Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 2 R 42/12 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 R 104/12 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 20.1.2011 wird zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 968,84 EUR festgesetzt.
Gründe:
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Die Entscheidung des SG, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom 2.12.2011 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 23.11.2011 anzuordnen, ist nicht zu beanstanden.
Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, diese ganz oder teilweise anordnen. Die aufschiebende Wirkung entfällt gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG bei Entscheidungen über Beitragspflichten und die Anforderung von Beiträgen sowie der darauf entfallenden Nebenkosten einschließlich der Säumniszuschläge. Die Entscheidung, ob die aufschiebende Wirkung ausnahmsweise dennoch durch das Gericht angeordnet wird, erfolgt aufgrund einer umfassenden Abwägung des Aufschubinteresses des Antragstellers einerseits und des öffentlichen Interesses an der Vollziehung des Verwaltungsaktes andererseits. Im Rahmen dieser Interessenabwägung ist in Anlehnung an § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG zu berücksichtigen, in welchem Ausmaß Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder ob die Vollziehung für den Antragsteller eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
Da § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG das Vollzugsrisiko bei Beitragsbescheiden grundsätzlich auf den Adressaten verlagert, können nur solche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides ein überwiegendes Aufschubinteresse begründen, die einen Erfolg des Rechtsbehelfs, hier des Widerspruchs, zumindest überwiegend wahrscheinlich erscheinen lassen. Hierfür reicht es nicht schon aus, dass im Rechtsbehelfsverfahren möglicherweise noch ergänzende Tatsachenfeststellungen zu treffen sind. Maßgebend ist vielmehr, ob nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Eilentscheidung mehr für als gegen die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides spricht (vgl. Senat, Beschluss v. 7.1.2011, L 8 R 864/10 B ER, NZS 2011, 906 [907 f.]; Beschluss v. 10.5.2012, L 8 R 164/12 B ER; juris und sozialgerichtsbarkeit.de; jeweils m.w.N.). Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn es, wie hier, maßgeblich um die Frage der Wirksamkeit eines Recht setzenden Aktes wie einer AVE geht.
Vorliegend bestehen in diesem Sinne erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des mit dem Widerspruch angefochtenen Bescheides vom 23.11.2011.
Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid ist § 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV. Danach erlassen die prüfenden Rentenversicherungsträger im Rahmen von Betriebsprüfungen Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung. Im Ansatz zutreffend ist die Antragsgegnerin zudem davon ausgegangen, dass sie bei untertariflicher Bezahlung die Versicherungspflicht und die Beitragshöhe nach dem tariflich zustehenden und nicht lediglich nach dem zugeflossenen Arbeitsentgelt zu beurteilen hat (BSG, Urteil v. 14.7.2004, B 12 KR 1/04 R, SozR 4-2400 § 22 Nr. 2).
Es spricht jedoch gegenwärtig mehr dagegen als dafür, dass die Antragstellerin den im Prüfbescheid aufgeführten Arbeitnehmern höhere als die tatsächlich gezahlten Arbeitsentgelte geschuldet hat. Zunächst bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass einzelvertraglich von der tatsächlichen Entgeltzahlung abweichende Arbeitsentgelte vereinbart waren. Die Antragsgegnerin hat insoweit auch keine Feststellungen getroffen. Dementsprechend kommt es darauf an, ob der Antragsteller die für das Gaststätten- und Hotelgewerbe des Landes Nordrhein-Westfalen maßgebenden Tariflöhne hätte zahlen müssen. Im Einzelnen sind insoweit maßgebend die Entgelttarifverträge (Entgelt-TV) für das Gaststätten- und Hotelgewerbe des Landes Nordrhein-Westfalen vom 11.4.2006, gültig ab dem 1.4.2006, für allgemein verbindlich erklärt mit Wirkung vom 13.12.2006 für die Tarifgruppen (TG) 1 bis 3 aufgrund Allgemeinverbindlichkeitserklärung (AVE) vom 3.5.2007, sowie vom 19.02.2008, gültig ab 1.3.2008, für allgemein verbindlich erklärt mit Wirkung vom 1.3.2008 für die TG 1 und 2, für TG 2a mit Wirkung vom 1.9.2008 aufgrund AVE vom 5.9.2008. Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass der letztgenannte Entgelt-TV entgegen der Begründung des angefochtenen Bescheides hinsichtlich der TG 3 nach dem Wortlaut der Bekanntmachung der AVE nicht für allgemeinverbindlich erklärt worden ist.
Soweit ersichtlich, sind die genannten Entgelt-TVe nicht einzelvertraglich einbezogen worden. Es bestand auch keine Tarifbindung der Arbeitsvertragsparteien. Diese können dementsprechend nur aufgrund einer AVE nach § 5 Abs. 4 TVG von den Entgelt-TVen erfasst worden sein. Voraussetzung hierfür ist die Wirksamkeit der AVE. An dieser bestehen nach dem gegenwärtigen Sach- und Streitstand indessen erhebliche Zweifel.
Rechtsgrundlage für die AVE eines Tarifvertrages ist § 5 TVG. Diese Vorschrift ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und des Bundesarbeitsgerichts (BAG) verfassungskonform (vgl. BVerfG, Beschluss v. 15.7.1980, 1 BvR 24/74 und 1 BvR 439/79, BVerfGE 55, 7; BAG, Urteil v. 21.11.2007, 10 AZR 782/06, AP Nr. 297 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau). Die AVE von Tarifverträgen ist im Verhältnis zu den ohne sie nicht tarifgebundenen Arbeitgebern und Arbeitnehmern ein Rechtsetzungsakt eigener Art zwischen autonomer Regelung und staatlicher Rechtsetzung, der seine eigenständige Rechtsgrundlage in Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz (GG) findet (vgl. BVerfGE 55, 7, [20]). Der Gesetzgeber hat in § 5 TVG die Voraussetzungen für die AVE von Tarifverträgen nach Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend deutlich bestimmt (BVerfG, a.a.O.).
Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG ist Voraussetzung für eine AVE, dass die tarifgebundenen Arbeitgeber nicht weniger als 50 v.H. der unter den Geltungsbereich des TV fallenden Arbeitnehmer beschäftigen (sog. Beschäftigungsquorum). Ob diese Voraussetzung erfüllt ist, unterliegt der vollen arbeitsgerichtlichen Überprüfung (BAG, Urteil v. 28.3.1990, 4 AZR 536/89, NJW 1990, 3036 m.w.N.). Für das sozialgerichtliche Verfahren gilt nichts anderes (§ 103 Satz 1 SGG). Auch die prüfenden Rentenversicherungsträger haben den Sachverhalt insoweit von Amts wegen zu erforschen (§ 20 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch [SGB X]). Das gilt jedenfalls dann, wenn gegen die Wirksamkeit einer AVE, wie hier, substantiierte Einwände erhoben werden (vgl. zu diesem Gedanken BAG, Urteil v. 11.6.1975, 4 AZR 395/74, AP Nr. 29 zu § 2 TVG). Gewiss mag der Betriebsprüfer "vor Ort" mit einer solchen, mit erheblichem Aufwand verbundenen Prüfung überfordert sein. Das entbindet die Antragsgegnerin indessen nicht von ihrer Amtsermittlungspflicht, zu deren Erfüllung sie gegebenenfalls ihr Justitiariat oder entsprechende Dezernate einsetzen bzw. - soweit grundsätzliche Fragen angesprochen sind - eine Klärung durch die Deutsche Rentenversicherung Bund (vgl. § 138 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch) herbeiführen muss. Speziell für die Voraussetzungen einer AVE kommt auch die Einholung einer Auskunft des zuständigen Ministeriums in Betracht, das im vorliegenden Fall überdies Aufsichtsbehörde der Antragsgegnerin ist.
Um festzustellen, ob die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG vorliegen, bedarf es eines Vergleichs aller vom Geltungsbereich des für allgemeinverbindlich erklärten TV erfassten Arbeitnehmer (sog. "große Zahl") mit dem von den tarifgebundenen Arbeitgebern beschäftigten Arbeitnehmern (sog. "kleine Zahl"). Nach der im einstweiligen Rechtsschutz nur möglichen summarischen Prüfung bestehen erhebliche Zweifel daran, dass das erforderliche Quorum von 50 v.H. der "kleinen" an der "großen" Zahl hier erreicht ist. Das gilt sowohl hinsichtlich der AVE vom 3.5.2007 als auch der AVE v. 5.9.2008.
Hinsichtlich der AVE v. 3.5.2007 nimmt der Senat Bezug auf die Feststellungen des SG Aachen (Urteil v. 2.9.2011, S 6 R 130/09, juris und sozialgerichtsbarkeit.de). Das SG hat ausweislich der Entscheidungsgründe eine Auskunft des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (DEHOGA) NRW vom 27.11.2011 und eine Auskunft des Ministeriums für Arbeit, Integration und Soziales des Landes NRW vom 1.2.2011 eingeholt und aus dem Ergebnis dieser Auskünfte erhebliche Ermittlungsfehler des zuständigen Ministeriums abgeleitet. So ist z.B. die Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten zu Grunde gelegt worden ist, obwohl § 5 Abs. 1 TVG auf die Gesamtzahl der Arbeitnehmer (also einschließlich der nicht sozialversicherungspflichtig, z.B. nur geringfügig Beschäftigten) abstellt. Die Antragsgegnerin ist den Feststellungen des SG nicht entgegengetreten. Sie hat insbesondere keine in sich schlüssigen Berechnungsgrundlagen vorgelegt, die darauf schließen ließen, dass das Quorum erfüllt ist. Daher sprechen gegenwärtig die überwiegenden Argumente für eine Unwirksamkeit der AVE vom 3.5.2007.
Gleiches gilt für die AVE vom 5.9.2008. Der Senat nimmt insoweit Bezug auf die Feststellungen des Verwaltungsgerichts (VG) Düsseldorf im Urteil vom 16.11.2010 (Az. 3 K 8653/08, juris), auf die auch der Antragsteller zu Recht verweist. Das VG hat ermittelt, dass das zuständige Landesministerium zum einen auf eine veraltete (große) Zahl zurückgegriffen hat und diese dann fehlerhaft überprüft oder zumindest nicht ausreichend validiert. Denn nach den Feststellungen des VG hat das Ministerium die Zahl mit Angaben des statistischen Landesamtes Nordrhein-Westfalen abgeglichen, die wiederum nicht sozialversicherungspflichtige Beschäftigte außer Acht ließen. Dass die Entscheidung des VG nicht rechtskräftig ist, ist dabei unerheblich. Denn das ändert nichts an der Aussagekraft seiner tatsächlichen Feststellungen.
Darüber hinaus hat die Antragstellerin weitere gravierende Bedenken gegen die Ermittlung des Zahlenwerks vorgetragen, denen die Antragsgegnerin ebenfalls nicht substantiiert entgegengetreten ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung. Die Festsetzung des Streitwerts gemäß § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 1 und 2, 47 Abs. 1 Gerichtskostengesetz entspricht der ständigen Senatspraxis, im einstweiligen Rechtsschutz von einem Viertel des Hauptsachestreitwerts (Senat, Beschluss v. 27.7.2009, L 8 B 5/09 R ER, juris) auszugehen.
Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Gründe:
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Die Entscheidung des SG, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom 2.12.2011 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 23.11.2011 anzuordnen, ist nicht zu beanstanden.
Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, diese ganz oder teilweise anordnen. Die aufschiebende Wirkung entfällt gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG bei Entscheidungen über Beitragspflichten und die Anforderung von Beiträgen sowie der darauf entfallenden Nebenkosten einschließlich der Säumniszuschläge. Die Entscheidung, ob die aufschiebende Wirkung ausnahmsweise dennoch durch das Gericht angeordnet wird, erfolgt aufgrund einer umfassenden Abwägung des Aufschubinteresses des Antragstellers einerseits und des öffentlichen Interesses an der Vollziehung des Verwaltungsaktes andererseits. Im Rahmen dieser Interessenabwägung ist in Anlehnung an § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG zu berücksichtigen, in welchem Ausmaß Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder ob die Vollziehung für den Antragsteller eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
Da § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG das Vollzugsrisiko bei Beitragsbescheiden grundsätzlich auf den Adressaten verlagert, können nur solche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides ein überwiegendes Aufschubinteresse begründen, die einen Erfolg des Rechtsbehelfs, hier des Widerspruchs, zumindest überwiegend wahrscheinlich erscheinen lassen. Hierfür reicht es nicht schon aus, dass im Rechtsbehelfsverfahren möglicherweise noch ergänzende Tatsachenfeststellungen zu treffen sind. Maßgebend ist vielmehr, ob nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Eilentscheidung mehr für als gegen die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides spricht (vgl. Senat, Beschluss v. 7.1.2011, L 8 R 864/10 B ER, NZS 2011, 906 [907 f.]; Beschluss v. 10.5.2012, L 8 R 164/12 B ER; juris und sozialgerichtsbarkeit.de; jeweils m.w.N.). Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn es, wie hier, maßgeblich um die Frage der Wirksamkeit eines Recht setzenden Aktes wie einer AVE geht.
Vorliegend bestehen in diesem Sinne erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des mit dem Widerspruch angefochtenen Bescheides vom 23.11.2011.
Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid ist § 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV. Danach erlassen die prüfenden Rentenversicherungsträger im Rahmen von Betriebsprüfungen Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung. Im Ansatz zutreffend ist die Antragsgegnerin zudem davon ausgegangen, dass sie bei untertariflicher Bezahlung die Versicherungspflicht und die Beitragshöhe nach dem tariflich zustehenden und nicht lediglich nach dem zugeflossenen Arbeitsentgelt zu beurteilen hat (BSG, Urteil v. 14.7.2004, B 12 KR 1/04 R, SozR 4-2400 § 22 Nr. 2).
Es spricht jedoch gegenwärtig mehr dagegen als dafür, dass die Antragstellerin den im Prüfbescheid aufgeführten Arbeitnehmern höhere als die tatsächlich gezahlten Arbeitsentgelte geschuldet hat. Zunächst bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass einzelvertraglich von der tatsächlichen Entgeltzahlung abweichende Arbeitsentgelte vereinbart waren. Die Antragsgegnerin hat insoweit auch keine Feststellungen getroffen. Dementsprechend kommt es darauf an, ob der Antragsteller die für das Gaststätten- und Hotelgewerbe des Landes Nordrhein-Westfalen maßgebenden Tariflöhne hätte zahlen müssen. Im Einzelnen sind insoweit maßgebend die Entgelttarifverträge (Entgelt-TV) für das Gaststätten- und Hotelgewerbe des Landes Nordrhein-Westfalen vom 11.4.2006, gültig ab dem 1.4.2006, für allgemein verbindlich erklärt mit Wirkung vom 13.12.2006 für die Tarifgruppen (TG) 1 bis 3 aufgrund Allgemeinverbindlichkeitserklärung (AVE) vom 3.5.2007, sowie vom 19.02.2008, gültig ab 1.3.2008, für allgemein verbindlich erklärt mit Wirkung vom 1.3.2008 für die TG 1 und 2, für TG 2a mit Wirkung vom 1.9.2008 aufgrund AVE vom 5.9.2008. Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass der letztgenannte Entgelt-TV entgegen der Begründung des angefochtenen Bescheides hinsichtlich der TG 3 nach dem Wortlaut der Bekanntmachung der AVE nicht für allgemeinverbindlich erklärt worden ist.
Soweit ersichtlich, sind die genannten Entgelt-TVe nicht einzelvertraglich einbezogen worden. Es bestand auch keine Tarifbindung der Arbeitsvertragsparteien. Diese können dementsprechend nur aufgrund einer AVE nach § 5 Abs. 4 TVG von den Entgelt-TVen erfasst worden sein. Voraussetzung hierfür ist die Wirksamkeit der AVE. An dieser bestehen nach dem gegenwärtigen Sach- und Streitstand indessen erhebliche Zweifel.
Rechtsgrundlage für die AVE eines Tarifvertrages ist § 5 TVG. Diese Vorschrift ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und des Bundesarbeitsgerichts (BAG) verfassungskonform (vgl. BVerfG, Beschluss v. 15.7.1980, 1 BvR 24/74 und 1 BvR 439/79, BVerfGE 55, 7; BAG, Urteil v. 21.11.2007, 10 AZR 782/06, AP Nr. 297 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau). Die AVE von Tarifverträgen ist im Verhältnis zu den ohne sie nicht tarifgebundenen Arbeitgebern und Arbeitnehmern ein Rechtsetzungsakt eigener Art zwischen autonomer Regelung und staatlicher Rechtsetzung, der seine eigenständige Rechtsgrundlage in Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz (GG) findet (vgl. BVerfGE 55, 7, [20]). Der Gesetzgeber hat in § 5 TVG die Voraussetzungen für die AVE von Tarifverträgen nach Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend deutlich bestimmt (BVerfG, a.a.O.).
Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG ist Voraussetzung für eine AVE, dass die tarifgebundenen Arbeitgeber nicht weniger als 50 v.H. der unter den Geltungsbereich des TV fallenden Arbeitnehmer beschäftigen (sog. Beschäftigungsquorum). Ob diese Voraussetzung erfüllt ist, unterliegt der vollen arbeitsgerichtlichen Überprüfung (BAG, Urteil v. 28.3.1990, 4 AZR 536/89, NJW 1990, 3036 m.w.N.). Für das sozialgerichtliche Verfahren gilt nichts anderes (§ 103 Satz 1 SGG). Auch die prüfenden Rentenversicherungsträger haben den Sachverhalt insoweit von Amts wegen zu erforschen (§ 20 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch [SGB X]). Das gilt jedenfalls dann, wenn gegen die Wirksamkeit einer AVE, wie hier, substantiierte Einwände erhoben werden (vgl. zu diesem Gedanken BAG, Urteil v. 11.6.1975, 4 AZR 395/74, AP Nr. 29 zu § 2 TVG). Gewiss mag der Betriebsprüfer "vor Ort" mit einer solchen, mit erheblichem Aufwand verbundenen Prüfung überfordert sein. Das entbindet die Antragsgegnerin indessen nicht von ihrer Amtsermittlungspflicht, zu deren Erfüllung sie gegebenenfalls ihr Justitiariat oder entsprechende Dezernate einsetzen bzw. - soweit grundsätzliche Fragen angesprochen sind - eine Klärung durch die Deutsche Rentenversicherung Bund (vgl. § 138 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch) herbeiführen muss. Speziell für die Voraussetzungen einer AVE kommt auch die Einholung einer Auskunft des zuständigen Ministeriums in Betracht, das im vorliegenden Fall überdies Aufsichtsbehörde der Antragsgegnerin ist.
Um festzustellen, ob die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG vorliegen, bedarf es eines Vergleichs aller vom Geltungsbereich des für allgemeinverbindlich erklärten TV erfassten Arbeitnehmer (sog. "große Zahl") mit dem von den tarifgebundenen Arbeitgebern beschäftigten Arbeitnehmern (sog. "kleine Zahl"). Nach der im einstweiligen Rechtsschutz nur möglichen summarischen Prüfung bestehen erhebliche Zweifel daran, dass das erforderliche Quorum von 50 v.H. der "kleinen" an der "großen" Zahl hier erreicht ist. Das gilt sowohl hinsichtlich der AVE vom 3.5.2007 als auch der AVE v. 5.9.2008.
Hinsichtlich der AVE v. 3.5.2007 nimmt der Senat Bezug auf die Feststellungen des SG Aachen (Urteil v. 2.9.2011, S 6 R 130/09, juris und sozialgerichtsbarkeit.de). Das SG hat ausweislich der Entscheidungsgründe eine Auskunft des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (DEHOGA) NRW vom 27.11.2011 und eine Auskunft des Ministeriums für Arbeit, Integration und Soziales des Landes NRW vom 1.2.2011 eingeholt und aus dem Ergebnis dieser Auskünfte erhebliche Ermittlungsfehler des zuständigen Ministeriums abgeleitet. So ist z.B. die Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten zu Grunde gelegt worden ist, obwohl § 5 Abs. 1 TVG auf die Gesamtzahl der Arbeitnehmer (also einschließlich der nicht sozialversicherungspflichtig, z.B. nur geringfügig Beschäftigten) abstellt. Die Antragsgegnerin ist den Feststellungen des SG nicht entgegengetreten. Sie hat insbesondere keine in sich schlüssigen Berechnungsgrundlagen vorgelegt, die darauf schließen ließen, dass das Quorum erfüllt ist. Daher sprechen gegenwärtig die überwiegenden Argumente für eine Unwirksamkeit der AVE vom 3.5.2007.
Gleiches gilt für die AVE vom 5.9.2008. Der Senat nimmt insoweit Bezug auf die Feststellungen des Verwaltungsgerichts (VG) Düsseldorf im Urteil vom 16.11.2010 (Az. 3 K 8653/08, juris), auf die auch der Antragsteller zu Recht verweist. Das VG hat ermittelt, dass das zuständige Landesministerium zum einen auf eine veraltete (große) Zahl zurückgegriffen hat und diese dann fehlerhaft überprüft oder zumindest nicht ausreichend validiert. Denn nach den Feststellungen des VG hat das Ministerium die Zahl mit Angaben des statistischen Landesamtes Nordrhein-Westfalen abgeglichen, die wiederum nicht sozialversicherungspflichtige Beschäftigte außer Acht ließen. Dass die Entscheidung des VG nicht rechtskräftig ist, ist dabei unerheblich. Denn das ändert nichts an der Aussagekraft seiner tatsächlichen Feststellungen.
Darüber hinaus hat die Antragstellerin weitere gravierende Bedenken gegen die Ermittlung des Zahlenwerks vorgetragen, denen die Antragsgegnerin ebenfalls nicht substantiiert entgegengetreten ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung. Die Festsetzung des Streitwerts gemäß § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 1 und 2, 47 Abs. 1 Gerichtskostengesetz entspricht der ständigen Senatspraxis, im einstweiligen Rechtsschutz von einem Viertel des Hauptsachestreitwerts (Senat, Beschluss v. 27.7.2009, L 8 B 5/09 R ER, juris) auszugehen.
Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
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