S 4 SF 1/12 E

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Fulda (HES)
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
4
1. Instanz
SG Fulda (HES)
Aktenzeichen
S 4 SF 1/12 E
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 2 R 354/12 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Ein Sachverständiger kann für die Anfertigung eines Ausdrucks seines Gutachtens für die Handakte grundsätzlich auch dann keinen Aufwendungsersatz beanspruchen, wenn er später auf gerichtliche Anforderung hin eine schriftliche ergänzende Stellungnahme abgeben soll (Abgrenzung zu LSG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 4. März 2006 - L 1 B 86/06 SF SK).
Die Vergütung des Antragstellers für die in dem Rechtsstreit vor dem SG Fulda S 6 VG 22/06 erstellte ergänzende Stellungnahme vom 7. Oktober 2011 wird auf 147,20 EUR festgesetzt.

Die Beschwerde wird zugelassen.

Diese Entscheidung ergeht gebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

I.

Der Antragsteller (Ast.) begehrt Auslagenerstattung für die Erstellung eines Ausdrucks seines im Rechtsstreit S 6 VG 22/06 erstellten Gutachtens für seine Handakte wegen der gerichtlichen Anforderung einer ergänzenden Stellungnahme.

Aufgrund richterlicher Beweisanordnung im vorbezeichneten Rechtsstreit erstattete der Ast. mit Datum vom 16. Februar 2010 ein neurologisch-psychiatrisches Sachverständigengutachten im Umfang von 35 Druckseiten (einschließlich zwei Seiten Literaturverzeichnis).

Mit Schreiben vom 8. August 2011 erbat die Kammervorsitzende eine ergänzende Stellungnahme mit folgendem Wortlaut:

"Ich bitte um Stellungnahme, ob die Impotenz des Klägers auf das schädigende Ereignis vom 18.06.1988 zurückzuführen ist. Ausweislich der versorgungsärztlichen Gutachten liegt wohl keine organische Ursache, sondern eine psychische vor. Wird das Erfordernis einer urologischen Zusatzbegutachtung gesehen?

Sollten Sie die Akten noch einmal benötigen, bitte ich um eine entsprechende (telefonische) Mitteilung."

Daraufhin ging die erbetene ergänzende Stellungnahme des Ast. vom 7. Oktober 2011 am 26. Oktober 2011 bei dem Sozialgericht Fulda ein. Am selben Tag reichte der Ast. seine Liquidation zur Akte, in der er folgende Vergütung geltend machte:

Zeitbedarf (M2) 2 Stunden 120,00 EUR Schreibgebühren 2,25 EUR Kopie des Vorgutachtens für die Handakte (35 Seiten) 17,50 EUR Porto f. Rücksendung 1,45 EUR Zwischensumme 141,20 EUR 19 % Umsatzsteuer 26,83 EUR 168,03 EUR

Der Kostenbeamte gewährte jedoch lediglich eine Vergütung von 147,20 EUR einschließlich Umsatzsteuer, da er einen Anspruch auf die geltend gemachte Vergütung für die Erstellung eines Ausdrucks des Vorgutachtens für die Handakte verneinte.

Hiergegen wendet sich der Ast. mit seinem Antrag auf richterliche Festsetzung vom 11. Januar 2012 und verfolgt sein Begehren auf Erstattung der Vergütung für die Erstellung eines Ausdrucks des Vorgutachtens weiter. Zur Begründung führt er aus, dass mit der Anforderung der ergänzenden Stellungnahme durch das Gericht nicht die gesamte Gerichtsakte, in der sich sein Gutachten vom 16. Februar 2010 befunden habe, übersandt worden sei. Da die Rechtsprechung seit Einführung des JVEG keine Vergütung mehr für die Kopie eines Gutachtens für die Handakte des Sachverständigen vorsehe, werde ein solches auch nach Abschluss der Begutachtung nicht mehr vorgehalten. Da aber zur Fertigung der ergänzenden Stellungnahme das Gutachten nochmals habe eingesehen werden müssen, sei keine andere Möglichkeit geblieben, als das Gutachten erneut auszudrucken. Die dadurch entstandenen Kosten seien sodann ordnungsgemäß mit 17,50 EUR netto zur Abrechnung gebracht worden. Ohne Kenntnisnahme des eigenen Gutachtens habe eine ergänzende Stellungnahme nicht gefertigt werden können. Die geltend gemachten Kopiekosten wären auch bei dem Gericht angefallen, wenn dort eine Kopie des ursprünglichen Gutachtens gefertigt und übersandt worden wäre. Die Hin- und Rücksendung der gesamten Akte hätte vermutlich noch höhere Kosten bewirkt, als abgerechnet worden seien. Soweit der Einwand erhoben werden sollte, dass der Ast. den Inhalt seines Gutachtens auch am PC-Bildschirm ohne Papierausdruck hätte zur Kenntnis nehmen können, werde auf den Beschluss des OLG Stuttgart vom 12. September 2005 (1 WS 211/05) verwiesen, wonach ein Sachverständiger grundsätzlich nicht verpflichtet sei, einen Computer zu diesem Zweck zu benutzen oder mit dessen Hilfe einen Ausdruck des Gutachtens auf eigene Kosten zu erstellen. Auch das LSG Schleswig-Holstein habe im Beschluss vom 4. März 2006 (L 1 B 86/06 SF SK) entschieden, dass immer dann, wenn ein Sachverständiger zusätzlich zum Gutachten mündlich oder schriftlich Stellung beziehen müsse, der mit der Fertigung einer Kopie für die Handakte verbundene Aufwand ausgeglichen werden müsse.

II.

Die Vergütung des Ast. war entsprechend der Berechnung des Kostenbeamten festzusetzen, da dem Ast. für die Anfertigung eines Ausdrucks seines ursprünglichen Gutachtens für die Handakte kein Anspruch auf Auslagenerstattung zusteht.

1. Zunächst ist, wie der Ast. selbst ausgeführt hat, darauf hinzuweisen, dass seit Inkrafttreten des JVEG grundsätzlich keine Vergütung mehr für die Anfertigung eine Handaktenexemplars eines schriftlichen Gutachtens gewährt wird (vgl. hierzu im Einzelnen ausführlich LSG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 4. März 2006 - L 1 B 86/06 SF SK - juris Rn. 10 ff.; i.E. ebenso HessLSG, Beschl. 11. April 2005 - L 2/9 SF 82/04 - juris Rn. 19, mit zust. Anm. Keller, jurisPR-SozR 26/2005 Anm. 6; ThürLSG, Beschl. v. 30. November 2005 - L 6 SF 738/05 - juris Rn. 5).

2. Zutreffend hat das LSG Schleswig-Holstein (ebd., Rn. 13 ff.) vier Prüfungsschritte aufgezeigt, die hinsichtlich eines Anspruchs auf Ersatz der Kopierkosten (bzw. Druckkosten) zu beachten sind. Daraus ergibt sich für den vorliegenden Fall Folgendes:

a) Es kann offen bleiben, ob die Anfertigung einer Kopie für die Handakten zu dem Aufwand gehört, der üblicherweise mit der Erstattung eines Gutachtens verbunden ist und infolgedessen durch die Vergütung nach §§ 9 bis 11 JVEG abgegolten ist; denn wenn dies der Fall wäre, käme eine separate Vergütung nicht in Betracht.

b) Die Kopierkosten des Gutachtens gehören auch nicht zu den in § 12 Abs. 1 S. 2 JVEG aufgeführten. Allerdings kommt hier, anders als im Fall des LSG Schleswig-Holstein, durchaus eine Anspruch aus § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 JVEG in Betracht, wenn man davon ausginge, dass die Anfertigung nicht zu den üblicherweise mit dem Honorar abgegoltenen Kosten gehörte, aber für die Vorbereitung der ergänzenden Stellungnahme notwendig gewesen wäre. Dies ist jedoch nicht der Fall. Hierzu kann sich der Ast. auch nicht auf den zitierten Beschluss des LSG Schleswig-Holstein stützen, das die Notwendigkeit (hier im Sinne des § 7 Abs. 1 S. 1 JVEG) einer Kopie des Gutachtens in der Handakte – anders als der Ast. meint – nur deshalb bejaht hat, weil das Gutachten der dortigen Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung erörtert werden sollte. Hierzu kann es tatsächlich im Grundsatz erforderlich sein, dass es ausgedruckt dem Sachverständigen vorliegt. Allerdings wäre auch hier zu prüfen, ob nicht die Übersendung einer Gutachtenkopie durch das Gericht seitens des Sachverständigen zu wählen wäre, da dies gegenüber der Dokumentenpauschale der deutlich preisgünstigere Weg wäre.

Für die Erstellung einer – wie hier verlangten – schriftlichen Ergänzung fehlt es an einer vergleichbaren Situation, so dass keine Notwendigkeit im Sinne der Vorschrift erkennbar ist. Vielmehr ist es einem Sachverständigen grundsätzlich zuzumuten, sich von dem Inhalt seines ursprünglichen Gutachtens durch Lesen am Computerbildschirm Kenntnis zu verschaffen. Die Kammer verkennt dabei nicht, dass die intellektuelle Erfassung von Texten im Wege des Lesens auf einem Bildschirm unter Umständen erschwert oder gar unmöglich sein kann. Zudem kann von einem Gutachter eines Instituts für medizinische Begutachtung, also einem "Berufsgutachter" wie dem Ast., nicht verlangt werden, dass er sich an einzelne Fälle zeitlich zumindest mittelfristig zurückliegender Begutachtungen erinnert und daher nur wenige Stichworte eines Gutachtens zu lesen braucht, um Einzelheiten aus dem Gedächtnis abzurufen. Im Falle des Lesens eines selbst erstellten früheren Gutachtens ist jedoch zu berücksichtigen, dass es dabei keiner vertieften Einarbeitung in komplexe, unbekannte oder fachfremde Text geht, sondern um die "Auffrischung" der Kenntnis eigener Ausführungen. Diese zu erfassen, erfordert daher deutlich weniger "Lesekomfort", als er bei andersartigen Texten erforderlich wäre.

Auch der von dem Ast. zitierte Beschluss des OLG Stuttgart vom 12. September 2005 (1 WS 211/05 - juris) stützt kein anderes Ergebnis. Denn auch hier wird zur Voraussetzung einer Kostenerstattung für die Anfertigung einer Gutachtenkopie für die Handakte (schon bei Fertigstellung des Gutachtens als solchem) ausgeführt, dass mit einer späteren Ladung zu einer Verhandlung zwecks Erläuterung des Gutachtens zu rechnen sei (ebd., Rn. 8, 24); ein solcher Fall lag hier jedoch nicht vor. Außerdem hat es das OLG (lediglich) als unzumutbar abgesehen, "einen Computer zu benutzen und sich mit dessen Hilfe einen Ausdruck seines Gutachtens auf eigene Kosten zu erstellen"; die Verwendung des Computers als bloßes "Lesemedium" hat es hingegen gar nicht thematisiert.

Das Vorliegen sonstiger Tatbestandsmerkmale des § 12 JVEG ist nicht ersichtlich.

c) Das Gericht hat auch nicht die Herstellung einer Ablichtung zur Handakte gefordert (§ 7 Abs. 2 S. 2 JVEG), sondern vielmehr ausdrücklich um Hinweis gebeten, wenn die Verfahrensakte (insgesamt) noch einmal benötigt werde; damit hat es den Weg vorgegeben, wie der Sachverständige vorzugehen hat, wenn er Teile des Akteninhalts zur Kenntnis nehmen will.

d) Letztlich sind die Kosten für die Fertigung einer Handaktenkopie auch nicht im Sinne des § 7 Abs. 1 S. 1 JVEG notwendig gewesen. Zur Begründung kann auf die vorstehenden Ausführungen zu b) verwiesen werden. Zudem ist für den vorliegenden Einzelfall auszuführen, dass auch die konkrete Ausarbeitung der ergänzenden Stellungnahme unter Berücksichtigung ihres Inhalts keine vertiefte Kenntnis des Inhalts des ursprünglichen Gutachtens erforderte. Vielmehr stellt der Ast. hier allein auf die Beschwerdeschilderung durch den Probanden hinsichtlich der zu klärenden Erkrankung und deren Ursache ab. Daher ergeben sich auch für den Einzelfall keine Anhaltspunkte dafür, dass ausnahmsweise die konkrete Situation eine Anfertigung eines Gutachtenausdrucks erfordert hätte.

Soweit Hartmann (Kostengesetze, 42. Aufl. 2012, § 7 JVEG Rn. 16) meint, schon "eine natürlich stets nötige vollständige Aktenführung" rechtfertige die Anfertigung einer Gutachtenkopie für die Handakte, verkennt dies, dass diese generelle Notwendigkeit wie zuvor dargelegt – durch den Gesetzgeber des JVEG gerade verneint worden ist.

3. Somit fehlt es an einem Anspruch des Ast. auf Ersatz der Druckkosten für das ursprüngliche Gutachten. Die Vergütung war daher im Umfang, wie durch den Urkundsbeamten erfolgt, vorzunehmen, nachdem sonstige Vergütungspositionen nicht streitig sind.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 4 Abs. 8 JVEG.

5. Die Beschwerde war wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen, weil – soweit ersichtlich – die Notwendigkeit der Anfertigung eines Papierausdrucks eines früheren Gutachtens im Falle einer Anforderung einer schriftlichen ergänzenden Stellungnahme sowie der hierfür zu beanspruchende Aufwendungsersatz bisher obergerichtlich nicht abschließend geklärt ist.
Rechtskraft
Aus
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