L 20 R 60/11

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
20
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 18 R 568/10
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 20 R 60/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 13 R 247/12 B
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zu den medizinischen und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen einer Rente wegen Erwerbsminderung.
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 30.11.2010 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin einen Anspruch auf eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit hat.

Die 1955 geborene Klägerin war von August 1971 bis Januar 1974 als Fabrikarbeiterin im Erwerbsleben tätig gewesen, anschließend 10 Monate arbeitslos und hatte sich ab 1984 der Kindererziehung gewidmet. Berücksichtungszeiten wegen Kindererziehung endeten im Juni 1998. Auf Grund eines Versorgungsausgleichs erhielt die Klägerin zusätzlich Rentenanwartschaften übertragen.

Am 29.05.2001 stellte sie bei der Beklagten erstmals einen Antrag auf Rente wegen Berufsunfähigkeit/Erwerbsunfähigkeit. Ein Arztbrief der Fachklinik H. vom 13.12.2000 bestätigte bei der Klägerin das Vorliegen eines Guillain-Barré-Syndroms mit cerebraler und autonomer Beteiligung und einer beinbetonten Tetraparese sowie eines Z.n. Aspergillenpneumonie und einer bekannten depressiven Störung: Nach Klinikeinweisung am 20.09.2000 sei mittlerweile eine Besserung eingetreten und die Reintegration in das häusliche Umfeld werde angestrebt. Es könne derzeit auch eine positive Prognose für eine Wiederherstellung einer vollschichtigen Leistungsfähigkeit im Erwerbsleben abgegeben werden. Entsprechend war auch die sozialmedizinische Einschätzung im Entlassungsbericht der Fachklinik H. vom 02.04.2001 ausgefallen.

In einer ärztlichen Bescheinigung des Allgemeinmediziners Dr.S. vom 14.04.2001 wurde eine durchgehende Arbeitsunfähigkeit seit 20.09.2000 angegeben, die auch auf noch nicht absehbare Zeit fortbestehen würde. In einem Attest der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität E. vom 15.10.2001 wurde ein depressives Syndrom mit gedrückter Stimmung, Antriebslosigkeit und mangelndem Selbstvertrauen als hauptsächliche Gesundheitsstörung angesehen, weswegen auch seit 08.08.2001 stationäre Behandlung erfolgt sei. Berichtet wurde auch von bereits nach den Geburten aufgetretenen depressiven Phasen.

Am 15.11.2001 wurde die Klägerin auf Veranlassung der Beklagten durch Frau Dr.B. von der sozialmedizinischen Begutachtungsstelle untersucht. Diese kam in ihrem Gutachten vom 21.11.2001 zum Ergebnis, dass die Klägerin seit Rentenantragstellung zumindest bis Ende 2002 selbst leichte körperliche Arbeiten nur unter 3 Stunden täglich ausüben könne, wobei weitere Einschränkungen wie Vermeidung von Zeitdruck sowie von Nacht- und Wechselschicht zu beachten seien. Mit Bescheid vom 30.11.2001 lehnte die Beklagte gleichwohl den Rentenantrag ab, weil zwar die medizinischen Voraussetzungen, nicht aber die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente wegen voller Erwerbsminderung erfüllt seien. Der Widerspruch der Klägerin wurde mit Widerspruchsbescheid vom 28.06.2002 zurückgewiesen.

Die Klägerin stand in der Folgezeit zunächst offensichtlich im Sozialhilfebezug und beantragte im Weiteren Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz (GSiG). Diese wurden ihr jedoch versagt, weil die Voraussetzungen des § 1 Nr 2 GSiG nicht erfüllt seien, nachdem es bei ihr noch nicht unwahrscheinlich sei, dass die volle Erwerbsminderung behoben werden könne. Hierzu lag eine Stellungnahme der Beklagten vor, für die die Klägerin am 10.06.2003 durch den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr.D. untersucht worden war. Dieser war zum Ergebnis gekommen, dass die im Vorgutachten der Dr.B. gemachten Einschränkungen fortbestehen würden und die Prognosen inzwischen sogar eher als ungünstig eingestuft werden müssten, aber eine allmähliche Befundstabilisierung noch nicht auszuschließen sei. Die Einschränkung der beruflichen Leistungsfähigkeit sei daher zunächst lediglich bis 30.06.2005 anzunehmen.

In einem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht (VG) Ansbach (An 4 K 03.02311), das im Hinblick auf die Grundsicherungsleistungen angestrengt worden war, wurde am 23.04.2004 durch den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr.H. ein Gutachten erstellt. Der ärztliche Sachverständige kam zum Ergebnis, dass die Klägerin täglich zwischen 3 und unter 6 Stunden arbeiten könne, wobei es sich derzeit um eine berufliche Tätigkeit überwiegend in sitzender Position im Umfang von 4 Stunden mit einer 30-minütigen Pause nach 2 Stunden handeln müsse. Bei entsprechenden Behandlungserfolgen sei die Einsatzfähigkeit auf voraussichtlich 5 bis unter 6 Stunden steigerungsfähig. Daraufhin wurde die dortige Klage abgewiesen und - auch nach Beschwerde der Klägerin - die Berufung nicht zugelassen.

In der Folgezeit bezog die Klägerin Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II), ohne dass hierfür nochmals erneut eine medizinische Prüfung erfolgt wäre (Auskunft der Arbeitsgemeinschaft im Landkreis R. für Leistungen nach dem SGB II vom 23.08.2010).

Am 24.10.2007 beantragte die Klägerin erneut die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung; die Beklagte lehnte auch diesen Antrag wegen Nichterfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen ab.

Bereits am 02.01.2008 stellte die Klägerin nochmals einen Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung; sie gab hierbei an, dass sie sich seit dem Jahr 2000 für erwerbsgemindert halte. Nunmehr waren bei ihr aus den Jahren 2005, 2006 und 2007 36 Kalendermonate mit Beitragszeiten nach dem SGB II belegt, was der Beklagten erst im Verlauf des Verfahrens bekannt wurde. Die Beklagte zog ärztliche Unterlagen bei: In einer ärztlichen Bescheinigung der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr.H. vom 24.02.2005 wurde ausgeführt, dass sich die Symptomatik seit dem Jahr 2000 deutlich verschlechtert habe und die Klägerin psychisch und körperlich nur minimal belastbar sei. Es bestehe aus nervenärztlicher Sicht dauerhafte Erwerbsunfähigkeit. Ein Attest des Allgemeinmediziners Dr.W. vom 11.05.2005 gab an, dass der gesundheitliche Zustand der Klägerin seit Jahren unverändert und eine Besserung des Beschwerdebildes nicht mehr zu erwarten sei. Es liege eine dauerhafte Erwerbsunfähigkeit vor.

Am 26.03.2008 wurde die Klägerin auf Veranlassung der Beklagten durch die Fachärztin für Psychiatrie und Sozialmedizin Dr.H. untersucht. Diese stellte ein pseudo-neurasthenisches Syndrom und leichtgradige neurologische Residuen als Folge eines Guillain-Barré-Syndroms 9/2000 sowie eine chronifizierte mittelgradige depressive Störung fest. Es bestehe ein zu den Vorgutachten unveränderter Befund. Belastbarkeit, Umstellungsfähigkeit und Anpassungsvermögen der Klägerin seien weiterhin deutlich eingeschränkt. Sie sei auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nur unter 3-stündig einsetzbar und mittlerweile sei ein chronifiziertes Krankheitsbild gegeben, so dass eine Besserung des Leistungsvermögens nunmehr unwahrscheinlich sei.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 01.04.2008 den Rentenantrag ab. Eine volle Erwerbsminderung bestehe bereits seit 29.05.2001 und im maßgeblichen Zeitraum vom 01.01.1984 bis 28.05.2001 seien nur 2 Jahre - anstatt der erforderlichen 3 Jahre - mit entsprechenden Pflichtbeiträgen belegt. Den hiergegen gerichteten Widerspruch vom 17.04.2008 nahm die Klägerin am 10.07.2008 zurück.

Am 21.12.2009 stellte die Klägerin bei der Beklagten den streitgegenständlichen Antrag auf eine Rente wegen Erwerbsminderung. Diesen erneuten Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 19.01.2010 ab. Es liege seit dem 29.05.2001 eine dauerhafte volle Erwerbsminderung vor und für den entsprechenden medizinischen Leistungsfall seien die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt.

Am 12.02.2010 erhob die Klägerin Widerspruch und machte geltend, dass sie vom 01.01.2005 bis 31.05.2008 dem Arbeitsmarkt zur Verfügung gestanden habe und in dieser Zeit Leistungen von der ARGE bezogen habe. Frühestens ab dem 01.06.2008 bzw. ab 2009 sei von einer dauerhaften Erwerbsminderung auszugehen. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 14.04.2010 zurückgewiesen: Der festgelegte medizinische Leistungsfall sei nicht zu beanstanden und für diesen habe die Klägerin die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt. Die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen wären lediglich erfüllt, wenn der Leistungsfall frühestens ab 02.12.2007 eingetreten wäre. Ein derartiger Leistungsfall ergebe sich jedoch aus den ärztlichen Unterlagen nicht.

Mit Schreiben vom 12.05.2010 hat die Klägerin am 14.05.2010 gegen diesen Widerspruchsbescheid Klage zum Sozialgericht (SG) Nürnberg erhoben. Verwiesen hat sie erneut auf ihre Pflichtbeitragszeiten in der Zeit vom 01.01.2005 bis 31.05.2008 und weiter auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 16.06.2004, wonach ihr keine Grundsicherungsleistungen zustehen würden. Die Beklagte hat ausgeführt, dass das Leistungsvermögen der Klägerin seit 29.05.2001 zumindest unter 6 Stunden gelegen habe und, da zu keiner Zeit ein leistungsgerechter Arbeitsplatz zur Verfügung gestanden habe, seit diesem Zeitpunkt durchgehend volle Erwerbsminderung zumindest wegen Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes vorgelegen habe. Ein evtl. Herabsinken des Leistungsvermögens von 3 bis unter 6-stündig auf unter 3-stündig bedinge somit keinen neuen Leistungsfall.

Am 31.08.2010 hat Dr.H. vom ärztlichen Dienst der Beklagten ausgeführt, dass er die sozialmedizinische Prognose des Dr.H. als etwas optimistisch einordnen würde. Im Übrigen sei bei einer 30-minütigen Pause bereits nach 2 Stunden Arbeitszeit wohl von einer betriebsunüblichen Pause auszugehen. Insofern könne an der bisherigen Leistungsbeurteilung festgehalten werden, wonach bereits im Mai 2001 ein gemindertes Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vorgelegen habe. Der behandelnde Arzt Dr.W. hat mitgeteilt, dass während des gesamten Behandlungszeitraumes von Arbeitsunfähigkeit bei der Klägerin auszugehen gewesen sei.

Mit Urteil vom 30.11.2010 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Leistungsfall der Erwerbsminderung habe bereits spätestens mit der Erstantragstellung am 29.05.2001 vorgelegen. Zu diesem und auch zu den möglichen früheren Zeitpunkten ab dem Beginn der Arbeitsunfähigkeit wären die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbsminderung nicht erfüllt gewesen. Die Überzeugung der Kammer zum Leistungsfall stütze sich auf die lückenlos vorliegenden Befundberichte ab 2000 sowie die vielen eingeholten Gutachten. Lediglich der Gutachter Dr.H. sei in seinem Gutachten vom 22.04.2004 zu einer davon abweichenden Einschätzung gekommen, wonach die Klägerin nur teilweise erwerbsgemindert gewesen sei. Aber auch dieser Gutachter habe eine Besserung des Gesundheitszustandes auf eine Leistungsfähigkeit von täglich 6 Stunden und mehr ausgeschlossen. Die von der Klägerin in dem Zeitraum ab 2005 gezahlten Pflichtbeiträge seien unbeachtlich, da die Pflichtbeiträge vor dem Leistungsfall der Erwerbsminderung hätten vorhanden gewesen sein müssen.

Gegen dieses Urteil hat die Klägerin mit Schreiben vom 18.01.2011 am 19.01.2011 Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Entgegen den erstinstanzlichen Darlegungen sei der Leistungsfall der geminderten Erwerbsfähigkeit erst im Jahre 2008 eingetreten. Die Klägerin hat ergänzend die Entscheidungen des Landratsamts R. im Bereich der Grundsicherung und des Bayer. Verwaltungsgerichtshof (Beschluss vom 09.02.2005, Az. 12 ZB 04.2106) vorgelegt. Die Klägerin sei - seinerzeit - nicht unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage voll erwerbsgemindert gewesen und habe damit nicht zu den in § 41 Abs 1 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) aufgeführten Leistungsberechtigten gehört.

Am 06.12.2011 hat ein umfangreicher Erörterungstermin stattgefunden.

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 30.11.2010 und den Bescheid der Beklagten vom 19.01.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.04.2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf den Antrag vom 21.12.2009 hin zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 30.11.2010 zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Inhalt der Beklagtenakte und der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG) ist zulässig, aber nicht begründet. Das SG hat zu Recht entschieden, dass die Klägerin keinen Anspruch auf eine Rentengewährung wegen Minderung ihrer Erwerbsfähigkeit hat.

Nach § 43 Abs. 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) haben Versicherte Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie voll erwerbsgemindert sind, in letzten 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung 3 Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Voll erwerbsgemindert sind danach Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Zum Zeitpunkt der Rentenantragstellung im Dezember 2009 war die Klägerin nach den eindeutigen ärztlichen Feststellungen - insbesondere der Frau Dr.H. - und zwischen den Beteiligten auch unstreitig voll erwerbsgemindert, weil sie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nur noch unter 3 Stunden täglich einsatzfähig war. Diese Erwerbsminderung lag auch dauerhaft vor. Die Klägerin hätte zum Zeitpunkt der Rentenantragstellung auch die allgemeine Wartezeit (§ 50 Abs. 1 SGB VI) erfüllt gehabt, weil sie mehr als 60 Kalendermonate an Pflichtbeiträgen aufzuweisen hatte. Außerdem hätte sie in den letzten 5 Jahren vor der Rentenantragstellung auch mehr als 3 Jahre Pflichtbeiträge aufzuweisen gehabt. Maßgeblich für die Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nach § 43 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 2 und 3 SGB VI ist jedoch nicht der Zeitpunkt der Rentenantragstellung, sondern der "Eintritt der Erwerbsminderung", d.h. der Zeitpunkt des medizinischen Leistungsfalls.

Für den Senat ergibt sich, dass die volle Erwerbsminderung bei der Klägerin mit Sicherheit bereits zum Zeitpunkt des ersten Rentenantrages am 29.05.2001 vorgelegen hatte und ab diesem Zeitpunkt ohne Unterbrechung fortbestanden hat. In dem Gutachten der Dr.B. und des Dr.D. wird nachvollziehbar und überzeugend dargelegt, dass bei der Klägerin eine starke psychische Erschöpfbarkeit mit nur äußerst eingeschränkten Kompensationsmöglichkeiten vorgelegen hat und dadurch ihr Einsatzvermögen auf dem Arbeitsmarkt soweit aufgehoben war, dass sie auch keine 3 Stunden täglich mehr erwerbstätig sein konnte. Die neurologischen und insgesamt somatischen Auswirkungen des Guillain-Barré-Syndroms sind dagegen zu den Untersuchungszeitpunkten eher von nachgeordneter Bedeutung gewesen; hier ist im Verhältnis zur gesundheitlichen Situation beim Eintritt der Arbeitsunfähigkeit im September 2000 sogar eine Besserung deutlich geworden.

Am 29.05.2001 hatte die Klägerin - aus heutiger Sicht - wohl ebenfalls bereits die allgemeine Wartezeit erfüllt gehabt (§ 50 Abs. 1 SGB VI), weil neben den 52 Monaten aus eigenen Beitragszeiten noch zusätzliche Monate im Rahmen des Versorgungsausgleiches zu berücksichtigen gewesen wären. Dagegen hatte sie in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung (29.05.1996 bis 29.05.2001) unmittelbar keine Pflichtbeiträge - hier wirkt der Versorgungsausgleich sich nicht aus. Die Klägerin hat in diesem Zeitraum nicht am Erwerbsleben teilgenommen. Wegen der vom Gesetzgeber für derartige Fälle geschaffenen Berücksichtigungszeiten für Kindererziehung ist der Zeitraum von 5 Jahren gemäß § 43 Abs. 4 Nr. 2 SGB VI jedoch mehrfach um diese Zeiten zu verlängern. Aber auch im schließlich bis zum 01.01.1984 verlängerten Zeitraum hat die Klägerin nur 24 Kalendermonate an Pflichtbeitragszeiten - die sich aus Kindererziehungszeiten ergeben - aufzuweisen. Dementsprechend sind auch in diesem verlängerten Zeitraum die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI nicht erfüllt.

Bei der Klägerin kann auch nicht im Rahmen des § 241 Abs. 2 SGB VI von der Erfüllung dieser Voraussetzungen abgesehen werden. Die Erfüllung der allgemeinen Wartezeit vor dem 01.01.1984 wäre aus heutiger Sicht im Hinblick auf den Versorgungsausgleich zwar denkbar. Im Anschluss an die bis Juni 1998 dauernden Kinderberücksichtigungszeiten sind jedoch keine eigenen rentenrechtlich relevanten Zeiten bei der Klägerin mehr vorhanden gewesen. Auch die Nachzahlung von freiwilligen Beiträgen kommt zumindest für die Jahre 1998 und 1999 nicht mehr in Betracht, da die entsprechenden Fristen abgelaufen sind und auch bereits zum Zeitpunkt des erstmaligen Rentenantrags abgelaufen waren (§ 197 Abs. 2 SGB VI). Damit sind nicht alle Kalendermonate ab dem 01.01.1984 bis zum Eintritt des medizinischen Leistungsfalles mit Beitragszeiten oder anderen rentenrechtlich relevanten Zeiten belegt oder noch belegungsfähig.
Ferner ist bei der Klägerin nicht das Bestehen von Erwerbsunfähigkeit bereits vor dem 01.01.1984 belegt. Das Guillain-Barré-Syndrom ist erst ab September 2000 aufgetreten; eine psychische Folgereaktion darauf kann somit denklogisch erst nach diesem Zeitpunkt sich entwickelt haben. Auch soweit bereits für Zeiten davor von depressiven Erkrankungen der Klägerin die Rede ist, wird dies mit den Geburten der Kinder (postnatale psychische Beschwerden) verbunden und damit in die Zeit nach dem 01.01.1984 eingeordnet; auch sprechen die ärztlichen Unterlagen gegen eine bereits damals durchgehend fortbestehende Beeinträchtigung.

An diesen Überlegungen würde sich auch dann nichts ändern, wenn man bereits mit dem erstmaligen Auftreten des Guillain-Barré-Syndroms im September 2000 einen medizinischen Leistungsfall der Erwerbsunfähigkeit noch nach § 44 SGB VI a.F. annehmen wollte, weil auch für diese Vorschrift die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen in gleicher Weise gegolten hätten. Zwar wäre der maßgebliche Zeitraum noch um 8 Monate bis zum 01.05.1983 verlängert, weitere Beitragszeiten kämen jedoch nicht hinzu. Gegen die Annahme eines Leistungsfalls bereits mit dem Einsetzen der Arbeitsunfähigkeit spricht jedoch, dass sich die somatischen Folgen der neurologischen Erkrankung soweit gebessert haben, dass man hier nur das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit darauf stützen könnte. Die für die volle Erwerbsminderung bedeutsamen psychischen Folgeerscheinungen haben sich erst später entwickelt und können zu Recht erst zu dem von Frau Dr.B. festgestellten Zeitpunkt im Zusammenhang mit der Rentenantragstellung als belegt angesehen werden.

Die volle Erwerbsminderung hat in der Zeit seit Mai 2001 auch durchgehend vorgelegen. Dies ergibt sich für den Senat aus der engen zeitlichen Abfolge der Gutachten der Beklagten, die sich mit den zeitnahen sozialmedizinischen Ausführungen der behandelnden Ärzte und insbesondere auch mit den damaligen Angaben der Klägerin decken. Ein Wiedererlangen einer zeitlich nicht eingeschränkten vollen Einsatzfähigkeit der Klägerin im Erwerbsleben ergibt sich nicht aus den in den Jahren 2005 bis Mai 2008 entrichteten Pflichtbeiträgen, weil hier keine tatsächliche Arbeitsleistung erfolgte und auch keine Gutachten zum (Fort-)Bestehen einer Einsatzfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erstellt wurden.

Soweit das in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren erstellte Gutachten des Dr.H. im April 2004 ein 4-stündiges Einsatzvermögen der Klägerin annimmt, hält der Senat diese sozialmedizinische Einschätzung nicht für überzeugend. Die bei der Klägerin vorhandene Erschöpfung und psychische Minderbelastbarkeit hat sich nach den Angaben der behandelnden Ärzte nicht verbessert gehabt und ist von Dr.H. wohl etwas zu optimistisch bewertet worden, worauf auch Dr.H. hinweist.

Auch durch das seinerzeit ergangene Urteil des VG Ansbach ist der Senat an dieser Auffassung nicht gehindert. Zum einen ist damals formal nur über die Frage eines Anspruchs auf Grundsicherungsleistungen und nicht über das Zutreffen oder Nichtzutreffen eines Gutachtens entschieden worden, zum anderen wäre auch bei einer medizinischen Beurteilung, wie sie der hier erkennende Senat als zutreffend ansieht, die damalige ablehnende Entscheidung hinsichtlich der Grundsicherungsleistungen zu Recht ergangen, weil das Vorliegen einer dauerhaften und vom Arbeitsmarkt unabhängigen vollen Erwerbsminderung bei der Klägerin damals nicht nachgewiesen gewesen wäre.

Hinzuweisen ist ferner darauf, dass sich im rechtlichen Sinn eine volle Erwerbsminderung auch schon bei dem von Dr.H. beschriebenen mehr als 3-stündigen Einsatzvermögen ergeben würde. Zum einen werden dort spezielle Anforderungen an eine Pausenregelung gestellt, ohne dass eine auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vorhandene Tätigkeit benannt worden wäre, die mit dieser Pausenregelung auszuüben wäre (vgl. BSG, Urt. v. 20.04.1993, Az. 5 RJ 34/92 - zitiert nach juris). Zusätzlich wäre aber, nachdem die Klägerin nicht tatsächlich eine Teilzeittätigkeit ausgeübt hatte, wegen der Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes von einer arbeitsmarktbedingten vollen Erwerbsminderung auszugehen gewesen (vgl. zur Rechtsprechung des BSG Gürtner in Kasseler Kommentar, Stand 01.04.2011, § 43 SGB VI Rn. 30 ff). Somit hat nicht nur durchgängig eine teilweise Erwerbsminderung, sondern durchgängig eine - wenn auch zeitweise arbeitsmarktbedingte - volle Erwerbsminderung vorgelegen.

Das Eintreten eines - neuerlichen - medizinischen Leistungsfalles erstmals nach dem 01.12.2008 - ab diesem Datum hatte die Klägerin 36 Monate an neu entrichteten Pflichtbeitragszeiten aufzuweisen - ist aus den vorliegenden Tatsachen nicht zu begründen.

Damit fehlt es aber an den notwendigen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die beantragte Rente.

Die Klägerin gehört zwar zu dem von § 240 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI erfassten Personenkreis, weil sie vor dem 02.01.1961 geboren ist, so dass es für die Frage eines möglichen Rentenanspruches wegen Berufsunfähigkeit nicht darauf ankommt, ob die Klägerin noch nach altem Recht einen solchen Anspruch herleiten könnte (ggf. § 43 SGB VI a.F. iVm § 116 Abs. 2 SGB VI). Die Berufsunfähigkeit kann denklogisch nicht erst nach dem Zeitpunkt, ab dem das Vorliegen von voller Erwerbsminderung festgestellt worden ist, eingetreten sein. Berufsunfähigkeit ist dann gegeben, wenn weder der zuletzt ausgeübte Beruf noch eine sogenannte zumutbare Verweisungstätigkeit mehr ohne zeitliche Einschränkung ausgeübt werden können. Da die Klägerin aber im Erwerbsleben keine Tätigkeit ausgeübt hatte, die eine besondere Ausbildung benötigt hätte und einer der höheren Stufen des sog. Mehrstufenschemas des Bundessozialgerichts zuzuordnen gewesen wäre, muss sie sich in diesem Zusammenhang auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisen lassen (vgl. Niesel in Kasseler Kommentar, Stand 01.04.2011, § 240 SGB VI Rn. 24, 42, 114; die Anmerkungen gelten in gleicher Weise bereits für § 43 SGB VI a.F.). Für die Frage, ob bereits vor 1984 ein solcher Leistungsfall eingetreten gewesen sein könnte, ergibt sich somit kein anderes Ergebnis als bei der Prüfung auf das Vorliegen von Erwerbsunfähigkeit. Ein Rentenanspruch ist damit nicht zu begründen.

Die Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils sind im Ergebnis nicht zu beanstanden und die Berufung war zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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