S 41 AS 3313/10

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Potsdam (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
41
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 41 AS 3313/10
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Das Gericht ist der festen Überzeugung, dass Verwaltungseingriffe in Freiheit und Eigentum der gesetzlichen Ermächtigung bedürfen.
Bemerkung
anders: SG Braunschweig, Urteil vom 23. Februar 2010 - S 25 AS 118/08 und SG Fulda, Urteil vom 22. Juni 2011 - S 10 AS 302/08
1. Der Bescheid des Beklagten vom 05. Mai 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. September 2010 wird aufgehoben. 2. Der Beklagte erstattet den Klägerinnen die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Verfahrens.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Erstattungsbescheides hinsichtlich der Rückzahlung eines Darlehens. Die Klägerinnen bezogen in der Zeit vom Mai 2008 bis Dezember 2009 Leistungen des Beklagten, welche ihnen mit Bescheiden vom 11. Juni 2008, 05. November 2008, 17. Februar 2009, 02. Juni 2009 und 19. Oktober 2009 darlehensweise gewährt wurden, da die Klägerin zu 1) nach der Darstellung des Beklagten über verwertbares Vermögen – Grundstück mit Haus – verfügt haben sollten. Die Klägerinnen haben insgesamt Leistungen in Höhe von 12.814,00EUR in diesem Zeitraum erhalten. Am 30. Dezember 2009 erfolgte die Zahlung in Höhe von 7.336,52EUR an die Eltern der Klägerin zu 1) nach der Veräußerung des Grundstückes. Mit Bescheid vom 05. Mai 2010 an die Klägerin zu 1) forderte der Beklagte die Erstattung eines Betrages in Höhe von 7.336,52EUR, da das Vermögen verwertet worden sein sollte. Hiergegen legte die Klägerin zu 1) Widerspruch ein und führte zur Begründung aus, dass das Geld direkt auf das Konto ihrer Eltern floss, um ein Darlehen zu begleichen. Weiterhin sei der Vermögensfreibetrag zu berücksichtigen. Mit Widerspruchsbescheid vom 21. September 2010 (W 1835/10) wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin zu 1) sowie der Klägerin zu 2) gesetzlich vertreten durch die Klägerin zu 1) zurück. Mit der am 19. Oktober 2010 erhobenen Klage verfolgen die Klägerinnen ihr Begehren weiter. Die Klägerbevollmächtigte ist der Ansicht, dass der Rückforderungsbescheid rechtswidrig sei, da bereits eine gesetzliche Grundlage nicht ersichtlich sei. Die Klägerbevollmächtigte beantragt: Der Bescheid vom 05. Mai 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. September 2010 wird aufgehoben. Der Beklagte beantragt: Die Klage wird abgewiesen. Er ist der Ansicht, dass eine ausdrückliche Ermächtigungsgrundlage nicht erforderlich sei, dass die Rückzahlungsverpflichtung der Darlehensgewährung selbst inne wohne. Weiterhin ergebe sich aus der actus-contrarius-Theorie, dass durch Verwaltungsakt gewährte Darlehen im Wege des Verwaltungsaktes zurückzufordern seien. Die Grundlage ergebe sich hier aus der Systematik des Gesetzes und der Eigenart des zwischen der Behörde und dem Einzelnen bestehenden Rechtsverhältnisses.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Anfechtungsklage ist begründet. Der Bescheid vom 05. Mai 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. September 2010 ist rechtswidrig und beschwert die Klägerinnen nach § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Es ist keine Ermächtigungsgrundlage vorhanden, um bei einer darlehensweisen Gewährung die Rückforderung durch einen Verwaltungsakt zu regeln. Das Gericht ist der festen Überzeugung, dass Verwaltungseingriffe in Freiheit und Eigentum der gesetzlichen Ermächtigung bedürfen (so auch BSG, Urteil vom 28. August 1997 – 8 RKn 2/97; kostenpflichtig abrufbar unter www.juris.de). Das ergibt sich aus dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, der sich unmittelbar im Bereich des Sozialrechts aus § 31 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil (SGB I) ergibt. Hiernach dürfen Pflichten in den Sozialleistungsbereichen dieses Gesetzbuches nur begründet, festgestellt, geändert oder aufgehoben werden, soweit ein Gesetz es vorschreibt oder zulässt. Darüber hinaus findet dieser Grundsatz eine Grundlage in den durch Art 2 ff. Grundgesetz (GG) gewährleisteten Grundrechten. Die mit dem angefochtenen Bescheid verlangte Rückforderung berührt sowohl das Eigentum der Klägerinnen als auch ihre allgemeine Handlungsfreiheit auf wirtschaftlichem Gebiet (Art. 2 Abs. 1 und Art 14 Abs. 1 GG). In diese Rechte darf nur aufgrund eines Gesetzes eingegriffen werden. In den Regelungen im Bereich des Sozialgesetzbuches Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II) können keine Regelungen über die Rückforderung von darlehensweise gewährten Leistungen gefunden werden. Das Gericht weist darauf hin, dass die Frage der Ermächtigungsgrundlage für den Erlass eines Rückforderungsbescheides von der Rückzahlungspflicht getrennt werden muss. Der Hinweis des Beklagten auf die Entscheidung SG Braunschweig, Urteil vom 23. Februar 2010 – S 25 AS 1118/08 (kostenpflichtig abrufbar unter www.juris.de) geht insoweit fehl, da in den Urteilsgründen zwar Ausführungen zur Rückzahlungspflicht gemacht werden, die Frage der Ermächtigungsgrundlage für den Erlass eines Bescheides aber übergangen wird. In diesem Zusammenhang ist klarzustellen, dass aus einer Rückzahlungspflicht des Betroffenen noch lange keine Kompetenz der Verwaltung als Gläubiger entsteht, einen Verwaltungsakt zu erlassen. Mit kurzen Worten: Aus der Zahlungspflicht folgt nicht die Ermächtigung. Dies ergibt auch ein Blick auf die Regelung in § 50 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X). Hier findet sich gerade eine Ermächtigungsgrundlage für die Festsetzung der zu erstattenden Leistungen für andere Fallgestaltungen. Diese Regelung wäre überflüssig, wenn sich aus der Rückzahlungspflicht eine Ermächtigung bereits ergäbe. Nicht überzeugen kann das Gericht, die Auffassung, dass sich aus der darlehensweisen Gewährung von Leistungen mittels Bescheid unmittelbar die Kompetenz ergäbe, auch hinsichtlich der Rückforderung einen Bescheid zu erlassen (vgl. SG Fulda, Urteil vom 22. Juni 2011 – S 10 AS 302/08; kostenpflichtig abrufbar unter www.juris.de). Hierbei würde es sich um eine Kompetenz-Kompetenz handeln, da die Verwaltung durch einen Verwaltungsakt die Grundlage für weitere Eingriffe schaffen würde. Die Kompetenzerschaffung durch Verwaltungsakt entspricht nicht dem Gesetzesvorbehalt aus § 31 SGB I und auch nicht den grundrechtlichen Anforderungen an einen Eingriff. Soweit die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 24. Juli 2996 – 6 S 2522/95 und OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 06. September 2000 – 16 B 941/00; kostenpflichtig abrufbar unter www.juris.de) zur Begründung herangezogen wird, können diese Entscheidungen den Gesetzesvorbehalt aus § 31 SGB I nicht berücksichtigen. Aber die Ausführungen in den Entscheidungen zeigen auch gar keine weiteren Hinweise hinsichtlich der Ermächtigungsgrundlage auf und sind insoweit nicht relevant. Das Gericht geht davon aus, dass sich aus der Systematik des Gesetzes und dem Rechtsverhältnis zwischen den Klägerinnen und dem Beklagten keine Ermächtigungsgrundlage für den Erlass eines Rückforderungsbescheides ergibt. Zwar mag das BSG (vgl. Urteil vom 15. Dezember 1999 – B 9 V 26/98 R; kostenpflichtig abrufbar unter www.juris.de) in einzelnen Fallgestaltungen eine solche nicht ausdrückliche Grundlage als ausreichend angesehen haben, aber es bezog sich in der zitierten Entscheidung auf einen feststellenden Verwaltungsakt. Das Gericht geht davon aus, dass bei einem Rückforderungsbescheid, welcher einen unmittelbar vollstreckbaren Inhalt hat, die Anforderungen an die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage nicht abgesenkt werden könnten. Praktische Argumente können Zweifel an der Entscheidung nicht begründen, da dem Beklagten der Weg offen steht über eine Leistungsklage sich einen Vollstreckungstitel gegen die Klägerinnen zu verschaffen. Nach der Auffassung des Gerichts ist dieses Ziel im Falle eines streitigen Verfahrens schneller zu erreichen, da das Vorverfahren entbehrlich wird. Hinsichtlich der Klägerin zu 2) erfolgte die Aufhebung nur deklaratorisch, da weder im Bescheid vom 05. Mai 2010 noch im Widerspruchsbescheid vom 21. September 2010 eine Regelung gegenüber der Klägerin zu 2) enthalten ist. Trotzdem nahm der Beklagte die Klägerin zu 2) in den Kopf des Widerspruchsbescheides auf. Die Gründe hierfür bleiben im Dunkeln. Es war hier eine deklaratorische Aufhebung gegenüber der Klägerin zu 2) geboten, um zumindest einen denkbaren Anschein einer Regelung ihr gegenüber zu beseitigen. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG und folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.

Rechtsmittelbelehrung:

Dieses Urteil kann mit der Berufung angefochten werden.

Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Försterweg 2-6

14482 Potsdam,

schriftlich, in elektronischer Form oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Monatsfrist bei dem

Sozialgericht Potsdam Rubensstraße 8

14467 Potsdam,

schriftlich, in elektronischer Form oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.

Die Berufungsschrift muss innerhalb der Monatsfrist bei einem der vorgenannten Gerichte eingehen. Sie soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung der Berufung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.

Auf Antrag kann vom Sozialgericht durch Beschluss die Revision zum Bundessozialgericht zugelassen werden, wenn der Gegner schriftlich zustimmt. Der Antrag auf Zulassung der Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem Sozialgericht Potsdam schriftlich oder in elektronischer Form zu stellen. Die Zustimmung des Gegners ist dem Antrag beizufügen.

Lehnt das Sozialgericht den Antrag auf Zulassung der Revision durch Beschluss ab, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Berufungsfrist von neuem, sofern der Antrag auf Zulassung der Revision in der gesetzlichen Form und Frist gestellt und die Zustimmungserklärung des Gegners beigefügt war.

Die elektronische Form wird durch eine qualifizierte signierte Datei gewahrt, die nach den Maßgaben der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr im Land Brandenburg vom 14. Dezember 2006 (GVBl. II S. 558) idF vom 1. Oktober 2007 (GVBl. II S. 425) in die elektronische Poststelle des jeweiligen Gerichts zu übermitteln ist. Nähere Hinweise zu den Kommunikationswegen für den elektronischen Rechtsverkehr können unter der Internetadresse www.erv.brandenburg.de abgerufen werden.

Der Vorsitzende der 41. Kammer
Rechtskraft
Aus
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