S 13 KR 72/12

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 13 KR 72/12
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Brustkorrektur-Operation.

Die am 00.00.0000 geborene Klägerin beantragte im Juni 2011 bei der Beklagten die Übernahme der Kosten einer Brustkorrektur-Operation. Sie legte hierzu ein Attest ihrer behandelnden Gynäkologin vom 01.03.2011 und eine Bescheinigung der Klinik für Plastische Chirurgie des Luisenhospitals vom 08.03.2011 vor; in diesen wurde von einer "tubulären Brustform" bzw. einer "tubulären Brustdeformität" berichtet, unter der die Klägerin erheblich – psychisch – leide; ihre Sexualität und damit auch Partnerschaft sei erheblich beeinträchtigt. Die Beklagte veranlasste eine Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK). Dr. G. stellte im Gutachten vom 22.07.2011 fest, es liege keine körperliche Anomalie von Krankheitswert und auch keine schwere Entstellung vor; er wies auf die erheblichen Operationsrisiken hin und befürwortete den Eingriff nicht.

Gestützt hierauf lehnte die Beklagte die beantragte Brustkorrektur-Operation durch Bescheid vom 01.08.2011 ab.

Dagegen legte die Klägerin am 24.08.2011 Widerspruch ein. Sie überreichte ein weiteres ärztliches Attest ihrer Gynäkologin vom 22.09.2011. Darin führte die behandelnde Ärztin aus, es handele sich bei der Klägerin um eine abweichende "Brustform von Krankheitswert"; die Klägerin wisse sehr gut, worauf sie sich einlasse; die Brustoperation sei für sie von großer Bedeutung; sie meide Sportunterricht, weil es zu Hänseleien komme, und vermeide Kontaktaufnahme zum anderen Geschlecht, weil sie sich nicht in der Lage sehe, Intimitäten zuzulassen.

In einer ergänzenden MDK-Stellungnahme vom 03.11.2011 wies Dr. N. daraufhin, nicht jede Formveränderung der weiblichen Brust sei krankheitswertig; eine Korrektur sei auch durch Tragen einer BH-Einlage möglich; ein grob entstellender Befund läge nicht vor.

Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 14.02.2012 zurück.

Dagegen hat die Klägerin am 15.03.2012 Klage erhoben. Sie meint, es lägen körperliche Beeinträchtigungen in Form von Deformitäten vor. Zudem seien ihre seelischen Beschwerden ganz massiv; sie könne sich nicht wie Gleichaltrige ankleiden, nicht am Schwimmunterricht teilnehmen und sei Mobbing ausgesetzt.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 01.08.2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 14.02.2012 zu verurteilen, ihr eine operative Korrektur ihrer Brüste zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verbleibt bei ihrer in den angefochtenen Bescheiden vertretenen Auffassung.

Auf Bitte des Gerichts hat die Klägerin sechs Farbfotos zur Dokumentation ihrer Brüste vorgelegt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen die Klägerin betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Die Klägerin wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Die Beklagte hat zurecht die beantragte Brustkorrektur-Operation abgelehnt, da die Klägerin keinen Anspruch auf diese Leistung zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) hat.

Gem. § 27 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) haben Versicherte An-spruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung setzt also eine "Krankheit" voraus. Damit wird in der Rechtsprechung ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Men¬schen abweichender Körper- oder Geisteszustand umschrieben, der ärztlicher Behand¬lung be¬darf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht (BSG, Urteil vom 19.10.2004 - B 1 KR 3/03 R = BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr. 3 m.w.N.). Krankheitswert im Rechts¬sinne kommt nicht jeder körperlichen Unregelmäßigkeit zu. Erforderlich ist vielmehr, dass der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt wird oder dass er an einer Abwei¬chung vom Regelfall leidet, die entstellend wirkt (BSG, Urteil vom 28.02.2008 - B 1 KR 19/07 R = SozR 4-2500 § 27 Nr. 14 m.w.N.).

Die – von der Klägerin als störend empfundene – Form ihrer Brüste ist für sich genommen kein Befund von Krankheitswert, der eine operative Behandlung erforderlich macht. Anhand der von der Klägerin vorgelegten Lichtbilder konnte sich die Kammer einen Eindruck vom Zustand der Brüste der Klägerin machen. Die Klägerin hat eine tubuläre, d.h. schlauch- bzw. röhrenförmige (vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 261. Auflage, S. 1970) Brustform. Diese stellt aber keine Missbildung bzw. Entstellung dar, die operativ behandelt werden müsste. Entstellungen von Krankheitswert sind in der Regel nur dann anzunehmen, wenn die körperlichen Veränderungen ständig dem Blick der Allgemeinheit ausgesetzt sein können und in Folge dessen eine Teilhabe am Leben in der Gesellschaft erschwert oder unmöglich gemacht wird, z.B. bei einer Frau ohne natürliches Kopfhaar (BSG, Urteil vom 23.07.2002 – B 3 KR 66/01 R) oder bei einer angeborenen schweren Gesichtsmissbildung (BSG, Urteil vom 11.11.1975 – 3 RK 63/74). Dies gilt aber nicht für körperliche Erscheinungen, die – wie hier – ohne weiteres durch geeignete Kleidung verdeckt werden können und nur in besonderen Situationen den Blicken anderer ausgesetzt sind (LSG NRW, Beschluss vom 08.11.2004 – L 16 KR 137/04; vgl. auch: LSG NRW, Urteil vom 03.05.2001 – L 5 KR 221/00). Die Bewertung der Form der Brüste als "Entstellung" wäre mit dem Krankheitsbegriff kaum in Einklang zu bringen, vor allem wenn man die außerordentliche Vielfalt in Form und Größe der weiblichen Brust berücksichtigt (vgl. dazu allgemein: BSG, Urteil vom 19.10.2004 – B 1 KR 3/03 R; Urteil vom 28.02.2008 – B 1 KR 19/07 R). Angesichts der vorgelegten Fotos verwundert es die Kammer sehr, dass die Klinik für Plastische Chirurgie des Luisenhospital B. im Bericht vom 08.03.2011 von einer "Brustdeformität beidseits" und die behandelnde Gynäkologin im Attest vom 22.09.2011 von einer "Brustform von Krankheitswert" spricht. Die Kammer (in der Besetzung mit einem männlichen Berufsrichter und zwei weiblichen ehrenamtlichen Richterinnen) ist der Auffassung, dass die Brüste der Klägerin durchaus auch als wohlgeformt angesehen werden können, auch wenn sie vielleicht nicht dem von bestimmten Medien geprägten "Idealbild" weiblicher Brüste entsprechen. Von einer Entstellung sind sie weit entfernt.

Soweit die Klägerin und ihre behandelnden Ärzte eine psychische Belastung ("erhebliche Probleme", "Sexualität und Partnerschaft erheblich beeinträchtigt", "Hänseleien", "seelische Beschwerden", "Mobbing") durch die Form ihrer Brüste geltend machen, vermag dies einen operativen Eingriff ebenfalls nicht zu rechtfertigen. Denn nach stän¬diger Rechtsprechung (vgl. BSG, Urteile vom 19.10.2004 und 28.02.2008, a.a.O.) ist der¬artigen Belastungen nicht mit chirurgischen Eingriffen in eine an sich gesunde Körpersub¬stanz, sondern mit Mitteln der Psychiatrie und Psychotherapie zu begegnen (ebenso in Bezug auf eine Bauchdecken¬plastik: LSG NRW, Urteil vom 08.05.2008 - L 5 KR 91/07; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 19.01.2006 - L 5 KR 65/05; Sächsisches LSG, Urteil vom 23.03.2005 - L 1 KR 24/04 und LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 28.07.2004 - L 11 KR 896/04; speziell in Bezug auf eine Bodylift-(Hautstraffungs-)Operation: LSG Sachsen-An¬halt, Urteil vom 16.11.2006 - L 4 KR 60/04). Konsequenterweise erhält die Klägerin daher auch seit Frühjahr dieses Jahres von der Beklagten eine Psychotherapie.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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