L 7 KA 58/08

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
7
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 71 KA 349/05
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 7 KA 58/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 28. Mai 2008 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Disziplinarmaßnahme.

Der Kläger ist Zahnarzt und nimmt seit 1994 an der vertragszahnärztlichen Versorgung in B teil. Von Juni 2001 bis Oktober 2002 ließ er von dem im Ruhrgebiet ansässigen Dentallabor G handelsgesellschaft mbH (im Folgenden: G) Zahnersatz für insgesamt 8 Patienten herstellen. Diese und weitere Firmen ließen seit den 90er Jahren den Zahnersatz im Ausland – teils in China, teils in der Türkei – zu im Vergleich zu einer Herstellung in Deutschland wesentlich günstigeren Konditionen anfertigen. Für den (zumindest anfangs) qualitativ einheitlich guten Standard wurden den Zahnärzten drei Vertragsvarianten angeboten: - im Standarttarif wurden bei einer Garantiezeit von 3 Jahren nur die tatsächlich entstandenen, günstigeren Kosten in Rechnung gestellt; - in der Variante Komfort mit Materialzuschuss wurden hochwertige Materialien eingesetzt, die den Kunden allerdings nicht in Rechnung gestellt wurden; - im Komforttarif wurden bei einer Garantiezeit von 6 Jahren zunächst die nach dem Bundeseinheitlichen Leistungsverzeichnis für zahntechnische Leistungen (BEL II) zulässigen (und von den Zahnärzten gezahlten) Höchstpreise in Rechnung gestellt, anschließend jedoch erhielten die Zahnärzte – soweit im Einzelfall – einen Teil der Differenz zwischen den tatsächlichen und den in Rechnung gestellten Kosten, d.h. ca. 15 - 30 % der Nettoleistungssumme, als sog. Kick-Back-Leistungen in bar ausgezahlt, ohne dies gegenüber den Kassenzahnärztlichen Vereinigungen bzw. den zahlungspflichtigen Patienten anzugeben.

Zumindest im internen Abrechnungsverkehr der G sollten ausschließlich die Leistungen des Komforttarifs mit einem Sternchen (-) versehen werden, was allerdings über längere Zeit nicht konsequent gehandhabt wurde, sodass z.B. auch Leistungen der Variante Komfort mit Materialzuschuss in dieser Weise gekennzeichnet wurden. Von den insgesamt 1.750 Kunden der G nahmen ca. 420 Zahnärzte bundesweit den Komforttarif in Anspruch.

Die Hauptverantwortlichen der G, die Brüder T und O J M sowie J B, hatten in das Kick-back-System nur wenige Personen, u.a. die 4 Regionalleiter eingeweiht. Auch einige der diesen Regionalleitern unterstellten Außendienstmitarbeiter, u.a. der den Kläger betreuende Mitarbeiter B S, waren durch die Hauptverantwortlichen oder – ohne deren Wissen – von den Regionalleitern informiert worden. Nach dem Willen der Hauptverantwortlichen sollte kein eingeweihter Außendienstmitarbeiter von sich aus mit den Kick-back-Zahlungen beim Komforttarif werben, sondern hierüber nur auf ausdrückliche Nachfrage Auskunft geben. Im Übrigen sollten die Regionalleiter aus den Mitteilungen ihrer Außendienstmitarbeiter die "empfänglichen" Zahnärzte herausfiltern und mit diesen in Kontakt treten. An diese Vorgaben hielten sich jedoch nicht alle Regionalleiter und Außendienstmitarbeiter.

Die Kick-back-Zahlungen wurden bis Mitte 2001 durch Briefe ohne Absender oder durch eingeweihte Mitarbeiter der G in bar an die Zahnärzte ausgezahlt. Danach wurde zur Übermittlung der jeweils auf- oder abgerundeten Bargeldbeträge die Versandart "Post-Express" der Deutschen Post AG gewählt und hierfür die Kundennummer der A S GmbH – einer in der Nähe von M ansässigen Firma, die sich mit dem Recycling von Altgold, z.B. aus Goldzähnen, befasste – genutzt, um eine Verbindung mit der G zu verschleiern. Das Bargeld wurde einmal im Monat verschickt und befand sich dabei in einen handelsüblichen Briefumschlag, der seinerseits in einen flachen, dunkelbraunen Buchkarton verpackt wurde. Obwohl nach den Bestimmungen der Deutschen Post AG für diese Versandart die einzelne Sendung nur an die im Adressfeld genannte natürliche Person "eigenhändig" ausgeliefert werden durfte, übergaben Zusteller in einzelnen Fällen Post-Express-Sendungen auch an andere Personen, z.B. eine Arzthelferin. Solche Fälle wurden, nach den Angaben von O J M in seiner Beschuldigtenvernehmung vom 10. Oktober 2004 vor der Staatsanwaltschaft Düsseldorf, "aus erzieherischen Gründen" bei der Deutschen Post AG beanstandet. Zugleich gab er jedoch an, ihm sei kein Fall einer nicht-eigenhändigen Übergabe bekannt. Über das Internet bestand die Möglichkeit, anhand der Frachtbriefnummer zu erfahren, an welchem Tag und um welche Uhrzeit der Empfänger den Erhalt der Sendung eigenhändig quittiert hatte. Die entsprechenden Belege wurden von der G allerdings nicht ausgedruckt. In einer an die A S GmbH gerichteten Rechnung der Deutschen Post AG vom 12. Mai 2002 finden sich Eintragungen, wonach dem Kläger unter seiner Praxisanschrift am 7. Mai 2002 vom 12 Uhr ein "Express Paket" mit einem Gewicht von 200 g ausgeliefert wurde, verbunden mit dem Zusatz "Eigenhändig Express Nat V". Ab August 2002 wurde das Geld von einer auf Schweizer Bundesgebiet befindlichen Filiale der Deutschen Post AG am Grenzübergang Büsingen per eigenhändig zuzustellendem Einschreiben versandt. Warensendungen der G wurden auf andere Art vom Firmensitz aus verschickt. Altgoldsendungen der A S GmbH wurden zwar auch per Post-Express versandt, waren allerdings erheblich schwerer. Aufgrund von Medienberichten im November 2002 wurden in der Folgezeit die bis dahin wegen des o.g. Tatkomplexes bereits eingeleiteten strafrechtlichen Ermittlungen erheblich intensiviert. Die Hauptverantwortlichen von G räumten von Beginn an die Tatvorwürfe ein und wirkten konstruktiv an der Aufklärung mit. Im Rahmen einer Vernehmung durch den Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Essen gab J B am 17. Juli 2003 zur "Kd.-Nr. – Dr. G" an:

"Wenn ich gefragt werde, ob o.g. Zahnarzt Rabatt-Zahlungen erhalten hat, und wenn ja, in welchem Zeitraum, so erkläre ich:

Ja, und zwar ab 6/01 bis 12/2002 ohne Staffel. Es erhielt durchgängig 20 %.

Nach unseren Berechnungen ergibt sich insgesamt eine Summe von 247,98 EUR."

Der zuständig Außendienstmitarbeiter, Herr S, sei in die Handhabe der Kick-back-Zahlungen eingeweiht gewesen. Im Wesentlichen das Gleiche bezeugte O J M anlässlich seiner Vernehmung am 15. Oktober 2003. Kick-back-Zahlungen i.H.v. insgesamt 247,98 EUR errechneten auch die Ermittlungsbehörden auf der Grundlage von insgesamt 8 dem Kläger zugeordneten und von der G mit einem Sternchen versehene Bestellungen und einer Rechnungssumme (ohne Material) von insgesamt 1.239,89 EUR.

Mit rechtskräftig gewordenem Urteil vom 22. September 2004 (34 KLs 6/04, abrufbar unter www.justiz.nrw.de) verurteilte das Landgericht Duisburg wegen gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs sowie wegen Steuerhinterziehung T M und J B zu je 3 Jahren Freiheitsstrafe und O J M zu 2 Jahren Freiheitsstrafe auf Bewährung. Bereits am 6. Januar 2004 waren von der G genutzte und bis dahin polizeilich versiegelte Kellerräume wieder freigegeben worden. Wegen weiterer Unterlagen, die O J M anschließend dort fand und den Ermittlungsbehörden zur Verfügung stellte, wurde er am 12. Oktober 2004 durch die Staatsanwaltschaft Düsseldorf erneut vernommen. Mit rechtskräftig gewordenem Urteil vom 19. Juli 2007 wurde der Außendienstmitarbeiter S, der zunächst – bei seiner polizeilichen Vernehmung am 18. Januar 2005 und bei seiner Anhörung durch den Disziplinarausschuss im hiesigen Fall – geleugnet hatte, mit Zahnärzten über Kick-back-Zahlungen gesprochen zu haben, dies aber im Rahmen der Hauptverhandlung einräumte, wegen gemeinschaftlichen gewerbsmäßigen Betrugs in 9 Fällen zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten auf Bewährung verurteilt. Zu den in diesem Urteil genannten Zahnärzten zählt der Kläger nicht.

In Zusammenhang mit diesen Ermittlungsverfahren wurde auch der Kläger beschuldigt, von der Fa. G in 8 Fällen Kick-Back-Zahlungen erhalten zu haben, die er nicht an die gesetzlichen Krankenkassen weitergeleitet habe. Die Staatsanwaltschaft Berlin leitete unter dem Aktenzeichen 97 Js 8/04 ein Ermittlungsverfahren ein, das am 15. März 2004 nach Zahlung einer Geldauflage von 1.000,- EUR gemäß § 153a Abs. 1 StPO endgültig eingestellt wurde.

Am 2. Dezember 2004 beantragte der Vorstand der Beklagten die Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen den Kläger wegen des Erhalts von Kick-Back-Zahlungen in Höhe von 247,98 EUR. In einer Stellungnahme vom 25. Februar 2005 führte der Kläger aus, er habe mit der Fa. G keine Verabredung über eine Kick-back-Zahlung getroffen und habe eine solche auch nicht empfangen. Seine Bereitschaft, einer Einstellung des Strafverfahrens gegen Zahlung einer Auflage zuzustimmen, beruhe auf rein wirtschaftlichen Überlegungen. Angesichts der relativ niedrigen Zahlung, die zu empfangen ihm vorgeworfen worden sei, habe er aus Kostengründen von der Einschaltung eines Strafverteidigers, für die nach Angaben im Kollegenkreis Beträge von ca. 20.000.- EUR entstünden, abgesehen, zumal ihm der Staatsanwalt im Gespräch auch zugesagt habe, damit sei alles erledigt. Der mit einer Kick-back-Zahlung verbundene Rech¬nungsbetrag aus dem Jahre 2001 betrage etwa 1 % der gesamten abgerechneten Prothetikleistungen dieses Jahres. Für 2002 ergebe sich ein ähnliches Bild. Im November 2001 habe er eine Bestellung zu Standard-Konditionen ausgelöst. Grundsätzlich seien die Lieferungen der Fa. G nur bei solchen Patienten in Anspruch genommen worden, die für ihren Privatanteil nur über sehr eingeschränkte Mittel verfügt hätten. Hier habe G eine sehr preisgünstige und dazu in Relation hochwertige Arbeit geboten. Das Ausschussmitglied Dr. P sei befangen, weil sie als Vorsitzende eines konkurrierenden Berufsverbandes, der bis Ende 2004 eine erdrückende Mehrheit von Mitgliedern der Vertreterversammlung sowie den Vorstand der Beklagten gestellt habe, in bewusst herablassendem Duktus Position u.a. gegen den von ihm – dem Kläger – geleiteten Berufsverband bezogen habe.

Nachdem der Disziplinarausschuss in seiner Sitzung vom 29. Juni 2005 den Kläger persönlich angehört und seine Praxismanagerin Winkler sowie den Außendienstmitarbeiter S vernommen hatte, beschloss er in seiner Sitzung vom 6. Juli 2005, ihm wegen Falschabrechnung in 8 prothetischen Fällen eine Geldbuße in Höhe von 600.- EUR und die Kosten des Disziplinarverfahrens i.H.v. 1.975,51 EUR aufzuerlegen. Im schriftlichen Bescheid vom 24. August 2005 wird zur Begründung insbesondere ausgeführt: Der Befangenheitsantrag sei unbegründet. Der Kläger habe in 8 bekannten Fällen gegen die Pflicht zur korrekten und "peinlich genauen Abrechnung" der von ihm erbrachten Leistungen verstoßen. Bereits die Zustimmung des Klägers zur Verfahrenseinstellung nach § 153a StPO könne das Vertrauen der Beklagten in die Pflichterfüllung eines zugelassenen Vertragszahnarztes erschüttern. Dass der Kläger tatsächlich Kick-back-Zahlungen erhalten habe und ihm auch Grund bzw. Zweck dieser Rückvergütungen bekannt gewesen seien, stehe zur Überzeugung des Disziplinarausschusses fest. Die Aussagen der G-Mitarbeiter B vom 17. Juli 2003 und O J M vom 15. März 2005 seien glaubhaft und würden durch die Daten gestützt, die aus den von den Ermittlungsbehörden sichergestellten Datenträger reproduziert worden seien. Auch wenn das Kick-back-Zahlungssystem nicht immer konsequent umgesetzt worden sei, könne davon ausgegangen werden, dass der Kläger in dieses System eingeweiht gewesen sei und Kick-back-Zahlungen an ihn entrichtet worden seien. Zumindest die erste Zahlung sei durch Herrn S übergeben worden. Dessen entgegenstehenden Angaben seien unglaubhaft, wie sich u.a. aus den Aussagen von Vertragszahnärzten in parallelen Verfahren ergebe. Dass der Kläger darüber hinaus weitere Kick-back-Zahlungen auf dem Postweg erhalten habe, ergebe sich nicht nur aus den Angaben der G-Mitarbeiter K und O J M, sondern auch aus der "Dokumentation der Deutschen Post AG (Rechnung Euro Express)". Die Aussage der Zeugin W – einer Praxismitarbeiterin des Klägers – sei unergiebig. Die peinlich genaue Abrechnung gehöre zu den Grundpflichten des Zahnarztes, deren Verletzung die Verhängung einer deutlichen Disziplinarmaßnahme ermögliche. Vorliegend erscheine eine Geldbuße jedoch ausreichend, wobei zu berücksichtigen sei, dass der Kläger bisher disziplinarrechtlich nicht belastet sei und er nicht die Absicht gehabt habe, sich primär und systematisch zu bereichern. Unter Berücksichtigung des schweren Verstoßes und des Verschuldens des Klägers sei es sachgerecht, ihm auch die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Zur Begründung seiner hiergegen gerichteten Klage hat der Kläger sein bisheriges Vorbringen wiederholt.

Mit Urteil vom 28. Mai 2008 hat das Sozialgericht der Klage stattgegeben und dies im wesentlichen damit begründet, dass die Kammer sich nicht vollständig habe davon überzeugen können, dass der Kläger schuldhaft gegen sein vertragszahnärztliche Pflichten durch den Erhalt von Kick-back-Zahlungen durch die G verstoßen habe. Die Zahnärztin Dr. P sei allerdings nicht von der Mitwirkung im Disziplinarausschuss ausgeschlossen gewesen. Gegen dieses ihr am 27. Juni 2008 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten vom 23. Juli 2008, zu deren Begründung sie ihr bisheriges Vorbringen wiederholt und ergänzt.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 28. Mai 2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angegriffene Urteil.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Einzelnen sowie wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte (einschließlich der beigefügten Auszüge aus der den Kläger betreffenden staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakte), die Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht den Beschluss des Disziplinarausschusses der Beklagten vom 6. Juli 2005 in der Form des schriftlichen Bescheides vom 24. August 2005 aufgehoben.

I) Zu Recht hat das Sozialgericht die Entscheidung des Disziplinarausschuss nicht schon aus formalen Gründen aufgehoben. Die Zahnärztin Dr. P war im Falle des Klägers nicht wegen der Besorgnis der Befangenheit (§ 17 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - SGB X) von der Mitwirkung im Disziplinarausschuss ausgeschlossen.

Die Besorgnis des Befangenheit besteht, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen eine unparteiischen Amtsausübung zu rechtfertigen (§ 17 Abs. 1 Satz 1 SGB X). Dies ist der Fall, wenn ein am Verfahren Beteiligter von seinem Standpunkt aus bei objektiver und vernünftiger Betrachtung davon ausgehen darf, dass der Richter nicht unvoreingenommen entscheiden werde. Die nur subjektive Besorgnis, für die bei Würdigung der Tatsachen vernünftigerweise kein Grund ersichtlich ist, ist dagegen nicht Maßstab der Prüfung (Senat, Beschluss vom 7. November 2011, Az.: L 7 SF 466/11, veröffentlicht in Juris). Für die Annahme einer Voreingenommenheit genügt allerdings noch nicht, dass der Kläger und das abgelehnte Mitglied des Disziplinarausschusses unterschiedlichen, divergierende berufspolitische Ziele verfolgenden Berufsverbänden angehören. Auch der Umstand, dass die in der Vertreterversammlung der Beklagten vertretenen Berufsverbände ihre Meinungsverschiedenheiten in heftiger, oft polemischer und unsachlicher Art und Weise austragen – dieser Eindruck drängt sich dem Senat aufgrund diverser Medienberichte sowie etlicher vor ihm geführter Rechtsstreite auf und wird auch von der Klägerseite eingeräumt –, vermag für sich genommen noch nicht die Besorgnis begründen, ein Mitglied des Disziplinarausschusses, das einem dieser Berufsverbände in herausgehobener Funktion angehört oder ihn sogar leitet, entscheide in einem Verwaltungsverfahren, an dem ein Mitglied oder gar Vorstand eines konkurrierenden Berufsverbandes beteiligt ist, nicht unvoreingenommen. Die Schwelle zur Besorgung der Voreingenommenheit kann jedoch bei ehrverletzenden Äußerungen überschritten sein (Senat, a.a.O.). In diesem Zusammenhang muss der Senat wegen der Vielgestaltigkeit möglicher Sachverhalte nicht generell klären, unter welchen Voraussetzungen ehrverletzende Äußerungen zwischen welchen Beteiligten das Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Mitglieds des Disziplinarausschusses rechtfertigen. Denn im vorliegenden Fall hat auch die Klägerseite hervorgehoben, dass sich das Ausschussmitglied Dr. P und der Kläger als (damalige) Vorsitzende ihres Berufsverbandes polemisch über die berufspolitischen Ansichten des jeweils anderen Verbandes geäußert hätten. Persönliche, gar ehrverletzende Angriffe hat die Klägerseite nicht behauptet.

II) Rechtsgrundlage für den angegriffenen Bescheid ist § 81 Abs. 5 SGB V i.V.m. der zum 1. Januar 2005 in Kraft getretenen, hier maßgeblichen Satzung der Beklagten vom 13. September 2004 sowie der Disziplinarordnung (DiszO), die als Anlage 2 Bestandteil der Satzung ist. Nach § 81 Abs. 5 S. 1 SGB V müssen die Satzungen der Kassenärztlichen Vereinigungen die Voraussetzungen und das Verfahren zur Verhängung von Maßnahmen gegen Mitglieder bestimmen, die ihre vertragsärztlichen Pflichten nicht oder nicht ordnungsgemäß erfüllen. Maßnahmen nach Satz 1 sind je nach Schwere der Verfehlung Verwarnung, Verweis, Geldbuße oder die Anordnung des Ruhens der Zulassung oder der vertragsärztlichen Beteiligung bis zu zwei Jahren (Satz 2 der Vorschrift). Das Höchstmaß der Geldbußen kann bis zu 10.000 EUR betragen (Satz 3 der Vorschrift). Die Ausübung des Disziplinarrechts erfolgt gemäß § 14 der Satzung durch Disziplinarausschüsse. Deren Mitglieder sind unabhängig und unterliegen keinen Weisungen (§ 1 Abs. 5 Satz 4 DiszO). Der Disziplinarausschuss bestimmt den Umfang der Beweisaufnahme. Er kann hierbei von der Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen, die vor Einleitung des Verfahrens oder im Ermittlungsverfahren gehört wurden, absehen und stattdessen die Niederschriften über die Aussagen sowie schriftliche Äußerungen berücksichtigen (§ 9 DiszO). Er entscheidet aufgrund des Ergebnisses einer mündlichen Verhandlung (§ 13 Abs. 1 DiszO).

III) Für die richterliche Kontrolle von Disziplinarbescheiden gilt ein besonderer Prüfungsmaßstab.

Soweit der Disziplinarausschuss nach seinem Ermessen zu entscheiden hat, ist der Verwaltungsakt nach § 54 Abs 2 SGG nur bei Ermessensüberschreitung oder Ermessensfehlgebrauch rechtswidrig. Das Gericht hat dazu die Voraussetzungen des Ermessens festzustellen und insbesondere auch zu prüfen, ob der Disziplinarausschuss von einem richtigen und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist und sich von sachgerechten Gründen hat leiten lassen. Dabei ist es auf die im Verwaltungsakt mitgeteilten Ermessenserwägungen beschränkt. Kommt das Gericht zum Ergebnis, der Disziplinarausschuss habe seiner Entscheidung in fehlerhafter Weise Tatsachen zugrunde gelegt, führt die Verengung des zugrunde liegenden Sachverhalts nicht zwingend dazu, dass der Disziplinarausschuss sein Ermessen neu ausüben muss. Allerdings darf die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Disziplinarbescheids durch das Gericht nicht im Widerspruch zu den dargelegten Ermessenserwägungen des Disziplinarausschusses stehen. Uneingeschränkt durch die Gerichte überprüfbar ist hingegen die Frage, ob ein bestimmtes Verhalten eines Vertrags(zahn)arztes eine disziplinarisch zu ahndende Pflichtverletzung darstellt (BSGE 62, 127). Im Rahmen der Prüfung, ob die Behörde den richtigen Sachverhalt zu Grunde gelegt hat, darf das Gericht die maßgeblichen Tatsachen abweichend feststellen und Beweismittel anders würdigen (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer Sozialgerichtsgesetz, 9.A., § 54 Rd. 28b).

IV) Hieran gemessen erweist sich die Entscheidung des Disziplinarausschusses über die Auferlegung einer Geldbuße als rechtswidrig. Denn er hat das Gesamtergebnis des Verfahrens dadurch nicht ausreichend und umfassend berücksichtigt, dass er teils gewichtige Umstände nicht in seine Beweiswürdigung einbezogen hat, teils auf unzutreffende Erwägungen abgestellt hat. Maßgeblich ist insoweit einzig der Inhalt des Bescheids des Disziplinarausschusses vom 24. August 2005; Erwägungen und Umstände, die darin nicht wiedergegeben werden, sind unbeachtlich, auch wenn sie möglicherweise von den Mitgliedern des Disziplinarausschusses für die Entscheidungsfindung tatsächlich von Bedeutung waren.

1) Der Disziplinarausschuss hat seine Schlussfolgerung, dass der Kläger "tatsächlich Kick-back-Zahlungen erhalten hat und ihm auch Grund bzw. Zweck dieser Rückvergütungen bekannt waren", aus folgenden Umständen abgeleitet: - der Einstellung des Ermittlungsverfahrens nach § 153a StPO (und nicht nach § 170 Abs. 2 StPO), - den Berichten "Kickback monatlich Fa. G" und "Kickback pro Bestellung Fa. G", deren Daten aus den von den Ermittlungsbehörden sichergestellten Daten reproduziert worden seien, - den für glaubhaft gehaltenen Aussagen von J B vom 17. Juli 2003 und O J M vom 15. März 2005, - den für glaubhaft gehaltenen Aussagen von Vertragszahnärzten, die von parallel durchgeführten Ermittlungs- und Disziplinarverfahren betroffen gewesen seien; diese Aussagen seien nicht widerlegt worden durch die unglaubhaften Einlassungen des Außendienstmitarbeiters S, der zumindest die erste Zahlung übergeben habe, - der "Dokumentation der Deutschen Post AG (Rechnung Euro Express)". Dies ist in mehrfacher Hinsicht zu beanstanden.

a) Die Verfahrenseinstellung nach § 153a StPO hätte der Disziplinarausschuss nicht als eigenständiges Indiz werden dürfen. Denn mit einer Einstellung nach § 153a StPO wird keine Entscheidung darüber getroffen, ob der Beschuldigte die ihm durch die Anklage vorgeworfene Tat begangen hat oder nicht. Eine Einstellung nach § 153a StPO setzt keinen Nachweis der Tat des Angeklagten voraus. Dies entspricht auch dem Gebot der Unschuldsvermutung. Dabei handelt es sich um eine besondere Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips, die auch kraft Art. 6 Abs. 2 EMRK Bestandteil des positiven Rechts der Bundesrepublik Deutschland im Range eines Bundesgesetzes ist. Die Unschuldsvermutung verlangt, dass dem Täter in einem justizförmig geordneten Verfahren, das eine wirksame Sicherung der Grundrechte des Beschuldigten gewährleistet, Tat und Schuld nachgewiesen werden müssen. Bis zum gesetzlichen Nachweis der Schuld wird seine Unschuld vermutet (BVerfG NJW 1991, 1530). Dies heißt freilich nicht, dass eine Einstellung nach § 153a StPO einer eigenständigen Würdigung und Bewertung der strafgerichtlichen Verfahrensakten in einem Disziplinarverfahren entgegenstünde. Dem Disziplinarausschuss ist es nicht verwehrt, die im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren und im strafgerichtlichen Verfahren gewonnenen Erkenntnisse und Beweismittel einer eigenständigen Überprüfung etwa im Hinblick darauf zu unterziehen, ob sich daraus hinreichende Schlussfolgerungen für ein disziplinarrechtlich zu ahndenden Verhalten ergeben (vgl. BVerfG a.a.O.).

b) Hinsichtlich der Aussagen von J B vom 17. Juli 2003 hat der Disziplinarausschuss nicht in seine Überlegungen eingestellt, dass seine Angaben nach eigenem Bekunden auf intensiver, wochenlanger Vorarbeit beruhen und er somit im Hinblick auf die konkret den Kläger betreffenden Angaben offensichtlich nur schriftlich fixierte Informationen wiedergibt, nicht aber aus eigener Erinnerung oder Beobachtung über den Empfang von Kick-back-Zahlungen durch den Kläger berichtet. Der konkret den Kläger betreffende Informationsgehalt dieser Aussage geht somit nicht über die in den Datenbankaufzeichnungen der G bereits enthalten Daten, welche der Disziplinarausschuss ebenfalls verwertet hat, hinaus.

Hinsichtlich der Aussagen von O J M vom 15. März 2005 durfte der Disziplinarausschuss als Indiz für deren Glaubhaftigkeit nicht darauf abstellen, dass er sich mit dieser Aussage auch selbst belastete. Denn am 15. März 2005 war dieser G-Mitarbeiter bereits rechtskräftig verurteilt, sodass eine (weitere) Selbstbelastung durch seine Angaben an diesem Tag nicht eintreten konnte. Unbeachtlich ist, dass die Staatsanwaltschaft O J M an diesem Tag – ausweislich des Vernehmungsprotokolls – als Beschuldigten vernahm. Hierbei dürfte es sich um ein Versehen handeln. Jedenfalls ist weder dem angefochtenen Bescheid des Disziplinarausschusses noch den gesamten dem Senat von der Beklagten zur Verfügung gestellten Unterlagen zu entnehmen, wegen welcher weiterer Straftat die Vernehmung an diesem Tag erfolgte.

Im Übrigen hat der Disziplinarausschuss nicht berücksichtigt, dass sich die Bereitschaft zu umfänglichen geständigen Einlassungen nicht nur nachteilig, sondern auch strafmildernd auswirken kann (vgl. Stree/Kinzig, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 28.A., § 46 Rd. 41a m.w.N.).

c) Die Aussagen von Vertragszahnärztinnen und -ärzten in parallel geführten Ermittlungs- und Disziplinarverfahren sind nicht verwertbar, solange deren Namen bzw. die jeweiligen Aktenzeichen der Ermittlungsverfahren nicht mitgeteilt werden. Denn ohne diese Angaben besteht für die Klägerseite keine Möglichkeit, den Wahrheitsgehalt und die Glaubhaftigkeit der einzelnen Aussagen zu überprüfen, sodass eine Anhörung i.S.v. § 24 Abs. 1 SGB X zu diesen aus Sicht des Disziplinarausschusses offensichtlich wesentlichen Tatsachen ausgeschlossen ist.

d) Aus der Rechnung der Deutschen Post AG vom 12. Mai 2002 mag im Zusammenspiel mit den Angaben der G-Mitarbeiter zu entnehmen sein, dass der Kläger am 7. Mai 2002 vor 12 Uhr eine Postsendung erhalten hat, wie sie üblicherweise für den Versand der Kick-back-Zahlungen verwandt wurde. Sie lässt jedoch in keiner Weise Rückschlüsse auf den ggf. übersandten Betrag zu. Da die Bargeldsendungen nach den Angaben von O J M jeden Monat verschickt wurden, wäre die o.g. Rechnung allenfalls ein starkes Indiz dafür, dass der Kläger einmal, und zwar im Mai 2002, eine Kick-back-Zahlung tatsächlich erhalten hat. Da aber (offensichtlich) keine weiteren Rechnungen der Deutschen Post AG mit der Frachtbriefnummer der A S GmbH gefunden wurden, ist der Schluss auf die mehrfache Auslieferung solcher Bargeldsendungen unzulässig.

2) Hat der Disziplinarausschuss somit einerseits entscheidungsrelevante Umstände unberücksichtigt gelassen und andererseits sein Ergebnis teilweise auf rechtlich unbeachtliche Erwägungen gestützt, führt dies zur Fehlerhaftigkeit seiner Beweiswürdigung insgesamt. Die vom Senat dargelegten Beanstandungen betreffen nicht nur Randbereiche, die den entscheidungserheblichen Sachverhalt nur unwesentlich verändern. Insbesondere die – vom Disziplinarausschuss immerhin an erster Stelle erwähnten – unzulässigen Schlussfolgerungen aus der Verfahrenseinstellung nach § 153a StPO zwingen dazu, die Beweiswürdigung durch den Disziplinarausschuss insgesamt zu beanstanden.

3) Die Entscheidung des Disziplinarausschusses über die Auferlegung einer Geldbuße erweist sich darüber hinaus aus den Überlegungen des Sozialgerichts, welche nicht nur die Beweiswürdigung als fehlerhaft angesehen, sondern in zulässiger Weise eine eigenständige Beweiswürdigung mit abweichendem Ergebnis vorgenommen hat, als rechtswidrig. Auf die Ausführungen des Sozialgerichts verweist der Senat nach § 153 Abs. 2 SGG.

V) Auch die Entscheidung des Disziplinarausschusses über die Kostentragung ist rechtswidrig.

Gemäß § 13 Abs. 4 Satz 1 DiszO können die Kosten des Verfahrens dem betroffenen Zahnarzt ganz oder zum Teil auferlegt werden, wenn eine Maßnahme nach § 14 der Satzung – diese Vorschrift enthält u.a. den Katalog möglicher Disziplinarmaßnahmen – ausgesprochen ist. Nachdem der Senat die durch den Disziplinarausschuss auferlegte Geldbuße aufgehoben hat, fehlt es an einer Maßnahme nach § 14 der Satzung, die eine Kostentragung des klagenden Zahnarztes nach sich ziehen könnte. Dass die Voraussetzungen von § 13 Abs. 4 Satz 2 DiszO – Kostentragung des Zahnarztes bei von ihm verschuldeter Vertagung der mündlichen Verhandlung – vorliegen, wurde vom Disziplinarausschuss nicht festgestellt und ist auch anderweitig nicht ersichtlich.

VI) Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1 und 2 Verwaltungsgerichtsordnung.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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