L 13 AS 1934/12 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
13
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 3 AS 722/12 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 AS 1934/12 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 28. März 2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Gründe:

Die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig; sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden (vgl. §§ 172 Abs. 1 und 173 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]). Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet; das Sozialgericht (SG) hat den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes im Ergebnis zu Recht abgelehnt.

Prozessuale Grundlage des im vorläufigen Rechtsschutz verfolgten Anspruchs ist § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung als Regelungsanordnung setzt einen jeweils glaubhaft zu machenden (vgl. § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung [ZPO]) Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch voraus. Die Dringlichkeit einer die Hauptsache vorweg nehmenden Eilentscheidung nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG (Anordnungsgrund) kann bei Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in aller Regel nur bejaht werden, wenn wegen einer Notlage über existenzsichernde Leistung für die Gegenwart und die nahe Zukunft gestritten wird und dem Antragsteller schwere schlechthin unzumutbare Nachteile entstünden, wenn er auf den Ausgang des Hauptsacheverfahrens verwiesen würde (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. Senatsbeschluss vom 25. November 2005 - L 13 AS 4106/05 ER-B). Einen finanziellen Ausgleich für die Vergangenheit, also für die Zeit vor Rechtshängigkeit des Eilverfahrens, herbeizuführen ist, von einer in die Gegenwart fortwirkenden Notlage abgesehen, nicht Aufgabe des vorläufigen Rechtsschutzes, sondern des Hauptsacheverfahrens (vgl. Senatsbeschluss vom 26. Juli 2006 - L 13 AS 1620/06 ER-B - veröffentlicht in Juris). Der Anordnungsanspruch hängt vom voraussichtlichen Erfolg des Hauptsacherechtsbehelfs ab und erfordert in der Regel nur eine summarische Prüfung; an ihn sind um so niedrigere Anforderungen zu stellen, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen wiegen, insbesondere eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung droht (vgl. Bundesverfassungsgericht [BVerfG] in NJW 2003, 1236 f. und Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - veröffentlicht in Juris). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung, hier also der Entscheidung über die Beschwerde (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. Senatsbeschluss vom 26. Juli 2006 a.a.O. m.w.N.).

Ausgehend von diesen Grundsätzen liegen die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht vor; der Antragsgegner ist nicht im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller vorläufig Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) zu gewähren. Es erscheint angesichts des Prozessverhaltens des Antragstellers bereits zweifelhaft, ob eine Anordnungsgrund gegeben ist. Der Antragsteller hat jedenfalls über die seiner Bevollmächtigten im Beschwerdeverfahren am 30. Mai 2012 gewährte Akteneinsicht Kenntnis von der Existenz des seinen Widerspruch gegen den Bescheid vom 24. Januar 2012 zurückweisenden Widerspruchsbescheids vom 5. April 2012 erlangt. Gleichwohl ist, wie eine telefonische Anfrage des Berichterstatters beim SG ergeben hat, eine Klage gegen diesen Widerspruchsbescheid bis zum heutigen Tag nicht erhoben worden. Stattdessen beruft sich die (offenbar nur im Beschwerdeverfahren) Bevollmächtigte des Antragstellers auf Unklarheiten hinsichtlich der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids, Mängel einer für erforderlich gehaltenen Zustellung und eine Fehlerhaftigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung, weshalb für die Erhebung der Klage die Jahresfrist nach § 66 Abs. 2 SGG gelte. Wäre der Antragsteller tatsächlich an einer schnellstmöglichen Entscheidung interessiert, läge es nahe, - durch welchen seiner Bevollmächtigten auch immer - so zeitnah wie möglich das sozialgerichtliche Klageverfahren in der Hauptsache zu betreiben. Gänzlich unverständlich wird das Verhalten des Antragstellers, wenn er seinen ihn offenbar nach wie vor im Hauptsacheverfahren vertretenden Rechtsanwalt eine Sachstandsanfrage an den Antragsgegner richten und Akteneinsicht beantragen lässt, obwohl seine Bevollmächtigte in diesem Verfahren gerade Akteneinsicht genommen hat und ihr damit der gesamte Akteninhalt bekannt ist.

Jedenfalls hat der Antragsteller aber einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Ein auf die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II gerichteter Anordnungsanspruch kommt nur noch in Betracht, wenn die den Antrag in der Hauptsache ablehnende Entscheidung in der Hauptsache noch nicht bestandskräftig geworden ist. Ist das Hauptsacheverfahren hingegen abgeschlossen, die Entscheidung des Antragsgegners mithin unanfechtbar geworden, ist für die Geltendmachung eines entsprechenden Anordnungsanspruchs im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Grundlage entzogen (vgl. dazu Spellbrink, Sozialrecht aktuell 2007, 1; Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 3. Aufl. 2012, S. 35 ff.; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 86b Rdnr. 26d, der in diesem Fall bereits die Zulässigkeit des Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz verneint). So verhält es sich im Fall des Antragstellers; dieser hat nicht glaubhaft gemacht, dass der seinen Antrag in der Hauptsache ablehnende Bescheid des Antragsgegners vom 24. Januar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. April 2012 noch (fristwahrend) mit der Klage angefochten werden kann.

Gemäß § 85 Abs. 3 Satz 1 SGG ist ein Widerspruchsbescheid bekanntzugeben; eine förmliche Zustellung ist nicht (mehr) erforderlich. Die Bekanntgabe wiederum richtet sich nach § 37 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Nach Satz 1 der Vorschrift gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt wird, am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsaktes und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen (§ 37 Abs. 2 Satz 3 SGB X). Die Zugangsfiktion tritt dementsprechend nur dann nicht ein, wenn Zweifel am tatsächlichen Zugang gerechtfertigt sind. Hierfür bestehen im vorliegenden Fall aber keine ausreichenden Anhaltspunkte. Ausweislich des in der Verwaltungsakte enthaltenen Vermerks ist der Widerspruchsbescheid vom 5. April 2012 dem für die Durchführung des Widerspruchsverfahrens bevollmächtigten Rechtsanwalt am 11. April 2012 übersandt worden. Ein Postrücklauf ist nicht aktenkundig. Dass der Bevollmächtigte des Antragstellers den Widerspruchsbescheid vom 5. April 2012 nicht erhalten hätte, wird vom Antragsteller nicht einmal behauptet. Der Vortrag beschränkt sich insoweit vielmehr auf reine Mutmaßungen seiner ihn im Beschwerdeverfahren vertretenen Rechtsanwältin, die meint, aus der Existenz einer Sachstandsanfrage schlussfolgern zu können, dem im Widerspruchsverfahren beauftragten Rechtsanwalt liege der Widerspruchsbescheid "offenbar" nicht vor. Soweit ferner gefordert wird, der Antragsgegner möge die Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids vom 5. April 2012 nachweisen, verkennt die Bevollmächtigte, dass es Sache des Antragstellers ist, das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs glaubhaft zu machen. Hierzu gehört auch der Nichteintritt der Bestandskraft des in der Hauptsache ergangenen ablehnenden Bescheids des Antragsgegners. Eine Glaubhaftmachung hätte hier auch ohne Weiteres z. B. durch Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung des im Widerspruchsverfahren tätigen Bevollmächtigten erfolgen können. Dass von dieser naheliegenden Möglichkeit kein Gebrauch gemacht wurde, lässt den Vortrag des Antragstellers insoweit eher als zweifelhaft erscheinen.

Der Antragsteller kann sich letztlich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, die Rechtsbehelfsbelehrung des Widerspruchsbescheids vom 5. April 2012 sei fehlerhaft und deshalb eine fristwahrende Klageerhebung noch binnen der nach § 66 Abs. 2 SGG geltenden Jahresfrist möglich. Die dem Widerspruchsbescheid vom 5. April 2012 angefügte Rechtsbehelfsbelehrung genügt den Anforderungen des § 36 SGB X und ist damit nicht "unterblieben oder unrichtig erteilt" im Sinne des § 66 Abs. 2 SGG. Die Rechtsbehelfsbelehrung enthält weder falsche noch irreführende Hinweise im Sinne der vom Antragsteller zitierten Rechtsprechung. Die Belehrung selbst tritt auch nicht durch weitere Informationen derart in den Hintergrund, dass sie vom Horizont eines Empfängers aus betrachtet geeignet wäre, ein Fristversäumnis zu verursachen.

Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 193 Abs. 1 SGG.

Nachdem die Rechtsverfolgung in der Hauptsache (hier: Beschwerde gegen den den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ablehnenden Beschluss des SG vom 28. März 2012) keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 73a SGG i.V.m. § 114 ZPO), war der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren abzulehnen.

Diese Entscheidung kann mit der Beschwerde nicht gefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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