L 2 R 4106/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 16 R 5551/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 R 4106/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 4. August 2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Höhe der Hinterbliebenenrente der Klägerin.

Die Klägerin ist am 1944 geboren und war seit dem 8.2.1963 mit dem am 5.2.1939 geborenen W. P. verheiratet. Sie bezieht seit dem Tod ihres Ehemanns am 2.6.1994 eine große Witwenrente. Die Höhe der mit Bescheid der Beklagten vom 25.10.1994 gewährten Witwenrente bestimmt sich unter anderem nach den vom Ehemann der Klägerin (teilweise nachträglich) entrichteten freiwilligen Beiträgen zur Rentenversicherung (vgl. Anlage 2 des Bescheids v. 25.10.1994).

Der verstorbene Ehemann der Klägerin war während seines gesamten Berufslebens für die Firma J. E. GmbH & Co KG Schmuckwarenfabrik in T. tätig, nach abgeschlossener Lehrzeit zunächst als Facharbeiter, nach Absolvierung der Meisterprüfung 1961 als Meister. Ab September 1967 stellte er Schmuckwaren in eigener Betriebsstätte als Hausgewerbetreibender her. Zum 31.8.1967 meldete ihn die Arbeitgeberin bei der zuständigen Krankenkasse als Arbeitnehmer ab. Parallel hierzu ließ sich der frühere Ehemann im Oktober 1967 in die Handwerksrolle unter der Angabe "Goldschmiedebetrieb" eintragen. Ab 1.9.1967 wurden von der Arbeitgeberin keine Beiträge mehr zur Sozialversicherung abgeführt. Am 19.12.1967 ermächtigte der Ehemann der Klägerin die Landesversicherungsanstalt Baden (LVA Baden), die fälligen Pflichtbeiträge zur Handwerkerversicherung einzuziehen (Bl. 345 Verw.-Akte). Mit bestandskräftigem Bescheid vom 31.1.1968 stellte die LVA Baden Versicherungspflicht in der Handwerkerversicherung fest, da der Kläger noch nicht 216 Kalendermonate Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt habe. Nachdem der Kläger die Pflichtbeitragszeit von 216 Kalendermonaten erreicht hatte, stellt die Beklagte mit bestandskräftigem Bescheid vom 28.3.1972 fest, dass die nach dem Handwerkerversicherungsgesetz bestehende Versicherungspflicht geendet habe.

Im August 1994 wandte sich die Klägerin an die Beklagte und bat um Auskunft, ob die frühere Auftraggeberin/Arbeitgeberin ihres Ehemannes hätte Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung abführen müssen, da ihr Ehemann seit 1973 Hausgewerbetreibender gewesen sei. Die zuständige Krankenkasse habe ihr dazu keine Auskünfte erteilen können und sie an die Beklagte verwiesen. Die Gmünder Ersatzkasse (GEK) teilte der Beklagten 1998 mit, die Ermittlungen hätten ergeben, dass der Ehemann der Klägerin nicht wie bislang angenommen, als Selbständiger, sondern tatsächlich als versicherungspflichtiger Hausgewerbetreibender tätig gewesen sei, mit der Folge, dass die frühere Arbeitgeberin hätte Beiträge abführen müssen. Die Beklagte teilte der GEK hierauf (Schreiben vom 22.12.1998) mit, der Sachverhalt sei bereits in den 80er Jahren Gegenstand einer Korrespondenz mit dem verstorbenen Ehemann der Klägerin gewesen. Dieser habe damals in Erwägung gezogen, seine selbständige Tätigkeit entsprechend einer versicherungspflichtigen Beschäftigung auszugestalten, habe aber schließlich hiervon Abstand genommen, weil er Beiträge über seinem tatsächlichen Arbeitsverdienst habe entrichten wollen. Ihm sei bekannt gewesen, dass von seiner Auftraggeberin/Arbeitgeberin keine Beiträge abgeführt worden seien. Nachdem die AOK Pforzheim – Bezirksdirektion - der Beklagten mit Schreiben vom 7.3.2000 mitteilte, in früheren Betriebsprüfungen habe es keine Beanstandungen gegeben, ging die Beklagte davon aus, dass jedenfalls kein vorsätzliches Vorenthalten von Beiträgen vorliege.

Die Klägerin und die Firma Josef E. T. klärten hierauf vor dem Arbeitsgericht Pforzheim bestehende Ansprüche. In einem gerichtlichen Vergleich vom 11.10.2005 (Az. 1 Ca 632/04) verpflichtete sich die Firma Josef E. zur Zahlung von 11.000 EUR an die Klägerin. Mit Schreiben vom 6.2.2006 machte die Klägerin gegenüber der Beklagten eine "fehlerhafte Einstufung unserer Tätigkeit" geltend. Sie legte eine Bescheinigung vom 10.8.1967 über den Beginn des Gewerbebetriebs (Bl. 247 Verw.-Akte) sowie ein Schreiben des Steuerberaters Traub vom 27.4.1998 vor, in welchem es u.a. heißt: "Aufgrund der Art des Tätigkeitsprofils meiner Mandantschaft ergab sich eindeutig, daß Herr Wolfram Pierny als Heimgewerbetreibender tätig war. [ ]. Herr Pierny war lediglich für die Firma E. tätig. Ich beanstandete in großer Regelmäßigkeit die einseitige Ausrichtung auf einen einzigen Auftraggeber. Herr Pierny zeigte sich dieser Abhängigkeit stets bewußt."

Die Klägerin machte geltend, ihr Ehemann habe während der gesamten Zeit, in der er freiwillige Beiträge entrichtet habe, eine versicherungspflichtige Tätigkeit als Hausgewerbetreibender für die Firma Josef E. in T. ausgeübt. Diese Tätigkeit als Hausgewerbetreibender sei der früheren Landesversicherungsanstalt Baden (LVA Baden) mit Erhebungsbogen vom 19.12.1967 gemeldet worden. Erstmals am 12.5.2006 machte die Klägerin geltend, die LVA Baden hätte ihren verstorbenen Ehemann unvollständig beraten (Bl. 337 Verw.-Akte).

Mit Schreiben vom 4.8.2006 und 23.8.2006 verwies die Beklagte auf die Eintragung in die Handwerksrolle, an die sie als Rentenversicherungsträger gebunden gewesen sei. Die Versicherungspflicht als Handwerker sei seinerzeit auch vorrangig gegenüber der Versicherungspflicht als Hausgewerbetreibender gewesen. Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Beratung würden nicht vorliegen.

Am 27.12.2006 (Schreiben vom 21.12.2006) beantragte die Klägerin bei der Beklagten, sie so zu stellen, wie wenn bei ihrem Ehemann Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung festgestellt worden wäre. In diesem Fall hätte ihr Ehemann während der gesamten Versicherungszeit bis zu seinem Tod Pflichthöchstbeiträge entrichtet mit der Folge eines nun höheren Rentenanspruchs für sie. Dieser Zustand sei im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs herzustellen. In einer Beratung am 1.9.1967 bei der LVA Baden, bei der sie zwar nicht anwesend gewesen sei – ihr Ehemann habe ihr aber anschließend alles erzählt – sei ihr Ehemann falsch beraten worden. Die am 16.10.1967 erfolgte Eintragung in der Handwerksrolle als selbständiger Goldschmiedebetrieb sei aufgrund der fehlerhaften Beratung am 1.9.1967 erfolgt.

Die Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 11.6.2007 ab (Bl. 445 Verw.-Akte). Unabhängig davon, dass das Gespräch vor 30 (richtig 40) Jahren stattgefunden habe und die Klägerin hierbei nicht einmal anwesend gewesen sei, könne die Behauptung eines Beratungsfehlers weder inhaltlich noch im Gesamtkontext nachvollzogen werden. Die Voraussetzungen für einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch seien deshalb nicht gegeben. Dem Ehemann der Klägerin sei das Für und Wider einer Versicherungspflicht als Hausgewerbetreibender bekannt gewesen, wie sich aus seinem aktenkundigen Verhalten ergebe. Nach Ende seiner vom 1.11.1967 bis 31.8.1971 bestehenden Versicherungspflicht nach dem Handwerkerversicherungsgesetz habe er bis zum 31.12.1973 zunächst überhaupt keine Beiträge entrichtet, sondern erst im Jahr 1976 eine gesetzliche Nachentrichtungsmöglichkeit für diesen Zeitraum genutzt. Nach einer zwischenzeitlichen versicherungspflichtigen Beschäftigung in der Zeit vom 28.8.1975 bis zum 31.12.1976 (auch bei der Firma Josef E., vgl. Bl. 401 d. Verw.-Akte) habe er nicht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, Pflichtversicherungsbeiträge als Hausgewerbetreibender zu entrichten, sondern habe freiwillige Beiträge geleistet. Im Jahr 1989 habe er schließlich bei der Beklagten angefragt, welche versicherungsrechtlichen Konsequenzen eine Ausgestaltung seiner Tätigkeit als Hausgewerbetreibender hätten. Danach habe er sich entschieden, weiter freiwillige Beiträge zu zahlen, da er nur auf diese Weise Beiträge über seinen tatsächlichen Arbeitsverdienst habe entrichten können.

Hiergegen erhob die Klägerin am 18.6.2007 Widerspruch und führte zur Begründung aus, die Beklagte gehe selbst davon aus, es habe eine Versicherungspflicht ihres Ehemanns als Hausgewerbetreibender bestanden. Deshalb sei es ohne Belang, ob der Ehemann der Klägerin die Vor- und Nachteile einer Versicherungspflicht als Hausgewerbetreibender gekannt und gegeneinander abgewogen habe. Die Versicherungspflicht ergebe sich bereits aus dem Erhebungsbogen vom 19.12.1967, in dem die Tätigkeit als Hausgewerbetreibender angegeben gewesen sei. Nach erfolgter Zahlung von 216 Pflichtbeiträgen als Handwerker hätte Versicherungspflicht als Hausgewerbetreibender festgestellt werden müssen. Ihr Ehemann müsse jetzt so gestellt werden, als ob er die ganze Zeit versicherungspflichtig gewesen wäre.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 23.10.2007 als unbegründet zurück (Bl. 527 Verw.-Akte).

Hiergegen hat die Klägerin am 19.11.2007 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben und zur Begründung ergänzend vorgetragen, eine Falschberatung habe auch anlässlich einer Vorsprache ihres Ehemann bei der Beklagten im Jahr 1989 stattgefunden. Der damals von ihrem Ehemann nicht gestellte Antrag auf Versicherungspflicht als selbständiger Erwerbstätiger mit Zahlung von Pflichthöchstbeiträgen könne im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ersetzt werden. Nach 1971 habe das Einkommen ihres Ehemanns ständig über der Beitragsbemessungsgrenze gelegen. Im Rahmen des am 1.9.1967 erfolgten Vorsprachetermins sei eine Beratung dahingehend erfolgt, dass eine Eintragung in der Handwerksrolle erforderlich sei, die dann auch erfolgt sei. Die Klägerin sei bei dem Gespräch selbst zwar nicht persönlich zugegen gewesen. Ihr Ehemann habe ihr den Inhalt des Gesprächs aber danach mitgeteilt. Dies und das spätere Angebot einer Einstufung als freiwillig Versicherter habe dazu geführt, dass ihr Ehemann nicht im gesetzlich vorgeschriebenen Umfang Beiträge zur Rentenversicherung entrichtet habe. Der Zustand bei gesetzeskonformer Pflichtbeitragszahlung sei im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs herzustellen bzw. seien die Bescheide über die Zulassung zur freiwilligen Versicherung analog § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) zu korrigieren.

Die Beklagte hat ausgeführt, der Ehemann der Klägerin habe die LVA Baden im Dezember 1967 ermächtigt, Pflichtbeiträge zur Handwerkerversicherung einzuziehen. Im Erhebungsbogen zur Versicherungspflicht nach dem Handwerkerversicherungsgesetz habe er angegeben, als Hausgewerbetreibender der Rentenversicherungspflicht zu unterliegen und Pflichtbeiträge selbst abzuführen. Die Pflichtversicherung nach dem Handwerkerversicherungsgesetz sei vorrangig gegenüber der Pflichtversicherung als Hausgewerbetreibender gewesen. Dass die LVA Baden den Ehemann der Klägerin am 1.9.1967 falsch beraten habe mit der Folge, dass dieser nach Entrichtung des 216. Pflichtbeitrags in der Handwerkerversicherung nur freiwillige Beiträge entrichtet bzw. sich überhaupt in die Handwerksrolle eintragen ließ, sei nicht nachgewiesen. Insbesondere sei die Klägerin bei dem damaligen Gespräch gar nicht persönlich anwesend gewesen. Es könne auch nicht mehr nachvollzogen werden, ob der Ehemann der Klägerin bei dem damaligen Gespräch überhaupt mitgeteilt habe, dass er seine Tätigkeit als Goldschmiedemeister als Hausgewerbebetrieb ausübe. Im Jahr 1989 habe der Ehemann der Klägerin lediglich die Absicht geäußert, künftig als Hausgewerbetreibender tätig sein zu wollen. Die LVA Baden habe zu dieser Zeit keine Kenntnis von der tatsächlichen Ausgestaltung der Tätigkeit gehabt. Auch insoweit sei ein Beratungsfehler nicht ersichtlich. Für die Feststellung von Versicherungspflicht sei außerdem die Einzugsstelle zuständig, nicht die Beklagte.

Mit Urteil vom 4.8.2009 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Klägerin könne nicht die Herstellung eines Zustands nach Entrichtung von Pflichtversicherungsbeiträgen durch ihren Ehemann im Zeitraum zwischen August 1971 bis zum Eintritt seines Todes Juni 1994 im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruch verlangen. Die Voraussetzungen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs würden nicht vorliegen. Es fehle bereits an der nachvollziehbaren Darlegung eines relevanten Beratungsfehlers der Beklagten, die für die Nichtentrichtung von Pflichtbeiträgen durch den Ehemann der Klägerin im fraglichen Zeitraum ursächlich gewesen wäre. Die Klägerin habe auch sonst keinen Anspruch auf rückwirkende Änderung des Versicherungskontos ihres verstorbenen Ehemanns.

Gegen das ihrem Prozessbevollmächtigten am 13.8.2009 gegen Empfangsbekenntnis zugestellte Urteil des SG hat die Klägerin am 7.9.2009 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt und zur Begründung ihr bisheriges Vorbringen vertieft. Es sei fehlerhaft, wenn das SG zur Begründung darauf abstelle, dass der Ehemann der Klägerin seit dem 16.10.1967 in der Handwerkerversicherung versichert gewesen sei, da er in die Handwerksrolle eingetragen gewesen sei. Es hätte nämlich aufgrund der Versicherungspflicht als Hausgewerbetreibender gar keine Eintragung in die Handwerksrolle erfolgen dürfen. Die vorangegangene Beratung, bei der dem Ehemann gesagt worden sei, er müsse sich in die Handwerksrolle eintragen lassen, sei der entscheidende Fehler gewesen, der auch dazu geführt habe, dass der Ehemann ab dem Jahr 1971 keine Pflichtversicherungsbeiträge mehr für seine Tätigkeit als Hausgewerbetreibender abgeführt habe. Diese Falschberatung habe die Klägerin damals "mitbekommen" und könne dies als "Zeugin" bekunden, auch wenn sie bei dem Beratungsgespräch nicht dabei gewesen sei. Diese Zeugin sei im erstinstanzlichen Verfahren nicht vernommen worden. Auch nach dem Tod des Ehemannes komme hinsichtlich seiner Ansprüche die Anwendung des Herstellungsanspruches rückwirkend in Betracht.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 4. August 2009 und den Bescheid der Beklagten vom 11. Juni 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. Oktober 2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, das Versicherungskonto ihres Ehemannes so zu stellen, dass für die Zeit nach Erreichen des 216. Pflichtbeitrags im August 1971 bis zum Eintritt des Todes im Juni 1994 nach entsprechender Nachentrichtung Pflichthöchstbeiträge als entrichtet gelten, und ihr unter Berücksichtigung dieser Beiträge Witwenrente in gesetzlicher Höhe zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie nimmt auf die Begründungen der angefochtenen Bescheide und das Urteil des SG Bezug.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakte des Beklagten und die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat hat mit Einwilligung der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden (§ 124 Abs. 2 SGG). Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.

I.

Die form- und fristgerecht eingelegte (§ 151 Abs. 1 SGG) und statthafte (§ 143 SGG) Berufung ist zulässig. II.

Die Berufung ist nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf höhere Witwenrente unter Zugrundelegung eines fiktiven Versicherungsverlaufs ihres verstorbenen Ehemannes.

Die Klägerin hat aus eigenem Recht keine entsprechenden Ansprüche gegen die Beklagte. Maßgeblich für die Höhe ihres Anspruch auf große Witwenrente (§ 46 Abs. 2 SGB VI) sind die rentenrechtlichen Zeiten (Beitragszeiten) ihres verstorbenen Ehemannes. Diese ergeben sich aus Anlage 2 des Bescheids vom 25.10.1994. Beitragszeiten sind Zeiten, für die nach Bundesrecht Pflichtbeiträge (Pflichtbeitragszeiten) oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind (§ 55 Abs. 1 SGB VI). Die Feststellungen in Anlage 2 des Bescheids vom 25.10.1994 sind zutreffend und geben die tatsächlich entrichteten Beiträge wieder. Es gibt auch keinen auf die Klägerin übergegangenen Anspruch ihres Ehemanns auf Beitragsnachentrichtung nach § 197 SGB VI oder rückwirkende Änderung des Versicherungskontos. Ein solcher Anspruch ist zu Lebzeiten des Ehemannes nicht geltend gemacht worden.

Zu Recht hat das SG entschieden, dass die Klägerin nicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs verlangen kann, so gestellt zu werden, als wären durch ihren Ehemann im Zeitraum zwischen August 1971 bis zum Eintritt seines Todes Juni 1994 Pflichtversicherungshöchstbeiträge entrichtet worden. Die Voraussetzungen des von der Klägerin geltend gemachten sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs liegen nicht vor. Die Klägerin kann nicht so gestellt werden, als ob der Versicherungsverlauf ihres Ehemannes ein anderer wäre.

Voraussetzung für den von der Rechtsprechung entwickelten sozialrechtlichen Herstel-lungsanspruch ist, dass ein Sozialleistungsträger eine ihm aufgrund Gesetzes obliegende Pflicht, insbesondere zur Auskunft und Beratung (§§ 14, 15 Sozialgesetzbuch Erstes Buch) verletzt hat, dass der Betroffene – das ist vorliegend nicht die Klägerin, sondern ihr 1994 verstorbener Ehemann - hierdurch einen Nachteil erlitten hat, der ursächlich auf diese Pflichtverletzung zurückzuführen ist, und dass der durch das pflichtwidrige Verwaltungshandeln entstandene Nachteil durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden kann (vgl. etwa Bundessozialgericht [BSG] v. 1.4.2004 – B 7 AL 52/03 RBSGE 92, 267 = SozR 4-4300 § 137 Nr. 1 = juris RdNr. 37; LSG Baden-Württemberg v. 11.6.2008 - L 7 R 1989/07 = juris RdNr. 33).

1. Eine Korrektur durch einen etwaigen Herstellungsanspruch kommt vorliegend schon deshalb nicht in Betracht, weil damit nicht andere Beitragszeiten bzw. eine andere Beitragszahlung fingiert werden kann, als die tatsächlich erfolgte. Der Betroffene ist 1994 verstorben, ohne dass zu diesem Zeitpunkt bereits ein Kontenklärungsverfahren eingeleitet worden war. Es kann nicht nachträglich eine Fiktion eines tatsächlich nicht anhängigen Verwaltungsverfahrens auf Kontenklärung zum Zeitpunkt des Todes des früheren Ehemannes der Klägerin im Jahr 1994 vorgenommen werden. Gemäß § 59 Satz 1 SGB I erlöschen Ansprüche auf Dienst- und Sachleistungen mit dem Tod des Berechtigten. Ansprüche auf Geldleistungen erlöschen gemäß § 59 Satz 2 SGB I nur, wenn sie im Zeitpunkt des Todes des Berechtigten weder festgestellt sind noch ein Verwaltungsverfahren über sie anhängig ist. Diese Vorschrift ist auch auf den nachträglich geltend gemachten sozialrechtlichen Herstellungsanspruch anzuwenden (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen v. 3.12.2008 – L 17 U 46/08 = juris RdNr. 30 f.). § 59 Satz 2 SGB I macht die materielle Rechtsfolge des Anspruchsübergangs von zwei alternativ im Zeitpunkt des Todes des Versicherten erreichten Verfahrenslagen - Leistungsfeststellung oder anhängiges Verwaltungsverfahren - abhängig. Nur bei verfahrensmäßig schon so "gefestigten" Ansprüchen hält der Gesetzgeber "aus rechtssystematischen und verwaltungspraktischen Gründen" (BT-Drucks. 7/868, S. 33) den Übergang auf Rechtsnachfolger für angebracht.

Das BSG, dem sich der Senat anschließt, hat mit Urteil vom 25.10.1984 (– 11 RA 18/84BSGE 57, 215 = SozR 1200 § 59 Nr. 6) ausgeführt, dass § 59 Satz 2 SGB I nicht darauf abstellt, welche Verfahrenslage im Zeitpunkt des Todes hätte bestehen können oder müssen; maßgebend ist nur die in diesem Zeitpunkt – vorliegend der 2.6.1994 - tatsächlich bestandene Verfahrenslage. Der Gesetzgeber hat einen Anspruchsübergang für den Fall, dass Verfahrensmaßnahmen unterblieben waren, nicht vorgesehen (Dörr, SGb 2012, 9 (10) m.w.N). Soweit die Klägerin darauf hinweist, in der Literatur werde vertreten, dass ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch post mortem auch insoweit in Betracht komme, als zu Lebzeiten des Versicherten die Aufnahme eines Verwaltungsverfahrens seitens der Verwaltung pflichtwidrig versäumt worden sei (Gutzler in BeckOK SGB I, § 59 RdNr. 6) liegt dieser Sachverhalt nicht vor, da zu Lebzeiten des Ehemannes der Klägerin die Beklagte keine Veranlassung hatte, ein Verwaltungsverfahren wegen Beitragsnachentrichtung zu eröffnen. Im Gegenteil hatte die Klägerin erst nach dem Tod des Ehemannes bei der Einzugsstelle und bei der Beklagten im Hinblick auf die Höhe der Witwenrente die Fehlerhaftigkeit des Versicherungskontos gerügt. Wie die Beklagte zu Recht ausgeführt hat, bestand zwischen 1967 und 1971 eine Versicherungspflicht nach dem Handwerkerversicherungsgesetz, so dass sich die Frage einer Versicherungspflicht für dieselbe Tätigkeit aufgrund der Ausgestaltung der Tätigkeit als Hausgewerbe zu dieser Zeit nicht stellte. Denn gemäß § 1227 Abs. 1 Satz 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) und § 1 Abs. 2 Handwerkerversicherungsgesetz (HwVG) bestand eine Versicherungspflicht für Hausgewerbetreibende nur, soweit sie nicht wegen derselben Tätigkeit nach den Bestimmungen des Handwerkerversicherungsgesetzes versicherungspflichtig waren. Der Ehemann der Klägerin war aber seit 16.10.1967 in der Handwerksrolle eingetragen und allein deshalb gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 HwVG in der Handwerkerversicherung versicherungspflichtig. Dass die Eintragung in die Handwerksrolle - wie die Klägerin meint - auf einen Beratungsfehler der Beklagten zurückzuführen ist, ist weder nachgewiesen noch bedarf dies einer weiteren Erörterung, da sich diese tatsächlich erfolgte Eintragung nicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nach 40 Jahren wieder rückgängig machen lässt. Mit dem Herstellungsanspruch sollen Fehler im Verwaltungsablauf mit den der Verwaltung möglichen Mitteln ausgeglichen werden.

Eine Fiktion des Bestehens oder Nichtbestehens eines außerhalb des Sozialrechtsverhältnisses liegenden tatsächlichen Umstandes, wie hier der Eintragung in die Handwerksrolle, ist daher keine im Rahmen des Herstellungsanspruch mögliche Rechtsfolge (vgl. LSG Baden-Württemberg v. 11.6.2008 – L 7 R 1989/07 (juris)). Die Eintragung in die Handwerksrolle entfaltet Tatbestandswirkung, wie das SG zu Recht herausgearbeitet hat und ist ein außerhalb des Sozialrechtsverhältnis liegender Umstand (vgl. hierzu auch BSG v. 30.3.1995 – 7 RAr 22/94BSGE 76, 84 = SozR 3-8825 § 2 Nr. 3; BSG v. 11.3.2004 – B 13 RJ 16/03 RBSGE 92, 241 = SozR 4-2600 § 58 Nr. 3). Wie das SG zu Recht ausgeführt hat, ergibt sich aus den Angaben im Erhebungsbogen vom 19.12.1967 und aufgrund der Nachfrage des Ehemanns der Klägerin wegen einer möglichen Einstufung als Hausgewerbetreibender im Jahr 1989 auch nicht, dass die Beklagte von dessen versicherungspflichtiger Hausgewerbetätigkeit wusste und ihn in Kenntnis dessen falsch beraten hat. Die Erhebung im Jahr 1967 erfolgte mit Blick auf die Entscheidung über die Versicherungspflicht nach dem HwVG. Die Angaben in diesem Erhebungsbogen lassen nicht den eindeutigen Schluss zu, dass eine abhängige versicherungspflichtige Beschäftigung vorlag. Der Ehemann der Klägerin hat zwar eine Tätigkeit als Hausgewerbetreibender erwähnt, darüber hinaus jedoch angegeben, hierfür Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung selbst abzuführen (Bl. 345 Verw.-Akte). Die Frage nach der Arbeitnehmereigenschaft hat er nicht beantwortet. Es wurden auch keine Angaben über Anzahl und Namen möglicher Auftraggeber, für die er Schmuck herstellte, gemacht. Auch die Angaben in zwei Anzeigen/Bescheinigungen über den Beginn/Veränderung des "Gewerbebetriebs" vom 10.8.1967 (Bl. 247 Verw.-Akte) und 30.8.1973 (Bl. 15 Verw.-Akte) sind für sich genommen nicht eindeutig. Einerseits wird dort – ohne Nennung eines oder mehrerer Auftraggeber – von "Lohnarbeit" und "Lohnauftrag" gesprochen, andererseits ergibt sich, dass eine eigene Betriebsstätte besteht. Außerdem wurden - für Lohnarbeit untypisch - Rechnungen mit Mehrwertsteuer unter Bezugnahme auf Lieferscheine ausgestellt (vgl. Bl. 15, 393 ff. Verw.-Akte). Weder 1967 noch 1989 war die Klägerin bei einem Beratungsgespräch dabei. Es gibt in den vorliegenden Akten keinerlei objektivierbare Anhaltspunkte für den Inhalt der konkreten Beratungssituation. Es liegt weder ein Gesprächsvermerk oder eine Telefonnotiz oder sonst ein Hinweis vor. Es gibt nur den Vortrag der Klägerin, die ihr vorgetragenes Wissen rund 30 Jahre für sich behielt, bevor sie sich nach dem Tod ihres Ehemannes im August 1994 erstmals an die Beklagte wandte und dann noch einmal fast 12 Jahre zuwartete, bis sie erstmals 2006 einen Beratungsfehler der LVA am 1.9.1967 behauptete. Keiner der von der Klägerin geltend gemachten Beratungsfehler kann jetzt noch ermittelt werden, was sich nach den allgemeinen Beweislastregeln zu Lasten der Klägerin auswirkt (vgl. etwa Hessisches LSG v. 21.2.2003 – L 15/13 RA 1378/01 = juris RdNr. 29; Bayerisches LSG v. 20.6.2007 – L 1 R 4/06 = juris RdNr. 29 m.w.N.). Es fehlt nach alledem, wie das SG zutreffend ausgeführt hat, an der nachvollziehbaren Darlegung eines relevanten Beratungsfehlers der Beklagten, die für die Nichtentrichtung von Pflichtbeiträgen durch den Ehemann der Klägerin im fraglichen Zeitraum ursächlich gewesen sein könnte. Zu Recht hat das SG darauf verzichtet, die Klägerin als "Zeugin" zu vernehmen. Auch der Senat hat auf das angebotene Beweisangebot verzichten können, da Zeuge aus gutem Grund nicht derjenige bzw. diejenige sein kann, die selbst Partei des Rechtsstreits ist und als Klägerin auftritt.

2. Außerdem sprechen zur Überzeugung des Senats verschiedene Indizien dafür, dass den Eheleuten durchaus die versicherungsrechtliche Ambivalenz der Tätigkeit klar war und man ganze Zeit über wusste "was Sache war". Auch deshalb scheidet ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch des Ehemannes auf Grund eines Beratungsfehlers, den die Klägerin geltend machen will, mangels Kausalität einer etwaigen fehlerhaften Beratung aus. Die Umstände der Abmeldung als Arbeitnehmer bei der Einzugsstelle und die parallele Eintragung in die Handwerksrolle sprechen klar dafür, dass man seinerzeit wusste, was man tat. Es spricht einiges dafür, dass man sich in der damaligen "Boom-Zeit" der Schmuckindustrie aus der Sozialversicherungspflicht lösen wollte, um von den finanziellen Möglichkeiten einer Selbständigkeit zu profitieren (vgl. die Schilderung der Klägerin auf Bl. 407 Verw.-Akte - Schreiben vom 20.9.2006). Dass man aus eigenem Wissen situativ Gestaltungsmöglichkeiten nutzen und sich im "Ernstfall" wieder "einklinken" konnte, um vom System der gesetzlichen Sozialversicherung und der Solidargemeinschaft zu profitieren, belegt die Schilderung der Klägerin im Schreiben vom 2.12.2002 (Bl. 401 Verw.-Akte). Als eine längere Krankenbehandlung des Sohnes anstand und es sich zeigte, dass die private Krankenversicherung hierfür nicht alles aus Sicht der Eheleute Erforderliche abdeckte, wurde umgehend wieder die Anmeldung bei der gesetzlichen Krankenversicherung vollzogen, mittels eines Pflichtversicherungsverhältnisses aus einem Arbeitsverhältnis wiederum bei – insoweit nicht überraschend – der Firma Josef E. T ... Die nach Abschluss der Krankenbehandlung des Sohnes wiederum erfolgte Abmeldung aus der Versicherungspflicht hat dann offensichtlich wiederum problemlos funktioniert, ohne dass hierfür, auch darauf hat das SG zu Recht hingewiesen, ein Beratungsfehler geltend gemacht wird. Eine Beratung der Beklagten hätte sich insoweit zur Überzeugung des Senats gar nicht auf das Verhalten der Klägerseite auswirken können, weshalb es an der erforderlichen Kausalität fehlen würde.

3. Auch ein Anspruch auf Zahlung einer höheren Witwenrente unter Abänderung/Aufhebung der Bescheide über die Zulassung der freiwilligen Versicherung oder Abänderung des Bescheids vom 25.10.1994 (und Folgebescheide) gemäß § 44 Abs. 1 SGB X besteht aus den bereits genannten Gründen nicht. Der verstorbene Ehemann der Klägerin hat zu Lebzeiten keinen Antrag auf Nachentrichtung der Beiträge gestellt, der abgelehnt worden ist; insoweit fehlt es bereits an einem zu überprüfenden bestandskräftigen Bescheid. Ein Verwaltungsverfahren war bei seinem Tod nicht anhängig und kann nicht mehr nachträglich von der Klägerin in Gang gesetzt werden (§ 59 SGB I, s. oben und Dörr, SGb 2012, 9 (10) m.w.N). Die Feststellung des Versicherungsverlaufs erfolgte mit Bescheid vom 2.12.1985, wie sich aus dem Kontenspiegel auf Bl. 465 Verw.-Akte ergibt. Diese Feststellungen sind auch maßgeblich für den Bescheid vom 25.10.1994 über die Bewilligung der Witwenrente. Auch insoweit kann die Klägerin keinen Anspruch aus § 44 SGB X herleiten, denn die Beklagte ist bei Erlass des Bescheids vom 25.10.1994 nicht von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
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