S 13 KR 91/12

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 13 KR 91/12
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 KR 429/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Kosten einer Brustverkleinerungsoperation (Mammareduktionsplastik) in Höhe von 5.500,00 EUR.

Bei der 0000 geborenen Klägerin bestand bis April 2011 eine Makromastie. Sie wog im März 2009 bei einer Körpergröße von 1,64 m ca. 59 kg. Das entspricht einem Body-Mass-Index (BMI) von 21,9. Seit Jahren litt sie an chronischem Asthma bronchiale. Sie trug BH-Größe 85 E, manchmal sogar F.

Im April 2009 beantragte die Klägerin bei der Beklagten eine Brustverkleinerungsoperation. Sie legte einen Arztbericht der Klinik für Plastische Chirurgie des St. Antonius-Hospital F. vom 23.03.2009 vor, in dem von Angaben der Klägerin über Atem-, Wirbelsäulen- und Hautbeschwerden berichtet wurde. Desweiteren legte sie ein Attest ihres Gynäkologen vom 18.05.2009 und eine Bescheinigung ihres Hautarztes vom 17.06.2009 vor; daraus ergibt sich, dass im Bereich der Brüste keine Hautveränderungen vorlagen. Die Klägerin begründete ihren Antrag mit zunehmenden Atembeschwerden, die sie auf die Schwere ihrer Brüste zurückführte.

In einem von der Beklagten veranlassten Gutachten des Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) vom 14.08.2009 stellte Frau Dr. N. eine mittelgradige Mammahypertrophie ohne krankhaften Befund fest; durch die Resektion von 250-300 g je Seite ließe sich keine relevante Veränderung bzw. Verbesserung der geklagten Atemwegsproblematik erreichen. Die Gutachterin empfahl im Rahmen der Ausschöpfung konservativer Möglichkeiten zur Behandlung der geklagten Beschwerden eine Reha-Maßnahme in einer pulmonologischen Einrichtung u.a. mit Schulung und Erlernung zielgerichteter Atemübungsprogramme. Die Brustverkleinerungsoperation befürwortete sie nicht.

Gestützt hierauf lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin durch Bescheid vom 19.08.2009 ab.

Dagegen erhob die Klägerin am 31.08.2009 Widerspruch. Sie legte eine ergänzende Stellungnahme ihres Frauenarztes vor, in der hieß, die Behandlung des ausgeprägten Asthma bronchiale sei durch den Druck, den die Brust auf die Thoraxwand ausübe, erschwert; der dadurch ausgelöste Leidensdruck sei erheblich erhöht; die deutliche BWS-Kyphose sei ein weiterer Faktor, der die Inspirations-/Exspirationskraft beeinträchtige; eine deutliche Gewichtsreduktion beider Brüste würde die Klägerin massiv entlasten.

In einem weiteren von der Beklagten eingeholten MDK-Gutachten vom 09.10.2009 ging Dr. Neuber auf die drei vorgetragenen Beschwerdekomplexe ein. Er stellte fest, aufgrund der ermittelten Brustparameter sowie der BH-Größe sei von einem Organgewicht zwischen 650 bis maximal 750 g auszugehen; die beiliegende Fotodokumentation zeige eine mittelgradige Mammahypertrophie mit kräftigen Brustdrüsenkörpern; aus operationstechnischer Sicht sei von einer maximal hälftigen Resektion des Brustdrüsenkörpers auszugehen; dies würde ein voraussichtliches Resektionsgewicht von 320 bis 350 g bedeuten. In zahlreichen Veröffentlichungen zu der Frage, ab welchem Resektionsgewicht eine signifikante Entlastung der Wirbelsäulenstatik gegeben sei, werde ausgeführt, dass bei Resektionsgewichten unter 500 g keinerlei Auswirkung auf den Halteapparat zu beobachten gewesen sei. In skandinavischen Studien würden Auswirkungen auf die Wirbelsäulenstatik erst bei Resektionsgewichten oberhalb 700 g befunden. Eine wesentliche Besserung der orthopädischen Beschwerden sei damit ausgeschlossen. Bezüglich der Erleichterung der Atmung bei bekanntem Asthma bronchiale stellte der MDK fest, dass eine signifikante Erschwerung der In- und Exspiration durch die Brustdrüsenkörper unwahrscheinlich sei, da ansonsten Frauen grundsätzlich einen schwereren Verlauf bei Asthma bronchiale als Männer aufweisen müssten, was nachweislich nicht der Fall sei. Da keine chronisch-entzündlichen Hautveränderungen diagnostiziert worden und solche im Übrigen einer dermatologischen Behandlung zugänglich seien, bestünde auch insofern keine Indikation für eine Mammareduktionsplastik.

Gestützt hierauf wies die Beklagte den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 02.03.2010 zurück. Sie nahm u.a. auch auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 19.10.2004 (B 1 KR 9/04 R) Bezug; zu dem dort entschiedenen Fall habe das BSG ausgeführt, dass die Brustgröße keine Funktionseinschränkungen bedingt hätten und die Befunde an der Wirbelsäule im Wege der Physiotherapie zu beseitigen seien; dieser Sachverhalt lasse sich vergleichsweise auf die geklagten Atemwegsprobleme der Klägerin anwenden. Da die Klägerin keine Klage erhob, wurde der Bescheid vom 19.08.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 02.03.2010 bestandskräftig.

Am 14.03.2011 unterzeichnete die Klägerin bei dem Privatdozenten Dr. C. eine "Kostenübernahmeerklärung für eine individuelle Gesundheitsleistung (IGEL)", durch die sie eine Brustverkleinerungs-Operation ambulant mit Hotelleistung wünschte und sich verpflichtete, die Kosten von 5.500,00 EUR für die Operation zuzüglich 300,00 EUR für Hotelleistung vor der Behandlung zu zahlen. Sie erklärte ausdrücklich, dass es sich um die Inanspruchnahme einer nicht in die vertragsärztliche Versorgung aufgenommene Gesundheitsleistung handele und sie deshalb die Behandlungskosten privat nach der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) zu bezahlen habe. Am 06.04.2011 überwies die Klägerin 5.800,00 EUR an Dr. C ... Dieser führte am 14.04.2011 ambulant bei der Klägerin eine Mammareduktionsplastik beidseits durch.

Am 27.06.2011 beantragte die Klägerin die Überprüfung der Entscheidung vom 02.03.2010 bezüglich ihres Antrags auf eine Mamma-Reduktionsplastik. Aufgrund des enormen Leidensdrucks habe sie im April die Operation auf eigene Kosten veranlasst. Dem OP-Bericht sei zu entnehmen, dass insgesamt knapp 1,3 kg Brustgewebe entfernt worden sei. Das festgestellte Gewicht der Brust bei der damaligen Untersuchung des MDK und die daraus festgelegte Reduktion von 250 bis 300 g je Seite könne daher nur ein Irrtum gewesen sein.

Durch Bescheid vom 12.07.2011 lehnte die Beklagte eine Beteiligung an den Kosten für die bereits durchgeführte Brustverkleinerung ab mit der Begründung, der Kostenübernahmeantrag sei bereits eingehend geprüft und beschieden worden; die Ablehnung sei rechtskräftig.

Mit Schreiben vom 18.07.2011 wies die Klägerin daraufhin, dass sie einen Überprüfungsantrag im Hinblick darauf gestellt habe, dass ihrer Auffassung nach die frühere Entscheidung aufgrund falscher Tatsachen gefällt worden sei. Sie forderte die Beklagte nochmals auf, diese Entscheidung zu überprüfen.

Daraufhin holte die Beklagte eine MDK-Stellungnahme (nach Aktenlage) ein. Dr. G. stellte am 08.08.2011 fest, dass die Sichtweise "unterhalb 500 g keine Operationsindikation, oberhalb 500 g bestehende Operationsindikation" nicht bestätigt werden könne. Vorrangig seien bei der Klägerin die Kriterien der Wirbelsäulenfehlhaltung, der ausgeprägten seelischen Belastung aufgrund der Sorge bezüglich einer Progredienz der Lungenerkrankung sowie der Beeinträchtigung der Atmung bei Asthma bronchiale. Diese gesundheitlichen Störungen seien als erstes zu behandeln gewesen, sodass eine Reha-Maßnahme in einer pulmonologischen Einrichtung mit entsprechendem Schulungsprogramm empfohlen worden sei. Die Empfehlung der Gutachterin habe auf der Erfahrung beruht, dass Rücken- und Atembeschwerden eine multifaktorielle Entstehungsursache haben und in solchen Fällen nicht dem Wunsch nach operativer Formkorrektur der Brust als schnelle Entlastung zu entsprechen sei. Aus dem Operationsbericht gingen zwar höhere Reduktionsgewichte der beiden Brüste hervor, welche oberhalb von 500 g lägen; dennoch komme dem Gesamtgewicht der Brüste kein Krankheitswert zu.

Gestützt hierauf lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 16.08.2011 erneut die Übernahme der Kosten für die bereits durchgeführte Brustverkleinerung ab.

Dagegen legte die Klägerin am 25.08.2011 Widerspruch ein. Sie verwies auf eine Stellungnahme ihres Frauenarztes vom 14.09.2011, in der dieser mitteilte, die Brustreduktion sei keine Formkorrektur, sondern eine Gewichtsreduktion gewesen. Die Befreiung des Thoraxskelettes von 1262 g habe sich im Nachhinein als massive Entlastung bezüglich der asthmatischen als auch der Rückprobleme gezeigt. Nach Einholung einer weiteren MDK-Stellungnahme durch Dr. A. vom 07.11.2011 wies die Beklagte den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 21.03.2012 zurück. Die Überprüfung habe ergeben, dass die Brustoperation medizinisch nicht notwendig gewesen sei. Im Übrigen sei die Krankenkasse erst nach der Behandlung informiert worden; da sie keine Möglichkeit gehabt habe, sich rechtzeitig mit der Behandlung zu befassen, sei eine Kostenerstattung für die außerhalb des Sachleistungssystems selbst beschaffte Leistung nicht möglich.

Dagegen hat die Klägerin am 03.04.2012 Klage erhoben. Sie habe sich bereits am 24.04.2009 wegen der Kostenübernahme für die Brustverkleinerungsoperation an die Beklagte gewandt, deren Entscheidung abgewartet und sich danach die Leistung selbst beschafft. Sie meint, sie habe zur Einhaltung des Beschaffungsweges nicht Klage gegen den Widerspruchsbescheid vom 02.03.2010 erheben oder den Überprüfungsantrag noch vor der Operation stellen müssen; für die Bejahung des Ursachenzusammenhangs zwischen selbst beschaffter Leistung und Ablehnung genüge die erstmalige Ablehnung. Die von ihr vor dem Eingriff unterzeichnete Erklärung stehe dem Kostenerstattungsanspruch nicht entgegen. Die Ablehnung sei seinerzeit zu Unrecht erfolgt; der MDK sei damals von einem Resektionsgewicht von 250 bis 300 g je Seite ausgegangen und habe gemeint, dadurch sei keine relevante Veränderung bzw. Verbesserung der Atemwegsproblematik zu erreichen. Tatsächlich sei nun das Resektionsgewicht erheblich höher gewesen und die Atemwegsproblematik eindeutig verbessert.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 12.07. und 16.08.2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21.03.2012 sowie des Bescheides vom 19.08.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 02.03.2010 zu verurteilen, ihr 5.500,00 EUR zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verbleibt bei ihrer in den angefochtenen Bescheiden vertretenen Rechtsauffassung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen die Klägerin betreffende Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Die Klägerin wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Die Beklagte hat zurecht den bestandskräftigen Verwaltungsakt vom 19.08.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 02.03.2010, durch den sie den Antrag der Klägerin auf eine Brustverkleinerungsoperation abgelehnt hatte, nicht zurückgenommen, da diese bestandskräftige Entscheidung nicht rechtswidrig war. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten, die ihr durch die selbst beschaffte privatärztliche Leistung einer ambulanten Mammareduktionsplastik entstanden sind.

Als Rechtsgrundlage eines Kostenerstattungsanspruchs käme § 13 Abs. 3 Satz 1, 2. Alternative Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) in Verbindung mit § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) in Betracht. § 13 Abs. 3 S. 1, 2. Alternative SGB V bestimmt: Hat die Krankenkasse eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden worden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches – hier: § 13 Abs. 3 Satz 1, 2. Alternative SGB V – längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht (§ 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X). Die Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X für die Rücknahme des bestandskräftigen Bescheides vom 19.08.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 02.03.2010 sind jedoch nicht erfüllt.

Die Beklagte hat den Sachleistungsantrag der Klägerin aus dem April 2009 zweimal durch den MDK prüfen lassen, einmal nach Untersuchung der Klägerin, ein weiteres Mal nach Aktenlage. Bei den darauf gestützten Ablehnungsentscheidungen durch Bescheid und Widerspruchsbescheid hat sie das Recht nicht unrichtig angewandt. Soweit sie sich in ihren bestandskräftigen Verwaltungsakten auch auf die Schätzungen des MDK zur Höhe des voraussichtlichen Resektionsgewichtes – im ersten Gutachten 250 bis 300 g, im zweiten Gutachten 320 bis 350 g – bezogen hat, kann aus dem Umstand, dass bei der zwanzig bzw. achtzehn Monate nach diesen MDK-Gutachten durchgeführten Brustverkleinerungsoperation ausweislich des Operationsberichtes tatsächlich insgesamt 1262 g Brustdrüsengewebe entfernt worden ist, nicht der Schluss gezogen werden, dass bei Erlass der ursprünglichen Ablehnungsentscheidungen "von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist". Zum einen handelte es sich bei den vom MDK angenommen Resektionsgewichten um Schätzwerte, die auf einem aufgrund der ermittelten Brustparameter sowie der BH-Größe ermittelten Organgewicht basierten. Solche Schätzungen stellen keinen Ausgangssachverhalt im Sinne von § 44 Abs. 1 SGB X dar. Zum anderen haben, worauf der MDK im Überprüfungsgutachten vom 07.11.2011 zurecht hinweist, aktuelle Angaben zu der möglicherweise zwischen 2009 (Vorbegutachtung) und 2011 (Operationstag) erfolgten Zunahme des Brustgewichtes nicht vorgelegen, sodass nicht überprüfbar ist, ob der seinerzeit angenommene "Sachverhalt" unrichtig war. Selbst wenn es aber tatsächlich so gewesen wäre, dass die Beklagte bei Erlass des bestandskräftigen Verwaltungsaktes von einem Sachverhalt ausgegangen ist, der sich als unrichtig erwiesen hat, begründet dies nicht die Rücknahme der damaligen Ablehnungsentscheidung, weil nicht "deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht sind".

Gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 SGB V müssen die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen. Unter Beachtung dieser Grundsätze hat die Beklagte durch Bescheid vom 19.08.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 02.03.2010 die Durchführung der beantragten Mammareduktionsplastik rechtmäßig abgelehnt. Form, Größe und Gewicht der Brüste der Klägerin hatten – für sich genommen – keinen Befund von Krankheitswert dargestellt, der eine operative Behandlung erforderlich gemacht hätte. Die Klägerin hat nie über die Größe ihrer Brüste an sich (als psychisch belastend oder gar entstellend) geklagt. Die Kammer geht daher davon aus, dass die Brustgröße der Klägerin vor der Operation noch innerhalb des Normbereichs der bei jeder Frau anders gearteten Brust lag (vgl. hierzu auch: BSG, Urteil vom 19.10.2004 – B 1 KR 9/04 R).

Krankheitswert konnten allerdings die orthopädischen Befunde und die Atembeschwerden haben. Soweit im Bericht der Klinik für Plastische Chirurgie des St. Antonius-Hospitals vom 23.03.2009 auch von Angaben der Klägerin berichtet wird, dass eine deutliche Reizung und Neigung zur Entzündung im Bereich der Submammafalte beidseits bestehe, ergibt sich den Attesten des Gynäkologen vom 18.04.2009 und des Hautarztes vom 17.06.2009, dass im Bereich der Brüste keine Hautveränderungen vorlagen. Selbst wenn z. B. in den wärmeren Monaten eine Neigung zu Entzündungen in den Brustfalten bestand und besteht, sind diese einer konservativen dermatologischen Behandlung zugänglich. Eine Indikation für eine Brustverkleinerungsoperation wegen dermatologischer Erkrankungen bestand im Fall der Klägerin ersichtlich nicht.

Auch die Wirbelsäulenbeschwerden begründeten keine Indikation für die Mammareduktionsplastik. Ein Zusammenhang zwischen der Größe der Brust und Wirbelsäulenbeschwerden ist wissenschaftlich nicht belegt (so: LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18.10.2002 – L 4 KR 4692/01). So hat auch der MDK im Gutachten vom 09.10.2009 unter Bezugnahme auf zahlreiche Veröffentlichungen darauf hingewiesen, dass bei Resektionsgewichten unter 500 g keinerlei Auswirkungen auf den Halteapparat zu beobachten gewesen sei; in skandinavischen Studien seien Auswirkungen auf die Wirbelsäulenstatik erst bei Resektionsgewichten oberhalb 700 g befunden worden. Abgesehen davon, dass das tatsächliche Resektionsgewicht im Fall der Klägerin unterhalb des Wertes von 700 g je Seite lag, ist auch der Grenzwert von 700 g Resektionsgewicht je Brust kein Indikator für einen ursächlichen Zusammenhang zwischen orthopädischen Gesundheitsstörungen und der Brustgröße. Aus der medizinischen Fachliteratur ist keine Arbeit bekannt, welche den kausalen Zusammenhang zwischen der Größe von Brustdrüsen und dem Auftreten von Wirbelsäulenbeschwerden belegen. Im Übrigen sind Wirbelsäulenbeschwerden regelmäßig einer Physiotherapie zugänglich, rechtfertigen aber keine Mammareduktionsplastik (vgl. BSG, Urteil vom 19.10.2004 – B 1 KR 9/04 R).

Schließlich begründete auch das Asthma bronchiale der Klägerin keine Notwendigkeit für die Brustverkleinerungsoperation zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung. Zwar ist es auch für den Laien nachvollziehbar, dass durch den Druck, den die Brust auf die Thoraxwand ausübt, das Atmen erschwert wird, wie dies auch der behandelnde Frauenarzt bescheinigt hat. Jedoch kann die Brustverkleinerungsoperation nicht unmittelbar die Lungenerkrankung, das Asthma bronchiale behandeln, wäre also lediglich eine "mittelbare" Behandlung. Eine solche bedarf einer besonderen Rechtfertigung, indem eine Abwägung zwischen dem voraussichtlichen medizinischen Nutzen und möglichen gesundheitlichen Schäden erfolgen muss. Wird dabei in ein funktionell intaktes Organ eingegriffen, sind besonders strenge Anforderungen zu stellen, wobei Art und Schwere der Erkrankung, des Risikos und der eventuellen Nutzen der Therapie gegeneinander abzuwägen sind (BSG, Urteil vom 19.02.2003 – B 1 KR 1/02 R). Der MDK hat zu Recht darauf hingewiesen, dass zunächst konservative Möglichkeiten zur Behandlung der Atembeschwerden auszuschöpfen sind, bevor eine so weitreichende Maßnahme wie eine Mammareduktionsplastik, also der chirurgische Eingriff in ein gesundes Organ, in Betracht kommt. Beispielsweise wäre eine Rehabilitationsmaßnahme in einer pulmonologischen Einrichtung unter anderem auch unter dem Aspekt der Schulung und des Erlernens zielgerichteter Atemübungsprogramme in Betracht gekommen. Ob und inwieweit die Klägerin vor der Operation diese Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft hat, ist nicht bekannt, kann jedoch auch dahinstehen, da jedenfalls zum Zeitpunkt des Erlasses der dann bestandskräftig gewordenen Ablehnungsentscheidung die konservativen Behandlungsmöglichkeiten nicht ausgeschöpft waren.

Steht nach alledem fest, dass die Beklagte zu Recht die Rücknahme des bestandskräftigen Verwaltungsaktes vom 19.08.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 02.03.2010 abgelehnt hat, so kann die Klägerin ihr Kostenerstattungsbegehren auch nicht isoliert aus der Vorschrift des § 13 Abs. 3 Satz, 2. Alternative SGB V unter dem Aspekt eines erneuten (Zweit-Antrages) herleiten. Denn insoweit fehlte es an der Einhaltung des Beschaffungsweges. Die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung werden grundsätzlich als Sachleistung erbracht. Der Kostenerstattungsanspruch bildet die Ausnahme. Der Anspruch nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V setzt nach ständiger Rechtsprechung voraus, dass der Versicherte sich zunächst an seine Krankenkasse wendet und deren Entscheidung abwartet, bevor er sich die Leistung selbst beschafft; es ist nicht erforderlich, dass der Versicherte mit der Selbstbeschaffung bis zur Entscheidung der Krankenkasse über den Widerspruch gegen die Ablehnung des Leistungsantrages wartet (BSG, Urteil vom 06.02.1997 – 3 RK 9/96; Beschluss vom 15.04.1997 – 1 BK 31/96; Urteil vom 25.09.2000 – B 1 KR 5/99; Urteil vom 23.07.2002 – B 3 KR 66/01 R; Urteil vom 22.03.2005 – B 1 KR 3/04 R; Urteil vom 14.12.2006 – B 1 KR 8/06 R; Urteil vom 28.02.2008 – B 1 KR 15/07 R). Entgegen der Auffassung der Klägerin genügte die Erstablehnung 2009/2010 nicht, um den Weg für eine Selbstbeschaffung zu eröffnen und Kostenerstattung zu verlangen. Denn die Ablehnungsentscheidung seinerzeit war bestandskräftig geworden und – wie dargelegt – nicht zu Unrecht ergangen. Nur wenn die Klägerin dagegen rechtzeitig Klage erhoben hätte und deshalb die Bescheide nicht bestandskräftig geworden wären oder wenn sie den erneuten Antrag vor der Operation gestellt und die (erneute) Entscheidung der Krankenkasse abgewartet hätte, wäre der Kausalzusammenhang zwischen der ablehnenden Entscheidung der Beklagten und der Selbstbeschaffung der Leistung sowie dem dadurch begründeten Kostenaufwand der Klägerin zu bejahen. Dies war aber nicht der Fall. Die Klägerin hat die Operation am 14.04.2011 durchführen lassen; das Kostenerstattungsbegehren wurde der Beklagten erstmals aufgrund des Antrags der Klägerin vom 27.06.2011 bekannt; die Beklagte erließ ihre (erneuten) Ablehnungsbescheide am 12.07. bzw. 16.08.2011.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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