Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Dresden (FSS)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 3 AS 3573/10
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Bemerkung
Die Rechtsbehelfsbelehrung eines nach § 5 Abs. 4, 7 VwZG per Empfangsbekenntnis förmlich zugestellten Widerspruchsbescheides, nach welcher Klage innerhalb von einem Monat nach \"Bekanntgabe\" der Entscheidung erhoben werden kann, ist nicht unrichtig und l
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Sprungrevision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt im Rahmen der Leistungen der Grundsicherung für Erwerbsfähige nach dem SGB II vom Beklagten die Bewilligung höherer Unterkunftskosten für April 2006.
Die 1979 geborene Klägerin ist alleinstehend und bezieht seit Januar 2005 Leistungen der Grundsicherung für Erwerbsfähige nach dem SGB II. Sie bewohnt eine 49,24qm-Wohnung, deren Grundmiete anfangs 251,76 EUR zuzüglich warmer Betriebskosten in Höhe von 79,00 EUR betrug. Zum 01.09.2005 wurde die Miete verändert auf Nettokaltmiete in Höhe von 248,66 EUR zuzüglich Betriebs- und Heizkosten in Höhe von 120,00 EUR.
Auf den Fortzahlungsantrag vom 29.12.2005 bewilligte der Beklagte der Klägerin Leistungen der Grundsicherung für die Zeit vom 01.11.2005 bis 30.04.2006 in Höhe von monatlich 691,48 EUR, unter Berücksichtigung von Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 360,48 EUR, davon 45,82 EUR Heizkosten.
Nach anfänglicher Bewilligung der vollen Kosten der Unterkunft und Heizung (lediglich gekürzt um die Warmwasserpauschale) wies der Beklagte die Klägerin mit dem Bewilligungsbescheid vom 24.10.2005, mit dem eine Betriebskostennachzahlung übernommen wurde, darauf hin, dass einmalig auch unangemessene Kosten zu übernehmen seien und sie habe auf "sparsamen Umgang" zu achten. Mit Schreiben vom 26.10.2005 forderte der Beklagte die Klägerin dazu auf, Ihre Kosten für Unterkunft und Heizung zu senken. Für einen Ein-Personen-Haushalt sei höchstens eine Bruttokaltmiete von 252,45 EUR zuzüglich Heizkosten von maximal 46,80 angemessen. Auf diesen Wert habe die Klägerin ihr Kosten bis 31.03.2006 zu senken. Sollte ihr dies nicht möglich sein, habe sie hiermit die Gelegenheit zur Stellungnahme, in deren Folge der Beklagte prüfen werde, ob eine Ausnahme möglich sei. Mit Schreiben vom 23.11.2005 teilte die Klägerin mit, dass ihr bei Erstantragstellung gesagt worden sei, dass sie in der Wohnung bleiben könne. Hieran sei ihr auch sehr gelegen, da sie erheblich an Einrichtungsgegenständen investiert habe. Zudem wohnten im Gebäude auch die Eltern der Klägerin, die sie im Haushalt unterstütze. Mit Schreiben vom 13.12.2005 teilte der Beklagte der Klägerin nochmals mit, dass ihre Unterkunftskosten unangemessen hoch seinen und die von der Klägerin vorgebrachten Gründe nicht geeignet seien, ausnahmsweise die überhöhten Kosten zu übernehmen. Ab 01.04.2006 werde die Klägerin den unangemessenen Mietteil selbst übernehmen müssen, wenn sie nicht umziehe.
Im Rahmen des (Änderungs-)Bewilligungsbescheides vom 19.04.2006 für April 2006 berechnete der Beklagte die Leistung unter Zugrundelegung von Unterkunfts- und Heizkosten in Höhe von insgesamt 299,25 EUR.
Am 28.01.2010 beantragte die Klägerin ohne weitere Begründung die Überprüfung aller Bewilligungsbescheide für den Zeitraum April 2006 bis April 2010.
Mit Überprüfungsbescheiden vom 04.02.2010 wies der Beklagte den Antrag (auch) zum streitgegenständlichen Zeitraum zurück und führte aus, dass die Bewilligungsbescheide auch nach nochmaliger Prüfung nicht zu beanstanden seien.
Hiergegen erhob der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schreiben vom 08.03.2010 Widerspruch mit der Begründung, dass die Kosten für Unterkunft und Heizung nicht in vollem Umfang berücksichtigt seien und auch die Warmwasserpauschale nicht in gesetzlicher Höhe abgezogen sei. Der Widerspruch wende sich gegen die Absenkung der Unterkunftskosten auf 308,70 EUR.
Mit Widerspruchsbescheid (W 2980/10) vom 03.05.2010 wies der Beklagte den Widerspruch für den streitgegenständlichen Zeitraum zurück. Die Absenkung der Unterkunftskosten sei entsprechend dem Stadtratsbeschluss vom 24.02.2005 erfolgt. Erst mit Urteil des Bundessozialgerichts vom 22.09.2009 sei festgestellt worden, dass der Stadtratsbeschluss nicht den Anforderungen entspricht und die Grenzwerte vielmehr an der Verwaltungsvorschrift des Sächsischen Staatsministeriums des Inneren zur Modernisierung und Instandsetzung von Mietwohnungen als Ersatzwohnraum vom 27.06.2005 auszurichten wären. Der vorliegend angefochtene Bescheid sei davor aber bereits bestandskräftig gewesen, so dass das BSG-Urteil auf den streitgegenständlichen Zeitraum nicht angewendet werden könne. Die Rechtsbehelfsbelehrung lautete: "Gegen diese Entscheidung kann jeder Betroffene für sich innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe beim Sozialgericht Dresden, Klage erheben." Der Widerspruchsbescheid wurde dem Prozessbevollmächtigten ausweislich des dortigen Eingangsstempels am 04.05.2010 per Empfangsbekenntnis zugestellt. Das Empfangsbekenntnis, in dem der Prozessbevollmächtigte mit seiner Unterschrift bestätigte, den Widerspruchsbescheid am 04.05.2010 erhalten zu haben, wurde am 05.05.2010 an den Beklagten zurückgefaxt (Bl. 533 Verwaltungsakte).
Mit Schreiben vom 04.06.2010, beim Sozialgericht Dresden (über einen Kurier der Bundesagentur für Arbeit) am 08.06.2010 eingegangen erhob der Prozessbevollmächtigte für die Klägerin gegen diesen Widerspruchsbescheid Klage. Auf den richterlichen Hinweis, dass die Klage verfristet sein dürfte entgegnete der Prozessbevollmächtigte, dass die Klagefrist gewahrt sei. Der Widerspruchsbescheid sei im Sinne von § 85 Abs. 3 Satz 2 SGG i.V.m. §§ 2, 5 Abs. 7 VwZG förmlich mittels Empfangsbekenntnis zugestellt worden. Gleichwohl weise der Beklagte in der Rechtsbehelfsbelehrung darauf hin, dass die Klagefrist "nach Bekanntgabe" zu laufen beginne. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 09.12.2008, Az.: B 8/9b SO 13/07 R und Urteil vom 27.09.1983, Az.: 12 RK 75/82) gelte jedoch für den Beginn der Klagefrist bei förmlicher Zustellung die Zustellung. Soweit hierauf in der Rechtsbehelfsbelehrung nicht hingewiesen sei, sei diese fehlerhaft, so dass die Klagefrist nach § 66 Abs. 2 SGG ein Jahr betrage. Es dürfe bei förmlicher Zustellung nicht auf den ungenauen Begriff der Bekanntgabe abgestellt werden. Anders als in der durch das Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Sachlage, in der der Widerspruchsbescheid zugestellt werden musste und deshalb Zustellung und Bekanntgabe nicht auseinanderfallen konnte, sei dies im Sozialhilferecht aufgrund der 3-Tages-Fikton regelmäßig der Fall. Schließlich löse nur die ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrung die Monatsfrist aus, hierüber sei abstrakt zu entscheiden. Schließlich habe der Klägervertreter bei Einreichung der Klage darauf vertrauen dürfen, dass das Sozialgericht in Übereinstimmung mit dem BSG entscheiden werde, so dass Wiedereinsetzung in die Klagefrist zu gewähren sei. In der Sache selbst wende sich die Klägerin gegen die Berücksichtigung zu geringer Kosten für Unterkunft und Heizung.
Der Kläger beantragt,
den Überprüfungsbescheid vom 04.02.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.05.2010 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, unter Abänderung seiner Bescheide hinsichtlich des Bewilligungszeitraumes vom April 2006 der Klägerin Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung nach dem SGB II für den April 2006 unter Berücksichtigung einer angemessenen Wohnfläche von 49,24 Quadratmeter in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Klagefrist habe nach der Zustellung am 04.05.2010 gemäß § 64 Abs. 1 SGG am 05.05.2010 begonnen und am 04.06.2010 geendet. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG 6 B 65/95) habe in seinem Beschluss vom 31.05.2006 festgestellt, dass die Rechtsbehelfsbelehrung eines nach § 5 Abs. 1 VwZG zugestellten Bescheides nicht unrichtig sei, auch wenn auf die Möglichkeit der Widerspruchserhebung "nach Bekanntgabe" hingewiesen sei, denn die Belehrung, die Klagefrist beginne mit Bekanntgabe- statt Zustellung- könne keinen Irrtum des Adressanten über den Beginn der Klagefrist hervorrufen und die Klageerhebung nicht erschweren. Denn bei den Zustellungsarten nach § 5 VwZG sei die Zustellung auch aus Sicht des Empfängers immer zugleich die Bekanntgabe, woran ein Zustellungsempfänger bei vernünftiger Überlegung nicht zweifeln könne. Es bestehe auch keine Unsicherheit hinsichtlich des Beginns der Klagefrist, weil im Falle der Zustellung durch Empfangsbekenntnis (anders als etwa beim eingeschriebenen Brief) die Zustellung und die tatsächliche Bekanntgabe nicht auseinanderfallen.
Für das weitere vorbringen der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte, sowie die Verwaltungsakte des Beklagten (Nr. 07402BG0012818), deren Inhalt Gegenstand der Entscheidung war, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist unzulässig.
1. Dem Antrag, über die Zulässigkeit der Klage durch Zwischenurteil gemäß § 130 Abs. 2 SGG zu entscheiden, wird nicht gefolgt, da das Gericht dies vorliegend nicht für sachdienlich hält. Die Entscheidung durch Zwischenurteil steht im Ermessen des Gerichts. Sie ist insbesondere dann angezeigt, wenn dadurch eine Vorfrage so geklärt werden kann, dass ggf. weitere Ermittlungen erspart bleiben. Dies ist vorliegend nicht gegeben. Zwar handelt es sich um eine entscheidungserhebliche prozessuale Vorfrage. Das Gericht hält es aber für sachdienlicher, den vorliegenden Rechtstreit durch Sachurteil zu beenden. Wäre das Gericht zu dem Ergebnis gekommen, dass die Klage zulässig ist, wäre in der Sache hinsichtlich der Frage der Angemessenheit der Unterkunftskosten der Klägerin durchzuentscheiden gewesen. Da gleichzeitig 10 Klagen der Klägerin anhängig sind, in denen durchwegs dieselbe Frage der Angemessenheit der Unterkunftskosten streitentscheidend ist kann nicht davon ausgegangen werden, dass vorliegend (ggf. kostenaufwändiger) Ermittlungsaufwand erspart bliebe, wenn lediglich ein Zwischenurteil erginge (vgl. zur Sachdienlichkeit der Vorabentscheidung LSG Baden-Württemberg, Teilurteil vom 28.02.2002 Az.: L 10 U 2930/01).
2. Die Klage ist unzulässig, weil sie nach Ablauf der Klagefrist eingelegt wurde und somit verfristet ist.
Der klagegegenständliche Widerspruchsbescheid datiert vom 03.05.2010 und wurde dem Prozessbevollmächtigten am 04.05.2010 per Empfangsbekenntnis zugestellt.
Entscheidet sich die Behörde für eine förmliche Zustellung, gelten nach § 85 Abs. 3 Satz 2 SGG die Vorschriften des Verwaltungszustellungsgesetzes. Die Zustellung per Empfangsbekenntnis ist in § 5 Abs. 4 VwZG geregelt. Die Zustellung ist eine besondere Form der Bekanntgabe, § 2 Abs. 1 VwZG. Für den Lauf der Klagefrist gemäß § 87 Abs. 2 SGG tritt die Zustellung an die Stelle der Bekanntgabe (vgl. BSG Urteil vom 21.12.2009, Az.: B 14 AS 63/08 R). Die Zugangsfiktion des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X ist nicht einschlägig, da aufgrund der förmlichen Zustellung der Widerspruchsbescheide der genaue Zeitpunkt des Zugangs feststeht (vgl. Engelmann bei von Wulffen, SGB X, § 37 Rn 13). Die Frist berechnet sich nach § 64 SGG, wonach der Lauf der Frist mit dem Tage nach der Zustellung beginnt.
Somit begann die Klagefrist am Tag nach der Zustellung, also dem 05.05.2010.
Die Klagefrist beträgt einen Monat, § 87 Abs. 1 Satz 1 SGG und endet gemäß § 64 Abs. 2 SGG mit Ablauf desjenigen Tages des Monats, welcher nach Benennung oder Zahl dem Tage entspricht, in den das Ereignis oder der Zeitpunkt fällt. Auch vorliegend gilt nach der hier vertretenen Rechtsansicht nichts anderes, denn die Rechtsbehelfsbelehrung war richtig und somit ausreichend, um den Lauf der Monatsfrist in Gang zu setzen, so dass nicht die Jahresfrist nach § 66 Abs. 2 Satz 1 SGG zur Anwendung kommt. Zwar wird in der Rechtsbehelfsbelehrung des streitgegenständlichen Widerspruchsbescheids als Zeitpunkt des Fristbeginns die Bekanntgabe genannt und nicht auf den spezielleren Begriff der Zustellung abgestellt. Nach der früheren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts war die Rechtsbehelfsbelehrung dann richtig, wenn sie im Fall der Zustellung auch dort auf den Begriff der Zustellung und nicht der Bekanntgabe abstellte (vgl. BSG Urteil vom 09.12.2008, Az.: B 8/9b SO 13/07 R). So führte das BSG aus:
"Entscheidet sich der Leistungsträger für den Weg der förmlichen Zustellung, ist es erforderlich, dass in der Rechtsbehelfsbelehrung auf den Zeitpunkt der Zustellung abgestellt wird und nicht der ungenaue und missverständliche Begriff der Bekanntgabe gewählt wird (vgl BSG vom 26.10.1989 aaO und vom 27.9.1983 - 12 RK 75/82)."
Insoweit ist jedoch zu berücksichtigen, dass das BSG dort den entgegengesetzten Fall zu entscheiden hatte, da dort nach förmlicher Zustellung die Rechtsbehelfsbelehrung ebenfalls auf die Zustellung abstellte. Zudem war dort der Fall gegeben, dass die Zustellung mittels eingeschriebenen Briefs erfolgte und für den Beginn des Firstlaufs auf die Zugangsfiktion nach § 4 Abs. 1 VwZG zurückgegriffen werden musste. In einem solchen Fall können rechtlich wirksame Zustellung und tatsächliche Bekanntgabe auseinanderfallen, so dass beim Empfänger Verwirrung über den Fristlauf entstehen kann. Allerdings war die Rechtsbehelfsbelehrung in dem durch das BSG entscheidenden Fall gar nicht streitentscheidend, da sie tatsächlich auch auf die Zustellung abstellte. Das entgegen gesetzte Problem hatte das BSG damit gar nicht zu entscheiden. Gleiches gilt für das Urteil des BSG vom 27.09.1983. Dort berief sich die Klägerin auf die Unwirksamkeit des mittels eingeschriebenen Briefes zugestellten Bescheides, gerade weil die Rechtsbehelfsbelehrung auf die Zustellung abstellte, Das BSG entschied, dass die Rechtsbehelfsbelehrung korrekt war und der Bescheid nach Ablauf der Monatsfrist nach Zustellung auch bestandskräftig geworden war. Auch in der damaligen Parallelentscheidung des BSG (Urteil vom 15.12.2983, Az.: 12 RK 22/82) lautete der Tenor lediglich:
"Eine Rechtsbehelfsbelehrung, in der auf die Zustellung des Bescheides Bezug genommen wird, ist dann als richtig anzusehen, wenn die Zustellung ordnungsgemäß erfolgt ist."
Hieraus kann aber nach der hier vertretenen Rechtsauffassung nicht gefolgert werden, dass jede andere Rechtsbehelfsbelehrung im Sinne des § 66 Abs. 2 Satz 1 SGG unrichtig ist, so dass automatisch der Lauf der Jahresfrist in Gang gesetzt wird. Gemäß § 66 Abs. 2 Satz 1 SGG gilt: "Ist die Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist die Einlegung des Rechtsbehelfs nur innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung zulässig."
Der 14. Senat des Bundessozialgerichts ließ in seiner Entscheidung vom 21.12.2009 (Az.: B 14 AS 63/08 R) die Frage, ob das Abstellen auf den Zeitpunkt der "Bekanntgabe" in Fällen der förmlichen Zustellung des Verwaltungsaktes für die Rechtsbehelfsbelehrung ausreichend ist, ausdrücklich dahinstehen.
Im vorliegenden Fall ist die Rechtsbehelfsbelehrung nach Überzeugung des Gerichts nicht "unrichtig". Dies gilt nach der hier vertretenen Rechtsauffassung schon deshalb, weil die "Zustellung" in jedem Fall eine besondere Form der Bekanntgabe darstellt und somit grundsätzlich der weitere Begriff der Bekanntgabe, den engeren Begriff der Zustellung einschließt. In den durch das BSG entschiedenen Streitigkeiten bestand das Problem entgegengesetzt darin, ob der Begriff der Zustellung angebracht ist, oder ob der (weitere) Begriff der Bekanntgabe gefordert werden müsste. Vor allem aber besteht in der streitgegenständlichen Konstellation nicht die Gefahr, dass Bekanntgabe und Zustellung des Bescheides auseinanderfallen könnten, denn für die Zustellung per Empfangsbekenntnis hat das BSG entschieden, dass die Zustellung erst mit der tatsächlichen Kenntnisnahme durch den Prozessbevollmächtigten erfolgt, nicht etwa schon, wenn das Schriftstück in den "Machtbereich" also in das Büro gelangt (vgl. BSG, Urteil vom 21.12.2009, Az.: B 14 AS 63/08 R). Hier unterscheidet sich der Fall der förmlichen Zustellung durch Empfangsbekenntnis ganz grundsätzlich vom Fall der Zustellung per Einschreiben, bei dem eine Zugangsvermutung gemäß § 4 Abs. 1 VwZG greift, so dass der rechtlich wirksame Zustellungszeitpunkt und die tatsächliche Kenntnisnahme auseinanderfallen können. Dies ist beim Empfangsbekenntnis nicht möglich.
Dies wurde auch vom Bundesverwaltungsgericht insbesondere für die förmliche Zustellung per Empfangsbekenntnis so gesehen, dem insoweit die Leitsätze dieser Urteile des Bundessozialgerichts entgegensteht. Das BVerwG entschied mit Beschluss vom 31.05.2006 (Az.: 6 B 65/05):
"Die Rechtsbehelfsbelehrung eines nach § 5 Abs. 1 VwZG zugestellten Musterungsbescheides, nach welcher der Widerspruch innerhalb von zwei Wochen nach "Bekanntgabe" des Bescheides erhoben werden kann, ist nicht unrichtig."
Dazu wurde in den Gründen weiter ausgeführt:
"Außerdem hält der Kläger die Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig, ob die vierzehntägige Widerspruchsfrist bei belastenden Verwaltungsakten im Wehrpflichtrecht auch dann zu laufen beginnt, wenn in der Rechtsbehelfsbelehrung auf die Bekanntgabe abgestellt wird. Die Frage ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts für die vergleichbare Situation bei der Zustellung mit Postzustellungsurkunde und dabei erfolgender Belehrung über die Klagefrist bereits geklärt. Wird in einem solchen Fall der Widerspruchsbescheid dem Adressaten mit Postzustellungsurkunde zugestellt, ist der Hinweis, die Klagefrist beginne mit der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides - statt mit dessen Zustellung - zu laufen, weder unrichtig noch irreführend (§ 58 Abs. 2 VwGO). Diese Belehrung über den Beginn der Klagefrist entspricht vielmehr der Rechtslage, weil der Widerspruchsbescheid in der besonderen Form der Zustellung mit Postzustellungskunde bekannt gegeben wird und bei dieser Zustellungsart die Zustellung auch aus der Sicht des Empfängers stets zugleich die Bekanntgabe ist (Urteil vom 27. April 1990 - BVerwG - Buchholz 310 § 74 VwGO Nr. 9). Diese rechtliche Beurteilung trifft auch auf die vorliegende Situation bei der Zustellung durch die Behörde gegen Empfangsbekenntnis (§ 5 Abs. 1 VwZG) und dabei erfolgender Belehrung über die Einlegung des Widerspruchs nach § 33 Abs. 1 Satz 1 WPflG zu. Auch hier können Zustellung und Bekanntgabe nicht auseinander fallen, so dass beim Adressaten kein Irrtum über den Lauf der Widerspruchsfrist entstehen kann. Die Rechtsbehelfsbelehrung eines nach § 5 Abs. 1 VwZG zugestellten Musterungsbescheides, nach welcher der Widerspruch innerhalb von zwei Wochen nach "Bekanntgabe" des Bescheides erhoben werden kann, ist daher nicht zu beanstanden."
Dabei ist zu beachten, dass auch der 13. Senat des BSG bereits 1996 (Urteil vom 06.12.1996, Az.: 13 RJ 19/96) zwar entschied, dass die Rechtsbehelfsbelehrung unrichtig sei, wenn bei zugestelltem Widerspruchsbescheid in der Rechtsbehelfsbelehrung auf die "Bekanntgabe" abgestellt werde. Trotz bereits damals anderslautender Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hielt das BSG die Vorlage an den gemeinsamen Senat nicht für erforderlich, weil das Bundesverwaltungsgericht über den Fall der Zustellung per PZU entschieden habe (vgl. Urteil des BVerwG vom 27.04.1990, Az.: 8 C 70/88), während es vorliegend um die Zustellung mittels eingeschriebenem Brief gehe, die schon deshalb grundsätzlich anders sei, weil hier aufgrund der Zugangsvermutung nach § 4 VwZG die Bestimmung der Klagefrist erschwert werde. Zudem bezieht das BSG in dieser Entscheidung durchaus die Frage in seine Überlegungen mit ein, ob dem Empfänger des Bescheides aufgrund der Rechtsbehelfsbelehrung die Einlegung des Rechtsbehelfs erschwert wurde, weil der Firstlauf schwierig zu berechnen bzw. unklar sein könnte.
Die Rechtsprechung des BSG zur Problematik beschränkt sich nach Kenntnis der Kammer auf Fälle, in denen die Zustellung mittels eingeschriebenen Brief erfolgte. Ein Fall mit Zustellung per Empfangsbekenntnis wurde durch das BSG nicht entschieden, sondern zuletzt offen gelassen (BSG, Urteil vom 09.12.2008, Az.: B 8/9b SO 13/07 R). Hierzu gibt es aktuell nur die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Da es sich um eine andere Form der förmlichen Zustellung handelt, stehen die Entscheidungen des BSG der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (schon nach der eigenen Argumentationslinie des BSG im Urteil vom 06.12.1996, a.a.O.) demnach nicht entgegen und die Kammer stützt sich nach eigener Überzeugung darauf. Vorliegend war der Fristlauf nicht unklar, weil nach der Rechtsprechung des BSG die tatsächliche Wahrnehmung des Widerspruchsbescheides durch den Rechtsanwalt, die mit Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses dokumentiert wird, mit der Bekanntgabe identisch ist. Eine spätere "Bekanntgabe" kam jedenfalls nicht in Betracht, so dass dem Empfänger der Fristlauf ab 05. Mai klar gewesen sein muss. Hierauf deutet zumindest auch hin, dass die Klageschrift das Datum 4. Juni trägt (nur nicht am gleichen Tag bei Gericht einging), ebenso wie alle übrigen in diesem Zeitraum durch die Klägerin erhobenen Klagen, von denen einige fristgemäß am 4. Juni eingingen, einige – möglicherweise aufgrund von Organisationsfehlern - verspätet (S 3 AS 3499/10, S 3 AS 3500/10, S 3 AS 3573/10, S 3 AS 3574/10, S 3 AS 3593/10).
Somit ist nach der hier vertretenen Rechtsansicht die Monatsfrist zu berücksichtigen, die vom 05.05.2010 bis 04.06.2010 (Freitag) lief. Die am 08.06.2010 (Dienstag) durch Übermittlung eines Kuriers von der Bundesagentur für Arbeit bei Gericht eingegangene Klage ist somit verfristet.
3. Es ist auch nicht erkennbar, dass die Klägerin ohne Verschulden gehindert war, die Frist einzuhalten, so dass auch eine Wiedereinsetzung gemäß § 67 SGG nicht in Betracht kommt. Der Prozessbevollmächtigte, dessen Verhalten die Klägerin sich zurechnen lassen muss, unterlag offenbar einem Rechtsirrtum, soweit er die Ansicht vertrat, dass anstelle der Monatsfrist zur Klageerhebung die Jahresfrist aufgrund unrichtiger Rechtsbehelfsbelehrung liefe. Liegt ein Rechtsirrtum vor, den der Beteiligte nicht vermeiden konnte, etwa weil er auf die Rechtsprechung eines obersten Gerichtshofs vertraute, so käme bei einem nicht vertretenen Beteiligten die Wiedereinsetzung in Betracht. Allerdings werden bei einem anwaltlich vertretenen Beteiligtenhöhere Anforderungen gestellt. So reicht ein Rechtsirrtum regelmäßig nicht aus. Insbesondere hat der Prozessbevollmächtigte bei zweifelhafter Rechtslage den sichersten Weg zu wählen (vgl. Keller bei Meyer-Ladewig/ Keller/ Leitherer, SGG, 10. Aufl. § 67 Rn80). Vorliegend war die Rechtslage zweifelhaft, denn das BSG weicht in seiner Rechtsprechung, auf die der Prozessbevollmächtigte Bezug nimmt, in einer grundsätzlichen Frage zumindest nach dem Wortlaut des Obersatzes der betreffenden Entscheidungen von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts grundsätzlich ab. Zudem hat das BSG selbst die konkrete Frage, ob die Rechtsbehelfsbelehrung im Falle der förmlichen Zustellung unrichtig ist, wenn sie auf die Bekanntmachung Bezug nimmt, ausdrücklich offen gelassen. Somit bestand für den Prozessbevollmächtigten ausreichend Anlass, den sichersten Weg zu wählen, und die Klagen fristgerecht einzureichen. Dies wäre dem Prozessbevollmächtigten offensichtlich auch möglich gewesen, da die Klageschreiben der 10 parallel eingereichten Klagen alle auf den 04.06.2010 datiert sind und manche davon auch am 04.06.2010 bei Gericht eingegangen sind.
Die Klage war damit abzuweisen. Es bleibt allein die Möglichkeit, den Klageantrag vom 04.06.2010 als (erneuten) Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X zu werten.
4. Die Kostenentscheidung folgt der Entscheidung in der Hauptsache, § 193 SGG.
5. Die Berufung ist kraft Gesetzes zulässig, § 144 Abs. 1 SGG.
6. Das Gericht lässt die Sprungrevision gemäß § 161 SGG zu, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 160 Abs. 2 Ziff. 1 SGG hat. Über die vorliegend streitentscheidende Rechtsfrage, ob eine Rechtsbehelfsbelehrung eines Widerspruchsbescheides, der förmlich mit Empfangsbekenntnis zugestellt wurde, unrichtig ist, wenn in der Rechtsbehelfsbelehrung auf die "Bekanntgabe" des Widerspruchsbescheides abgestellt wird, hat das Bundessozialgericht bislang nicht entschieden, sondern diese Frage zuletzt ausdrücklich offen gelassen (Urteil vom 09.12.2008, Az.: B 8/9b SO 13/07 R). Für die förmliche Zustellung mittels eingeschriebenen Briefes hat das BSG mehrfach angenommen, dass die Rechtsbehelfsbelehrung (nur) richtig ist, wenn sie auf die Zustellung Bezug nimmt. Die diesbezüglichen Leitsätze differenzieren nicht nach der Art der förmlichen Zustellung. Hiervon weicht die vorliegende Entscheidung ab, so dass auch deshalb im Sinne des § 160 Abs. 2 Ziff. 2 SGG i.V.m. § 161 Abs. 2 Satz 1 SGG die Sprungrevision zuzulassen war
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Sprungrevision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt im Rahmen der Leistungen der Grundsicherung für Erwerbsfähige nach dem SGB II vom Beklagten die Bewilligung höherer Unterkunftskosten für April 2006.
Die 1979 geborene Klägerin ist alleinstehend und bezieht seit Januar 2005 Leistungen der Grundsicherung für Erwerbsfähige nach dem SGB II. Sie bewohnt eine 49,24qm-Wohnung, deren Grundmiete anfangs 251,76 EUR zuzüglich warmer Betriebskosten in Höhe von 79,00 EUR betrug. Zum 01.09.2005 wurde die Miete verändert auf Nettokaltmiete in Höhe von 248,66 EUR zuzüglich Betriebs- und Heizkosten in Höhe von 120,00 EUR.
Auf den Fortzahlungsantrag vom 29.12.2005 bewilligte der Beklagte der Klägerin Leistungen der Grundsicherung für die Zeit vom 01.11.2005 bis 30.04.2006 in Höhe von monatlich 691,48 EUR, unter Berücksichtigung von Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 360,48 EUR, davon 45,82 EUR Heizkosten.
Nach anfänglicher Bewilligung der vollen Kosten der Unterkunft und Heizung (lediglich gekürzt um die Warmwasserpauschale) wies der Beklagte die Klägerin mit dem Bewilligungsbescheid vom 24.10.2005, mit dem eine Betriebskostennachzahlung übernommen wurde, darauf hin, dass einmalig auch unangemessene Kosten zu übernehmen seien und sie habe auf "sparsamen Umgang" zu achten. Mit Schreiben vom 26.10.2005 forderte der Beklagte die Klägerin dazu auf, Ihre Kosten für Unterkunft und Heizung zu senken. Für einen Ein-Personen-Haushalt sei höchstens eine Bruttokaltmiete von 252,45 EUR zuzüglich Heizkosten von maximal 46,80 angemessen. Auf diesen Wert habe die Klägerin ihr Kosten bis 31.03.2006 zu senken. Sollte ihr dies nicht möglich sein, habe sie hiermit die Gelegenheit zur Stellungnahme, in deren Folge der Beklagte prüfen werde, ob eine Ausnahme möglich sei. Mit Schreiben vom 23.11.2005 teilte die Klägerin mit, dass ihr bei Erstantragstellung gesagt worden sei, dass sie in der Wohnung bleiben könne. Hieran sei ihr auch sehr gelegen, da sie erheblich an Einrichtungsgegenständen investiert habe. Zudem wohnten im Gebäude auch die Eltern der Klägerin, die sie im Haushalt unterstütze. Mit Schreiben vom 13.12.2005 teilte der Beklagte der Klägerin nochmals mit, dass ihre Unterkunftskosten unangemessen hoch seinen und die von der Klägerin vorgebrachten Gründe nicht geeignet seien, ausnahmsweise die überhöhten Kosten zu übernehmen. Ab 01.04.2006 werde die Klägerin den unangemessenen Mietteil selbst übernehmen müssen, wenn sie nicht umziehe.
Im Rahmen des (Änderungs-)Bewilligungsbescheides vom 19.04.2006 für April 2006 berechnete der Beklagte die Leistung unter Zugrundelegung von Unterkunfts- und Heizkosten in Höhe von insgesamt 299,25 EUR.
Am 28.01.2010 beantragte die Klägerin ohne weitere Begründung die Überprüfung aller Bewilligungsbescheide für den Zeitraum April 2006 bis April 2010.
Mit Überprüfungsbescheiden vom 04.02.2010 wies der Beklagte den Antrag (auch) zum streitgegenständlichen Zeitraum zurück und führte aus, dass die Bewilligungsbescheide auch nach nochmaliger Prüfung nicht zu beanstanden seien.
Hiergegen erhob der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schreiben vom 08.03.2010 Widerspruch mit der Begründung, dass die Kosten für Unterkunft und Heizung nicht in vollem Umfang berücksichtigt seien und auch die Warmwasserpauschale nicht in gesetzlicher Höhe abgezogen sei. Der Widerspruch wende sich gegen die Absenkung der Unterkunftskosten auf 308,70 EUR.
Mit Widerspruchsbescheid (W 2980/10) vom 03.05.2010 wies der Beklagte den Widerspruch für den streitgegenständlichen Zeitraum zurück. Die Absenkung der Unterkunftskosten sei entsprechend dem Stadtratsbeschluss vom 24.02.2005 erfolgt. Erst mit Urteil des Bundessozialgerichts vom 22.09.2009 sei festgestellt worden, dass der Stadtratsbeschluss nicht den Anforderungen entspricht und die Grenzwerte vielmehr an der Verwaltungsvorschrift des Sächsischen Staatsministeriums des Inneren zur Modernisierung und Instandsetzung von Mietwohnungen als Ersatzwohnraum vom 27.06.2005 auszurichten wären. Der vorliegend angefochtene Bescheid sei davor aber bereits bestandskräftig gewesen, so dass das BSG-Urteil auf den streitgegenständlichen Zeitraum nicht angewendet werden könne. Die Rechtsbehelfsbelehrung lautete: "Gegen diese Entscheidung kann jeder Betroffene für sich innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe beim Sozialgericht Dresden, Klage erheben." Der Widerspruchsbescheid wurde dem Prozessbevollmächtigten ausweislich des dortigen Eingangsstempels am 04.05.2010 per Empfangsbekenntnis zugestellt. Das Empfangsbekenntnis, in dem der Prozessbevollmächtigte mit seiner Unterschrift bestätigte, den Widerspruchsbescheid am 04.05.2010 erhalten zu haben, wurde am 05.05.2010 an den Beklagten zurückgefaxt (Bl. 533 Verwaltungsakte).
Mit Schreiben vom 04.06.2010, beim Sozialgericht Dresden (über einen Kurier der Bundesagentur für Arbeit) am 08.06.2010 eingegangen erhob der Prozessbevollmächtigte für die Klägerin gegen diesen Widerspruchsbescheid Klage. Auf den richterlichen Hinweis, dass die Klage verfristet sein dürfte entgegnete der Prozessbevollmächtigte, dass die Klagefrist gewahrt sei. Der Widerspruchsbescheid sei im Sinne von § 85 Abs. 3 Satz 2 SGG i.V.m. §§ 2, 5 Abs. 7 VwZG förmlich mittels Empfangsbekenntnis zugestellt worden. Gleichwohl weise der Beklagte in der Rechtsbehelfsbelehrung darauf hin, dass die Klagefrist "nach Bekanntgabe" zu laufen beginne. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 09.12.2008, Az.: B 8/9b SO 13/07 R und Urteil vom 27.09.1983, Az.: 12 RK 75/82) gelte jedoch für den Beginn der Klagefrist bei förmlicher Zustellung die Zustellung. Soweit hierauf in der Rechtsbehelfsbelehrung nicht hingewiesen sei, sei diese fehlerhaft, so dass die Klagefrist nach § 66 Abs. 2 SGG ein Jahr betrage. Es dürfe bei förmlicher Zustellung nicht auf den ungenauen Begriff der Bekanntgabe abgestellt werden. Anders als in der durch das Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Sachlage, in der der Widerspruchsbescheid zugestellt werden musste und deshalb Zustellung und Bekanntgabe nicht auseinanderfallen konnte, sei dies im Sozialhilferecht aufgrund der 3-Tages-Fikton regelmäßig der Fall. Schließlich löse nur die ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrung die Monatsfrist aus, hierüber sei abstrakt zu entscheiden. Schließlich habe der Klägervertreter bei Einreichung der Klage darauf vertrauen dürfen, dass das Sozialgericht in Übereinstimmung mit dem BSG entscheiden werde, so dass Wiedereinsetzung in die Klagefrist zu gewähren sei. In der Sache selbst wende sich die Klägerin gegen die Berücksichtigung zu geringer Kosten für Unterkunft und Heizung.
Der Kläger beantragt,
den Überprüfungsbescheid vom 04.02.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.05.2010 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, unter Abänderung seiner Bescheide hinsichtlich des Bewilligungszeitraumes vom April 2006 der Klägerin Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung nach dem SGB II für den April 2006 unter Berücksichtigung einer angemessenen Wohnfläche von 49,24 Quadratmeter in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Klagefrist habe nach der Zustellung am 04.05.2010 gemäß § 64 Abs. 1 SGG am 05.05.2010 begonnen und am 04.06.2010 geendet. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG 6 B 65/95) habe in seinem Beschluss vom 31.05.2006 festgestellt, dass die Rechtsbehelfsbelehrung eines nach § 5 Abs. 1 VwZG zugestellten Bescheides nicht unrichtig sei, auch wenn auf die Möglichkeit der Widerspruchserhebung "nach Bekanntgabe" hingewiesen sei, denn die Belehrung, die Klagefrist beginne mit Bekanntgabe- statt Zustellung- könne keinen Irrtum des Adressanten über den Beginn der Klagefrist hervorrufen und die Klageerhebung nicht erschweren. Denn bei den Zustellungsarten nach § 5 VwZG sei die Zustellung auch aus Sicht des Empfängers immer zugleich die Bekanntgabe, woran ein Zustellungsempfänger bei vernünftiger Überlegung nicht zweifeln könne. Es bestehe auch keine Unsicherheit hinsichtlich des Beginns der Klagefrist, weil im Falle der Zustellung durch Empfangsbekenntnis (anders als etwa beim eingeschriebenen Brief) die Zustellung und die tatsächliche Bekanntgabe nicht auseinanderfallen.
Für das weitere vorbringen der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte, sowie die Verwaltungsakte des Beklagten (Nr. 07402BG0012818), deren Inhalt Gegenstand der Entscheidung war, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist unzulässig.
1. Dem Antrag, über die Zulässigkeit der Klage durch Zwischenurteil gemäß § 130 Abs. 2 SGG zu entscheiden, wird nicht gefolgt, da das Gericht dies vorliegend nicht für sachdienlich hält. Die Entscheidung durch Zwischenurteil steht im Ermessen des Gerichts. Sie ist insbesondere dann angezeigt, wenn dadurch eine Vorfrage so geklärt werden kann, dass ggf. weitere Ermittlungen erspart bleiben. Dies ist vorliegend nicht gegeben. Zwar handelt es sich um eine entscheidungserhebliche prozessuale Vorfrage. Das Gericht hält es aber für sachdienlicher, den vorliegenden Rechtstreit durch Sachurteil zu beenden. Wäre das Gericht zu dem Ergebnis gekommen, dass die Klage zulässig ist, wäre in der Sache hinsichtlich der Frage der Angemessenheit der Unterkunftskosten der Klägerin durchzuentscheiden gewesen. Da gleichzeitig 10 Klagen der Klägerin anhängig sind, in denen durchwegs dieselbe Frage der Angemessenheit der Unterkunftskosten streitentscheidend ist kann nicht davon ausgegangen werden, dass vorliegend (ggf. kostenaufwändiger) Ermittlungsaufwand erspart bliebe, wenn lediglich ein Zwischenurteil erginge (vgl. zur Sachdienlichkeit der Vorabentscheidung LSG Baden-Württemberg, Teilurteil vom 28.02.2002 Az.: L 10 U 2930/01).
2. Die Klage ist unzulässig, weil sie nach Ablauf der Klagefrist eingelegt wurde und somit verfristet ist.
Der klagegegenständliche Widerspruchsbescheid datiert vom 03.05.2010 und wurde dem Prozessbevollmächtigten am 04.05.2010 per Empfangsbekenntnis zugestellt.
Entscheidet sich die Behörde für eine förmliche Zustellung, gelten nach § 85 Abs. 3 Satz 2 SGG die Vorschriften des Verwaltungszustellungsgesetzes. Die Zustellung per Empfangsbekenntnis ist in § 5 Abs. 4 VwZG geregelt. Die Zustellung ist eine besondere Form der Bekanntgabe, § 2 Abs. 1 VwZG. Für den Lauf der Klagefrist gemäß § 87 Abs. 2 SGG tritt die Zustellung an die Stelle der Bekanntgabe (vgl. BSG Urteil vom 21.12.2009, Az.: B 14 AS 63/08 R). Die Zugangsfiktion des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X ist nicht einschlägig, da aufgrund der förmlichen Zustellung der Widerspruchsbescheide der genaue Zeitpunkt des Zugangs feststeht (vgl. Engelmann bei von Wulffen, SGB X, § 37 Rn 13). Die Frist berechnet sich nach § 64 SGG, wonach der Lauf der Frist mit dem Tage nach der Zustellung beginnt.
Somit begann die Klagefrist am Tag nach der Zustellung, also dem 05.05.2010.
Die Klagefrist beträgt einen Monat, § 87 Abs. 1 Satz 1 SGG und endet gemäß § 64 Abs. 2 SGG mit Ablauf desjenigen Tages des Monats, welcher nach Benennung oder Zahl dem Tage entspricht, in den das Ereignis oder der Zeitpunkt fällt. Auch vorliegend gilt nach der hier vertretenen Rechtsansicht nichts anderes, denn die Rechtsbehelfsbelehrung war richtig und somit ausreichend, um den Lauf der Monatsfrist in Gang zu setzen, so dass nicht die Jahresfrist nach § 66 Abs. 2 Satz 1 SGG zur Anwendung kommt. Zwar wird in der Rechtsbehelfsbelehrung des streitgegenständlichen Widerspruchsbescheids als Zeitpunkt des Fristbeginns die Bekanntgabe genannt und nicht auf den spezielleren Begriff der Zustellung abgestellt. Nach der früheren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts war die Rechtsbehelfsbelehrung dann richtig, wenn sie im Fall der Zustellung auch dort auf den Begriff der Zustellung und nicht der Bekanntgabe abstellte (vgl. BSG Urteil vom 09.12.2008, Az.: B 8/9b SO 13/07 R). So führte das BSG aus:
"Entscheidet sich der Leistungsträger für den Weg der förmlichen Zustellung, ist es erforderlich, dass in der Rechtsbehelfsbelehrung auf den Zeitpunkt der Zustellung abgestellt wird und nicht der ungenaue und missverständliche Begriff der Bekanntgabe gewählt wird (vgl BSG vom 26.10.1989 aaO und vom 27.9.1983 - 12 RK 75/82)."
Insoweit ist jedoch zu berücksichtigen, dass das BSG dort den entgegengesetzten Fall zu entscheiden hatte, da dort nach förmlicher Zustellung die Rechtsbehelfsbelehrung ebenfalls auf die Zustellung abstellte. Zudem war dort der Fall gegeben, dass die Zustellung mittels eingeschriebenen Briefs erfolgte und für den Beginn des Firstlaufs auf die Zugangsfiktion nach § 4 Abs. 1 VwZG zurückgegriffen werden musste. In einem solchen Fall können rechtlich wirksame Zustellung und tatsächliche Bekanntgabe auseinanderfallen, so dass beim Empfänger Verwirrung über den Fristlauf entstehen kann. Allerdings war die Rechtsbehelfsbelehrung in dem durch das BSG entscheidenden Fall gar nicht streitentscheidend, da sie tatsächlich auch auf die Zustellung abstellte. Das entgegen gesetzte Problem hatte das BSG damit gar nicht zu entscheiden. Gleiches gilt für das Urteil des BSG vom 27.09.1983. Dort berief sich die Klägerin auf die Unwirksamkeit des mittels eingeschriebenen Briefes zugestellten Bescheides, gerade weil die Rechtsbehelfsbelehrung auf die Zustellung abstellte, Das BSG entschied, dass die Rechtsbehelfsbelehrung korrekt war und der Bescheid nach Ablauf der Monatsfrist nach Zustellung auch bestandskräftig geworden war. Auch in der damaligen Parallelentscheidung des BSG (Urteil vom 15.12.2983, Az.: 12 RK 22/82) lautete der Tenor lediglich:
"Eine Rechtsbehelfsbelehrung, in der auf die Zustellung des Bescheides Bezug genommen wird, ist dann als richtig anzusehen, wenn die Zustellung ordnungsgemäß erfolgt ist."
Hieraus kann aber nach der hier vertretenen Rechtsauffassung nicht gefolgert werden, dass jede andere Rechtsbehelfsbelehrung im Sinne des § 66 Abs. 2 Satz 1 SGG unrichtig ist, so dass automatisch der Lauf der Jahresfrist in Gang gesetzt wird. Gemäß § 66 Abs. 2 Satz 1 SGG gilt: "Ist die Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist die Einlegung des Rechtsbehelfs nur innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung zulässig."
Der 14. Senat des Bundessozialgerichts ließ in seiner Entscheidung vom 21.12.2009 (Az.: B 14 AS 63/08 R) die Frage, ob das Abstellen auf den Zeitpunkt der "Bekanntgabe" in Fällen der förmlichen Zustellung des Verwaltungsaktes für die Rechtsbehelfsbelehrung ausreichend ist, ausdrücklich dahinstehen.
Im vorliegenden Fall ist die Rechtsbehelfsbelehrung nach Überzeugung des Gerichts nicht "unrichtig". Dies gilt nach der hier vertretenen Rechtsauffassung schon deshalb, weil die "Zustellung" in jedem Fall eine besondere Form der Bekanntgabe darstellt und somit grundsätzlich der weitere Begriff der Bekanntgabe, den engeren Begriff der Zustellung einschließt. In den durch das BSG entschiedenen Streitigkeiten bestand das Problem entgegengesetzt darin, ob der Begriff der Zustellung angebracht ist, oder ob der (weitere) Begriff der Bekanntgabe gefordert werden müsste. Vor allem aber besteht in der streitgegenständlichen Konstellation nicht die Gefahr, dass Bekanntgabe und Zustellung des Bescheides auseinanderfallen könnten, denn für die Zustellung per Empfangsbekenntnis hat das BSG entschieden, dass die Zustellung erst mit der tatsächlichen Kenntnisnahme durch den Prozessbevollmächtigten erfolgt, nicht etwa schon, wenn das Schriftstück in den "Machtbereich" also in das Büro gelangt (vgl. BSG, Urteil vom 21.12.2009, Az.: B 14 AS 63/08 R). Hier unterscheidet sich der Fall der förmlichen Zustellung durch Empfangsbekenntnis ganz grundsätzlich vom Fall der Zustellung per Einschreiben, bei dem eine Zugangsvermutung gemäß § 4 Abs. 1 VwZG greift, so dass der rechtlich wirksame Zustellungszeitpunkt und die tatsächliche Kenntnisnahme auseinanderfallen können. Dies ist beim Empfangsbekenntnis nicht möglich.
Dies wurde auch vom Bundesverwaltungsgericht insbesondere für die förmliche Zustellung per Empfangsbekenntnis so gesehen, dem insoweit die Leitsätze dieser Urteile des Bundessozialgerichts entgegensteht. Das BVerwG entschied mit Beschluss vom 31.05.2006 (Az.: 6 B 65/05):
"Die Rechtsbehelfsbelehrung eines nach § 5 Abs. 1 VwZG zugestellten Musterungsbescheides, nach welcher der Widerspruch innerhalb von zwei Wochen nach "Bekanntgabe" des Bescheides erhoben werden kann, ist nicht unrichtig."
Dazu wurde in den Gründen weiter ausgeführt:
"Außerdem hält der Kläger die Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig, ob die vierzehntägige Widerspruchsfrist bei belastenden Verwaltungsakten im Wehrpflichtrecht auch dann zu laufen beginnt, wenn in der Rechtsbehelfsbelehrung auf die Bekanntgabe abgestellt wird. Die Frage ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts für die vergleichbare Situation bei der Zustellung mit Postzustellungsurkunde und dabei erfolgender Belehrung über die Klagefrist bereits geklärt. Wird in einem solchen Fall der Widerspruchsbescheid dem Adressaten mit Postzustellungsurkunde zugestellt, ist der Hinweis, die Klagefrist beginne mit der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides - statt mit dessen Zustellung - zu laufen, weder unrichtig noch irreführend (§ 58 Abs. 2 VwGO). Diese Belehrung über den Beginn der Klagefrist entspricht vielmehr der Rechtslage, weil der Widerspruchsbescheid in der besonderen Form der Zustellung mit Postzustellungskunde bekannt gegeben wird und bei dieser Zustellungsart die Zustellung auch aus der Sicht des Empfängers stets zugleich die Bekanntgabe ist (Urteil vom 27. April 1990 - BVerwG - Buchholz 310 § 74 VwGO Nr. 9). Diese rechtliche Beurteilung trifft auch auf die vorliegende Situation bei der Zustellung durch die Behörde gegen Empfangsbekenntnis (§ 5 Abs. 1 VwZG) und dabei erfolgender Belehrung über die Einlegung des Widerspruchs nach § 33 Abs. 1 Satz 1 WPflG zu. Auch hier können Zustellung und Bekanntgabe nicht auseinander fallen, so dass beim Adressaten kein Irrtum über den Lauf der Widerspruchsfrist entstehen kann. Die Rechtsbehelfsbelehrung eines nach § 5 Abs. 1 VwZG zugestellten Musterungsbescheides, nach welcher der Widerspruch innerhalb von zwei Wochen nach "Bekanntgabe" des Bescheides erhoben werden kann, ist daher nicht zu beanstanden."
Dabei ist zu beachten, dass auch der 13. Senat des BSG bereits 1996 (Urteil vom 06.12.1996, Az.: 13 RJ 19/96) zwar entschied, dass die Rechtsbehelfsbelehrung unrichtig sei, wenn bei zugestelltem Widerspruchsbescheid in der Rechtsbehelfsbelehrung auf die "Bekanntgabe" abgestellt werde. Trotz bereits damals anderslautender Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hielt das BSG die Vorlage an den gemeinsamen Senat nicht für erforderlich, weil das Bundesverwaltungsgericht über den Fall der Zustellung per PZU entschieden habe (vgl. Urteil des BVerwG vom 27.04.1990, Az.: 8 C 70/88), während es vorliegend um die Zustellung mittels eingeschriebenem Brief gehe, die schon deshalb grundsätzlich anders sei, weil hier aufgrund der Zugangsvermutung nach § 4 VwZG die Bestimmung der Klagefrist erschwert werde. Zudem bezieht das BSG in dieser Entscheidung durchaus die Frage in seine Überlegungen mit ein, ob dem Empfänger des Bescheides aufgrund der Rechtsbehelfsbelehrung die Einlegung des Rechtsbehelfs erschwert wurde, weil der Firstlauf schwierig zu berechnen bzw. unklar sein könnte.
Die Rechtsprechung des BSG zur Problematik beschränkt sich nach Kenntnis der Kammer auf Fälle, in denen die Zustellung mittels eingeschriebenen Brief erfolgte. Ein Fall mit Zustellung per Empfangsbekenntnis wurde durch das BSG nicht entschieden, sondern zuletzt offen gelassen (BSG, Urteil vom 09.12.2008, Az.: B 8/9b SO 13/07 R). Hierzu gibt es aktuell nur die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Da es sich um eine andere Form der förmlichen Zustellung handelt, stehen die Entscheidungen des BSG der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (schon nach der eigenen Argumentationslinie des BSG im Urteil vom 06.12.1996, a.a.O.) demnach nicht entgegen und die Kammer stützt sich nach eigener Überzeugung darauf. Vorliegend war der Fristlauf nicht unklar, weil nach der Rechtsprechung des BSG die tatsächliche Wahrnehmung des Widerspruchsbescheides durch den Rechtsanwalt, die mit Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses dokumentiert wird, mit der Bekanntgabe identisch ist. Eine spätere "Bekanntgabe" kam jedenfalls nicht in Betracht, so dass dem Empfänger der Fristlauf ab 05. Mai klar gewesen sein muss. Hierauf deutet zumindest auch hin, dass die Klageschrift das Datum 4. Juni trägt (nur nicht am gleichen Tag bei Gericht einging), ebenso wie alle übrigen in diesem Zeitraum durch die Klägerin erhobenen Klagen, von denen einige fristgemäß am 4. Juni eingingen, einige – möglicherweise aufgrund von Organisationsfehlern - verspätet (S 3 AS 3499/10, S 3 AS 3500/10, S 3 AS 3573/10, S 3 AS 3574/10, S 3 AS 3593/10).
Somit ist nach der hier vertretenen Rechtsansicht die Monatsfrist zu berücksichtigen, die vom 05.05.2010 bis 04.06.2010 (Freitag) lief. Die am 08.06.2010 (Dienstag) durch Übermittlung eines Kuriers von der Bundesagentur für Arbeit bei Gericht eingegangene Klage ist somit verfristet.
3. Es ist auch nicht erkennbar, dass die Klägerin ohne Verschulden gehindert war, die Frist einzuhalten, so dass auch eine Wiedereinsetzung gemäß § 67 SGG nicht in Betracht kommt. Der Prozessbevollmächtigte, dessen Verhalten die Klägerin sich zurechnen lassen muss, unterlag offenbar einem Rechtsirrtum, soweit er die Ansicht vertrat, dass anstelle der Monatsfrist zur Klageerhebung die Jahresfrist aufgrund unrichtiger Rechtsbehelfsbelehrung liefe. Liegt ein Rechtsirrtum vor, den der Beteiligte nicht vermeiden konnte, etwa weil er auf die Rechtsprechung eines obersten Gerichtshofs vertraute, so käme bei einem nicht vertretenen Beteiligten die Wiedereinsetzung in Betracht. Allerdings werden bei einem anwaltlich vertretenen Beteiligtenhöhere Anforderungen gestellt. So reicht ein Rechtsirrtum regelmäßig nicht aus. Insbesondere hat der Prozessbevollmächtigte bei zweifelhafter Rechtslage den sichersten Weg zu wählen (vgl. Keller bei Meyer-Ladewig/ Keller/ Leitherer, SGG, 10. Aufl. § 67 Rn80). Vorliegend war die Rechtslage zweifelhaft, denn das BSG weicht in seiner Rechtsprechung, auf die der Prozessbevollmächtigte Bezug nimmt, in einer grundsätzlichen Frage zumindest nach dem Wortlaut des Obersatzes der betreffenden Entscheidungen von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts grundsätzlich ab. Zudem hat das BSG selbst die konkrete Frage, ob die Rechtsbehelfsbelehrung im Falle der förmlichen Zustellung unrichtig ist, wenn sie auf die Bekanntmachung Bezug nimmt, ausdrücklich offen gelassen. Somit bestand für den Prozessbevollmächtigten ausreichend Anlass, den sichersten Weg zu wählen, und die Klagen fristgerecht einzureichen. Dies wäre dem Prozessbevollmächtigten offensichtlich auch möglich gewesen, da die Klageschreiben der 10 parallel eingereichten Klagen alle auf den 04.06.2010 datiert sind und manche davon auch am 04.06.2010 bei Gericht eingegangen sind.
Die Klage war damit abzuweisen. Es bleibt allein die Möglichkeit, den Klageantrag vom 04.06.2010 als (erneuten) Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X zu werten.
4. Die Kostenentscheidung folgt der Entscheidung in der Hauptsache, § 193 SGG.
5. Die Berufung ist kraft Gesetzes zulässig, § 144 Abs. 1 SGG.
6. Das Gericht lässt die Sprungrevision gemäß § 161 SGG zu, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 160 Abs. 2 Ziff. 1 SGG hat. Über die vorliegend streitentscheidende Rechtsfrage, ob eine Rechtsbehelfsbelehrung eines Widerspruchsbescheides, der förmlich mit Empfangsbekenntnis zugestellt wurde, unrichtig ist, wenn in der Rechtsbehelfsbelehrung auf die "Bekanntgabe" des Widerspruchsbescheides abgestellt wird, hat das Bundessozialgericht bislang nicht entschieden, sondern diese Frage zuletzt ausdrücklich offen gelassen (Urteil vom 09.12.2008, Az.: B 8/9b SO 13/07 R). Für die förmliche Zustellung mittels eingeschriebenen Briefes hat das BSG mehrfach angenommen, dass die Rechtsbehelfsbelehrung (nur) richtig ist, wenn sie auf die Zustellung Bezug nimmt. Die diesbezüglichen Leitsätze differenzieren nicht nach der Art der förmlichen Zustellung. Hiervon weicht die vorliegende Entscheidung ab, so dass auch deshalb im Sinne des § 160 Abs. 2 Ziff. 2 SGG i.V.m. § 161 Abs. 2 Satz 1 SGG die Sprungrevision zuzulassen war
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