L 7 AS 2508/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 4 AS 907/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 AS 2508/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 20. April 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für einen Zeitraum, in dem er eine Ausbildung zum staatlich anerkannten Informatiker durchlief.

Der am 1979 geborene Kläger bezog bis 30. September 2009 Leistungen nach dem SGB II von dem Beklagten. Er lebte allein in einer von ihm selbst angemieteten Wohnung und erhielt ab Oktober 2009 Wohngeld von der Stadt Heidelberg. Ab dem 2. Oktober 2009 betrieb er an der B. f. I. - zweijährige, staatlich anerkannte Ergänzungsschule - H. eine Ausbildung zum staatlich anerkannten Informatiker für Game- und Multimedia-Entwicklung. Am 5. Oktober 2011 schloss er die Ausbildung erfolgreich ab.

Seinen Antrag auf Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) für die genannte Ausbildung lehnte das Landratsamt Rhein-Neckar-Kreis mit Bescheid vom 23. November 2009 ab, da der Kläger bei Beginn des Ausbildungsabschnittes bereits das 30. Lebensjahr vollendet habe und deshalb gemäß § 10 Abs. 3 BAföG Ausbildungsförderung nicht geleistet werden könne. Die Bundesagentur für Arbeit lehnte seinen Antrag auf Berufsausbildungsbeihilfe ab, da die Ausbildung nicht nach § 60 Abs. 1 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) förderungsfähig sei (Bescheid vom 6. November 2009).

Den am 10. Februar 2010 gestellten Antrag auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende lehnte der Beklagte durch Bescheid vom 23. Februar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. März 2010 unter Hinweis auf den Leistungsausschluss von Auszubildenden in einer nach dem BAföG dem Grunde nach förderungsfähigen Ausbildung gemäß § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II ab.

Die am 9. März 2010 erhobene Klage hat das Sozialgericht Mannheim (SG) mit Gerichtsbescheid vom 20. April 2010 abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes. Ob ihm BAföG-Leistungen zustünden, sei im Rahmen des § 7 Abs. 5 SGB II unerheblich; entscheidend sei die abstrakte Förderfähigkeit. Wenn der Kläger wegen Überschreitens der Altersgrenze kein BAföG mehr erhalten könne, werde die entstehende Bedarfslücke nicht durch Leistungen der Grundsicherung gedeckt. Einen Härtefalltatbestand, der einen Anspruch auf Darlehensleistungen eröffnen würde, vermöge das Gericht nicht zu erkennen.

Gegen diesen seinem Prozessbevollmächtigten am 23. April 2010 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 19. Mai 2010 Berufung eingelegt. Zutreffend sei, dass die Ausbildung dem Grunde nach BAföG-förderungsfähig sei. Es liege jedoch ein Härtefall vor. Könne er seine Ausbildung nicht beenden, würde er dem SGB II-Leistungsträger dauerhaft zur Last fallen und Arbeitslosengeld II erhalten müssen, da er über keinerlei Ausbildung verfüge. Die Vermittlungschancen könnten erheblich gesteigert werden, wenn er die Ausbildung abschließen könne. Die Ausbildung sei im Bereich Informatik zu absolvieren. Geltend gemacht würden die alten restlichen Kosten, die während der Ausbildung aufgelaufen seien.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 20. April 2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 23. Februar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. März 2010 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, für den Zeitraum vom 2. Oktober 2009 bis 5. Oktober 2011 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende in gesetzlicher Höhe, hilfsweise als Darlehen, zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die Entscheidung des SG für richtig.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten des Beklagten und der Verfahrensakten des SG und des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte gemäß §§ 124 Abs. 2, 153 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden.

Die nach § 151 Abs. 1 und 2 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, insbesondere statthaft nach § 144 Abs. 1 SGG, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 23. Februar 2010 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. März 2010) ist sachlich und rechtlich nicht zu beanstanden. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende im Zeitraum vom 2. Oktober 2009 bis 5. Oktober 2011, in welchem er die Ausbildung zum staatlich anerkannten Informatiker für Game-und Multimedia-Entwicklung durchlaufen hat.

Zwar liegen die Voraussetzungen für einen Anspruch des Klägers auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 7 Abs. 1 SGB II (Vollendung des 15. Lebensjahres sowie Nichterreichung der Altersgrenze des § 7a SGB II von 67 Jahren, Erwerbsfähigkeit, Hilfebedürftigkeit und ein gewöhnlicher Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland als deutscher Staatsangehöriger) vor. Der Kläger ist jedoch nach § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II (in der bis zum 31. März 2011 geltenden Fassung des Gesetzes vom 20. Juli 2006 - BGBl. I, S. 1706) von den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ausgeschlossen. Nach § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II haben Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des BAföG oder nach den §§ 60 bis 62 SGB III dem Grunde nach förderungsfähig ist, keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts.

Der vom Kläger absolvierte schulische Ausbildungsgang zum staatlich anerkannten Informatiker für Game-und Multimedia-Entwicklung an der Berufsfachschule für Informatik Heidelberg ist nach dem BAföG dem Grunde nach förderungsfähig. Der Ausschlussregelung des § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II liegt die Erwägung zugrunde, dass bereits die Ausbildungsförderung nach dem BAföG oder eine Förderung gemäß §§ 60 bis 62 SGB III auch die Kosten des Lebensunterhalts umfasst und die Grundsicherung nach dem SGB II nicht dazu dienen soll, durch Sicherstellung des allgemeinen Lebensunterhalts das Betreiben einer dem Grunde nach anderweitig förderungsfähigen Ausbildung zu ermöglichen. Die Ausschlussregelung im SGB II soll die nachrangige Grundsicherung (vgl. § 3 Abs. 3 SGB II) mithin davon befreien, eine - versteckte - Ausbildungsförderung auf zweiter Ebene zu ermöglichen. Wie beide für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des Bundessozialgerichts (BSG) in ständiger Rechtsprechung entschieden haben, zieht allein die Förderungsfähigkeit der Ausbildung dem Grunde nach die Rechtsfolge des § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II, also den Ausschluss von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, nach sich. Individuelle Versagensgründe, die im Verhältnis zum Träger der Förderungsleistung eingetreten sind, bleiben demgegenüber außer Betracht (BSGE 99, 67 = SozR 4-4200 § 7 Nr. 6, m.w.N.; BSG, Urteil vom 30. September 2008 - B 4 AS 28/07 R - SozR 4-4200 § 7 Nr. 9; BSG, Urteil vom 1. Juli 2009 - B 4 AS 67/08 R - (juris); BSG, Urteil vom 19. August 2010 - B 14 AS 24/09 R - SozR 4-4200 § 7 Nr. 20, BSG, Urteil vom 27. September 2011 - B 4 AS 145/10 R - SozR 4-4200 § 7 Nr. 26). Der Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an (vgl. bereits den Senatsbeschluss vom 8. Oktober 2008 - L 7 AS 4178/08 ER-B -).

Die Prüfung, ob eine Ausbildung dem Grunde nach förderungsfähig nach dem BAföG ist, richtet sich abschließend nach § 2 BAföG. Von dieser Grundregel finden sich nach der Rechtsprechung des 14. Senats des BSG (Urteil vom 19. August 2010 - B 14 AS 24/09 R - SozR 4-4200 § 7 Nr. 20) Ausnahmen nur in den Besonderheiten des Fernunterrichts (vgl. § 3 BAföG) und der Ausbildungen im Ausland (§§ 5, 6 BAföG). Es ist mithin allein aufgrund abstrakter Kriterien, losgelöst von der Person des Auszubildenden, über die Förderfähigkeit der Ausbildung nach dem BAföG zu befinden (vgl. auch BSG Urteil vom 1. Juli 2009 - B 4 AS 67/08 R - ( juris)).

Der Kläger erfüllt die Fördervoraussetzungen nach dem BAföG dem Grunde nach. Gemäß § 2 Abs. 1 BAföG wird Ausbildungsförderung u.a. geleistet für den Besuch von Berufsfachschulklassen und Fachschulklassen, deren Besuch eine abgeschlossene Berufsausbildung nicht voraussetzt, sofern sie in einem zumindest zweijährigen Bildungsgang einen berufsqualifizierenden Abschluss vermitteln. Bei der Berufsfachschule für Informatik Heidelberg handelt es sich um eine Schule im Sinne dieser Vorschrift. Sie ist eine staatlich anerkannte Ergänzungsschule (vgl. Schulbescheinigung vom 7. Dezember 2009 - Bl. 43 der Verwaltungsakte - und das vom Kläger vorgelegte Abschlusszeugnis vom 5. Oktober 2011) und unterfällt damit auch den Voraussetzungen nach § 2 Abs. 2 BAföG.

Der Ausschluss von Leistungen der Ausbildungsförderung beruht im Falle des Klägers allein auf individuellen Gründen. Er hatte nämlich zum Beginn der Ausbildung (2. Oktober 2009) bereits das 30. Lebensjahr vollendet, was zu einem Ausschluss von BAföG-Leistungen auf der Grundlage von § 10 Abs. 3 BAföG führt.

Dies wird vom Kläger nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen anscheinend auch gar nicht mehr bestritten, er meint aber, ihm stünden Leistungen nach dem SGB II deswegen zu, weil ein Härtefall vorliege. Diese Auffassung ist unzutreffend.

Gemäß § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II (in der bis zum 31. März 2011 geltenden Fassung des Gesetzes vom 20. Juli 2006 - BGBl. I, S. 1706) können in besonderen Härtefällen (für die gemäß Satz 1 der Vorschrift von einem Anspruch ausgeschlossenen Auszubildenden) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts als Darlehen gewährt werden. Für den Senat ist bereits äußerst fraglich, welches Rechtsschutzbedürfnis der Kläger für eine nachträgliche Darlehensgewährung für die bereits seit Oktober 2011 abgeschlossene Ausbildung haben könnte. Der Sinn der Darlehensgewährung, die Durchführung und den Abschluss der Ausbildung zu gewährleisten, kann jedenfalls nicht mehr erreicht werden. Auch der Schriftsatz des Klägers vom 18. Juni 2012 erhellt diesen Umstand nicht näher.

Jedenfalls aber liegt kein Härtefall vor. Ein besonderer Härtefall ist nur dann gegeben, wenn der Leistungsausschluss auch unter Berücksichtigung des Gesetzeszwecks des § 7 Abs. 5 SGB II (nämlich die Grundsicherung davon frei zu halten, eine "versteckte" Ausbildungsförderung zu sein) übermäßig hart, d. h. also unzumutbar oder in hohem Maße unbillig erscheint (BSG, Urteil vom 1. Juli 2009, a. a. O.). Keine besondere Härte ist es deshalb vor allem, dass eine Ausbildung wegen allgemein fehlender Mittel nicht absolviert werden kann (BSG, Urteil vom 6. September 2007, SozR 4-4200 § 7 Nr. 8). Eine besonderen Härte wird hingegen im Wesentlichen in drei Konstellationen bejaht (vgl. zusammenfassend BSG, Urteil vom 1. Juli 2009, a. a. O.): 1. Es besteht begründeter Anlass zu der Annahme, dass eine vor dem Abschluss stehende Ausbildung nicht beendet werden kann und damit das Risiko zukünftiger Erwerbslosigkeit droht. 2. Eine bereits fortgeschrittene und bisher kontinuierlich betriebene Ausbildung ist aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalles wegen einer Behinderung oder Krankheit gefährdet, wird aber in absehbarer Zeit zu Ende gebracht. 3. Eine förderungsfähige Ausbildung stellt objektiv belegbar - weil besondere soziale und/oder persönlichkeitsbedingte Problemlagen nachweisbar sind - die einzige Zugangsmöglichkeit zum Arbeitsmarkt dar und der Berufsabschluss ist nicht auf andere Weise erreichbar (BSG, Urteil vom 6. September 2007, a.a.O.; Thie in LPK-SGB II, 4. Auflage § 27 Rdnr. 11). Die ersten beiden Konstellationen scheiden vorliegend bereits deswegen aus, weil der Kläger für eine neu aufgenommene Ausbildung Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende begehrt. Aber auch die Voraussetzungen der dritten Konstellation sind nicht gegeben, weil keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür bestehen oder vom Kläger vorgetragen sind, dass die erfolgreiche Integration des Klägers in den Arbeitsmarkt wegen besonderer persönlicher Problemlage nur und ausschließlich über den (erfolgreichen) Besuch der SRH-Fachschule für Informatik bewirkt werden kann. Dabei verkennt der Senat nicht, dass eine Berufsausbildung für den noch berufslosen Kläger wünschenswert ist. Eine Integration in den Arbeitsmarkt ist bei Fehlen einer Berufsausbildung jedoch nicht von vornherein ausgeschlossen. Im Übrigen ist auch nicht ersichtlich oder vorgetragen, dass die Möglichkeiten der Leistungen zur Eingliederung gemäß § 16 SGB II ausgeschöpft wären. Damit ist auch eine darlehensweise Gewährung der begehrten Leistungen ausgeschlossen.

Die Voraussetzungen des § 7 Abs. 6 SGB II erfüllt der Kläger nicht. Danach findet Abs. 5 keine Anwendung auf Auszubildende, 1. die aufgrund von § 2 Abs. 1a BAföG keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung oder aufgrund von § 64 Abs. 1 SGB III keinen Anspruch auf Berufsausbildungsbeihilfe haben, 2. deren Bedarf sich nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 BAföG oder nach § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB III bemisst oder 3. die eine Abendhauptschule, eine Abendrealschule oder ein Abendgymnasium besuchen, sofern sie aufgrund von § 10 Abs. 3 BAföG keine Anspruch auf Ausbildungsförderung haben.

Ein Zuschuss zu den Kosten der Unterkunft nach § 22 Abs. 7 SGB II (in der bis zum 31. März 2011 geltenden Fassung des Gesetzes vom 20. Juli 2006 - BGBl. I, S. 1706) kommt nach dem Wortlaut der Norm schon deshalb nicht in Betracht, weil der Kläger kein BAföG bezieht.

Der Senat weist abschließend darauf hin, dass die mit Wirkung vom 1. April 2011 durch Art. 2 des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24. März 2011 (BGBl. I, S. 453) erfolgten Änderungen von § 7 Abs. 5 SGB II und § 27 SGB II eine günstigere Beurteilung der Rechtslage vorliegend schon deswegen nicht rechtfertigen, weil die Anspruchsvoraussetzungen für Fälle der vorliegenden Art unverändert geblieben sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG), liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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