandelt; das ist - bezogen auf alle sozialgerichtliche Verfahren - deutlich unter dem Durchschnitt. Hinsichtlich der übrigen Kri-terien des § 14 RVG wird auf die Ausführungen zu Nr. 3103 VV-RVG verwiesen.

Die Einigungsgebühr Nr. 1006 VV-RVG wird auf 140,00 Euro festgesetzt. Der Ansatz der UKB (90,00 Euro) ist zu niedrig und wird durch die Begründung nicht getragen. Angesichts des Inhalts des abgeschlossenen Vergleichs (Zahlung eines einmaligen Betrages von 120,00 Euro ohne Anerkennung einer Rechtspflicht, d.h. monatlich 10,00 Euro für jeden Kläger) war die Bedeutung für die Kläger als Bezieher von Leistungen nach dem SGB II gerade noch durchschnittlich. Eine Kompensierung der geringen Einkommens- und Vermögensverhältnis-se (vgl. BSG, Urteil vom 1. Juli 2009 - Az.: B 4 AS 21/09 R, nach juris) kommt dann nicht in Betracht. Die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit war unterdurchschnittlich. Überdies hatte der Kammervorsitzende vor Abschluss des Vergleichs einen eindeutigen rechtlichen Hinweis in die Niederschrift diktiert. Der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit war allenfalls noch durchschnittlich. Ein besonderes Haftungsrisiko ist nicht ersichtlich.

Die begehrte Erhöhung der Fahrtkosten von 49 auf 52 Kilometer kommt nicht in Betracht. Nach Nr. 7003 VV-RVG sind die Fahrtkosten für jeden gefahrenen Kilometer zu erstatten. Bei der Nachprüfung kann durchaus der Routenplaner Map24 verwendet werden. Nachdem der Gesetzeswortlaut auf die (tatsächlich) gefahrenen, hier aber nicht vorgetragenen, Kilome-ter abstellt, kommt es auf den Vortrag des Beschwerdeführers nicht an, andere Routenplaner berechneten eine um drei bis vier Kilometer längere Fahrtstrecke.

Damit errechnen sich die Gebühren des Beschwerdeführers wie folgt:

Verfahrensgebühr Nr. 3103 VV-RVG 102,00 Euro Erhöhungsgebühr Nr. 1008 VV-RVG 30,60 Euro Terminsgebühr Nr. 1006 VV-RVG 100,00 Euro Einigungsgebühr Nr. 1006 VV-RVG 140,00 Euro Auslagenpauschale Nr. 7002 VV-RVG 20,00 Euro Fahrtkosten 2,94 Euro Abwesenheitsgeld 3,50 Euro 399,04 Euro MWSt 75,82 Euro 474,86 Euro davon 40 v.H. lt. Vergleich 189,94 Euro

Die Beschwerde ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 S 2 und 3 RVG).

Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt (§§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 4 S. 3 RVG).
Rechtskraft
Aus
Saved