Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
2
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 2 KA 462/11
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 12.833,63 EUR nebst Zinsen in Höhe von 4 % seit Rechtshängigkeit zu zahlen. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Die Sprungrevision wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig sind Zahlungsansprüche aufgrund einer Vereinbarung.
Unter dem 19.02.2010 schlossen die beigeladene Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV), das Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) und das Bundesministerium des Innern (BMI) eine Vereinbarung zur zahnärztlichen Versorgung von Heilfürsorgeberechtigten mit plastischen Füllungsmaterialien folgenden Inhalts (im Weiteren: SDA-Vereinbarung):
Präambel: Nach den Richtlinien für die zahnärztliche Versorgung für Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr und für Polizeivollzugsbeamtinnen und Polizeivollzugsbeamte der Bundespolizei hat die Versorgung von kariösen Defekten grundsätzlich mit plastischen Füllungsmaterialien zu erfolgen. Im Rahmen der unentgeltlichen truppenärztlichen Versorgung möchte die Bundeswehr ihren Zeit- und Berufssoldaten diesbezüglich SDA-Füllungen zur Verfügung stellen. Hierzu vereinbaren die Vertragspartner folgende Regelung für die Restauration mit Composite bei Anspruchsberechtigen der unentgeltlichen truppenzahnärztlichen Versorgung
§ 1 Leistungsbeschreibung BwR 1 (HR 1): Restauration einer Kavität mit Composite in Schmelz-Dentin- Adhäsivtechnik, ggf. einschließlich Mehrschichttechnik, einflächig, 75 Punkte BwR 2 (HR 2): Restauration einer Kavität mit Composite in Schmelz-Dentin- Adhäsivtechnik, ggf. einschließlich Mehrschichttechnik, zweiflächig, 112 Punkte BwR 3 (HR 3): Restauration einer Kavität mit Composite in Schmelz-Dentin- Adhäsivtechnik, ggf. einschließlich Mehrschichttechnik, dreiflächig, 164 Punkte BwR 4 (HR 4): Restauration einer Kavität mit Composite in Schmelz-Dentin-Adhäsivtechnik, ggf. einschließlich Mehrschichttechnik, mehr als dreiflächig oder Eckenaufbau im Frontzahnbereich unter Einbeziehung der Schneidekante 208 Punkte § 2 Anspruchsberechtigung/Genehmigungspflicht Die Leistungen unterliegen keiner Genehmigungspflicht. ( )
§ 3 Abrechnung Die Leistungen werden nach beendeter Behandlung über die KZV abgerechnet.
Daraufhin änderte das BMI unter dem 27. April 2010 seine Richtlinien für die zahnärztliche Versorgung der heilfürsorgeberechtigten Polizeivollzugsbeamtin-nen und Polizeivollzugsbeamten der Bundespolizei dahin, dass unter Punkt II. (Ergänzungen/Abweichungen) eine neue Ziffer 8. aufgenommen wurde: Composite-Restaurationen erfolgen gem. Vereinbarung zwischen der KZBV, dem BMVg und dem BMI gemäß beigefügter Anlage.
Mit Schreiben vom 17.12.2010 kündigte das BMI die SDA-Vereinbarung vom 19.02.2010 für seinen Bereich zum 31.03.2011 und nahm mit Wirkung vom 01.04.2011 die Position II.8 aus seiner Richtlinie wieder heraus. Unter Bezugnahme auf diese Kündigung kürzte das Bundespolizeipräsidium aus der KCH-Honorarabrechnung für das Quartal II/2011 die HR 1 bis HR 4-Füllungen um einen Betrag in Höhe von 18.952,71 EUR. Nachdem Zahlungsaufforderungen der Klägerin fruchtlos blieben, erhob diese am 19.11.2011 Klage.
Die Klägerin hält die SDA-Vereinbarung vom 19.02.2010 für einen öffentlich-rechtlichen koordinationsrechtlichen Vertrag zwischen zwei Behörden. Die seitens der Beklagten erklärte Kündigung sei unwirksam, da der Vertrag keine Kündigungsmöglichkeit vorsehe und sich eine Beendigungsmöglichkeit ausschließlich nach § 59 Abs. 1 Satz 1 SGB X richte. Dessen Voraussetzungen seien nicht erfüllt. Schon aufgrund des kurzen Zeitraums zwischen Abschluss der SDA-Vereinbarung und der Kündigung sei eine Veränderung der Verhältnisse, die für die Festsetzung des Vertragsinhaltes maßgeblich gewesen seien, nicht erkennbar; insbesondere sei die Kostenstruktur gleich geblieben. Soweit die GOZ 2012 inzwischen niedrigere Preise ansetze, sei diese erst mit Wirkung zum 01.01.2012 in Kraft getreten, so dass sich zum Zeitpunkt der Kündigung die Verhältnisse noch nicht geändert hätten. Vor allem hätte es zunächst eines Anpassungsverlangens seitens der Beklagten bedurft, welches bei seiner Verweigerung ggf. die Kündigung gerechtfertigt hätte. Ein solches Verlangen habe die Beklagte jedoch nicht geäußert. Soweit das BMI seine Richtlinien zum 01.04.2011 geändert habe, binde dies die Zahnärzte nicht. Die Richtlinienkompetenz des BMI bestehe allein gegenüber den normunterworfenen Heilfürsorgeberechtigten. Auch die SDA-Vereinbarung regele keine Bindung der Zahnärzte an die Richtlinien.
Außergerichtlich hat die Beklagte die Leistungspositionen nach Maßgabe der Pos. 13 a-d des BEMA vergütet. Daraufhin hat die Klägerin ihre ursprüngliche Klageforderung reduziert.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 12.833,63 EUR nebst Zinsen in Höhe von 4 % seit Rechtshängigkeit zu zahlen, hilfsweise, die Sprungrevision zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält die Honorarkürzung für rechtmäßig. Die SDA-Vereinbarung sei ein privatrechtliches Dauerschuldverhältnis sui generis, auf das die Bestimmungen der §§ 624 (626 a.F.), 723 BGB entsprechend anzuwenden seien. Daher sei sie berechtigt gewesen, die Vereinbarung im Dezember 2010 ordentlich zum 31.03.2011 zu kündigen. Da zwischen Erklärung und Wirksamwerden der Kündigung eine Zeitspanne von über drei Monaten gelegen habe, sei die Kündigung weder zur Unzeit erfolgt noch die Klägerin durch die Kündigung treuwidrig beschwert. Im Übrigen hätte das BMI die Möglichkeit gehabt, aus jedem sachlichen Grund (hier: Kostensteigerungen in 2010 und damit einhergehende haushälterische Probleme im Heilfürsorgetitel der Bundespolizei) die Versorgung mit plastischen Füllungsmaterialien wieder auf die gesetzliche Regelversorgung zurückzuführen. Mit der dementsprechenden Änderung der Richtlinien zum 01.04.2011 sei die SDA-Vereinbarung gegenstandslos geworden, so dass deren Rechtsnatur als öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich letztlich dahinstehen könne. Mit der SDA-Vereinbarung habe sich das BMI nicht gegenüber der KZBV verpflichtet, seinen Heilfürsorgeberechtigten künftig SDA-Füllungen zu ermöglichen, sondern lediglich die Absicht bekundet, seinen Heilfürsorgeberechtigten einen entsprechenden Anspruch einräumen zu wollen. Gegenstand der Vereinbarung sei nur die Abrechnung der Füllungen gewesen. Insoweit hätten sich die Verhältnisse so geändert, dass der Beklagten - bereits für den Zeitpunkt der Kündigung - ein Festhalten an der bisherigen SDA-Vereinbarung nicht zuzumuten sei. Nach der GOZ 2012 werde inzwischen jeder Privatpatient kostengünstiger behandelt als ein Heilfürsorgeberechtigter nach der SDA-Vereinbarung: HR1: 74,36 EUR Nr. 2060 GOZ 2012 2,3-facher Satz: 68,17 EUR HR2: 111,04 EUR Nr. 2080 GOZ 2012 2,3-facher Satz: 71,92 EUR HR3: 162,59 EUR Nr. 2100 GOZ 2012 2,3-facher Satz: 83,05 EUR HR4: 206,21 EUR Nr. 2120 GOZ 2012 2,3-facher Satz: 99,60 EUR. Selbst wenn die Beklagte trotz knapper Haushaltsmittel grundsätzlich dazu verpflichtet wäre, weiterhin SDA-Füllungen außerhalb des BEMA zu vergüten, sei rückwirkend eine Vertragsanpassung unabdingbar.
Darüber hinaus seien bereits kurz nach der Unterzeichnung/Geltung der SDA-Vereinbarung Auslegungsprobleme mit der KZBV aufgetreten. Nach dem Verständnis der beteiligten Ministerien habe sich der verhandlungs- und vertragsbegründende Sachverhalt auf die BEMA-Nrn. 13a-d und daher ausschließlich auf Restaurationen für den Seitenzahnbereich bezogen. Hier sei die Klägerin zwar dem BMVg, nicht jedoch dem BMI entgegengekommen.
Die Beigeladene
stellt keinen Prozessantrag.
Sie schließt sich dem Vorbringen der Klägerin an und weist ergänzend darauf hin, dass es mit dem BMVg eine Anpassung der SDA-Vereinbarung dahin gegeben habe, dass die Leistungen nach Positionen HR 1 bis HR 4 ab dem 01.07.2012 mit dem 3,0-fachen Satz der GOZ 2012 vergütet würden. Einer Vertragsanpassung auch mit der Beklagten stünde nichts im Wege. Ferner sei mit dem BMVg in einer zum 01.04.2011 wirksam gewordenen "Gemeinsamen Erklärung zum Geltungsbereich der SDA-Vereinbarung vom 13.(19.)02.2010" Übereinstimmung erzielt worden, dass sich die getroffene Regelung nur auf die Zähne 4 bis 8 (Seitenzahnbereich) beziehe.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Leistungsklage ist begründet.
Zu Recht macht die Klägerin vertragliche Zahlungsansprüche aus der SDA-Vereinbarung vom 19.02.2010 für das Quartal II/2011 geltend. Diese Vereinba-rung entfaltet jedenfalls im streitgegenständlichen Zeitraum noch Wirkung. 75 Abs. 3 Satz 1 SGB V bestimmt, dass die K(Z)Ven und die K(Z)BV auch die (zahn)ärztliche Versorgung von Personen sicherzustellen haben, die auf Grund dienstrechtlicher Vorschriften über die Gewährung von Heilfürsorge einen Anspruch auf unentgeltliche (zahn)ärztliche Versorgung haben, soweit die Erfüllung dieses Anspruchs nicht auf andere Weise gewährleistet ist. Die wesentliche Bedeutung dieser Bestimmung liegt darin, dass damit der Sicherstellungsauftrag der K(Z)Ven auf weitere Personengruppen außerhalb des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung erstreckt wird, die mit der originären Aufgabenstellung der K(Z)Ven an sich nicht in Zusammenhang stehen. Zu diesem Personenkreis zählen auch die Polizeivollzugsbeamten des Bundes. Die Regelung geht zurück auf den im Wesentlichen inhaltsgleichen § 368n Abs. 2 Satz 4 und 5 RVO i.d.F. des KVKG vom 27.06.1977. Mit dieser Vorgängervorschrift zu § 75 Abs. 3 Satz 1 und 2 SGB V ist der Auftrag der K(Z)Ven zur Sicherstellung der kassen-/vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung "erweitert" und zum Ausgleich für diese neue "Pflichtaufgabe ... dafür eine Vergütungsregelung" vorgesehen worden. Mit dieser Ausgestaltung sollte das funktionsfähige und funktionierende System der Krankenversicherung auch für den Leistungsbereich der Heilfürsorgeberechtigten nutzbar gemacht werden. Dahinter stand das Interesse der den heilfürsorgeberechtigten Personen an sich verpflichteten Bundesrepublik Deutschland, sich durch die Ankoppelung an die RVO-Regelungen (später: Ersatzkassenregelungen) die Mühen eigener Vertragsverhandlungen mit den Risiken vertragsloser Zustände zu ersparen (vgl. im Einzelnen BSG, Urteile vom 17.11.1999 - B 6 KA 14/99 R -; vom 17.09.2008 - B 6 KA 48/07 R -; vgl. auch BSG, Beschluss vom 13.02.2001 - B 6 KA 64/00 B - zur Einzelleistungsvergütung zahnärztlicher Leistungen bei Gewährung freier Heilfürsorge). Das schließt aber keineswegs aus, dass durch besondere Verträge zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der KZBV Regelungen über den Inhalt und die Vergütung einzelner Leistungen getroffen werden, die über die Leistungen der GKV hinausgehen (vgl. LSG Niedersachsen, Urteil vom 25.11.1998 - L 5 KA 5/94 -). Denn nach § 75 Abs. 3 Satz 1 SGB V kann die Erfüllung des "erweiterten" Sicherstellungsauftrages auch "auf andere Weise gewährleistet" werden. Eine darauf gestützte Vereinbarung zwischen zwei öffentlich-rechtlichen Körperschaften zur Regelung einzelner Bereiche des "erweiterten" Sicherstellungsauftrages ist als öffentlich-rechtlicher Vertrag auf dem Gebiet des Sozialrechts zu qualifizieren.
Die SDA-Vereinbarung vom 19.02.2010 ist durch die Kündigungserklärung vom 17.12.2010 nicht wirksam zum 31.03.2011 beendet worden.
Dabei bedarf es keiner Beurteilung, ob und inwieweit die Voraussetzungen des § 59 SGB X erfüllt sind. Denn diese Bestimmung stellt keine abschließende - andere Kündigungsmöglichkeiten ausschließende - Kündigungsregelung für den Bereich des Sozialverwaltungsvertragsrechts dar. Vielmehr regelt § 59 SGB X die Kündigung nur für zwei besondere Fallgestaltungen (vgl. Gesetzesüberschrift: "in besonderen Fällen"), nämlich § 59 Abs. 1 Satz 1 SGB X für den Fall der wesentlichen Änderung der für den Vertrag maßgeblichen Geschäftsgrundlage bei Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit einer entsprechenden Vertragsanpassung und § 59 Abs. 1 Satz 2 SGB X für den Fall schwerer Nachteile für das Gemeinwohl. Dagegen verhält sich § 59 SGB X nicht, weder positiv noch negativ, zur Zulässigkeit der Kündigung eines sozialverwaltungsrechtlichen Vertrages im Übrigen (BVerwG, Urteil vom 29.12.2000 - 5 B 171/99 -).
Bei einem fortdauernden Sozialverwaltungsvertragsverhältnis, d.h. einem Dauerschuldverhältnis, beurteilt sich die Rechtmäßigkeit einer Kündigung nach zivilrechtlichen Bestimmungen, die über die Verweisungsvorschrift des § 61 Satz 2 SGB X entsprechend gelten (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 08.11.2006 - L 5 KA 3571/05 -). Dies ist für eine Kündigung aus wichtigem Grund § 314 Abs. 1 BGB (Bayer. LSG, Beschluss vom 22.02.2011 - L 12 KA 2/11 B ER -; LSG Baden-Württemberg, a.a.O.). Fehlen Vorschriften über ein ordentliches Kündigungsrecht und haben die Vertragsparteien - wie hier - die ordentliche Kündigung nicht ausgeschlossen, sind die §§ 624, 723 BGB entsprechend anwendbar (BGH, Urteil vom 28.02.1972 - III ZR 212/70 - sowie Beschlüsse vom 22.01.1987 - III ZR 67/86 - und vom 26.02.1987 - III ZR 164/85 - jeweils zum Belegarztvertrag; vgl. ferner BGH, Urteil vom 25.05.1993 - X ZR 79/92 -). Nach § 624 Satz 3 BGB ist eine Kündigungsfrist von sechs Monaten einzuhalten. Aus § 723 Abs. 1 Satz 1 BGB ergibt sich, dass eine Kündigung jederzeit möglich ist, aber diese nach § 723 Abs. 2 BGB nicht zur Unzeit erfolgen darf. Aus diesen Regelungen ist der Grundgedanke zu entnehmen, dass bei Bemessung der Kündigungsfrist die Auswirkung auf den Vertragspartner angemessen beurteilt und berücksichtigt werden muss. Insbesondere bei Dauerschuldverhältnissen ist eine lange Kündigungsfrist anzunehmen. Bei Dauerschuldverhältnissen vertrauen die Vertragsparteien auf eine lange Vertragsdauer, und das Vertragsverhältnis manifestiert sich durch jede über Jahre hinweg wiederholte Handlung (vgl. LG Essen, Urteil vom 24.11.2010 - 11 O 55/09 -).
Vor diesem Hintergrund erscheint der Kammer jedenfalls eine Verkürzung der Kündigungsfrist auf drei Monate als unangemessen kurz. Es ist kein Grund ersichtlich, der es rechtfertigt, von der gesetzlichen Mindestkündigungsfrist von sechs Monaten abzuweichen. Zwar hat sich durch die Novellierung der GOZ die Kostenstruktur insoweit verändert, als die Honorare nach den Gebührennummern 2060, 2080, 2100 und 2120 GOZ 2012 unter Zugrundelegung des 2,3-fachen Steigerungssatzes nunmehr weit unter den Beträgen für die Leistungen nach HR 1 bis HR 4 gemäß der SDA-Vereinbarung vom 19.02.2010 liegen, und das gilt selbst bei Anwendung des 3,0-fachen Steigerungssatzes (wie inzwischen mit dem BMVg vereinbart) für die Leistungen nach HR 2 bis HR 4. Jedoch ist die GOZ 2012 erst zum 01.01.2012 und damit weit nach Ablauf auch einer sechsmonatigen Kündigungsfrist in Kraft getreten. Eine besondere Schutzbedürftigkeit für die Beklagte ergibt sich auch nicht aus dem Diktat knapper Haushaltsmittel, dem sie naturgemäß unterworfen ist. Die SDA-Vereinbarung enthält freiwillige Leistungen, zu denen die Beklagte gesetzlich nicht verpflichtet ist und von denen sie sich durch Kündigung dem Grunde nach auch wieder lösen kann. Es muss aus haushaltsrechtlichen Gründen davon ausgegangen werden, dass das BMI bei der Kalkulation der Vergütung für die Leistungspositionen HR 1 bis HR 4 auch die Menge der zu erwartenden SDA-Füllungen geschätzt und die Höhe der Vergütung hiervon abhängig gemacht hat. Möglicherweise hat die Beklagte nach Eingang der ersten Abrechnungen der Positionen HR 1 bis HR 4 für das Quartal II/2010 gegen Juli/August 2010 erkannt, dass ihr Haushalt durch diese Abrechnungen übermäßig angespannt wurde. Eventuelle Kalkulationsirrtümer gehen jedoch allein zu ihren Lasten und vermögen eine Verkürzung der Kündigungsfrist nicht zu rechtfertigen.
Die Klageforderung ist daher in Höhe des noch verbleibenden Betrages von 12.833,63 EUR begründet, nachdem die Beklagte die Forderung außergerichtlich zum Teil erfüllt hat, indem sie die SDA-Leistungspositionen nach Maßgabe der BEMA-Nrn. 13a-d vergütet hat. Eine Reduzierung der Klageforderung auf den Anteil, der auf die Versorgung des Seitenzahnbereichs entfällt, kommt nicht in Betracht. Zwar ist mit dem BMVg in einer zum 01.04.2011 in Kraft getretenen gemeinsamen Erklärung Übereinstimmung erzielt worden, dass die Leistungsnummern HR 1 bis HR 4 nur die Versorgung der Zähne 4 bis 8 betreffen, während im Frontzahnbereich Füllungen nach den Nrn. 13a-d des BEMA zu erbringen sind. Das BMI war - angesichts seiner Kündigung zum 31.03.2011 verständlich - an dieser gemeinsamen Erklärung jedoch nicht beteiligt. Aus der SDA-Vereinbarung vom 19.02.2010 selbst ergibt sich keine Einschränkung auf den Seitenzahnbereich, weder aus der Präambel noch aus den Leistungsbeschreibungen. Im Gegenteil deutet die ausdrückliche Benennung des Frontzahnbereichs in der Position BwR 4 (HR 4) darauf hin, dass die SDA-Vereinbarung auch den Frontzahnbereich einschließt.
Der Anspruch auf Prozesszinsen ergibt sich aus der analogen Anwendung des § 291 BGB. Da die vorliegend streitige Vergütung für die Leistungen nach HR 1 bis HR 4 auf einem öffentlich-rechtlichen Vertragsverhältnis beruht und weder die §§ 53 bis 60 SGB X noch die sonstigen Vorschriften des Sozialgesetzbuchs eine ausdrückliche Regelung über Prozesszinsen enthalten (§ 61 Satz 1 SGB X), greift gemäß § 61 Satz 2 SGB X die ergänzende Verweisung auf die Bestimmungen des BGB ein (vgl. BSG, Urteil vom 13.12.2011 - B 1 KR 9/11 R - m.w.N.).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 SGG in Verbindung mit §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die außergerichtlichen Kosten der beigeladenen KZBV sind nach § 162 Abs. 3 VwGO nicht erstattungsfähig, weil diese keine Anträge gestellt hat (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.2010 - B 6 KA 24/09 R - m.w.N.).
Die Kammer hat die Sprungrevision gemäß §§ 160 Abs. 2 Nr. 1, 161 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen. Die Beendigungsmöglichkeiten öffentlich-rechtlicher Verträge zur Behandlung heilfürsorgeberechtigter Personen sind höchstrichterlich noch nicht abschließend geklärt, aber über den Einzelfall hinaus von Bedeutung. Aus der bisher vorliegenden Rechtsprechung ergibt sich die Antwort auf die Rechtsfrage auch nicht ohne Weiteres.
&8195;
Tatbestand:
Streitig sind Zahlungsansprüche aufgrund einer Vereinbarung.
Unter dem 19.02.2010 schlossen die beigeladene Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV), das Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) und das Bundesministerium des Innern (BMI) eine Vereinbarung zur zahnärztlichen Versorgung von Heilfürsorgeberechtigten mit plastischen Füllungsmaterialien folgenden Inhalts (im Weiteren: SDA-Vereinbarung):
Präambel: Nach den Richtlinien für die zahnärztliche Versorgung für Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr und für Polizeivollzugsbeamtinnen und Polizeivollzugsbeamte der Bundespolizei hat die Versorgung von kariösen Defekten grundsätzlich mit plastischen Füllungsmaterialien zu erfolgen. Im Rahmen der unentgeltlichen truppenärztlichen Versorgung möchte die Bundeswehr ihren Zeit- und Berufssoldaten diesbezüglich SDA-Füllungen zur Verfügung stellen. Hierzu vereinbaren die Vertragspartner folgende Regelung für die Restauration mit Composite bei Anspruchsberechtigen der unentgeltlichen truppenzahnärztlichen Versorgung
§ 1 Leistungsbeschreibung BwR 1 (HR 1): Restauration einer Kavität mit Composite in Schmelz-Dentin- Adhäsivtechnik, ggf. einschließlich Mehrschichttechnik, einflächig, 75 Punkte BwR 2 (HR 2): Restauration einer Kavität mit Composite in Schmelz-Dentin- Adhäsivtechnik, ggf. einschließlich Mehrschichttechnik, zweiflächig, 112 Punkte BwR 3 (HR 3): Restauration einer Kavität mit Composite in Schmelz-Dentin- Adhäsivtechnik, ggf. einschließlich Mehrschichttechnik, dreiflächig, 164 Punkte BwR 4 (HR 4): Restauration einer Kavität mit Composite in Schmelz-Dentin-Adhäsivtechnik, ggf. einschließlich Mehrschichttechnik, mehr als dreiflächig oder Eckenaufbau im Frontzahnbereich unter Einbeziehung der Schneidekante 208 Punkte § 2 Anspruchsberechtigung/Genehmigungspflicht Die Leistungen unterliegen keiner Genehmigungspflicht. ( )
§ 3 Abrechnung Die Leistungen werden nach beendeter Behandlung über die KZV abgerechnet.
Daraufhin änderte das BMI unter dem 27. April 2010 seine Richtlinien für die zahnärztliche Versorgung der heilfürsorgeberechtigten Polizeivollzugsbeamtin-nen und Polizeivollzugsbeamten der Bundespolizei dahin, dass unter Punkt II. (Ergänzungen/Abweichungen) eine neue Ziffer 8. aufgenommen wurde: Composite-Restaurationen erfolgen gem. Vereinbarung zwischen der KZBV, dem BMVg und dem BMI gemäß beigefügter Anlage.
Mit Schreiben vom 17.12.2010 kündigte das BMI die SDA-Vereinbarung vom 19.02.2010 für seinen Bereich zum 31.03.2011 und nahm mit Wirkung vom 01.04.2011 die Position II.8 aus seiner Richtlinie wieder heraus. Unter Bezugnahme auf diese Kündigung kürzte das Bundespolizeipräsidium aus der KCH-Honorarabrechnung für das Quartal II/2011 die HR 1 bis HR 4-Füllungen um einen Betrag in Höhe von 18.952,71 EUR. Nachdem Zahlungsaufforderungen der Klägerin fruchtlos blieben, erhob diese am 19.11.2011 Klage.
Die Klägerin hält die SDA-Vereinbarung vom 19.02.2010 für einen öffentlich-rechtlichen koordinationsrechtlichen Vertrag zwischen zwei Behörden. Die seitens der Beklagten erklärte Kündigung sei unwirksam, da der Vertrag keine Kündigungsmöglichkeit vorsehe und sich eine Beendigungsmöglichkeit ausschließlich nach § 59 Abs. 1 Satz 1 SGB X richte. Dessen Voraussetzungen seien nicht erfüllt. Schon aufgrund des kurzen Zeitraums zwischen Abschluss der SDA-Vereinbarung und der Kündigung sei eine Veränderung der Verhältnisse, die für die Festsetzung des Vertragsinhaltes maßgeblich gewesen seien, nicht erkennbar; insbesondere sei die Kostenstruktur gleich geblieben. Soweit die GOZ 2012 inzwischen niedrigere Preise ansetze, sei diese erst mit Wirkung zum 01.01.2012 in Kraft getreten, so dass sich zum Zeitpunkt der Kündigung die Verhältnisse noch nicht geändert hätten. Vor allem hätte es zunächst eines Anpassungsverlangens seitens der Beklagten bedurft, welches bei seiner Verweigerung ggf. die Kündigung gerechtfertigt hätte. Ein solches Verlangen habe die Beklagte jedoch nicht geäußert. Soweit das BMI seine Richtlinien zum 01.04.2011 geändert habe, binde dies die Zahnärzte nicht. Die Richtlinienkompetenz des BMI bestehe allein gegenüber den normunterworfenen Heilfürsorgeberechtigten. Auch die SDA-Vereinbarung regele keine Bindung der Zahnärzte an die Richtlinien.
Außergerichtlich hat die Beklagte die Leistungspositionen nach Maßgabe der Pos. 13 a-d des BEMA vergütet. Daraufhin hat die Klägerin ihre ursprüngliche Klageforderung reduziert.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 12.833,63 EUR nebst Zinsen in Höhe von 4 % seit Rechtshängigkeit zu zahlen, hilfsweise, die Sprungrevision zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält die Honorarkürzung für rechtmäßig. Die SDA-Vereinbarung sei ein privatrechtliches Dauerschuldverhältnis sui generis, auf das die Bestimmungen der §§ 624 (626 a.F.), 723 BGB entsprechend anzuwenden seien. Daher sei sie berechtigt gewesen, die Vereinbarung im Dezember 2010 ordentlich zum 31.03.2011 zu kündigen. Da zwischen Erklärung und Wirksamwerden der Kündigung eine Zeitspanne von über drei Monaten gelegen habe, sei die Kündigung weder zur Unzeit erfolgt noch die Klägerin durch die Kündigung treuwidrig beschwert. Im Übrigen hätte das BMI die Möglichkeit gehabt, aus jedem sachlichen Grund (hier: Kostensteigerungen in 2010 und damit einhergehende haushälterische Probleme im Heilfürsorgetitel der Bundespolizei) die Versorgung mit plastischen Füllungsmaterialien wieder auf die gesetzliche Regelversorgung zurückzuführen. Mit der dementsprechenden Änderung der Richtlinien zum 01.04.2011 sei die SDA-Vereinbarung gegenstandslos geworden, so dass deren Rechtsnatur als öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich letztlich dahinstehen könne. Mit der SDA-Vereinbarung habe sich das BMI nicht gegenüber der KZBV verpflichtet, seinen Heilfürsorgeberechtigten künftig SDA-Füllungen zu ermöglichen, sondern lediglich die Absicht bekundet, seinen Heilfürsorgeberechtigten einen entsprechenden Anspruch einräumen zu wollen. Gegenstand der Vereinbarung sei nur die Abrechnung der Füllungen gewesen. Insoweit hätten sich die Verhältnisse so geändert, dass der Beklagten - bereits für den Zeitpunkt der Kündigung - ein Festhalten an der bisherigen SDA-Vereinbarung nicht zuzumuten sei. Nach der GOZ 2012 werde inzwischen jeder Privatpatient kostengünstiger behandelt als ein Heilfürsorgeberechtigter nach der SDA-Vereinbarung: HR1: 74,36 EUR Nr. 2060 GOZ 2012 2,3-facher Satz: 68,17 EUR HR2: 111,04 EUR Nr. 2080 GOZ 2012 2,3-facher Satz: 71,92 EUR HR3: 162,59 EUR Nr. 2100 GOZ 2012 2,3-facher Satz: 83,05 EUR HR4: 206,21 EUR Nr. 2120 GOZ 2012 2,3-facher Satz: 99,60 EUR. Selbst wenn die Beklagte trotz knapper Haushaltsmittel grundsätzlich dazu verpflichtet wäre, weiterhin SDA-Füllungen außerhalb des BEMA zu vergüten, sei rückwirkend eine Vertragsanpassung unabdingbar.
Darüber hinaus seien bereits kurz nach der Unterzeichnung/Geltung der SDA-Vereinbarung Auslegungsprobleme mit der KZBV aufgetreten. Nach dem Verständnis der beteiligten Ministerien habe sich der verhandlungs- und vertragsbegründende Sachverhalt auf die BEMA-Nrn. 13a-d und daher ausschließlich auf Restaurationen für den Seitenzahnbereich bezogen. Hier sei die Klägerin zwar dem BMVg, nicht jedoch dem BMI entgegengekommen.
Die Beigeladene
stellt keinen Prozessantrag.
Sie schließt sich dem Vorbringen der Klägerin an und weist ergänzend darauf hin, dass es mit dem BMVg eine Anpassung der SDA-Vereinbarung dahin gegeben habe, dass die Leistungen nach Positionen HR 1 bis HR 4 ab dem 01.07.2012 mit dem 3,0-fachen Satz der GOZ 2012 vergütet würden. Einer Vertragsanpassung auch mit der Beklagten stünde nichts im Wege. Ferner sei mit dem BMVg in einer zum 01.04.2011 wirksam gewordenen "Gemeinsamen Erklärung zum Geltungsbereich der SDA-Vereinbarung vom 13.(19.)02.2010" Übereinstimmung erzielt worden, dass sich die getroffene Regelung nur auf die Zähne 4 bis 8 (Seitenzahnbereich) beziehe.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Leistungsklage ist begründet.
Zu Recht macht die Klägerin vertragliche Zahlungsansprüche aus der SDA-Vereinbarung vom 19.02.2010 für das Quartal II/2011 geltend. Diese Vereinba-rung entfaltet jedenfalls im streitgegenständlichen Zeitraum noch Wirkung. 75 Abs. 3 Satz 1 SGB V bestimmt, dass die K(Z)Ven und die K(Z)BV auch die (zahn)ärztliche Versorgung von Personen sicherzustellen haben, die auf Grund dienstrechtlicher Vorschriften über die Gewährung von Heilfürsorge einen Anspruch auf unentgeltliche (zahn)ärztliche Versorgung haben, soweit die Erfüllung dieses Anspruchs nicht auf andere Weise gewährleistet ist. Die wesentliche Bedeutung dieser Bestimmung liegt darin, dass damit der Sicherstellungsauftrag der K(Z)Ven auf weitere Personengruppen außerhalb des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung erstreckt wird, die mit der originären Aufgabenstellung der K(Z)Ven an sich nicht in Zusammenhang stehen. Zu diesem Personenkreis zählen auch die Polizeivollzugsbeamten des Bundes. Die Regelung geht zurück auf den im Wesentlichen inhaltsgleichen § 368n Abs. 2 Satz 4 und 5 RVO i.d.F. des KVKG vom 27.06.1977. Mit dieser Vorgängervorschrift zu § 75 Abs. 3 Satz 1 und 2 SGB V ist der Auftrag der K(Z)Ven zur Sicherstellung der kassen-/vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung "erweitert" und zum Ausgleich für diese neue "Pflichtaufgabe ... dafür eine Vergütungsregelung" vorgesehen worden. Mit dieser Ausgestaltung sollte das funktionsfähige und funktionierende System der Krankenversicherung auch für den Leistungsbereich der Heilfürsorgeberechtigten nutzbar gemacht werden. Dahinter stand das Interesse der den heilfürsorgeberechtigten Personen an sich verpflichteten Bundesrepublik Deutschland, sich durch die Ankoppelung an die RVO-Regelungen (später: Ersatzkassenregelungen) die Mühen eigener Vertragsverhandlungen mit den Risiken vertragsloser Zustände zu ersparen (vgl. im Einzelnen BSG, Urteile vom 17.11.1999 - B 6 KA 14/99 R -; vom 17.09.2008 - B 6 KA 48/07 R -; vgl. auch BSG, Beschluss vom 13.02.2001 - B 6 KA 64/00 B - zur Einzelleistungsvergütung zahnärztlicher Leistungen bei Gewährung freier Heilfürsorge). Das schließt aber keineswegs aus, dass durch besondere Verträge zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der KZBV Regelungen über den Inhalt und die Vergütung einzelner Leistungen getroffen werden, die über die Leistungen der GKV hinausgehen (vgl. LSG Niedersachsen, Urteil vom 25.11.1998 - L 5 KA 5/94 -). Denn nach § 75 Abs. 3 Satz 1 SGB V kann die Erfüllung des "erweiterten" Sicherstellungsauftrages auch "auf andere Weise gewährleistet" werden. Eine darauf gestützte Vereinbarung zwischen zwei öffentlich-rechtlichen Körperschaften zur Regelung einzelner Bereiche des "erweiterten" Sicherstellungsauftrages ist als öffentlich-rechtlicher Vertrag auf dem Gebiet des Sozialrechts zu qualifizieren.
Die SDA-Vereinbarung vom 19.02.2010 ist durch die Kündigungserklärung vom 17.12.2010 nicht wirksam zum 31.03.2011 beendet worden.
Dabei bedarf es keiner Beurteilung, ob und inwieweit die Voraussetzungen des § 59 SGB X erfüllt sind. Denn diese Bestimmung stellt keine abschließende - andere Kündigungsmöglichkeiten ausschließende - Kündigungsregelung für den Bereich des Sozialverwaltungsvertragsrechts dar. Vielmehr regelt § 59 SGB X die Kündigung nur für zwei besondere Fallgestaltungen (vgl. Gesetzesüberschrift: "in besonderen Fällen"), nämlich § 59 Abs. 1 Satz 1 SGB X für den Fall der wesentlichen Änderung der für den Vertrag maßgeblichen Geschäftsgrundlage bei Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit einer entsprechenden Vertragsanpassung und § 59 Abs. 1 Satz 2 SGB X für den Fall schwerer Nachteile für das Gemeinwohl. Dagegen verhält sich § 59 SGB X nicht, weder positiv noch negativ, zur Zulässigkeit der Kündigung eines sozialverwaltungsrechtlichen Vertrages im Übrigen (BVerwG, Urteil vom 29.12.2000 - 5 B 171/99 -).
Bei einem fortdauernden Sozialverwaltungsvertragsverhältnis, d.h. einem Dauerschuldverhältnis, beurteilt sich die Rechtmäßigkeit einer Kündigung nach zivilrechtlichen Bestimmungen, die über die Verweisungsvorschrift des § 61 Satz 2 SGB X entsprechend gelten (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 08.11.2006 - L 5 KA 3571/05 -). Dies ist für eine Kündigung aus wichtigem Grund § 314 Abs. 1 BGB (Bayer. LSG, Beschluss vom 22.02.2011 - L 12 KA 2/11 B ER -; LSG Baden-Württemberg, a.a.O.). Fehlen Vorschriften über ein ordentliches Kündigungsrecht und haben die Vertragsparteien - wie hier - die ordentliche Kündigung nicht ausgeschlossen, sind die §§ 624, 723 BGB entsprechend anwendbar (BGH, Urteil vom 28.02.1972 - III ZR 212/70 - sowie Beschlüsse vom 22.01.1987 - III ZR 67/86 - und vom 26.02.1987 - III ZR 164/85 - jeweils zum Belegarztvertrag; vgl. ferner BGH, Urteil vom 25.05.1993 - X ZR 79/92 -). Nach § 624 Satz 3 BGB ist eine Kündigungsfrist von sechs Monaten einzuhalten. Aus § 723 Abs. 1 Satz 1 BGB ergibt sich, dass eine Kündigung jederzeit möglich ist, aber diese nach § 723 Abs. 2 BGB nicht zur Unzeit erfolgen darf. Aus diesen Regelungen ist der Grundgedanke zu entnehmen, dass bei Bemessung der Kündigungsfrist die Auswirkung auf den Vertragspartner angemessen beurteilt und berücksichtigt werden muss. Insbesondere bei Dauerschuldverhältnissen ist eine lange Kündigungsfrist anzunehmen. Bei Dauerschuldverhältnissen vertrauen die Vertragsparteien auf eine lange Vertragsdauer, und das Vertragsverhältnis manifestiert sich durch jede über Jahre hinweg wiederholte Handlung (vgl. LG Essen, Urteil vom 24.11.2010 - 11 O 55/09 -).
Vor diesem Hintergrund erscheint der Kammer jedenfalls eine Verkürzung der Kündigungsfrist auf drei Monate als unangemessen kurz. Es ist kein Grund ersichtlich, der es rechtfertigt, von der gesetzlichen Mindestkündigungsfrist von sechs Monaten abzuweichen. Zwar hat sich durch die Novellierung der GOZ die Kostenstruktur insoweit verändert, als die Honorare nach den Gebührennummern 2060, 2080, 2100 und 2120 GOZ 2012 unter Zugrundelegung des 2,3-fachen Steigerungssatzes nunmehr weit unter den Beträgen für die Leistungen nach HR 1 bis HR 4 gemäß der SDA-Vereinbarung vom 19.02.2010 liegen, und das gilt selbst bei Anwendung des 3,0-fachen Steigerungssatzes (wie inzwischen mit dem BMVg vereinbart) für die Leistungen nach HR 2 bis HR 4. Jedoch ist die GOZ 2012 erst zum 01.01.2012 und damit weit nach Ablauf auch einer sechsmonatigen Kündigungsfrist in Kraft getreten. Eine besondere Schutzbedürftigkeit für die Beklagte ergibt sich auch nicht aus dem Diktat knapper Haushaltsmittel, dem sie naturgemäß unterworfen ist. Die SDA-Vereinbarung enthält freiwillige Leistungen, zu denen die Beklagte gesetzlich nicht verpflichtet ist und von denen sie sich durch Kündigung dem Grunde nach auch wieder lösen kann. Es muss aus haushaltsrechtlichen Gründen davon ausgegangen werden, dass das BMI bei der Kalkulation der Vergütung für die Leistungspositionen HR 1 bis HR 4 auch die Menge der zu erwartenden SDA-Füllungen geschätzt und die Höhe der Vergütung hiervon abhängig gemacht hat. Möglicherweise hat die Beklagte nach Eingang der ersten Abrechnungen der Positionen HR 1 bis HR 4 für das Quartal II/2010 gegen Juli/August 2010 erkannt, dass ihr Haushalt durch diese Abrechnungen übermäßig angespannt wurde. Eventuelle Kalkulationsirrtümer gehen jedoch allein zu ihren Lasten und vermögen eine Verkürzung der Kündigungsfrist nicht zu rechtfertigen.
Die Klageforderung ist daher in Höhe des noch verbleibenden Betrages von 12.833,63 EUR begründet, nachdem die Beklagte die Forderung außergerichtlich zum Teil erfüllt hat, indem sie die SDA-Leistungspositionen nach Maßgabe der BEMA-Nrn. 13a-d vergütet hat. Eine Reduzierung der Klageforderung auf den Anteil, der auf die Versorgung des Seitenzahnbereichs entfällt, kommt nicht in Betracht. Zwar ist mit dem BMVg in einer zum 01.04.2011 in Kraft getretenen gemeinsamen Erklärung Übereinstimmung erzielt worden, dass die Leistungsnummern HR 1 bis HR 4 nur die Versorgung der Zähne 4 bis 8 betreffen, während im Frontzahnbereich Füllungen nach den Nrn. 13a-d des BEMA zu erbringen sind. Das BMI war - angesichts seiner Kündigung zum 31.03.2011 verständlich - an dieser gemeinsamen Erklärung jedoch nicht beteiligt. Aus der SDA-Vereinbarung vom 19.02.2010 selbst ergibt sich keine Einschränkung auf den Seitenzahnbereich, weder aus der Präambel noch aus den Leistungsbeschreibungen. Im Gegenteil deutet die ausdrückliche Benennung des Frontzahnbereichs in der Position BwR 4 (HR 4) darauf hin, dass die SDA-Vereinbarung auch den Frontzahnbereich einschließt.
Der Anspruch auf Prozesszinsen ergibt sich aus der analogen Anwendung des § 291 BGB. Da die vorliegend streitige Vergütung für die Leistungen nach HR 1 bis HR 4 auf einem öffentlich-rechtlichen Vertragsverhältnis beruht und weder die §§ 53 bis 60 SGB X noch die sonstigen Vorschriften des Sozialgesetzbuchs eine ausdrückliche Regelung über Prozesszinsen enthalten (§ 61 Satz 1 SGB X), greift gemäß § 61 Satz 2 SGB X die ergänzende Verweisung auf die Bestimmungen des BGB ein (vgl. BSG, Urteil vom 13.12.2011 - B 1 KR 9/11 R - m.w.N.).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 SGG in Verbindung mit §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die außergerichtlichen Kosten der beigeladenen KZBV sind nach § 162 Abs. 3 VwGO nicht erstattungsfähig, weil diese keine Anträge gestellt hat (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.2010 - B 6 KA 24/09 R - m.w.N.).
Die Kammer hat die Sprungrevision gemäß §§ 160 Abs. 2 Nr. 1, 161 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen. Die Beendigungsmöglichkeiten öffentlich-rechtlicher Verträge zur Behandlung heilfürsorgeberechtigter Personen sind höchstrichterlich noch nicht abschließend geklärt, aber über den Einzelfall hinaus von Bedeutung. Aus der bisher vorliegenden Rechtsprechung ergibt sich die Antwort auf die Rechtsfrage auch nicht ohne Weiteres.
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