L 7 AS 361/12 B ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 22 AS 154/12 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 361/12 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Sofern im sozialgerichtlichen Eilverfahren wegen existenzsichernder Leistungen eine Folgenabwägung erforderlich ist, können Umstände aus der Vergangenheit nur in eingeschränktem Umfang herangezogen werden (BVerfG, 12.05.2005, 1 BvR 569/05, Rn. 28).
Auch im sozialgerichtlichen Eilverfahren können existenzsichernde Leistungen aufgrund der objektiven Beweislast abgelehnt werden, wenn der Antragsteller die vom Gericht aufgegebenen notwendigen Mitwirkungshandlungen unterlässt (BVerfG, 01.02.2010, 1 BvR 20/10).
Entscheidungserhebliche Umstände aus der Vergangenheit (hier ein Zufluss von 101.000,- Euro vor 2 Jahren) können im Rahmen der Folgenabwägung zulasten des Antragstellers, der Arbeitslosengeld II begehrt, berücksichtigt werden, wenn er trotz konkreter Aufforderung zur Mitwirkung durch das Gericht den Verbleib dieses Geldes nicht nachvollziehbar darstellt.
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 5. April 2012 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.



Gründe:


I.

Streitig ist, ob den Antragstellern und Beschwerdeführern ab Anfang 2012 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) zustehen, insbesondere, ob sie hilfebedürftig sind.

Der 1969 geborene Antragsteller zu 1 und seine 1978 geborene Ehefrau (Antragstellerin zu 2) sind kosovarische Staatsangehörige. Sie leben zusammen mit ihren drei Kindern (weitere Antragsteller, geboren 2003, 2005 und 2011) in einer Dreizimmerwohnung in A-Stadt. Die Miete beträgt aktuell 568,05 Euro. Für Strom und Gas werden derzeit monatlich 132,- Euro gezahlt.

Am 29.01.2009 erhielt der Antragsteller zu 1 aufgrund eines Aufhebungsvertrags mit seinem vormaligen Arbeitgeber einen Betrag von 101.131,75 Euro auf sein Konto überwiesen. Das Konto wies dann ein Guthaben von knapp 108.000,- Euro aus. Ausweislich der im Beschwerdeverfahren vorgelegten Kontobelege hob er 20.000,- Euro am 30.01.2009 ab, weitere 80.000,- Euro am 06.02.2009.

Nach einer Sperrzeit bis einschließlich April 2009 bezog der Antragsteller zu 1 bis März 2010 Arbeitslosengeld nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) von monatlich 1561,50 Euro. Anschließend bezog er wegen Arbeitsunfähigkeit bis einschließlich Juli 2011 Krankengeld in gleicher Höhe von seiner gesetzlichen Krankenkasse. Daneben erhielten die Antragsteller Kindergeld von monatlich 558,- Euro und von November 2010 bis November 2011 monatlich 300,- Euro Elterngeld.

Einen Antrag auf Leistungen nach SGB II stellten die Antragsteller am 05.09.2011. Die Antragsteller bestätigten in der Anlage VM, über keinerlei Vermögen zu verfügen. Der Antragsteller zu 1 legte laufend Bestätigungen über Arbeitsunfähigkeit vor. Einer Aufforderung, den Verbleib der Abfindung zu belegen, kamen die Antragsteller nicht nach. Am 07.10.2011 erklärte der Antragsteller zu 1, er wisse nicht mehr, wofür er das Geld gebraucht hätte.

Am 02.11.2011 stellten die Antragsteller einen ersten Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz beim Sozialgericht München (S 50 AS 3025/11 ER). Daraufhin bewilligte der Antragsgegner mit Bescheid vom 22.11.2011 vorläufige Leistungen für die Zeit bis 31.12.2011 in Höhe von monatlich 1431,10 Euro. In diesem Bescheid wurde darauf hingewiesen, dass die Vorläufigkeit darauf beruhe, dass noch zu klären sei, was mit der Abfindung geschehen ist.

Am 08.12.2011 beantragten die Antragsteller die Weitergewährung von Leistungen ab 01.01.2012. Mit Schreiben vom 09.12.2011 wies der Antragsgegner unter Fristsetzung erneut darauf hin, dass eine ausführliche schriftliche Erklärung mit Nachweisen zum Verbleib der Abfindung nötig sei. Nach erfolglosem Fristablauf wurde die Leistungsgewährung wegen nicht nachweisbarer Hilfebedürftigkeit abgelehnt (Bescheid vom 28.12.2011); dieser Bescheid wurde aus formalen Gründen mit Bescheid vom 26.01.2012 wieder zurückgenommen. Mit Schreiben vom 26.01.2012 wurden die Antragsteller erneut unter Fristsetzung aufgefordert, Erklärungen und Unterlagen zum Verbleib der Abfindung vorzulegen. Mit Bescheid vom 07.03.2012 erfolgte eine erneute Ablehnung des Antrags wegen nicht erwiesener Hilfebedürftigkeit. Dagegen wurde Widerspruch erhoben, über den noch nicht entschieden wurde.

Am 18.01.2012 stellten die Antragsteller den streitgegenständlichen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz beim Sozialgericht München. Die Antragsteller seinen hilfebedürftig, weil die Abfindung verbraucht worden sei. Dies habe der Antragsteller zu 1 bereits erklärt und sei deshalb zur weiteren schriftlichen Erklärungen nicht verpflichtet.

In einer schriftlichen Erklärung vom 05.01.2012 legte der Antragsteller zu 1 dar, dass die Familie über kein Geldvermögen mehr verfüge. Die ausbezahlten 105.000,- Euro seien zur Gänze verbraucht worden, insbesondere für die Lebenshaltung, Kleidung, Gewährung eines Darlehens an seinen Vater für dessen Pflege in Höhe von 10.000,- Euro, ein Darlehen an seine Schwiegereltern für deren Pflege von 20.000,- Euro sowie die Rückzahlung von Darlehenschulden "bei einem Bekannten" und Verluste beim Glücksspiel in verschiedenen Spielbanken in Tschechien. Das Sozialgericht wies darauf hin, dass vollständige Kontoauszüge ab dem Zufluss der Abfindung vorgelegt werden sollten und die Zahlungswege und Modalitäten der behaupteten Darlehen zu beschreiben seien. Auch die Angaben zu den Spielbankverlusten seien zu präzisieren. Daraufhin wurden nicht übersetzte Erklärungen des nunmehr namentlich benannten Bekannten sowie der Eltern und Schwiegereltern vorgelegt. Der Antragsteller zu 1 legte eine weitere Erklärung vor, wann er seinen Vater mit 10.000,- Euro und seine Schwiegereltern mit 20.000,- Euro "unterstützt" habe. Weitere 28.000,- Euro habe er von Januar bis April 2009 für den Lebensunterhalt der Familie ausgegeben, den Rest von etwa 23.000,- Euro habe er leider im Casino in Tschechien verspielt.

Das Sozialgericht lehnte den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit Beschluss vom 05.04.2012 ab. Ein Anordnungsanspruch sei nicht glaubhaft. Der Antragsteller habe unzweifelhaft Anfang 2009 einen Betrag von rund 100.000,- Euro erhalten. Von Mai 2009 bis Juli 2011 habe der Antragsteller zu 1 Arbeitslosengeld und Krankengeld in bedarfsdeckenden Höhe bezogen. Außerdem seien Kindergeld und Elterngeld gezahlt worden. Die Abfindung sei daher nicht notwendig gewesen, um daraus den Lebensunterhalt zu bestreiten. Bei dieser Sachlage könnten der Antragsgegner und das Gericht verlangen, dass die Verwendung der Abfindung detailliert erläutert und mit entsprechenden Nachweisen belegt werde. Obwohl den Antragstellern präzise mitgeteilt worden sei, was wie zu belegen sei, hätten diese nichts dergleichen getan. Die stattdessen abgegebenen Erklärungen seien in vielfacher Hinsicht unzureichend: Der Verbrauch von 28.000,- Euro in den Monaten Januar bis April 2009 sei angesichts der laufenden Lebenshaltungskosten nicht nachvollziehbar, zumal auch noch das Gehalt für Dezember 2008 in dieser Zeit ausgezahlt worden sei. Es sei auch nicht nachvollziehbar, weshalb der Antragsteller die Kontoauszüge für die wenigen Monate, in denen angeblich die Auszahlungen an die Eltern/Schwiegereltern erfolgten, nicht vorlegen könne. Die Angabe, 23.000,- Euro in Tschechien verspielt zu haben, sei zu ungenau; die meisten tschechischen Spielcasinos würden die Besucherdaten erfassen und speichern. Auch aktuell weise das Girokonto des Antragsteller zu 1 ein Guthaben von 1290,- Euro aus. Auch die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Folgenabwägung führe zu keinem anderen Ergebnis. Die Antragsteller seien ihren Mitwirkungspflichten in keiner Weise nachgekommen und hätten die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert bzw. verhindert.

Der Beschluss wurde den Antragstellern am 11.04.2012 zugestellt.

Am 10.05.2012 haben die Antragsteller Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts eingelegt. Das Gericht hat die Antragsteller aufgefordert, bis spätestens 12.06.2012
- Namen und Anschrift der Eltern der Antragsteller zu 1 und 2 bekanntzugeben,
- zu erklären auf welche Weise die Darlehensbeträge an die Zahlungsempfänger ausgezahlt wurden,
- bei welchen Banken seit 2009 Konten geführt wurden,
- zu erklären, dass mit der Abfindung weder in Deutschland noch im Ausland Grundstücke oder Häuser/Wohnungen erworben wurden,
- eine Schweigepflichtentbindung für Banken und Geldinstitute vorzulegen und
- eine Schweigepflichtenbindung für die Krankenkasse und den Vermieter vorzulegen.

Vorgelegt wurde lediglich die Schweigepflichtentbindung für Banken und Geldinstitute. Weiter wurden Kontoauszüge für die Zeit vom 02.01.2009 bis 31.03.2010 sowie eine Übersicht über die Kontoumsätze für die Zeit vom 01.04.2010 bis 24.05.2012 vorgelegt. Eine Begründung der Beschwerde erfolgt nicht.

Die Antragsteller beantragen sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts München vom 05.04.2012 aufzuheben und den Antragstellern ab 01.01.2012 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach SGB II zu gewähren.

Der Antragsgegner beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts auf die Akte des Antragsgegners, die Akte des Sozialgerichts und die Akte des Beschwerdegerichts verwiesen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§ 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Die Beschwerde ist jedoch unbegründet, weil das Sozialgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt hat.

Für die begehrte Begründung einer Rechtsposition im einstweiligen Rechtsschutz ist ein Antrag auf eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG statthaft. Der Antrag muss zulässig sein und die Anordnung muss zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheinen. Es muss glaubhaft sein, dass ein materielles Recht besteht, für das einstweiliger Rechtsschutz geltend gemacht wird (Anordnungsanspruch), und es muss glaubhaft sein, dass eine vorläufige Regelung notwendig ist, weil ein Abwarten auf die Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht zumutbar ist (Anordnungsgrund).

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (insb. Beschluss des BVerfG vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05) ist eine abschließende (nicht nur summarische) Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache vorzunehmen oder, sofern diese nicht möglich ist, eine Güter- und Folgenabwägung vorzunehmen, wenn bei den Betroffenen ohne die Gewährung von einstweiligen Rechtsschutz eine schwere Verletzung ihrer Rechte auch nur möglich ist. Dies folgt aus dem Schutzauftrag für die Menschenwürde (Art 1 Abs. 1 Grundgesetz - GG) und der Notwendigkeit wirksamen Rechtsschutzes (Art 19 Abs. 4 GG). Kriterien der Interessensabwägung sind die drohende Verletzung von (Grund-) Rechten, ausnahmsweise entgegenstehende überwiegende besonders gewichtige Gründe und die hypothetischen Folgen bei einer Versagung bzw. Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz.

Der Maßstab des Bundesverfassungsgerichts ist anzuwenden, weil es um existenzsichernde Leistungen von erheblichem Umfang geht und der Entscheidungsmaßstab nach § 86b Abs. 2 SGG zu einer Ablehnung der Leistung führen würde. Das bekannte Einkommen aus Kindergeld deckt gerade die Kosten der Unterkunft ohne die Heizkosten. Das Sozialgericht hat zutreffend ausgeführt, dass ein Anordnungsanspruch nicht hinreichend glaubhaft ist.

Eine abschließende Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache ist nicht möglich ist, weil nicht bekannt ist, was aus den 101.000,- Euro wurde, die der Antragsteller zu 1 im Januar 2009 erhalten hatte. Dieses Geld ist Vermögen nach § 12 Abs. 1 SGB II, das die Leistungsvoraussetzung der Hilfebedürftigkeit nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 9 SGB II beseitigen würde. Es hat daher eine Güter- und Folgenabwägung zu erfolgen. Diese spricht hier gegen eine Leistungsgewährung.

Nach den zuletzt vorgelegten Kontoumsatzlisten verfügen die Antragsteller auch Ende Mai 2012 noch über ein Guthaben von 1.839,35 Euro. Rückstände bei der Krankenkasse bestehen nicht, weil auch Ende Mai 2012 die Beiträge für die nunmehr wohl freiwillige Krankenversicherung abgebucht wurden. Auch Mietrückstände sind den Umsatzlisten nicht zu entnehmen. Es besteht daher keine akute Gefährdung des Existenzminimums. Dies ist von besonderer Bedeutung, weil auch drei Kinder von der Leistungsablehnung betroffen sind.

Das Gericht verkennt nicht, dass die Antragsteller ihrem Girokonto zuletzt Geld zugeführt haben. Am 16.03.2012 erfolgte eine Gutschrift von 3.000,- Euro unter dem Überweisungsvermerk "Privatkredit" unter Angabe eines Namens eines Dritten, am 07.05.2012 eine Einzahlung von 700,- Euro und am 22.05.2012 eine Gutschrift von 1.500,- Euro unter dem Vermerk "Danke fürs Leihen". Ob der Einzahlung von 3.000,- Euro tatsächlich ein Darlehen zugrunde liegt, kann das Beschwerdegericht nicht prüfen. Es wurden hierzu auch keinerlei Belege vorgelegt. Ferner ist zu beachten, dass dieser Überweisungsvermerk einen geringen Beweiswert hat, weil er erst verfasst wurde, als bereits das zweite Eilverfahren lief. Die Gutschrift der 1.500,- Euro scheint dagegen zu belegen, dass die Antragsteller selbst Geld verliehen hatten.

Bei der Folgenabwägung fällt zulasten der Antragsteller ins Gewicht, dass sie seit September 2011, also seit neun Monaten die entscheidende Frage, was aus der Abfindung wurde, zuerst nicht, dann ausweichend, dann allgemein und ungenau und zum Ende hin nur in Bruchteilen konkret und mit Belegen versehen beantwortet haben. Die Auskünfte und Unterlagen erwecken bei dem Gericht aber den Eindruck von Behauptungen, die sich vor allem dadurch auszeichnen, dass sie durch familieninterne Schriftstücke beschrieben werden können (Erklärungen zu den Darlehen) oder vielleicht gar nicht nachweisbar sind (Verluste in irgendwelchen Spielbanken in Tschechien).

Das Entstehen und Inhalt der Erklärungen sind nicht dazu geeignet, den Verbleib der 101.000,- Euro zu klären.

Die Erklärung, die Familie habe in drei bis vier Monaten Anfang 2009 einen Betrag von 28.000,- Euro für den Lebensunterhalt verbraucht, ist anhand der vorliegenden Kontoauszüge widerlegt. Auf dem Girokonto befand sich am 30.01.2009 ein Betrag von fast 108.000,- Euro. Davon wurden 100.000,- Euro abgehoben. Die laufenden Ausgaben des Lebensunterhalts wurden bis Mitte April 2009 von dem Restgeld auf dem Konto bestritten.

Die Behauptung, der Antragsteller zu 1 habe 23.000,- Euro in Spielbanken in Tschechien verspiel, ist ohne konkrete Angaben zu Ort und Zeit (ggf. zusätzlich Nachweise zu Übernachtungen in Tschechien) nicht überprüfbar und damit wertlos. Obwohl das Sozialgericht dies dargelegt hat, ist im Beschwerdeverfahren dazu kein Vortrag erfolgt.

Die Äußerungen der Verwandten zu dem erhaltenen Geld (10.000,- und 20.000,- Euro) können nicht überprüft werden. Es ist schon nicht sehr hilfreich, in einem Eilverfahren Erklärungen ohne die zugehörige Übersetzungen vorzulegen. Hinzu kommt, dass scheinbar auch der Antragsteller zu 1 keine klare Vorstellung zu den Zahlungen an seine Verwandten hat. Zum einen bezeichnet er diese als Darlehen (Erklärung vom 05.01.2012), zu anderen als Unterstützung (Anlage zum Schreiben vom 03.04.2012). Nachweise und Einzelangaben, die sowohl vom Antragsgegner als auch vom Sozialgericht mehrfach gefordert wurden, blieb der Antragsteller zu 1 schuldig. Lediglich die angeblichen Zahlungstage teilte er zuletzt mit, ohne Nachweise vorzulegen. Die Antragsteller können sich in der Folgezeit bemühen, entweder die Rückzahlung der Darlehen zu erreichen oder den Rückforderungsanspruch des verarmten Schenkers nach § 528 Bürgerliches Gesetzbuch geltend zu machen.

Wie das Sozialgericht zu Recht ausgeführt hat, ist es nicht möglich, dass die Antragsteller wesentliche Teilbeträge der 101.000,- Euro für den Lebensunterhalt ausgegeben haben. Der laufende Lebensunterhalt wurde fortlaufend durch Arbeitslosengeld nach SGB III, Krankengeld, Kindergeld und Elterngeld abgedeckt. Das Gegenteil wurde von den Antragstellern nur für die Zeit von Januar bis April 2009 behauptet, was wie dargelegt nicht nachvollziehbar ist. Der fehlende Verbrauch für den Lebensunterhalt wird auch durch die Kontoauszüge und Umsatzlisten bestätigt. Dem Girokonto wurden in der gesamten Zeit nur geringe Beträge zugeführt. Manchen größeren Einzahlungen entsprechen zeitnahe Überweisungen, die nicht dem Lebensunterhalt zuzuordnen sind (z.B. am 23.03.2009 und am 24.04.2009).

Die Kontoauszüge und Umsatzlisten fördern weitere Merkwürdigkeiten zu Tage. Der Antragsteller zu 1 bezahlt die gesamte Zeit über jeden Monat 348,96 Euro an eine Bank eines Autoherstellers, mutmaßlich für einen höherwertigen Pkw. Auch diese Zahlungen wurden vom Antragsteller zu 1 geschultert, ohne seinem Konto regelmäßig Geld zuführen zu müssen. Seit geraumer Zeit werden diese Raten von einer Ratenschutzversicherung übernommen. Nach deren Bedingungen leistet diese ab einer bestimmten Krankheitsdauer. Der Antragsteller zu 1 gibt beim Antragsgegner laufend Krankmeldungen ab. Gleichwohl hat er in dem Leistungsantrag keinen derartigen Pkw angegeben. Einer Aufklärung bedürfte auch die Überweisung einer Immobilienfirma von 760,- Euro am 07.10.2009. Gleiches gilt für zwei Zahlungen des Finanzamts am 07.01.2010 und am 26.03.2010. Am 26.03.2010 erhielt der Antragsteller einen Betrag von 5.153,25 Euro wegen einer "Falschlieferung". Hier stellt sich die Frage, wer hat wem was falsch geliefert? Auch die regelmäßige monatliche Zahlung von 140,- Euro auf ein Konto des Antragstellers zu 1 bei der Citybank ist erklärungsbedürftig.

In die Güter- und Folgenabwägung stellt das Beschwerdegericht auch ein, dass nach dem gesamten Ablauf seit September 2009 nicht damit gerechnet werden kann, dass die Antragsteller substantielle Beiträge zur Aufklärung des Verbleibs der 101.000,- Euro leisten würden, wenn ihnen im Eilverfahren Leistungen zugesprochen werden würden. Sie haben zuerst keine, dann nur äußerst schleppend ungenaue Erklärungen abgegeben. Der gesamte Vorgang befindet sich in der Verantwortungssphäre der Antragsteller. Diese können die offenen Fragen klären. Der Antragsgegner hat keinen Zugriff auf die notwendigen Informationen. Da derzeit keine Schulden bestehen und noch ein Guthaben auf dem Girokonto vorhanden ist, ist eine Leistungsgewährung nicht angezeigt.

Obwohl die 101.000,- Euro bereits im Januar 2009 ausgezahlt wurden, ist der Verbleib dieses Vermögens auch in dem Eilverfahren zu existenzsichernden Leistungen entscheidungserheblich.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem grundlegenden Beschluss vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05, dort Rn. 28, ausgeführt, dass Umstände aus der Vergangenheit nur insoweit herangezogen werden dürfen, als diese eindeutige Erkenntnisse über die gegenwärtige Lage des Anspruchstellers ermöglichen. Dies gilt für die Feststellung der Hilfebedürftigkeit selbst und für die Überprüfung einer Obliegenheitsverletzung nach §§ 60, 66 SGB I, wenn über einen Anspruch nach diesen Kriterien entschieden wird. Existenzsichernde Leistungen dürfen nicht aufgrund bloßer Mutmaßungen verweigert werden, insbesondere wenn sich diese auf vergangene Umstände stützen (BVerfG a.a.O.).

Hier ist es so, dass die Umstände der Vergangenheit (Zufluss von 101.000,- Euro) insoweit eindeutige Erkenntnisse über die gegenwärtige Lage der Anspruchstellers ermöglichen, als diese ihrer Obliegenheit, zur Aufklärung des Verbleibs dieses erheblichen Vermögens trotz vielfacher Aufforderungen bis heute nicht erfüllt haben. In Zusammenschau mit der Sicherung des laufenden Lebensunterhalts in der Zwischenzeit aus anderen Mitteln kann das Gericht über diesen Mittelzufluss nicht hinweggehen und als "Vergangenheit" außen vor lassen. Es handelt sich hier um klare Fakten und nicht um Mutmaßungen wie in dem Fall, der dem Beschluss vom 12.05.2005 zugrunde lag. Dort wurden zwei Betroffenen nach laufendem Sozialhilfebezug die existenzsichernden Leistungen für 16 Monate verweigert, obwohl nur schwache Indizien zu vermutetem Einkommen vorlagen. Die dortigen Antragsteller waren krank, der Krankenversicherungsschutz drohte zu erlöschen, die Wohnung war gekündigt worden, das Girokonto war überzogen und die Einstellung der Energieversorgung drohte.

In einem weiteren Beschluss vom 01.02.2010, 1 BvR 20/10, hat das BVerfG ausgeführt, dass auch in einem sozialgerichtlichen Eilverfahren zu existenzsichernden Leistungen aufgrund der objektiven Beweislast eine Entscheidung zulasten des Antragstellers getroffen werden kann, wenn der Antragsteller die vom Gericht aufgegebenen notwendigen Mitwirkungshandlungen nicht erfüllt.

Das Beschwerdegericht geht in Anlehnung an diesen Beschluss davon aus, dass konkrete entscheidungserhebliche Umstände in der Vergangenheit, die der Betroffene nach den Umständen des Einzelfalls aufklären kann und er hierzu vom Gericht konkret aufgefordert wurde, auch im Rahmen einer Folgenabwägung bei existenzsichernden Leistungen eine Beweislastentscheidung zulasten des Betroffenen begründen können. Deshalb erhalten die Antragsteller in diesem Eilverfahren keine existenzsichernden Leistungen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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