L 2 R 203/09 KN

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
L 2 R 203/09 KN
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 2 R 203/09 KN
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung wird zurückgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Im Streit ist ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung.

Die am XXXXX geborene Klägerin stammt aus A. und lebt seit 1986 in D ... Sie besuchte keine Schule, absolvierte keine Berufsausbildung und war nie erwerbstätig. Sie spricht nur ihre Muttersprache P. (auch: P.) und ist Analphabetin. Im Zeitraum von 1988 bis 1997 gebar sie fünf Kinder.

Am 15.6.2007 beantragte die Klägerin bei der Beklagten eine Rente wegen Erwerbsminderung. Wegen Bluthochdrucks, Lähmungen in Armen und Beinen, Kopfschmerzen und Adipositas könne sie keine Arbeiten mehr verrichten.

Nachdem die Beklagte festgestellt hatte, dass die Klägerin aufgrund der Kindererziehungszeiten die sogenannten versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die beantragte Rente erfülle, veranlasste sie nach Einholung ärztlicher Unterlagen zwei Begutachtungen der Klägerin nach Untersuchungen zunächst durch Dr. Z. vom seeärztlichen Dienst am 11.9.2007 und dann durch den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, für Psychiatrie und Psychotherapie sowie für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Dr. R. am 27.11.2007. Dr. Z. konnte die vom bei der Begutachtung anwesenden und übersetzenden Ehemann der Klägerin genannten Beschwerden nicht verifizieren, fand keinerlei Einschränkung der körperlichen Beweglichkeit, empfahl jedoch eine nervenärztliche Zusatzbegutachtung unter Mitwirkung eines nicht der Familie der Klägerin angehörenden Dolmetschers, weil diese gedrückt gewirkt habe. Dr. R. erstellte die Anamnese in Gegenwart einer P.-Übersetzerin, befragte auch den Ehemann der Klägerin und fand keinen Hinweis auf eine Einschränkung der intellektuellen Funktion oder eine psychische Erkrankung. Er kam zu der Einschätzung, dass die Hauptproblematik in der versuchten traditionellen Lebensweise der Familie liegen dürfte. Das Leistungsvermögen sei bei einer gewissen Einschränkung der Beweglichkeit aufgrund der festgestellten Adipositas qualitativ beschränkt auf leichte Arbeiten einfacher Art für täglich sechs Stunden und mehr ohne besonderen Stress, ohne Schicht-, Akkord- und Nachtarbeit, ohne besondere Verantwortung. Die anamnestisch beschriebene Hypertonie sei medikamentös gut eingestellt.

Auf dieser Grundlage lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 27.12.2007 ab. Nach den ärztlichen Feststellungen könne sie noch mindestens sechs Stunden je Arbeitstag unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein, so dass weder eine volle noch eine teilweise Erwerbsminderung vorlägen. Ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit komme schon wegen des Geburtstags der Klägerin nach dem 1.1.1965 nicht in Betracht.

Mit dem dagegen erhobenen Widerspruch gab die Klägerin an, dass ihre geistige Leistungsfähigkeit so eingeschränkt sei, dass sie nicht in der Lage sei, drei Stunden täglich zu arbeiten, und dass diese Einschränkung bereits seit ihrer Geburt vorliege. Sie sei nicht in der Lage, neu erworbenes Wissen für 30 Minuten zu behalten. Des Weiteren bemängelte die Klägerin an dem Gutachten des Dr. R., dass dieser die Äußerung der hinzugezogenen Dolmetscherin, sie – die Klägerin – verfüge in ihrer Muttersprache über einen guten Wortschatz und verwende ihre Muttersprache gewandt, in sein Gutachten habe einfließen lassen.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 15.4.2008 zurück.

Daraufhin hat die Klägerin am 7.5.2008 Klage erhoben und sich zur Begründung zunächst auf die Ausführungen im Widerspruch sowie auf ein vom Ärztlichen Dienst der Bundesagentur für Arbeit am 17.4.2008 nach Aktenlage erstelltes Gutachten bezogen, wonach eine geistige Behinderung nebst Demenz mit einem unter dreistündigen Leistungsvermögen für voraussichtlich mehr als sechs Monate, aber nicht auf Dauer bestehe. Nachdem das Sozialgericht ihren Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe mit Beschluss vom 2.10.2008 wegen fehlender hinreichender Erfolgsaussichten abgelehnt und das Landessozialgericht Hamburg die dagegen erhobene Beschwerde (L 1 B 1062/08 PKH R KN) mit Beschluss vom 24.02.2009 zurückgewiesen hatte, hat die Klägerin ergänzend vorgetragen, dass ihre geistige Behinderung doch nicht angeboren sei, sondern durch Erleben von näher geschilderten Kriegsereignissen in A. in den frühen achtziger Jahren verursacht worden sei.

Das Sozialgericht hat die Klage nach Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 29.10.2009 abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, dass die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung nach § 43 des Sozialgesetzbuchs Sechstes Buch (SGB VI) nicht erfüllt seien. Die Klägerin sei weder voll noch teilweise erwerbsgemindert. Zwar leide sie an einer Adipositas per magna und einer arteriellen Hypertonie und zudem bestünden der Verdacht auf eine somatoforme Störung bei transkultureller und häuslicher Konfliktsituation sowie nach eigenen Angaben ein Analphabetismus, wodurch das Leistungsvermögen der Klägerin eingeschränkt sei. Dies führe gleichwohl nicht zu einem Rentenanspruch. Denn die Klägerin könne noch leichte Arbeiten einfacher Art ohne besonderen Stress, ohne Schicht-, Akkord- und Nachtarbeit, ohne besondere Verantwortung sechs Stunden und mehr regelmäßig täglich verrichten. Unter Berücksichtigung dieser Einschränkungen seien leidensgerechte Tätigkeiten aber sechs Stunden und mehr täglich für die Klägerin möglich. Bei dieser Bewertung folge die Kammer den Ausführungen des medizinischen Sachverständigen Dr. R ... Er habe seine Ergebnisse aus den festgestellten Befunden bei der selbst durchgeführten Untersuchung und aus den vorhandenen schriftlichen Unterlagen schlüssig und nachvollziehbar abgeleitet. Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit der Erkenntnisse der Gutachter habe die Kammer nicht gefunden. Soweit die Klägerin Bedenken gegen die Verwertbarkeit des Gutachtens von Dr. R. vortrage, griffen diese nicht durch. Funktion der hinzugezogenen Dolmetscherin bei der Untersuchung sei die Sprachmittlung zwischen Gutachter und der der d. Sprache nicht mächtigen Klägerin gewesen. Dass der Sachverständige zur Abrundung seiner Untersuchungsergebnisse die Dolmetscherin befragt habe, über welchen Wortschatz die Klägerin in ihrer Muttersprache verfüge, sei nicht zu beanstanden. Mangels eigener Sprachkenntnisse könne sich der Sachverständige hierüber keine eigenen Erkenntnisse verschaffen. Dass der Sachverständige die Zuhilfenahme der Dolmetscherin kenntlich mache, entspreche den Regeln der Kunst. Das Gutachten stehe zudem im Einklang mit den übrigen medizinischen Unterlagen über die Klägerin. Weder den von der Beklagten noch den vom Gericht beigezogenen Befundberichten der behandelnden Ärzte Dr. B. und Frau Dr. von G. sei eine das Leistungsvermögen aufhebende geistige Behinderung zu entnehmen. Eventuelle Auffälligkeiten als Ausfluss einer geistigen Behinderung würden weder im Rahmen ambulanter noch stationärer Behandlungen im Krankenhaus M. und dem U. berichtet. Auch in der Untersuchungs- und Begutachtungssituation am 11.9.2007 habe Dr. Z. keine geistige Behinderung der Klägerin feststellen können und sei eine solche von der Klägerin bzw. deren Ehemann nicht vorgetragen worden. Beklagt worden seien vielmehr vielfältige Beschwerden mit Lähmungserscheinungen der Extremitäten. Allein körperliche Beeinträchtigungen habe die Klägerin auch selbst in ihrem Rentenantrag vom 15.7.2007 auf die Frage, seit wann und wegen welcher Gesundheitsstörungen sie sich für erwerbsgemindert halte, angegeben, nämlich Bluthochdruck, Lähmungen der Arme und Beine, Kopfschmerzen und Adipositas. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus den Unterlagen des Ärztlichen Dienstes der Agentur für Arbeit. Die durch Herrn Friedland erstellte Stellungnahme sei nicht brauchbar. Es handele sich lediglich um ein "Gutachten" nach Aktenlage ohne Durchführung einer eigenen Untersuchung, das in sich widersprüchlich sei, wenn die Leistungsfähigkeit bei angeblich bestehender geistiger Behinderung und Demenz zwar länger als 6 Monate, aber nicht auf Dauer bestehen solle. Aber selbst, wenn man unterstelle, dass die Klägerin an einer geistigen Behinderung leide, würde dies, wie das Landessozialgericht in seinem Beschluss vom 24.2.2009 ausführe, keinen Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung begründen. Denn nach Auffassung der Kammer, die sich den schlüssigen Erwägungen des Landessozialgerichts anschließe, sei nicht ersichtlich, dass die Klägerin, die nach eigenen Angaben schwere Hausarbeit verrichte, nicht auch eine leichte Tätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarktes, wie sie in den verschiedensten Wirtschaftszweigen vorkomme, wie Pack-, Montier-, Sortier-, Etikettier-, Kommissionier- und Prüftätigkeiten, vollschichtig ausüben könnte. Auch ein Analphabetismus stehe dem nicht entgegen. Denn es handele sich bei den genannten Arbeiten, um einfache, sich wiederholende Arbeitsvorgänge aufgrund in der Regel gleichartiger Tätigkeiten. Arbeitnehmer, die der deutschen Sprache und Schrift nicht mächtig seien, seien für solche angelernten gewerblichen Tätigkeiten nicht von vornherein nicht vermittelbar bzw. arbeitsmarktlich beschäftigungsunfähig. Die Klägerin habe auch mit ihrem ergänzenden Vortrag nach Erhalt des Prozesskostenhilfebeschlusses des Landessozialgerichts vom 24.2.2009, Ursache ihrer geistigen Leistungsunfähigkeit seien traumatische Kriegserlebnisse, das Kriterium einer die Rente auslösenden Erwerbsminderung nicht erfüllt. Zum einen handele es sich hierbei um gesteigertes Vorbringen, nachdem die Klägerin mit der ursprünglichen Begründung, ihre geistige Leistungsschwäche sei angeboren, bereits aus rechtlichen Gründen keinen Erfolg habe haben können. Denn ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung entfiele schon dann, wenn eine zur Erwerbsunfähigkeit führende angeborene geistige Behinderung bestehe, da die Erwerbsminderung dann vor Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen eingetreten wäre, wie das Landessozialgericht zutreffend ausgeführt habe. Doch selbst unterstellt, die Klägerin habe den Angaben ihrer Brüder gemäß die Kriegsereignisse hautnah mitbekommen, führe dies nicht zu einem anderen Ergebnis. Denn zum anderen sei maßgeblich für das Bestehen eines Rentenanspruchs allein das vorhandene Restleistungsvermögen, das sich aus dem erhobenen medizinischen Befund ergebe. Die Ursache einer die Leistungsfähigkeit mindernden Krankheit oder Behinderung sei rentenmedizinisch nicht relevant. Maßgeblich seien allein die bestehenden Funktionseinschränkungen. Diese seien bei der Klägerin jedoch nach den medizinischen Feststellungen nicht derart ausgeprägt, dass selbst leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes wie oben beschrieben ausschieden. Dem Ergebnis könne schließlich nicht entgegengehalten werden, dass die Klägerin mit ihren Einschränkungen keinen Arbeitsplatz finden werde. Denn sie könne mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein. Ob Arbeitsplätze konkret für einen Versicherten vermittelbar seien, sei bei Bestehen eines Leistungsvermögens von mindestens sechs Stunden täglich unerheblich. Der Gesetzgeber habe in § 43 Absatz 3 SGB VI ausdrücklich bestimmt, dass bei einem Leistungsvermögen von täglich mindestens sechs Stunden die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen sei. Das Risiko, keinen Arbeitsplatz zu finden, obliege grundsätzlich nicht der Rentenversicherung, sondern der Arbeitslosenversicherung. Es sei generell davon auszugehen, dass es auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für Vollzeittätigkeiten Arbeitsplätze in ausreichendem Umfang gebe und der Arbeitsmarkt für die Versicherten offen sei. Es müsse für die Klägerin auch keine geeignete Verweisungstätigkeit konkret benannt werden, die sie mit ihrem Leistungsvermögen noch verrichten könne. Denn bei der Klägerin lägen weder eine sogenannte Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschrän¬kungen noch eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vor (Hinweis auf den Beschluss des Großen Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 19. Dezember 1996 – GS 2/95, BSGE 80, 24 ff.).

Gegen diesen, ihrem Prozessbevollmächtigten am 10.11.2009 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 7.12.2009 eingelegte Berufung der Klägerin.

Sie behauptet, dass sie seit 2007 noch nicht einmal ihren eigenen Haushalt erledigen könne. Das habe das Sozialgericht übersehen. Ihren erst späten Vortrag zu den erlebten Gräueltaten könne man ihr nicht zum Vorwurf machen, weil dies Ausdruck ihrer geistigen Minderleistung sei.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 29. Oktober 2009 sowie den Bescheid der Beklagten vom 27. Dezember 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. April 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung, auf Dauer ab dem 1. Juni 2007 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie nimmt Bezug auf die aus ihrer Sicht überzeugenden Ausführungen des Sozialgerichts.

Der erkennende Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens des Arztes für Neurologie und Psychiatrie sowie Diplom-Psychologen Prof. Dr. M2 vom 7.5.2012, erstellt nach Untersuchung der Klägerin am 3.5.2012 unter Beteiligung eines Dolmetschers für die h. Sprache, das der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung vom 30.5.2012 erläutert hat, in der auch der berufskundige Sachverständige M1 gehört worden ist. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten vom 7.5.2012 sowie die Sitzungsniederschrift vom 30.5.2012 Bezug genommen.

Die Beteiligten haben durch Erklärungen vom 23.3.2011 (Klägerin) und 13.4.2011 (Beklagte) ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Berichterstatters anstelle des Senats erteilt (§§ 155 Abs. 3 und 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)).

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird Bezug genommen auf die Sitzungsniederschrift vom 30.5.2012, die Gründe der Beschlüsse über die Ablehnung von Prozesskostenhilfe bzw. Beschwerdezurückweisung vom 2.10.2008 (S 6 R 575/08 KN), 24.2.2009 (L 1 B 1062/08 PKH R KN) und 24.06.2010 (L 1 R 203/09 KN), die vorbereitenden Schriftsätze der Beteiligten sowie den weiteren Inhalt der Prozessakte und der ausweislich der Sitzungsniederschrift beigezogenen, zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Akten und Unterlagen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte (§ 105 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit §§ 143, 144 SGG) und auch im Übrigen zulässige, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegte Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen. Weder hat die Klägerin im Berufungsverfahren etwas vorgetragen, was Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung begründen könnte noch hat die weitere Beweisaufnahme Ergebnisse in diesem Sinne erbracht. Der Senat nimmt zunächst auf die Gründe des angefochtenen Gerichtsbescheids Bezug und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG). Das vom Sozialgericht der rechtlichen Beurteilung zu Grunde gelegte quantitativ gar nicht und qualitativ nur geringfügig eingeschränkte Leistungsvermögen der Klägerin von sechs Stunden täglich ist durch die Beweisaufnahme im Berufungsverfahren bestätigt worden. Prof. Dr. M2 hat in seinem ausführlichen, sehr sorgfältig erstellten, in der mündlichen Verhandlung erläuterten schlüssigen Gutachten vom 7.5.2012 keinerlei neurotische oder psychische Gesundheitsstörungen feststellen können. Er fand – außer den diesbezüglichen schriftlichen Behauptungen des Ehemannes der Klägerin - weder Hinweise auf das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung noch von depressiven oder ängstlichen Symptomen. Darüber hinaus kann die behauptete geistige Behinderung ausgeschlossen werden, weil die durchgeführte neuropsychologische Untersuchung mit Intelligenzdiagnostik ergeben hat, dass die Klägerin über eine Intelligenz im unteren Normbereich verfügt und ihre intellektuelle Leistungsfähigkeit für Frauen ihres Alters und ohne Schulbildung durchschnittlich ist. Durch vorgetragene gelegentliche Spannungskopfschmerzen wird die Leistungsfähigkeit nicht, durch die vorhandene Adipositas, eine arterielle Hypertonie, ein möglicherweise bestehendes Asthma bronchiale sowie leichtes Rückenleiden nur unerheblich beeinträchtigt. Das Begutachtungsergebnis, das problemlos in die übrigen aktenkundigen medizinischen Befunde und Einschätzungen einfügt, kann auch mit der von der Klägerseite aufgestellten Behauptung, eine Verständigung mit dem bei der Begutachtung durch Prof. Dr. M2 hinzugezogenen Dolmetscher sei nicht möglich gewesen, in Zweifel gezogen werden. Denn diese ist nicht nur nicht belegt, was sich nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast zu Ungunsten der Klägerin auswirken würde, sondern durch die Äußerungen des Sachverständigen und der Klägerin in der mündlichen Verhandlung am 30.5.21012 widerlegt. Prof. Dr. M2 hat bekräftigt, dass er zu keinem Zeitpunkt der Begutachtung das Gefühl gehabt habe, es gebe Verständigungsprobleme. Vielmehr habe er anlässlich des Disputs zwischen dem Ehemann der Klägerin und dem Dolmetscher ausdrücklich mit belanglosen Fragen getestet, ob Probleme bestünden. Auch während der medizinischen Befragung habe die Klägerin passende Antworten auch auf gezielte Nachfragen, zum Beispiel zu den vorgetragenen Schmerzen am ganzen Körper, gegeben. Die Klägerin hat letztlich die Erinnerung zumindest an einige Fragen eingeräumt und damit die Behauptung ihres Ehemannes, der Dolmetscher habe schon nicht die richtige Sprache gesprochen, widerlegt. Angesichts des qualitativ nur gering eingeschränkten Leistungsvermögens liegt auch unter Berücksichtigung des muttersprachlichen Analphabetismus keine, ausnahmsweise die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit erfordernde "Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen" vor. Der Analphabetismus dessen Vorliegen sicher festgestellt sein muss kann überhaupt erst dann eine Rolle spielen, wenn das weite Feld der Tätigkeiten, welche die Fähigkeit des Lesens und Schreibens nicht unbedingt erfordern (z.B. Küchenhilfe, Putz- und Reinigungsarbeiten) auf Grund weiterer hinzutretender Behinderungen nicht mehr offen steht. Denn bei (geschätzt) ca. vier Millionen Analphabeten in der Bundesrepublik Deutschland, die zum Großteil in rentenversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen stehen, kann nicht von einem von vornherein verschlossenen Arbeitsmarkt allein wegen des Analphabetismus ausgegangen werden (BSG, Urteil vom 10.12.2003 - B 5 RJ 64/02 R, Breith 2005, 309; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21.02.2011 – L 3 R 19/08 R, Juris). Der Sachverständige M1 hat in der mündlichen Verhandlung weitere geeignete Tätigkeitsfelder in Gestalt von Pack-, Sortier-, Montier- und Etikettierarbeiten aufgezeigt, die auch schon das Sozialgericht und das Landessozialgericht genannt haben. Im Übrigen vermögen die fehlenden Deutschkenntnisse der Klägerin und der Analphabetismus bereits deshalb keinen Rentenanspruch zu begründen, weil nach § 43 Abs. 1 Satz 2 bzw. Abs. 2 Satz 2 die Erwerbsminderung auf Krankheit oder Behinderung beruhen muss, was bei der Klägerin nicht der Fall ist. Krankheiten und Behinderungen schränken ihr Leistungsvermögen nur ganz unerheblich ein. Die Erwerbsfähigkeit ist faktisch fast ausschließlich durch die fehlenden Deutschkenntnisse und den Analphabetismus eingeschränkt, die im Übrigen auch noch seit ihrer Geburt und damit vor Erfüllung der sogenannten versicherungsrechtlichen Voraussetzungen vorlagen, so dass ein Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung aus mehreren Gründen nicht in Betracht kommt. Ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach § 240 Abs. 1 SGB VI besteht – abgesehen von dem angesichts nicht stattgefundener Erwerbstätigkeit der Klägerin fehlenden Berufsschutz – bereits deshalb nicht, weil die Klägerin nach dem 1.1.1961 geboren wurde (§ 240 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI). Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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