Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
2
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 2 KA 318/12 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird zurückgewiesen. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe:
I.
Streitig ist die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers in dem Rechtsstreit S 2 KA 319/12.
Der Antragsteller ist als Facharzt für Allgemeinmedizin in M zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Die Prüfungsstelle der Ärzte und Krankenkassen Nordrhein setzte gegen ihn mit Bescheid vom 02.11.2011 wegen Überschreitung der Heilmittelrichtgrößen im Jahre 2009 einen Regress in Höhe von 22.054,28 EUR fest. Diesem Bescheid widersprach der Antragsteller. Es seien weitere Praxisbesonderheiten gemäß § 5 Abs. 3 der Richtgrößenvereinbarung (RgV 2009) zu berücksichtigen. Zudem bestünden Einsparungen im Bereich der Therapie von Wirbelsäulen- und Gelenkerkrankungen von wenigstens 6.000,- EUR.
Mit Bescheid vom 14.05.2012 reduzierte der Antragsgegner daraufhin den Regress auf 13.866,90 EUR, indem er weitere Verordnungskosten gemäß § 5 Abs. 2 RgV 2009 sowie weitere nicht aufgeklärte Verordnungen von den Gesamt-Heilmittelverordnungskosten abzog.
Hiergegen richtet sich die am 14.06.2012 zum Aktenzeichen S 2 KA 319/12 erhobene Klage, mit welcher der Antragsteller die Aufhebung des Bescheides vom 14.05.2012 verfolgt. Gleichzeitig hat er den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt mit dem Ziel, die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage herzustellen.
Er hält den Beschluss des Antragsgegners für offensichtlich rechtswidrig. Nach § 106 Abs. 5e GKV-VStG müsse bei einer erstmaligen Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 25 % eine individuelle Beratung stattfinden. Er habe in 2009 erstmals die Richtgröße für Heilmittel überschritten. Dieser Zeitraum sei Gegenstand des Regresses. Eine Beratung sei bis heute nicht erfolgt, vielmehr bereits eine weiteres Prüfverfahren zur Überprüfung der Wirtschaftlichkeit der Verordnungsweise von Heilmitteln eingeleitet worden. Dies, obwohl nach § 106 Abs. 5e GKV-VStG die Festsetzung eines Erstattungsbetrages erst für den Prüfzeitraum nach der Beratung festgesetzt werden dürfe.
Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) habe in einer Stellungnahme dazu die Rechtsauffassung geäußert, dass der Grundsatz "Beratung vor Regress" auf alle Verfahren Anwendung finde, in denen noch kein Widerspruchsbescheid vorliege. Dies bedeute, dass auch Wirtschaftlichkeitsprüfungsverfahren erfasst seien, die Verordnungszeiträume vor dem Jahr 2012 beträfen und in denen die Prüfungsstelle noch nicht abschließend entschieden habe oder der Beschwerdeausschuss noch keine abschließende Entscheidung durch einen Widerspruchsbescheid getroffen habe. Zur Begründung heiße es, dass grundsätzlich das geltende und nicht das abgeänderte Recht Anwendung zu finden habe. Anderenfalls hätte der Gesetzgeber Übergangsregelungen im Änderungsgesetz getroffen. Diese gebe es aber nicht. Zudem habe das Bundessozialgericht (BSG) in seinem Urteil vom 28.04.2004 - B 6 KA 8/03 R - entschieden, dass bloße Änderungen des Verfahrensrechts der Wirtschaftlichkeitsprüfung zurück wirkten. Änderungen der inhaltlichen Prüfungskriterien könnten jedoch nach dem Urteil des BSG vom 09.04.2008 - B 6 KA 34/07 R - nicht rückwirkend angewendet werden, weil alle einen Zeitraum betreffenden Prüfungen am gleichen Prüfungsmaßstab zu bemessen seien. Dieser Auffassung schließe sich der Antragsteller an. Eine abschließende Entscheidung der Beschwerdestelle liege noch nicht vor, da er durch seine Klage den Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung des Antragstellers verhindert habe.
Der Antragsteller beantragt,
im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 86 b Abs. 1 Nr. 1 SGG die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Beschluss des Beklagten vom 14.05.2012 (278048800WP 262/DeKä) anzuordnen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag des Klägers, im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 86 b Abs. 1 Nr. 1 SGG die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Beschluss des Beklagten vom 14.05.2012 (278048800WP 262/DeKä) anzuordnen, zurückzuweisen.
Die zum 01.01.2012 in Kraft getretene Bestimmung des § 106 Abs. 5e Sätze 1 und 2 SGB V findet nach seiner Ansicht erst auf (Prüfungs-)Sachverhalte Anwendung, die dem Inkrafttreten der Neuregelung zeitlich nachgelagert seien. Für die Erstreckung dieser Bestimmung auch auf vor dem Inkrafttreten liegende Sachverhalte fehle es an einer ausdrücklichen Übergangsregelung bzw. an einem in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck gebrachten Willens des Gesetzgebers für eine solche Erstreckung. Der zeitliche Anwendungsbereich der Regelung bestimme sich dementsprechend nach den allgemeinen für das intertemporale Sozialrecht geltenden Grundsätzen. Nach welchen Grundsätzen eine Wirtschaftlichkeitsprüfung stattfinde und was ihr Gegenstand sei, richte sich mangels ausdrücklich abweichender Bestimmung nach Wortlaut und Begründung einer Regelung nach den Vorschriften, die im jeweils geprüften Zeitraum gegolten hätten.
Prüfgegenständlich seien die Heilmittelverordnungen des Klägers im Jahre 2009. Die Neuregelung des § 106 Abs. 5e SGB V sei aber erst am 01.01.2012 in Kraft getreten.
Die Rechtsauffassung aus dem BMG, dass der Grundsatz "Beratung vor Regress" auf alle Verfahren Anwendung finde, in denen noch kein Widerspruchsbescheid vorliege, sei nicht zielführend. Welchen Verfahrensstand ein Prüfverfahren erreicht haben dürfe, um noch in den Genuss der Anwendung des § 106 Abs. 5e SGB V zu kommen, bleibe die ministerielle Stellungnahme ebenso schuldig wie die Antwort auf die Frage, warum der Vertragsarzt, der unter Ausschöpfung aller Rechtsmittel sein Prüfverfahren möglichst lange offen halte, anders (günstiger) dastehen solle als der, dessen Verfahren am 01.01.2012 bestandskräftig abgeschlossen gewesen sei.
Die Beigeladenen stellen keine Prozessanträge.
Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Übrigen nimmt die Kammer Bezug auf die Gerichtsakte, die Streitakte S 2 KA 319/12 sowie den Verwaltungsvorgang des Antragsgegners.
II.
Es bestehen bereits Bedenken gegen die Zulässigkeit des Antrages. Nach der Rechtsprechung des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen (z.B. Beschluss vom 31.08.2011 - L 11 KA 24/11 B ER - m.w.N.) ist ein Rechtsschutzbedürfnis für die Anrufung des Gerichts erst dann gegeben, wenn ein vorrangig bei dem Antragsgegner zu stellender Antrag, die Vollziehung auszusetzen (§ 86a Abs. 3 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)), erkennbar aussichtslos ist. Dass ein solcher Antrag hier gestellt worden ist, lässt sich den Akten nicht entnehmen.
Jedenfalls ist der Antrag auf gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Hauptsacheklage S 2 KA 319/12 unbegründet.
Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen die Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung hat, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen (bzw. wiederherstellen; vgl. LSG NRW, Beschluss vom 19.03.2012 - L 11 KA 15/12 B ER - m.w.N.). Die Anfechtungsklage gegen Regressfestsetzungen des Beschwerdeausschusses bei Überschreitung der Richtgrößenvolumen hat gemäß § 106 Abs. 5a Satz 11 Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) keine aufschiebende Wirkung. Diese ist vorliegend auch nicht anzuordnen.
Bei den Entscheidungen nach § 86b Abs. 1 SGG hat eine Abwägung der öffentlichen und privaten Interessen stattzufinden. Dabei steht eine Prüfung der Erfolgsaussichten im Vordergrund. Die aufschiebende Wirkung ist regelmäßig dann anzuordnen, wenn der angefochtene Verwaltungsakt offenbar rechtswidrig ist und der Betroffene durch ihn in subjektiven Rechten verletzt wird. Denn am Vollzug eines offensichtlich rechtswidrigen Verwaltungsaktes besteht kein öffentliches Interesse. Sind die Erfolgsaussichten nicht offensichtlich, müssen die für und gegen eine sofortige Vollziehung sprechenden Gesichtspunkte gegeneinander abgewogen werden. Dabei ist die Entscheidung des Gesetzgebers zu beachten, der die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Festsetzung eines Regresses durch den Beschwerdeausschuss nach Durchführung einer Richtgrößenprüfung ausdrücklich ausgeschlossen und damit das besondere öffentliche Interesse an der effektiven Umsetzung der vereinbarten Richtgrößen zur Begrenzung der Arzneimittelausgaben der Krankenkassen betont hat (vgl. Begründung zum Entwurf des Gesundheits-Strukturgesetzes, BT-Drucks. 12/3608, S. 100). Um eine davon abweichende Entscheidung zu rechtfertigen, bedarf es besonderer Umstände des Einzelfalles (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 10.10.2003 - 1 BvR 2025/03 -; vom 27.10.2009 - 1 BvR 1876/09 -).
Der angefochtene Bescheid des Antragsgegners erweist sich bei der gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht als offensichtlich rechtswidrig.
Der Rechtmäßigkeit des Bescheides steht namentlich nicht die zum 01.01.2012 in Kraft getretene Vorschrift des § 106 Abs. 5e SGB V entgegen. Danach erfolgt abweichend von Abs. 5a Satz 3 bei einer erstmaligen Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 25 % eine individuelle Beratung nach Abs. 5a Satz 1. Ein Erstattungsbetrag (= Regress) kann bei künftiger Überschreitung erstmals für den Prüfzeitraum nach der Beratung festgesetzt werden. Dies gilt entsprechend, wenn ein Vertragsarzt die ihm angebotene Beratung abgelehnt hat.
Da das SGB V keine ausdrückliche Übergangsregelung enthält, bestimmt sich der zeitliche Anwendungsbereich der Regelung nach den allgemeinen für das intertemporale Sozialrecht geltenden Grundsätzen. Danach ist ein Rechtssatz grundsätzlich nur auf solche Sachverhalte anwendbar, die nach seinem Inkrafttreten verwirklicht werden. Dementsprechend hat das BSG in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass sich die Entstehung und der Fortbestand sozialrechtlicher Ansprüche bzw. Rechtsverhältnisse nach dem Recht beurteilen, das zur Zeit der anspruchsbegründenden Ereignisse oder Umstände gegolten hat, soweit nicht später in Kraft getretenes Recht etwas anderes bestimmt (z.B. Urteile vom 22.06.2010 - B 1 KR 29/09 R -; vom 27.08.2008 - B 11 AL 11/07 R - jeweils m.w.N.; vgl. auch Urteil vom 02.12.2010 - B 9 SB 3/09 R -). Insbesondere erfassen Änderungen der materiell-rechtlichen Vorgaben der Wirtschaftlichkeitsprüfung grundsätzlich nur Quartale nach dem Inkrafttreten der Neuregelung. Nach welchen Grundsätzen die Wirtschaftlichkeitsprüfung stattfindet und was ihr Gegenstand ist, richtet sich nach den Vorschriften, die im jeweils geprüften Zeitraum gegolten haben. Etwas anderes kommt nur dann in Betracht, wenn es gesetzlich ausdrücklich angeordnet ist (BSG, Urteil vom 09.04.2008 - B 6 KA 34/07 R - m.w.N.). Eine gesetzliche Vorgabe, die Wirtschaftlichkeitsprüfung auch für Quartale aus der Zeit bis zum Ende des Jahres 2011 nach den neuen materiell-rechtlichen Regelungen des § 106 Abs. 5e SGB V durchzuführen, besteht nicht. Den Gesetzgebungsmaterialien (BT-Drucksachen 17/6906, S. 79, 17/7274, 17/8005, 17/8010) ist insofern ebenfalls nichts zu entnehmen.
Auch die von dem Antragsteller angesprochene Stellungnahme des Bundesgesundheitsministeriums schränkt die sofortige Wirkung des Prinzips "Beratung vor Regress" ein: Der Grundsatz, die Ärzte zunächst zu beraten statt zu bestrafen, könne nur dann angewandt werden, solange zum 1. Januar 2012 noch kein Beschluss der Prüfungsstelle vorlag und noch kein Erstattungsbetrag festgelegt worden sei (Ärztezeitung vom 24.04.2012). Abgesehen davon, dass ministerielle Auslegungen einer Gesetzesvorschrift für die Gerichte ohnehin nicht verbindlich sind, versteht auch das Ministerium die Bestimmung jedenfalls dahin, dass in der Vergangenheit liegende Sachverhalte, die durch einen Bescheid der Prüfungsstelle eine Regelung erfahren haben, nicht von der gesetzlichen Neuregelung erfasst werden. Bei diesem Normverständnis gilt das auch für den vorliegenden Fall. Die Überschreitungen der Heilmittel-Richtgrößen im Jahre 2009 sind vom Sachverhalt her abgeschlossen, die Prüfungsstelle hat am 02.11.2011 und damit vor Inkrafttreten der Neuregelung zum 01.01.2012 den Erstattungsbetrag festgesetzt.
Dass der Antragsteller den Eintritt der Bestandskraft des Bescheides der Prüfungsstelle verhindert hat, ändert daran nichts. Eine später in Kraft getretene abweichende materielle Rechtslage findet nicht deshalb Anwendung, weil ein Vertragsarzt durch Anrufung des Beschwerdeausschusses und ggf. gerichtlichen Rechtsschutz über drei Instanzen für mehrere Jahre sein Prüfverfahren offen hält.
Weitere Gesichtspunkte, die eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides begründen könnten, hat der Antragsteller nicht vorgetragen und sind bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage auch nicht zu erkennen.
Schließlich sind besondere zu einer unbilligen Härte führende Gründe, die ggf. die Anordnung der aufschiebenden Wirkung rechtfertigen könnten, weder ersichtlich noch von dem Antragsteller dargetan. Der Regress beträgt 13.866,90 EUR. Wenn ihn eine Verrechnung dieses Betrages in einer Summe mit laufenden Honorarzahlungen über Gebühr belasten sollte, bleibt es ihm unbenommen, bei der beigeladenen Kassenärztlichen Vereinigung auf eine Rückführung in zumutbaren Raten hinzuwirken.
Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 197a SGG in Verbindung mit §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Gründe:
I.
Streitig ist die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers in dem Rechtsstreit S 2 KA 319/12.
Der Antragsteller ist als Facharzt für Allgemeinmedizin in M zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Die Prüfungsstelle der Ärzte und Krankenkassen Nordrhein setzte gegen ihn mit Bescheid vom 02.11.2011 wegen Überschreitung der Heilmittelrichtgrößen im Jahre 2009 einen Regress in Höhe von 22.054,28 EUR fest. Diesem Bescheid widersprach der Antragsteller. Es seien weitere Praxisbesonderheiten gemäß § 5 Abs. 3 der Richtgrößenvereinbarung (RgV 2009) zu berücksichtigen. Zudem bestünden Einsparungen im Bereich der Therapie von Wirbelsäulen- und Gelenkerkrankungen von wenigstens 6.000,- EUR.
Mit Bescheid vom 14.05.2012 reduzierte der Antragsgegner daraufhin den Regress auf 13.866,90 EUR, indem er weitere Verordnungskosten gemäß § 5 Abs. 2 RgV 2009 sowie weitere nicht aufgeklärte Verordnungen von den Gesamt-Heilmittelverordnungskosten abzog.
Hiergegen richtet sich die am 14.06.2012 zum Aktenzeichen S 2 KA 319/12 erhobene Klage, mit welcher der Antragsteller die Aufhebung des Bescheides vom 14.05.2012 verfolgt. Gleichzeitig hat er den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt mit dem Ziel, die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage herzustellen.
Er hält den Beschluss des Antragsgegners für offensichtlich rechtswidrig. Nach § 106 Abs. 5e GKV-VStG müsse bei einer erstmaligen Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 25 % eine individuelle Beratung stattfinden. Er habe in 2009 erstmals die Richtgröße für Heilmittel überschritten. Dieser Zeitraum sei Gegenstand des Regresses. Eine Beratung sei bis heute nicht erfolgt, vielmehr bereits eine weiteres Prüfverfahren zur Überprüfung der Wirtschaftlichkeit der Verordnungsweise von Heilmitteln eingeleitet worden. Dies, obwohl nach § 106 Abs. 5e GKV-VStG die Festsetzung eines Erstattungsbetrages erst für den Prüfzeitraum nach der Beratung festgesetzt werden dürfe.
Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) habe in einer Stellungnahme dazu die Rechtsauffassung geäußert, dass der Grundsatz "Beratung vor Regress" auf alle Verfahren Anwendung finde, in denen noch kein Widerspruchsbescheid vorliege. Dies bedeute, dass auch Wirtschaftlichkeitsprüfungsverfahren erfasst seien, die Verordnungszeiträume vor dem Jahr 2012 beträfen und in denen die Prüfungsstelle noch nicht abschließend entschieden habe oder der Beschwerdeausschuss noch keine abschließende Entscheidung durch einen Widerspruchsbescheid getroffen habe. Zur Begründung heiße es, dass grundsätzlich das geltende und nicht das abgeänderte Recht Anwendung zu finden habe. Anderenfalls hätte der Gesetzgeber Übergangsregelungen im Änderungsgesetz getroffen. Diese gebe es aber nicht. Zudem habe das Bundessozialgericht (BSG) in seinem Urteil vom 28.04.2004 - B 6 KA 8/03 R - entschieden, dass bloße Änderungen des Verfahrensrechts der Wirtschaftlichkeitsprüfung zurück wirkten. Änderungen der inhaltlichen Prüfungskriterien könnten jedoch nach dem Urteil des BSG vom 09.04.2008 - B 6 KA 34/07 R - nicht rückwirkend angewendet werden, weil alle einen Zeitraum betreffenden Prüfungen am gleichen Prüfungsmaßstab zu bemessen seien. Dieser Auffassung schließe sich der Antragsteller an. Eine abschließende Entscheidung der Beschwerdestelle liege noch nicht vor, da er durch seine Klage den Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung des Antragstellers verhindert habe.
Der Antragsteller beantragt,
im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 86 b Abs. 1 Nr. 1 SGG die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Beschluss des Beklagten vom 14.05.2012 (278048800WP 262/DeKä) anzuordnen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag des Klägers, im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 86 b Abs. 1 Nr. 1 SGG die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Beschluss des Beklagten vom 14.05.2012 (278048800WP 262/DeKä) anzuordnen, zurückzuweisen.
Die zum 01.01.2012 in Kraft getretene Bestimmung des § 106 Abs. 5e Sätze 1 und 2 SGB V findet nach seiner Ansicht erst auf (Prüfungs-)Sachverhalte Anwendung, die dem Inkrafttreten der Neuregelung zeitlich nachgelagert seien. Für die Erstreckung dieser Bestimmung auch auf vor dem Inkrafttreten liegende Sachverhalte fehle es an einer ausdrücklichen Übergangsregelung bzw. an einem in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck gebrachten Willens des Gesetzgebers für eine solche Erstreckung. Der zeitliche Anwendungsbereich der Regelung bestimme sich dementsprechend nach den allgemeinen für das intertemporale Sozialrecht geltenden Grundsätzen. Nach welchen Grundsätzen eine Wirtschaftlichkeitsprüfung stattfinde und was ihr Gegenstand sei, richte sich mangels ausdrücklich abweichender Bestimmung nach Wortlaut und Begründung einer Regelung nach den Vorschriften, die im jeweils geprüften Zeitraum gegolten hätten.
Prüfgegenständlich seien die Heilmittelverordnungen des Klägers im Jahre 2009. Die Neuregelung des § 106 Abs. 5e SGB V sei aber erst am 01.01.2012 in Kraft getreten.
Die Rechtsauffassung aus dem BMG, dass der Grundsatz "Beratung vor Regress" auf alle Verfahren Anwendung finde, in denen noch kein Widerspruchsbescheid vorliege, sei nicht zielführend. Welchen Verfahrensstand ein Prüfverfahren erreicht haben dürfe, um noch in den Genuss der Anwendung des § 106 Abs. 5e SGB V zu kommen, bleibe die ministerielle Stellungnahme ebenso schuldig wie die Antwort auf die Frage, warum der Vertragsarzt, der unter Ausschöpfung aller Rechtsmittel sein Prüfverfahren möglichst lange offen halte, anders (günstiger) dastehen solle als der, dessen Verfahren am 01.01.2012 bestandskräftig abgeschlossen gewesen sei.
Die Beigeladenen stellen keine Prozessanträge.
Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Übrigen nimmt die Kammer Bezug auf die Gerichtsakte, die Streitakte S 2 KA 319/12 sowie den Verwaltungsvorgang des Antragsgegners.
II.
Es bestehen bereits Bedenken gegen die Zulässigkeit des Antrages. Nach der Rechtsprechung des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen (z.B. Beschluss vom 31.08.2011 - L 11 KA 24/11 B ER - m.w.N.) ist ein Rechtsschutzbedürfnis für die Anrufung des Gerichts erst dann gegeben, wenn ein vorrangig bei dem Antragsgegner zu stellender Antrag, die Vollziehung auszusetzen (§ 86a Abs. 3 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)), erkennbar aussichtslos ist. Dass ein solcher Antrag hier gestellt worden ist, lässt sich den Akten nicht entnehmen.
Jedenfalls ist der Antrag auf gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Hauptsacheklage S 2 KA 319/12 unbegründet.
Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen die Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung hat, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen (bzw. wiederherstellen; vgl. LSG NRW, Beschluss vom 19.03.2012 - L 11 KA 15/12 B ER - m.w.N.). Die Anfechtungsklage gegen Regressfestsetzungen des Beschwerdeausschusses bei Überschreitung der Richtgrößenvolumen hat gemäß § 106 Abs. 5a Satz 11 Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) keine aufschiebende Wirkung. Diese ist vorliegend auch nicht anzuordnen.
Bei den Entscheidungen nach § 86b Abs. 1 SGG hat eine Abwägung der öffentlichen und privaten Interessen stattzufinden. Dabei steht eine Prüfung der Erfolgsaussichten im Vordergrund. Die aufschiebende Wirkung ist regelmäßig dann anzuordnen, wenn der angefochtene Verwaltungsakt offenbar rechtswidrig ist und der Betroffene durch ihn in subjektiven Rechten verletzt wird. Denn am Vollzug eines offensichtlich rechtswidrigen Verwaltungsaktes besteht kein öffentliches Interesse. Sind die Erfolgsaussichten nicht offensichtlich, müssen die für und gegen eine sofortige Vollziehung sprechenden Gesichtspunkte gegeneinander abgewogen werden. Dabei ist die Entscheidung des Gesetzgebers zu beachten, der die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Festsetzung eines Regresses durch den Beschwerdeausschuss nach Durchführung einer Richtgrößenprüfung ausdrücklich ausgeschlossen und damit das besondere öffentliche Interesse an der effektiven Umsetzung der vereinbarten Richtgrößen zur Begrenzung der Arzneimittelausgaben der Krankenkassen betont hat (vgl. Begründung zum Entwurf des Gesundheits-Strukturgesetzes, BT-Drucks. 12/3608, S. 100). Um eine davon abweichende Entscheidung zu rechtfertigen, bedarf es besonderer Umstände des Einzelfalles (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 10.10.2003 - 1 BvR 2025/03 -; vom 27.10.2009 - 1 BvR 1876/09 -).
Der angefochtene Bescheid des Antragsgegners erweist sich bei der gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht als offensichtlich rechtswidrig.
Der Rechtmäßigkeit des Bescheides steht namentlich nicht die zum 01.01.2012 in Kraft getretene Vorschrift des § 106 Abs. 5e SGB V entgegen. Danach erfolgt abweichend von Abs. 5a Satz 3 bei einer erstmaligen Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 25 % eine individuelle Beratung nach Abs. 5a Satz 1. Ein Erstattungsbetrag (= Regress) kann bei künftiger Überschreitung erstmals für den Prüfzeitraum nach der Beratung festgesetzt werden. Dies gilt entsprechend, wenn ein Vertragsarzt die ihm angebotene Beratung abgelehnt hat.
Da das SGB V keine ausdrückliche Übergangsregelung enthält, bestimmt sich der zeitliche Anwendungsbereich der Regelung nach den allgemeinen für das intertemporale Sozialrecht geltenden Grundsätzen. Danach ist ein Rechtssatz grundsätzlich nur auf solche Sachverhalte anwendbar, die nach seinem Inkrafttreten verwirklicht werden. Dementsprechend hat das BSG in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass sich die Entstehung und der Fortbestand sozialrechtlicher Ansprüche bzw. Rechtsverhältnisse nach dem Recht beurteilen, das zur Zeit der anspruchsbegründenden Ereignisse oder Umstände gegolten hat, soweit nicht später in Kraft getretenes Recht etwas anderes bestimmt (z.B. Urteile vom 22.06.2010 - B 1 KR 29/09 R -; vom 27.08.2008 - B 11 AL 11/07 R - jeweils m.w.N.; vgl. auch Urteil vom 02.12.2010 - B 9 SB 3/09 R -). Insbesondere erfassen Änderungen der materiell-rechtlichen Vorgaben der Wirtschaftlichkeitsprüfung grundsätzlich nur Quartale nach dem Inkrafttreten der Neuregelung. Nach welchen Grundsätzen die Wirtschaftlichkeitsprüfung stattfindet und was ihr Gegenstand ist, richtet sich nach den Vorschriften, die im jeweils geprüften Zeitraum gegolten haben. Etwas anderes kommt nur dann in Betracht, wenn es gesetzlich ausdrücklich angeordnet ist (BSG, Urteil vom 09.04.2008 - B 6 KA 34/07 R - m.w.N.). Eine gesetzliche Vorgabe, die Wirtschaftlichkeitsprüfung auch für Quartale aus der Zeit bis zum Ende des Jahres 2011 nach den neuen materiell-rechtlichen Regelungen des § 106 Abs. 5e SGB V durchzuführen, besteht nicht. Den Gesetzgebungsmaterialien (BT-Drucksachen 17/6906, S. 79, 17/7274, 17/8005, 17/8010) ist insofern ebenfalls nichts zu entnehmen.
Auch die von dem Antragsteller angesprochene Stellungnahme des Bundesgesundheitsministeriums schränkt die sofortige Wirkung des Prinzips "Beratung vor Regress" ein: Der Grundsatz, die Ärzte zunächst zu beraten statt zu bestrafen, könne nur dann angewandt werden, solange zum 1. Januar 2012 noch kein Beschluss der Prüfungsstelle vorlag und noch kein Erstattungsbetrag festgelegt worden sei (Ärztezeitung vom 24.04.2012). Abgesehen davon, dass ministerielle Auslegungen einer Gesetzesvorschrift für die Gerichte ohnehin nicht verbindlich sind, versteht auch das Ministerium die Bestimmung jedenfalls dahin, dass in der Vergangenheit liegende Sachverhalte, die durch einen Bescheid der Prüfungsstelle eine Regelung erfahren haben, nicht von der gesetzlichen Neuregelung erfasst werden. Bei diesem Normverständnis gilt das auch für den vorliegenden Fall. Die Überschreitungen der Heilmittel-Richtgrößen im Jahre 2009 sind vom Sachverhalt her abgeschlossen, die Prüfungsstelle hat am 02.11.2011 und damit vor Inkrafttreten der Neuregelung zum 01.01.2012 den Erstattungsbetrag festgesetzt.
Dass der Antragsteller den Eintritt der Bestandskraft des Bescheides der Prüfungsstelle verhindert hat, ändert daran nichts. Eine später in Kraft getretene abweichende materielle Rechtslage findet nicht deshalb Anwendung, weil ein Vertragsarzt durch Anrufung des Beschwerdeausschusses und ggf. gerichtlichen Rechtsschutz über drei Instanzen für mehrere Jahre sein Prüfverfahren offen hält.
Weitere Gesichtspunkte, die eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides begründen könnten, hat der Antragsteller nicht vorgetragen und sind bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage auch nicht zu erkennen.
Schließlich sind besondere zu einer unbilligen Härte führende Gründe, die ggf. die Anordnung der aufschiebenden Wirkung rechtfertigen könnten, weder ersichtlich noch von dem Antragsteller dargetan. Der Regress beträgt 13.866,90 EUR. Wenn ihn eine Verrechnung dieses Betrages in einer Summe mit laufenden Honorarzahlungen über Gebühr belasten sollte, bleibt es ihm unbenommen, bei der beigeladenen Kassenärztlichen Vereinigung auf eine Rückführung in zumutbaren Raten hinzuwirken.
Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 197a SGG in Verbindung mit §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
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