L 6 KR 442/12 B ER

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Meiningen (FST)
Aktenzeichen
S 16 KR 241/12 ER
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 6 KR 442/12 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Meiningen vom 21. Februar 2012 wird zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt. Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden.

Gründe:

I.

Die Beschwerdeführer begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Verpflichtung der Beschwerdegegnerin, ihm vorläufig als Pflichtmitglied in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) Versicherungsschutz zu gewähren.

Der 1959 geborene Beschwerdeführer war vom 1. Mai 1995 bis 15. September 2011 als selbstständiger Einzelunternehmer tätig. Bis zum Jahr 2000 war er bei der DKV-Deutsche Krankenversicherung AG privat krankenversichert. Nach deren Kündigung war er weder gesetzlich noch privat krankenversichert. Seit dem 1. September 2011 bezieht er Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Am 12. Januar 2012 beantragte er bei der Beschwerdegegnerin die Pflichtversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V). Diese teilte in verschiedenen E-Mails mit, eine Pflichtversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V sei nicht möglich, weil der Beschwerdeführer zuletzt nicht in der GKV versichert war; er möge eine private Krankenkostenversicherung abschließen. Der Beschwerdeführer erhob Widerspruch mit der Begründung, er sei aufgrund seines Gesundheitszustandes dringend auf medizinische Versorgung angewiesen. Mit Bescheid vom 1. Februar 2012 teilte ihm die Beschwerdegegnerin mit, es bestehe keine Pflichtversicherung in der GKV nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V. Er sei zuletzt privat in der ... Krankenversicherung AG krankenversichert gewesen; die Voraussetzungen nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V seien somit nicht erfüllt.

Am 1. Februar 2012 hat der Beschwerdeführer beim Sozialgericht (SG) den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt und mit § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V begründet. Die Vorwegnahme der Hauptsache sei in Kauf zu nehmen, weil die zu befürchtenden Beeinträchtigungen aufgrund seiner Erkrankungen bei Nichtgewährung des Versicherungsschutzes seine Menschenwürde und das Sozialstaatsgebot verletzten.

Mit Beschluss vom 21. Februar 2012 hat das SG den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt und ausgeführt, es sei kein Grund ersichtlich, vom grundsätzlichen Verbot einer Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung abzuweichen. Die Klage habe in der Hauptsache keinen Erfolg. Der Beschwerdeführer sei nicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 a SGB V versicherungspflichtig. Er gehöre zu dem nach § 5 Abs. 5 a SGB V der privaten Krankenversicherung (PKV) zugewiesenen Personenkreis. Nach dem Ende der privaten Versicherung sei er ab dem 1. Januar 2009 nach § 193 Abs. 3 des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) verpflichtet, eine private Krankheitskostenversicherung abzuschließen. Dieser Verpflichtung sei er nicht nachgekommen. Schließlich falle er auch zum 1. Juli 2007 nicht unter die Vorschrift des § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V, weil er zuletzt nicht gesetzlich, sondern privat krankenversichert war.

Im Beschwerdeverfahren trägt der Beschwerdeführer vor, aus gesundheitlichen Gründen benötige er dringend einen Versicherungsschutz. Das Vorliegen des Anordnungsanspruchs indiziere zugleich das Vorliegen des Anordnungsgrundes. Insofern sei ihm auch Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren zu gewähren.

Der Beschwerdeführer beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Meiningen vom 21. Februar 2012 aufzuheben und vorläufig - bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens - festzustellen, dass er seit dem 1. Februar 2012 bei der Beschwerdegegnerin gesetzlich krankenversichert ist.

Die Beschwerdegegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie vertritt die Ansicht, soweit der Beschwerdeführer seiner ab dem 1. Januar 2009 nach § 193 Abs. 3 VVG bestehenden Verpflichtung bei einem privaten Versicherungsunternehmen eine Krankheitskostenversicherung abzuschließen, nicht nachgekommen sei, habe dies nicht zur Folge, dass er ab dem Beginn des Bezuges von Leistungen nach dem SGB II gesetzlich krankenversichert sei.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Beschwerde- und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beschwerdegegnerin Bezug genommen, der Gegenstand der Entscheidung war.

II.

Die Beschwerde ist nach §§ 172 Abs. 1, 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthaft und zulässig.

Nach § 86 b Absatz 2 Satz 2 SGG in der ab dem 2. Januar 2002 gültigen Fassung kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Satz 1). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2). Die Anträge 1 und 2 sind schon vor Klageerhebung zulässig. Das Fehlen der Anhängigkeit des Rechtsstreits in der Hauptsache steht der Zulässigkeit des Antrags nicht entgegen. Der Bescheid der Beschwerdegegnerin vom 1. Februar 2012 ist nicht mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen und daher noch nicht bestandskräftig geworden. Insoweit kann dahinstehen, ob der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gleichzeitig als Widerspruch gegen den Bescheid vom 1. Februar 2012 anzusehen ist. Der Beschwerdeführer könnte jedenfalls noch Widerspruch erheben.

Ein Anordnungsantrag ist begründet, wenn das Gericht auf Grund einer hinreichenden Tatsachenbasis durch Glaubhaftmachung (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO) und/oder im Wege der Amtsermittlung (§ 103 SGG) einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund bejahen kann. Ein Anordnungsanspruch liegt vor, wenn das im Hauptsacheverfahren fragliche materielle Recht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit gegeben ist. Ein Anordnungsgrund ist zu bejahen, wenn es für den Antragsteller unzumutbar erscheint, auf den (rechtskräftigen) Abschluss des Hauptsacheverfahrens verwiesen zu werden. Insofern besteht keine freie Auswahl, ob das Rechtsschutzbegehren im Eilverfahren oder im Hauptsacheverfahren verfolgt wird; einstweiliger Rechtsschutz kommt nur (regelmäßig ergänzend) dann in Betracht, wenn eine Gewährung von Rechtsschutz in der Hauptsache zu spät käme und dadurch der verfassungsrechtliche Anspruch auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG)) beeinträchtigt würde (vgl. Senatsbeschluss vom 28. Juli 2004 - Az.: L 6 P 458/04 ER m.w.N.). Dabei begegnet es grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn sich die Gerichte bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren. Drohen ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, dürfen sich die Gerichte nur an den Erfolgsaussichten orientieren, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist. Ist dem Gericht dagegen eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 2. Mai 2005 - Az.: 1 BvR 569/05, nach juris); die grundrechtlichen Belange des Antragstellers sind umfassend in die Abwägung einzustellen. Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. November 2007 - Az.: 1 BvR 2496/07, nach juris).

Soweit der Beschwerdeführer vorläufig Krankenversicherungsschutz in der GKV begehrt, fehlt es am Vorliegen eines Anordnungsanspruchs. Er ist nicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 a SGB V in der GKV pflichtversichert.

Nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 a SGB V sind versicherungspflichtig Personen in der Zeit, für die sie Arbeitslosengeld II nach dem SGB II beziehen soweit sie nicht familienversichert sind, es sei denn, dass diese Leistung nur darlehensweise gewährt wird oder nur Leistungen nach § 24 Abs. 3 Satz 1 SGB II bezogen werden; dies gilt auch, wenn die Entscheidung, die zum Bezug der Leistung geführt hat, rückwirkend aufgehoben oder die Leistung zurückgefordert oder zurückgezahlt worden ist. Nach § 5 Abs. 5 a SGB V (eingefügt mit Wirkung zum 1. Januar 2009 durch Art. 1 Nr. 2 Buchst. b des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz - GKV-WSG) vom 26. März 2007, BGBl. I Seite 378) ist nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 a SGB V nicht versicherungspflichtig, wer unmittelbar vor dem Bezug von Arbeitslosengeld II privat krankenversichert war oder weder gesetzlich noch privat krankenversichert war und zu den in § 5 Abs. 5 SGB V oder den in § 6 Abs. 1 oder 2 SGB V genannten Personen gehört oder bei Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit im Inland gehört hätte. Satz 1 gilt nicht für Personen, die am 31. Dezember 2008 nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 a SGB V versicherungspflichtig waren, für die Dauer ihrer Hilfebedürftigkeit. Nach § 5 Abs. 5 SGB V ist nach Absatz 1 Nr. 1 oder 5 bis 12 nicht versicherungspflichtig, wer hauptberuflich selbstständig erwerbstätig ist.

Der Beschwerdeführer war unmittelbar vor dem Bezug von Arbeitslosengeld II ab dem 1. August 2011 weder gesetzlich noch privat krankenversichert (§ 5 Abs. 5 a SGB V). Er gehörte aufgrund seiner hauptberuflich selbstständigen Erwerbstätigkeit, die er bis zum 15. September 2011 ausübte, zu dem in § 5 Abs. 5 SGB V genannten Personenkreis.

Er ist auch nicht über die damit allein in Betracht kommende Auffangversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V (eingefügt mit Wirkung zum 1. April 2007 durch Art. 1 Nr. 2 Buchst. a Doppelbuchst. cc GKV-WSG) gesetzlich krankenversichert. Danach sind Personen versicherungspflichtig, die keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall haben und (a) zuletzt gesetzlich krankenversichert waren oder (b) bisher nicht gesetzlich oder privat krankenversichert waren, es sei denn, dass sie zu den in § 5 Abs. 5 SGB V oder den in § 6 Abs. 1 oder 2 SGB V genannten Personen gehören oder bei Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit im Inland gehört hätten.

Eine Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 a SGB V tritt dann ein, wenn keine anderweitige Absicherung vorliegt und die letzte Krankenversicherung eine solche in der GKV gewesen ist, ohne dass es darauf ankommt, wieweit der letzte Zeitraum zurückliegt, in dem die betreffende Person "krankenversichert" war. Die Vorschrift ist so auszulegen, dass bei einer zu einem beliebigen früheren Zeitpunkt bestehenden Absicherung in der GKV oder PKV innerhalb dieser Alternative die letzte Sicherung in der GKV erfolgt sein muss (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 12. Januar 2011 - B 12 KR 11/09 R m.w.N., nach juris). Der Beschwerdeführer war aber zuletzt, wie bereits ausgeführt, nicht in der GKV krankenversichert. Insofern war er nach § 193 Abs. 3 des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) verpflichtet, bei einem privaten Versicherungsunternehmen eine Krankheitskostenversicherung abzuschließen und diese aufrechtzuerhalten. Dem entsprechend besteht ein zeitlich unbegrenzter Kontrahierungszwang nach § 193 Abs. 5 VVG des privaten Versicherungsunternehmens.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) für das Beschwerdeverfahren ist unbegründet. Nach § 73 a Abs. 1 SGG i.V.m. § 114 der Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Eine hinreichende Aussicht auf Erfolg bestand im Beschwerdeverfahren aus den oben genannten Gründen nicht.

Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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