L 5 R 3635/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 19 R 829/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 R 3635/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 16.07.2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Verpflichtung der Beklagten, die Zeiten nach dem Fremdrentengesetz ohne Absenkung der Entgeltpunkten nach § 22 Abs. 4 FRG anzuerkennen bzw. zu berechnen.

Der 1953 in B. geborene Kläger siedelte am 22.11.1990 nach Deutschland über. Am 31.12.2005 beantragte er durch seinen Bevollmächtigten die Erstellung eines aktuellen Versicherungsverlaufs und die Übersendung von Antragsformularen für eine Kontenklärung.

Die Beklagte leitete daraufhin ein Kontenklärungsverfahren ein und schloss dieses mit Bescheid vom 19.10.2006 ab, in dem u.a. glaubhaft gemachte bzw. nachgewiesene Pflichtbeitragszeiten nach § 15 FRG erstmals festgestellt wurden. Die Entgeltpunkte für diese Zeiten wurden in der Rentenauskunft mit 0,6 multipliziert.

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger durch seinen Bevollmächtigten am 14.11.2006 Widerspruch ein und machte geltend, die Kürzung der Entgeltpunkte auf 60 % sei verfassungswidrig. Die in Art. 6 § 4c Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetz (FANG) getroffene Neuregelung sei unbefriedigend und entspräche nicht den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts. Mit Widerspruchsbescheid vom 26.01.2009 wies die Beklagte den Widerspruch als unzulässig zurück. Im angefochtenen Bescheid sei keine rechtsverbindliche Entscheidung über die Bewertung der Versicherungszeit erfolgt. Da die Rente des Klägers zudem erst nach dem 30.06.2000 beginne, erhalte er keinen Zuschlag nach Art. 6 § 4c Abs. 2 FANG.

Der Kläger hat sein Begehren weiterverfolgt, am 19.02.2009 durch seinen Bevollmächtigten Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben und beantragt, den Bescheid vom 19.10.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.01.2009 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, die Zeiten nach dem Fremdrentengesetz ohne Absenkung der Entgeltpunkte nach § 22 Abs. 4 FRG anzuerkennen sowie festzustellen, dass der Widerspruch gegen den entsprechenden Vormerkungsbescheid zulässig war. Zur Begründung hat er im wesentlichen geltend gemacht, die Kürzung der Entgeltpunkte verstoße gegen Art. 14 Grundgesetz (GG). Auch sei es ihm nicht zuzumuten abzuwarten, bis er einen Rentenbescheid erhalte. Daher müsse im Rahmen der Rechtssicherheit ein Widerspruch gegen die Rentenauskunft zulässig sein. Ansonsten läge ein Verstoß gegen Art. 19 GG vor.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie beruft sich auf ihr Vorbringen im Widerspruchsbescheid. Bei § 22 Abs. 4 FRG handele es sich um eine Bewertungsvorschrift, die auf die Ermittlung der Entgeltpunkte abstelle. Diese würden jedoch erst bei der Erteilung eines Rentenbescheides festgestellt, so dass der Kläger erst bei Erteilung eines Rentenbescheides durch die Absenkung beschwert sei.

Mit Gerichtsbescheid vom 16.07.2010 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die Klage sei form- und fristgerecht erhoben. Sie sei bezüglich des Klageantrages zu 1 auch zulässig und als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 4 SGG statthaft. Der Klageantrag zu 2 sei jedoch unzulässig, da die Feststellung der Zulässigkeit eines Widerspruchs nicht mit der Feststellungsklage nach § 55 SGG begehrt werden könne und es zudem am erforderlichen Feststellungsinteresse fehle. Die Frage, ob der Widerspruch des Klägers zulässig gewesen sei, werde bereits im Rahmen der vorrangigen Anfechtungs- und Verpflichtungsklage zum Klageantrag zu 1 geprüft. Der Klageantrag zu 1 sei aber nicht begründet. Die Beklagte habe zu Recht den Widerspruch als unzulässig zurückgewiesen. Bei der von der Beklagten erstellten Renteninformation handele es sich nicht um einen Verwaltungsakt gemäß § 31 des Sozialgesetzbuches Zehntes Buch (SGB X). Mit Erteilung der Rentenauskunft werde durch den Versicherungsträger keine Reglung getroffen. Sie seine reine "Wissensauskunft" und nicht anfechtbar. Eine Beschwer des Klägers sei dadurch nicht gegeben. Ein Verstoß gegen Art. 19 GG sei hierin nicht zu sehen. Ergänzend sei anzumerken, dass die Regelung des § 22 Abs. 4 FRG i.V.m. der Neuregelung in Art. 6 § 4c Abs. 2 FANG nicht verfassungswidrig sei, insbesondere nicht gegen Art. 14 GG verstoße (vgl. dazu BSG, Urteil vom 20.10.2009 - B 5 R 38/08 R - und vom 25.02.2010 - B 13 R 61/09 R -).

Gegen diesen ihm am 22.07.2010 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 03.08.2010 Berufung beim Landessozialgericht eingelegt und vorgetragen, es sei nicht gegen eine Rentenauskunft Widerspruch eingelegt worden, sondern gegen den Bescheid vom 19.10.2006. Dieser Bescheid führe aus: "Sehr geehrter Herr Dr. P., nach § 149 Abs. 5 SGB VI stellen wir die in dem beigefügten Versicherungsverlauf enthaltenen Daten, die länger als 6 Kalenderjahre zurückliegen, also die Zeiten bis 31.12.1999, als für die Beteiligten verbindlich fest, soweit sie nicht bereits früher festgestellt worden sind." Daraus ergebe sich unmissverständlich, dass auch die in der Anlage beigefügte Berechnungsweise in Verbindlichkeit ergehe. Insoweit stelle sich die Frage, ob § 22 Abs. 4 FRG mit den entsprechenden Kürzungen bzw. die dazu ergangene Übergangsvorschrift des Art. 6 § 4c FANG sich im Rahmen der Verfassung bzw. des Verfassungsgerichtsurteils, welches als bekannt vorausgesetzt werde, halte. Es gehe nicht um die Frage alleine, ob Art. 6 § 4c FANG verfassungswidrig sei oder nicht, sondern es gehe um die Frage, ob der Gesetzgeber in der Tat ordnungsgemäß das Bundesverfassungsgerichtsurteil ausgeführt habe. Der Kläger müsse nicht auf den Rentenbescheid warten. Eine derartige Betrachtungsweise, die das SG Freiburg angestellt habe, verstoße gegen das Verfassungsrecht, denn selbstverständlich habe der Kläger ein vorgreifliches Feststellungsinteresse. Die Länge der Verfahrensdauer unterliege einer Menschenrecht orientierten Kontrolle, was durch die einschlägige Entscheidung des EuGH als bekannt vorausgesetzt werden müsse. Dabei sei es nicht von Sinn getragen, den Druck lediglich weiterzugeben und Entscheidungen der hier vorgenannten Art zu fällen, sondern es gehe im Endergebnis mehr darum, dass der Gesetzgeber das Rechtssystem vereinfachen müsse. Das Gericht spreche dem Kläger hier einer freiheitlich-demokratisch-liberalen verfassungswesensimmanente Rechte ab, indem es sage, es sei hinnehmbar, dass er den Rentenbescheid später anfechte. Das widerspreche effektivem Rechtsschutz im Rahmen des Art. 19 Abs. 4 GG und verstoße gegen die herrschende Meinung in diesem Bereich. Es sei herrschende Meinung, dass vorgreifliche Verfahren zur Klärung von Rechtsfragen geführt werden dürften und man die Betreffenden nicht auf irgendwelche in der Zukunft liegenden Rechtsbehelfe verweisen dürfe. Selbstverständlich stelle es für den Kläger eine unzumutbare Belastung dar, im Rentenalter dann um seine Ansprüche prozessieren zu müssen. Die grundsätzliche Bedeutung werde darin gesehen, dass hier ein Recht abgesprochen werde, den Vormerkungsbescheid anfechten zu dürfen

Der Kläger beantragt sinngemäß, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 16.07.2010 und den Bescheid vom 19.10.2006 sowie den Widerspruchsbescheid vom 26.01.2009 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Zeiten nach dem Fremdrentengesetz ohne Absenkung der Entgeltpunkte nach § 22 Abs. 4 FRG anzuerkennen bzw. zu berechnen;

hilfsweise die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückweisen.

Nach ihrer Ansicht hat das Sozialgericht den Sachverhalt hinreichend festgestellt und rechtlich zutreffend gewürdigt. Im Vordergrund des Rechtsstreits stehe die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Übergangsregelung des Art. 6 § 4c Abs. 2 FANG. Inzwischen hätten der 5. Senat (B 5 R 38/08 R) und der 13. Senat (B 13 R 61/09 R) des BSG die Übergangsregelung - und damit die Rechtsauffassung der Beklagten - bestätigt. Darüber hinaus habe das Bundesverfassungsgericht am 15.07.2010 die Verfassungsbeschwerde 1 BvR 1201/10 zur Übergangsregelung nicht zur Entscheidung angenommen. Damit sei die Rechtsfrage abschließend geklärt. Dies sollte der Kläger bzw. sein Bevollmächtigter akzeptieren und die Berufung zurücknehmen. Ein weiteres Eingehen auf die Berufungsbegründung - insbesondere zur Rechtsauskunft und deren Angreifbarkeit – erübrige sich aus o. g. Gründen.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten, der Gerichtsakten des SG und der Berufungsakten des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

Die Berufung des Klägers ist gem. §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne Zulassung durch das Sozialgericht statthaft. Die Berufung ist auch sonst gem. § 151 SGG zulässig.

Die Berufung hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Das SG hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Sie ist mit dem vom Kläger ausschließlich verfolgten Begehren mangels vorherigen Verwaltungs- und Vorverfahrens unzulässig (§§ 77, 78 SGG).

Richtige Klageart für das Begehren auf Feststellung rentenrelevanter Zeiten im Vormerkungsbescheid ist die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage. Prozessvoraussetzung für die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist die Durchführung eines vorherigen Verwaltungsverfahrens mit einem abschließenden Bescheid und eines ordnungsgemäßen Vorverfahrens mit einem zulässigen Widerspruch und einem Widerspruchsbescheid.

Der Kläger begehrt mit seiner gegen den Bescheid vom 19.10.2006 gerichteten Klage allerdings nicht die Feststellung von rentenrelevanten Zeiten, die hier nicht streitig sind, sondern die Bewertung von Zeiten nach dem Fremdrentengesetz mit Entgeltpunkten ohne Absenkung nach § 22 Abs. 4 FRG. Sein hierauf gerichtetes Klagebegehren ist bereits unzulässig. Denn der von ihm angefochtene Bescheid trifft zur Bewertung von Zeiten mit Entgeltpunkten keine Entscheidung, weshalb sein Widerspruch zutreffend als unzulässig zurückgewiesen worden ist.

Die materiell-rechtliche Grundlage für den Bescheid vom 19.10.2006 findet sich in § 149 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Nach § 149 Abs. 1 und 2 SGB VI führt der Träger der Rentenversicherung für jeden Versicherten ein Versicherungskonto, in dem die Daten zu speichern sind, die für die Durchführung der Versicherung sowie die Feststellung und Erbringung von Leistungen einschließlich der Rentenauskunft erforderlich sind.

Nach § 149 Abs. 5 SGB VI stellt der Versicherungsträger die im Versicherungsverlauf enthaltenen und nicht bereits festgestellten Daten durch Bescheid fest. Regelungsinhalt eines Vormerkungsbescheids nach § 149 Abs. 5 Satz 1 SGB VI ist lediglich die verbindliche Feststellung der im Versicherungsverlauf enthaltenen Daten zum Vorliegen oder Nichtvorliegen der für einen späteren Rentenanspruch möglicherweise bedeutsamen rentenrelevanten Tatbestände, d.h. insbesondere zur Zurücklegung rentenrechtlicher Zeiten i.S. der §§ 54 bis 61 SGB VI durch den Versicherten. Insoweit ist der Bescheid der Bindungswirkung fähig und dementsprechend auch anfechtbar. Damit ist die Möglichkeit eröffnet, bereits vor Eintritt des Leistungsfalls die tatsächlichen Grundlagen für eine spätere Rentengewährung rechtsverbindlich festzustellen zu lassen.

Im Rentenbescheid sind dann sämtliche für die Berechnung der Rente bedeutsamen Zeiten auf der Grundlage des zutreffenden Sachverhalts und des für die Rentenbewilligung maßgeblichen Rechts (vgl. § 300 Abs. 1 und 2 SGB VI) zu berücksichtigen. Stehen einer solchen Entscheidung verbindliche Feststellungen eines Vormerkungsbescheids entgegen, sind diese im Rentenbescheid (vgl. § 149 Abs. 5 Satz 2 Teils 1 Alt 2 SGB VI) aufzuheben, und zwar entweder nach § 44 Abs. 2 SGB X (bei rechtswidrig nicht begünstigenden Feststellungen) oder nach § 45 SGB X (bei rechtswidrig begünstigenden Feststellungen); im Falle einer Änderung der zugrunde liegenden Vorschriften hat die Korrektur mit Wirkung für die Vergangenheit ohne Anwendung von § 24 und § 48 SGB X zu erfolgen (§ 149 Abs. 5 Satz 2 Teil 2 SGB VI).

Gemäß § 149 Abs. 5 Satz 2 SGB VI wird dagegen über die Anrechnung und Bewertung der im Versicherungsverlauf enthaltenen Daten erst bei Feststellung einer Leistung entschieden. Die dem Kläger hierzu erteilten Rentenauskünfte stehen unter dem Vorbehalt von zukünftigen Rechtsänderungen (vgl. nunmehr ausdrücklich § 109 Abs. 2 SGB VI; hierzu auch BVerfG, Beschluss vom 27.02.2007 - 1 BvL 10/00 -, veröffentlicht in Juris) und sind nicht rechtsverbindlich. Sie spiegeln die Rentenhöhe wider, die sich ergeben würde, wenn nach dem zum Zeitpunkt der Erteilung der Rentenauskunft geltenden Recht ein Rentenanspruch bestünde. Die dort für den Auskunftsempfängers enthaltenen aus seiner Sicht günstigen Auskünfte entfalten ebenso wenig wie die hier von ihm als ungünstig erachteten Werte Bindungswirkung. Da weder feststeht, ab wann der 1953 geborene Kläger erstmals welche Rente beziehen wird noch welche Regelungen z.B. für die Bewertung von FRG-Zeiten dann gelten werden, werden vorab hierüber keine verbindlichen Bescheide erteilt und ist auch ein vorgezogener Rechtsschutz im Rahmen der Anfechtung eines Kontenklärungsbescheid weder möglich noch sinnvoll.

Zu ergänzen ist lediglich, dass die Beklagte zutreffend unter Benennung der Entscheidungen des BSG und des BVerfG darauf hingewiesen hat, dass auch an der Verfassungsmäßigkeit von § 22 Abs. 4 FRG und Art. 6 § 4c Abs. 2 FANG keine Zweifel bestehen, weshalb die Klage auch offensichtlich unbegründet war.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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