Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 11 AS 864/12 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 AS 1790/12 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Mannheim vom 22. März 2012 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Der Antragsteller begehrt die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Der 1973 geborene Antragsteller ist polnischer Staatsgehöriger und beantragte bei der Antragsgegnerin zuletzt am 13.02.2012 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Zuvor im Februar 2008 und Juli 2011 gestellte Anträge lehnte der Antragsgegner (Bescheide vom 14.04.2008, 22.11.2011) ab. Der Antragsteller befand sich wegen einer Suchterkrankung mehrfach in stationärer Behandlung, lebte nach eigenen Angaben von August 2009 bis Juni 2010 in einer Suchthilfegemeinschaft in Frankfurt, war wegen einer Geldstrafe in Haft und wegen einer Gerichtsverhandlung nach Polen ausgewiesen worden. Er gab an, im Mai 2011 wieder von Polen in die Bundesrepublik Deutschland eingereist zu sein. Er legte der Antragsgegnerin eine Bescheinigung des SKM-Katholischer Verein für soziale Dienste, Heidelberg vom 06.02.2012 vor, wonach er über den SKM postalisch zu erreichen sei. Es erginge eine Mitteilung, wenn dies nicht mehr der Fall sei. Außerdem legte er eine Anmeldebestätigung der Stadt Heidelberg vom 16.01.2012 vor, wonach er seit dem 01.01.2012, von Frankfurt am Main kommend, unter der Adresse des SKM gemeldet ist. Darüber hinaus hat er einen Sozialversicherungsausweis vom 29.07.2011 vorgelegt. Die Fragen zur Anlage EK, Einkommenserklärung zur Feststellung der Einkommensverhältnisse, beantwortete der Antragsteller durch Ankreuzen sämtlich mit "nein".
Mit Bescheid vom 14.02.2012 lehnte die Antragsgegnerin die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II ab. Zur Begründung verwies sie auf § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II wonach Ausländerinnen und Ausländer, die sich gewöhnlich in der Bundesrepublik Deutschland aufhielten, grundsätzlich anspruchsberechtigt seien, soweit ihnen aufgrund arbeitsgenehmigungsrechtlicher Vorschriften der Zugang zum Arbeitsmarkt nicht verwehrt sei. Hiervon ausgenommen seien jedoch Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergebe. Der Staat Polen sei dem Europäischen Fürsorgeabkommen nicht beigetreten, weshalb der Antragsteller nicht zum anspruchsberechtigten Personenkreis gehöre. Mit dem hiergegen erhobenen Widerspruch machte der Antragsteller geltend im Mai 2011 von Polen kommend nach Deutschland eingereist zu sein. Er sei zunächst für kurze Zeit von Freunden aufgenommen worden, bis er wohnungslos geworden sei. Bis zu seiner stationären Aufnahme im PZN Wiesloch am 22.07.2011 habe er in Heidelberg und im Rhein-Neckar-Kreis auf der Straße gelebt. Nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus (05.09.2011) habe er wiederum bei Freunden wohnen können. In dieser Zeit habe er sich bemüht, Arbeit zu finden, was ihm nicht gelungen sei. Zudem sei seine gesundheitliche Verfassung sehr schlecht, weshalb er bis dato noch mehrfach medizinisch habe behandelt werden müssen (zum Teil auch stationär). Aus dem PZN Wiesloch (Einweisung dort am 07.02.2012) werde er voraussichtlich in der kommenden Woche entlassen. Er sei erwerbsfähig und auf Arbeitssuche und als polnischer Staatsbürger und EU-Bürger genieße er seit dem 30.04.2011 volle Arbeitnehmerfreizügigkeit in Deutschland.
Mit Widerspruchsbescheid vom 30.03.2012 wies die Antragsgegenerin den Widerspruch zurück. Sie verwies erneut auf den Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II. Der Antragsteller könne sich auch nicht auf das Europäische Fürsorgeabkommen (EFA) berufen, weil unabhängig davon, dass die Bundesrepublik Deutschland einen mit Wirkung zum 19.12.2011 in Kraft getretenen Vorbehalt gegen dieses Abkommen erklärt habe, Polen nicht zu den Vertragsstaaten des EFA gehöre. Es lasse sich auch kein anderes Aufenthaltsrecht im Sinne des § 2 Abs. 2 und 3 Freizügigkeitsgesetz/EU ableiten. Der Antragsteller gehe in Deutschland aktuell weder als Arbeitnehmer noch als Selbständiger einer Erwerbstätigkeit nach und sei auch in der Vergangenheit einer solchen nicht nachgegangen. Er habe somit keinen Arbeitsnehmerstatus in Deutschland begründet. Gegen den Widerspruchsbescheid hat der Antragsteller am 25.04.2012 Klage erhoben, die beim Sozialgericht Mannheim (SG) unter dem Aktenzeichen S 11 AS 1345/12 anhängig ist.
Zuvor hat der Kläger am 14.03.2012 beim SG den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel der Gewährung von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II beantragt. Er hat ausgeführt, derzeit in stationärer Behandlung und mittellos zu sein. Seine Entlassung stehe unmittelbar bevor. Er sei erwerbsfähig und auf Arbeitssuche. Als polnischer Staatsbürger und EU-Bürger genieße er seit dem 30.04.2011 volle Arbeitnehmerfreizügigkeit. Es sei auf Grundsicherungsleistungen nach SGB II angewiesen.
Die Antragsgegnerin ist dem Antrag entgegengetreten. Sie hat geltend gemacht, weder ein Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund lägen vor. Der Antragsteller sei ohne festen Wohnsitz und begehre Leistungen nach dem SGB II. Er sei gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 2 SGB II vom Leistungsbezug des SGB II ausgeschlossen.
Mit Beschluss vom 22.03.2012 hat das SG den Antrag abgelehnt. Es hat ausgeführt, es bestünden erhebliche Zweifel, ob der Antragsteller erwerbsfähig im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II sei. Er leide offensichtlich an einer schwerwiegenden Suchterkrankung, welche in den letzten Jahren mehrere und zum Teil mehrmonatige stationäre psychiatrische Behandlungen erforderlich gemacht hätten. Ob es schon deshalb an der Erwerbsfähigkeit des Antragstellers mangele, könne jedoch dahinstehen, weil nach summarischer Prüfung der Leistungsanspruch gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II ausgeschlossen sei. Diese Vorschrift sei anzuwenden und das erkennende Gericht sei von der Europarechtswidrigkeit der Vorschrift nicht überzeugt. Wegen der weiteren Begründung wird auf die Ausführungen im angefochten Beschluss verwiesen.
Gegen den ihm am 26.03.3012 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller mit einem beim SG am 24.04.2012 eingegangen Schreiben Beschwerde eingelegt. Der Antragsteller macht geltend, erwerbsfähig zu sein und nicht gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II vom Leistungsanspruch ausgeschlossen zu sein. Diese Vorschrift sei unionsrechtswidrig. Unzutreffend sei insbesondere die Annahme des Sozialgerichts, dass der Leistungsausschluss von Art. 24 Abs. 2 der Richtlinien 2004/38 EG nicht erfasst sei. Zudem verstoße die Vorschrift gegen die Verordnung (EG) Nr. 883/04 des Europäischen Parlaments und des Rats vom 29.04.2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit. Die Auffassung des SG widerspreche dem unionsrechtlichen Auslegungsgrundsatz des effet utile. Eine Einschränkung diese Grundsatzes nach der vom Sozialgericht vorgenommen historisch-systematischen sowie teleologischen Auslegung sei nicht zulässig.
Der Antragsteller teilte mit, zwischenzeitlich am 28.03.2012 aus der Klinik entlassen worden zu sein und wiederum unter der K. in H. postalisch erreichbar zu sein.
Er beantragt - teilweise sinngemäß -,
den Beschluss des Sozialgerichts Mannheim vom 22.03.2012 aufzuheben und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm bis zur Entscheidung der Hauptsache Leistungen gemäß SGB II in Höhe 374,- EUR monatlich seit 28.03.2012 zu zahlen, ferner für eine angemessene Miete aufzukommen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie ist der Beschwerde entgegengetreten und hält an ihrer bislang vertretenen Auffassung unter Bezugnahme auf die Entscheidung des SG fest.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogene Akte der Antragsgegnerin sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.
II.
Die unter Beachtung des § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegt Beschwerde des Antragsstellers ist zulässig. In der Sache ist die Beschwerde jedoch nicht begründet.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht der Fall des Absatz 1 des § 86b SGG vorliegt, eine einstweilige Anordnung im Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragsstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG). Vorliegend kommt nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Grundsätzlich soll wegen des vorläufigen Charakters der einstweiligen Anordnung die endgültige Entscheidung der Hauptsache nicht vorweggenommen werden. Wegen des Gebots, effektiven Rechtsschutz zu gewähren (vgl. Art. 9 Abs. 4 Grundgesetz), ist von diesem Grundsatz eine Abweichung nur dann geboten, wenn ohne die begehrte Anordnung schwere und unzumutbare, später nicht mehr gutzumachende Nachteile entstünden, zu deren Beseitigung eine nachfolgende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre. Unter Beachtung dieser Maßstäbe hat der Antragsteller einen (Anordnungs-) Anspruch nicht hinreichend glaubhaft gemacht.
Anspruchsgrundlage für das Begehren ist § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Danach erhalten Leistungen nach diesem Buch Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht haben (Nr. 1), erwerbsfähig sind (Nr. 2), hilfebedürftig sind (Nr. 3) und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (Nr. 4). Die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II sind bereits nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Es bestehen erhebliche Zweifel daran, dass der Antragsteller erwerbsfähig ist. Personen sind erwerbsfähig im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II, wenn sie nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedienungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 8 Abs. 1 SGB II). Wie das SG bereits dargelegt hat, leidet der Antragsteller offensichtlich an einer schwerwiegenden Suchterkrankung, welche mehrere und teilweise länger andauernde psychiatrische Behandlungen erforderlich machte. Aus der letzten stationären Behandlung wurde der Antragsteller am 28.03.2012 entlassen, ohne dass - trotz Aufforderung durch den Senat - ein Entlassungsbericht vorgelegt wurde. Insoweit ist die Erwerbsfähigkeit nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Da der Antragsteller auch weiterhin ohne festen Wohnsitz ist und nur postalisch über den SKM erreichbar ist, hegt der Senat erhebliche Zweifel daran, dass der Antragsteller derzeit tatsächlich in der Lage ist, regelmäßig einer wenigstens dreistündigen Beschäftigung nachzugehen.
Unabhängig davon steht dem geltend gemachten Anspruch auch nach Auffassung des Senats § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II entgegen, wonach vom grundsätzlich anspruchsberechtigten Personenkreis diejenigen Ausländer ausgenommen sind, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt. Der Antragsteller hält sich nach seinen Angaben allein zum Zweck der Arbeitsaufnahme in der Bundesrepublik Deutschland auf und ist deshalb von den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II ausgeschlossen. Einen anderen Grund des Aufenthaltes im Sinne des § 2 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU), der die Anwendbarkeit des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II hindern könnte, ist weder dargetan noch ersichtlich. Auf einen fortwirkenden Status als Arbeitnehmer (oder selbstständig Erwerbstätiger - vgl. § 2 Abs. 3 FreizügG/EU) kann sich der Antragsteller jedenfalls nicht berufen, weil er in der Bundesrepublik Deutschland weder abhängig beschäftigt noch selbstständig tätig war. Anderes hat der Antragsteller weder vorgetragen, noch ergeben sich sonst Anhaltspunkte dafür, dass er nach seiner Einreise im Mai 2011 eine Beschäftigung aufgenommen hatte.
Die Anwendung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II scheitert auch nicht daran, dass die Norm, wie der Antragsteller geltend macht, gegen europarechtliche Regelungen verstößt und deshalb unanwendbar ist. Es liegt weder ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot aus Art. 4 iVm Art. 70 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (im Folgenden: VO (EG) Nr. 883/2004) vor, die seit dem 01.10.2010 anwendbar ist, noch verstößt sie gegen Primärrecht der Union.
Art. 4 VO (EG) Nr. 883/2004 untersagt zwar jegliche auf die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedsstaates gestützte Diskriminierung einer in den Geltungsbereich der Verordnung fallenden Person in der sozialen Sicherheit als Ausfluss des primärrechtlich in Art. 21 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) verankerten Diskriminierungsverbotes unter EU-Bürgern. Die Norm gebietet somit, die sozialrechtlich geschuldete Leistung einem Angehörigen eines anderen Mitgliedsstaates unter denselben Voraussetzungen zu gewähren wie dem Staatsangehörigen des zuständigen Staates (vgl. Eichenhofer, in: Fuchs, Europäisches Sozialrecht, 5. Aufl. 2010, Art. 4 VO (EG) Nr. 883/2004, Rn. 1, Rn. 4 m.w.N.). Die Verordnung umfasst nach ihrem Art. 3 Abs. 3 auch besondere beitragsunabhängige Sozialleistungen, diese allerdings nur nach Maßgabe von Art. 70 VO (EG) Nr. 883/2004. Dieser bestimmt in Absatz 1, dass beitragsunabhängige Sozialleistungen solche sind, die auf Grund ihres persönlichen Geltungsbereichs, ihrer Ziele und/oder ihrer Anspruchsvoraussetzungen sowohl Merkmale der in Art. 3 Abs. 1 VO genannten, immer erfassten Sozialleistungen als auch Merkmale der Sozialhilfe aufweisen. Die weiteren, konkreten Anforderungen sind in Art. 70 Abs. 2 VO (EG) Nr. 883/2004 genannt, unter denen auch das Arbeitslosengeld II nach dem deutschen SGB II subsumiert werden kann und es ist von der Bundesrepublik benannt und ausdrücklich als erfasste Leistung in Anlage X Buchst. b) zu Art. 70 VO (EG) Nr. 883/2004 aufgenommen worden (Art. 70 Abs. 2 lit. c). Eine Beschränkung des Gleichbehandlungsgebotes ist aber nur insoweit vorgesehen, als die Art. 70 VO unterliegenden besonderen beitragsunabhängigen Leistungen nicht in einen anderen Mitgliedsstaat exportiert werden dürfen (Art. 70 Abs. 4 VO (EG) Nr. 883/2004). Der teilweise Geltungsausschluss nach Art. 70 Abs. 3 VO umfasst auch nicht das Gleichbehandlungsgebot aus Art. 4 VO (EG) Nr. 883/2004.
Soweit hieraus der Schluss gezogen wird, der Ausschluss in § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II verstoße gegen diese Vorschriften der Verordnung, in deren Anwendungsbereich der Antragsteller als Unionsbürger im Übrigen ohne Zweifel fällt, folgt der Senat dem nicht und schließt sich nach eigener Prüfung der Sach- und Rechtslage insoweit den Ausführungen des 3. Senats des Landessozialgerichts Baden-Württemberg (Urteil vom 16.05.2012, L 3 AS 1477/11 - in Juris - m.w.N. zum Meinungsstand) an. Denn Art. 4 VO (EG) Nr. 883/2004 tritt hinter die Regelung des in Art. 24 Abs. 2 Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (FreizügRL) zurück, der seinerseits eine nationalstaatliche Regelung über den Ausschluss von EU-Bürgern von Leistungen nach dem SGB II zulässt.
Der 3. Senat (a.a.O., dort Rz 73ff) führt hierzu Folgendes aus: "Grundsätzlich ordnet Art. 24 Abs. 1 FreizügRL an, dass vorbehaltlich spezifischer und ausdrücklich im Vertrag und im abgeleiteten Recht vorgesehener Bestimmungen jeder Unionsbürger, der sich aufgrund dieser Richtlinie im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats aufhält, im Anwendungsbereich des Vertrags die gleiche Behandlung wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats genießt und dass sich dieses Recht auf Gleichbehandlung auch auf Familienangehörige erstreckt, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und das Recht auf Aufenthalt oder das Recht auf Daueraufenthalt genießen. Diese Vorschrift sagt nichts Anderes als Art. 4 VO (=VO (EG) Nr. 883/2004). Jedoch sieht Art. 24 Abs. 2 FreizügRL eine Ausnahme von diesem Grundsatz vor. Diese Vorschrift lautet: "Abweichend von Absatz 1 ist der Aufnahmemitgliedstaat jedoch nicht verpflichtet, anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbstständigen, Personen, denen dieser Status erhalten bleibt, und ihren Familienangehörigen während der ersten drei Monate des Aufenthalts oder gegebenenfalls während des längeren Zeitraums nach Artikel 14 Absatz 4 Buchstabe b) einen Anspruch auf Sozialhilfe oder vor Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt Studienbeihilfen, einschließlich Beihilfen zur Berufsausbildung, in Form eines Stipendiums oder Studiendarlehens, zu gewähren". Diese Vorschrift erlaubt den Mitgliedsstaaten, auch alle diejenigen an sich freizügigkeitsberechtigten Unionsbürger von dem Bezug von "Sozialhilfe" auszuschließen, die nicht Arbeitnehmer, Selbstständige oder Personen mit fortgesetztem Arbeitnehmer- oder Selbstständigenstatus oder Familienangehöriger einer solchen Person sind. Dies hat der deutsche Gesetzgeber getan. Zur Sozialhilfe in diesem Sinne zählt auch die Regelleistung und die Leistungen für Unterkunft und Heizung nach §§ 20, 22 SGB II (so auch LSG Baden-Württemberg, Beschl. v. 22.02.2010, L 13 AS 356/10 ER-B, und v. 15.04.2010, L 13 AS 1124/10 ER-B, beide nach juris; a.A. - die Eigenschaft als Sozialhilfe anzweifelnd - dagegen LSG Baden-Württemberg, Beschl. v. 25.08.2010, L 7 AS 3769/10 ER-B, Juris Rn. 13). Abzustellen ist hier auf den Inhalt, den Zweck und die Ausgestaltung der jeweiligen Leistung, und zwar ausgehend von der Sozialhilfe alten Rechts, die von Art. 24 Abs. 2 FreizügRL zweifellos erfasst wurde. Hierbei ist allerdings der Zweck der Leistung nach ihren Ergebnissen und nicht nach ihrer formalen Struktur zu bestimmen (EuGH, Urt. v. 04.06.2009, Rs. C 22/08 und C 23/08 - Vatsouras/Koupatantze - Juris Rn. 41 f.). Die genannten Leistungen nach dem SGB II sind in der Nachfolge des zum Ende 2004 aufgehobenen Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) zur Sicherung des Lebensunterhalts eingeführt worden. Ihnen fehlt - anders als etwa den Eingliederungsleistungen nach dem SGB II - der spezifische Bezug zum Arbeitsmarkt, der für einen Vorrang der VO gegenüber der FreizügRL spräche. Sie unterscheiden sich in Höhe und Art nicht von den entsprechenden Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII), denen ausdrücklich ein Bezug zum Arbeitsmarkt fehlt. Auch die Leistungen nach dem SGB II sind steuerfinanziert. Entsprechend hat im Übrigen auch das BSG in dem Urteil vom 19.10.2010 (a.a.O., Rn. 32) die genannten Leistungen nach dem SGB II als "Fürsorgeleistungen" Art. 1 EFA eingestuft und ausdrücklich an der speziellen Regelung zur deutschen "Sozialhilfe" in Anhang I zum EFA gemessen (a.a.O., Rn. 34). Dies zeigt, dass auch das BSG die genannten Leistungen eher als Sozialhilfe zur allgemeinen Sicherung des Lebensunterhalts einstuft denn als Leistungen zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt. Mit dieser Einschätzung weicht der Senat nicht von dem genannten Urteil des EuGH vom 04.06.2009 ab. Der EuGH hat dort entschieden, dass für lediglich Arbeitssuchende nur ein Anspruch auf solche Leistungen bestehen muss, die den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern sollen, sofern eine hinreichend tragfähige Beziehung zu dem (jeweiligen) Arbeitsmarkt festgestellt werden kann (a.a.O., Rn. 33 ff., 38; vgl. Thie/Schoch, LPK-SGB II, 4. Aufl. 2011, § 7 Rn. 31 m.w.N.), und er hat es offen gelassen, ob diese Voraussetzung für die genannten Leistungen nach dem SGB II vorliegt. Eine europarechtliche Einstufung nationalstaatlicher Leistungen wäre auch kaum möglich, nachdem die entsprechenden Regelungen in den Mitgliedsstaaten höchst unterschiedlich sind und es ggfs. auch von Zufälligkeiten abhängt, wie die Leistungen nationalstaatlich eingeordnet sind. So wäre z. B. eine Person mit einem Restleistungsvermögen von unter drei Stunden täglich, der aber eine entsprechende Erwerbstätigkeit ausübt, europarechtlich ein Arbeitnehmer, könnte aber wegen § 8 Abs. 1 SGB II (aufstockende) Leistungen nicht nach dem SGB II, sondern womöglich nach dem SGB XII erhalten.
Art. 24 Abs. 2 FreizügRL hat auch Vorrang gegenüber Art. 4 VO. Der Senat schließt sich in diesem Punkt dem Beschluss des LSG Berlin-Brandenburg vom 03.04.2012 (L 5 AS 2157/11 B ER, L 5 AS 2177/11 B PKH, Juris Rn. 9) an. Hiernach sprechen zwar bei isolierter Betrachtung die Regelungen der VO für einen Gleichbehandlungsanspruch aller Unionsbürger auch hinsichtlich der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Jedoch ist § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II in Verbindung mit Art. 24 Abs. 2 FreizügRL als speziellere Regelung anwendbar. Im Recht der Europäischen Union sind sekundärrechtliche Normenkollisionen nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen "lex posterior derogat legi priori" und "lex specialis derogat legi generali" zu lösen (Nettesheim, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Stand Mai 2008, Art. 249 EGV Rn. 234). Die Anwendung des erstgenannten Rechtsgrundsatzes ist im vorliegenden Fall ausgeschlossen, da von einer früheren und einer späteren Regelung keine Rede sein kann. Die Richtlinie 2004/38/EG (FreizügRL) und die VO (EG) 883/2004 (VO) wurden am selben Tag erlassen, nämlich am 29.04.2004. An dieser Ausgangslage hat sich auch durch den späten Erlass der Durchführungsverordnungen zur VO nichts geändert. Diese Durchführungsverordnungen haben die VO zwar erst anwendbar gemacht. Sie enthalten aber keine Regelungen, die der Anwendung des Art. 24 Abs. 2 FreizügRL entgegenstehen. Auch soweit Art. 70 VO i.V.m. Anl. X zur VO die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ausdrücklich als besondere beitragsunabhängige Leistungen einstuft, steht das der Anwendung des § 24 Abs. 2 FreizügRL nicht entgegen. Diese Einstufung galt bereits nach der Vorgängerregelung des Art. 10a in Verbindung mit Anlage IIa der Wanderarbeitnehmerverordnung. Gleichwohl hat der EuGH in seiner bereits erwähnten Entscheidung vom 04.06.2009 (Vatsouras/Koupatantze) die Ausschlussregelung des Art. 24 Abs. 2 FreizügRL nicht für unanwendbar gehalten. Vor diesem Hintergrund ist sie gegenüber dem Gleichbehandlungsgebot aus Art. 4 VO als speziellere Vorschrift anzusehen. Die FreizügRL enthält insoweit ein eigenständiges Regelungswerk. Während die VO allgemeine Vorschriften zur Koordinierung der sozialen Sicherungssysteme beinhaltet, regelt die FreizügRL das Aufenthaltsrecht der Unionsbürger. In Art. 24 Abs. 1 FreizügRL ist auch das Gleichbehandlungsgebot gesondert geregelt. Hierzu stellt Art. 24 Abs. 2 eine Ausnahmevorschrift dar. Sie ist erforderlich, weil das Aufenthaltsrecht einerseits unter anderem schon tatbestandlich davon abhängt, dass Sozialhilfeleistungen nicht oder nicht unangemessen in Anspruch genommen werden (Art. 7 Abs. 1 Buchst. b und c, 12 Abs. 2, 14 Abs. 1 FreizügRL), andererseits aber die Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen gemäß Art. 14 Abs. 3 FreizügRL nicht automatisch zu einer Ausweisung führen darf. Auch aus einem anderen Grunde ist Art. 24 Abs. 2 FreizügRL als speziellere Regelung einzustufen: Diese Regelung betrifft - nur - Arbeitnehmer und Selbstständige, während die VO alle Unionsbürger erfasst. Dies spricht dafür, dass Sozialleistungen im Bereich der Arbeitssuche abschließend in der FreizügRL geregelt sein sollen."
Unter Berücksichtigung dessen ist der Antragsteller von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ausgeschlossen. Denn es besteht auch kein Zweifel, dass er von dem Anwendungsbereich des Art. 24 Abs. 2 FreizügRL erfasst wird. Bei Antragstellung war der Antragsteller weder Arbeitnehmer noch Selbstständiger, noch konnte er sich auf die Aufrechterhaltung eines solchen Status berufen. Wegen Art. 24 Abs. 2 iVm Art. 14 Abs. 4 lit. b) FreizügRL bleibt er selbst dann von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen, wenn er sich bereits mehr als 3 Monate in Deutschland aufhielt. Denn Art. 14 Abs. 4 lit. b) FreizügRL knüpft wiederum an den Status als Arbeitssuchender an. Art. 24 Abs. 2 FreizügRL verstößt auch nicht seinerseits gegen europäisches Primärrecht, vgl. EuGH, Urteil v. 04.06.2009, C-22/08, C-23/08, a.a.O.).
Der Antragsteller kann sich schließlich nicht auf das Gleichbehandlungsgebot des Art. 1 des Europäischen Fürsorgeabkommens (EFA) berufen. Er wird vom Schutzbereich des EFA nicht erfasst, weil Polen den Vertrag dieses Abkommens bislang nicht ratifiziert hat.
Einen Verstoß gegen den Grundsatz des effet utile vermag der Senat bei der Abgrenzung des Anwendungsbereiches von Art. 4 VO (EG) Nr. 883/2004 und Art. 24 Abs. 2 FreizügRL nicht zu erkennen. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH sind "bei der Auslegung einer Gemeinschaftsvorschrift nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden". Nach Auffassung des EuGH ist die Bedeutung von Gemeinschaftsrecht "unter Rückgriff auf die allgemein anerkannten Auslegungsgrundsätze" zu ermitteln; entscheidend ist der "Wille" der Urheber der zu interpretierenden Rechtsvorschriften (vgl. hierzu ausführlich LSG Berlin-Brandenburg 22.06.2012, L 29 AS 1252/12 B ER mit Verweis auf Potacs, "Effet utile als Auslegungsgrundsatz" in EuR 2009, 465, 471 und Beschluss LSG Berlin-Brandenburg v. 10.05.2012, L 20 AS 802/12 B ER).
Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Der Antragsteller begehrt die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Der 1973 geborene Antragsteller ist polnischer Staatsgehöriger und beantragte bei der Antragsgegnerin zuletzt am 13.02.2012 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Zuvor im Februar 2008 und Juli 2011 gestellte Anträge lehnte der Antragsgegner (Bescheide vom 14.04.2008, 22.11.2011) ab. Der Antragsteller befand sich wegen einer Suchterkrankung mehrfach in stationärer Behandlung, lebte nach eigenen Angaben von August 2009 bis Juni 2010 in einer Suchthilfegemeinschaft in Frankfurt, war wegen einer Geldstrafe in Haft und wegen einer Gerichtsverhandlung nach Polen ausgewiesen worden. Er gab an, im Mai 2011 wieder von Polen in die Bundesrepublik Deutschland eingereist zu sein. Er legte der Antragsgegnerin eine Bescheinigung des SKM-Katholischer Verein für soziale Dienste, Heidelberg vom 06.02.2012 vor, wonach er über den SKM postalisch zu erreichen sei. Es erginge eine Mitteilung, wenn dies nicht mehr der Fall sei. Außerdem legte er eine Anmeldebestätigung der Stadt Heidelberg vom 16.01.2012 vor, wonach er seit dem 01.01.2012, von Frankfurt am Main kommend, unter der Adresse des SKM gemeldet ist. Darüber hinaus hat er einen Sozialversicherungsausweis vom 29.07.2011 vorgelegt. Die Fragen zur Anlage EK, Einkommenserklärung zur Feststellung der Einkommensverhältnisse, beantwortete der Antragsteller durch Ankreuzen sämtlich mit "nein".
Mit Bescheid vom 14.02.2012 lehnte die Antragsgegnerin die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II ab. Zur Begründung verwies sie auf § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II wonach Ausländerinnen und Ausländer, die sich gewöhnlich in der Bundesrepublik Deutschland aufhielten, grundsätzlich anspruchsberechtigt seien, soweit ihnen aufgrund arbeitsgenehmigungsrechtlicher Vorschriften der Zugang zum Arbeitsmarkt nicht verwehrt sei. Hiervon ausgenommen seien jedoch Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergebe. Der Staat Polen sei dem Europäischen Fürsorgeabkommen nicht beigetreten, weshalb der Antragsteller nicht zum anspruchsberechtigten Personenkreis gehöre. Mit dem hiergegen erhobenen Widerspruch machte der Antragsteller geltend im Mai 2011 von Polen kommend nach Deutschland eingereist zu sein. Er sei zunächst für kurze Zeit von Freunden aufgenommen worden, bis er wohnungslos geworden sei. Bis zu seiner stationären Aufnahme im PZN Wiesloch am 22.07.2011 habe er in Heidelberg und im Rhein-Neckar-Kreis auf der Straße gelebt. Nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus (05.09.2011) habe er wiederum bei Freunden wohnen können. In dieser Zeit habe er sich bemüht, Arbeit zu finden, was ihm nicht gelungen sei. Zudem sei seine gesundheitliche Verfassung sehr schlecht, weshalb er bis dato noch mehrfach medizinisch habe behandelt werden müssen (zum Teil auch stationär). Aus dem PZN Wiesloch (Einweisung dort am 07.02.2012) werde er voraussichtlich in der kommenden Woche entlassen. Er sei erwerbsfähig und auf Arbeitssuche und als polnischer Staatsbürger und EU-Bürger genieße er seit dem 30.04.2011 volle Arbeitnehmerfreizügigkeit in Deutschland.
Mit Widerspruchsbescheid vom 30.03.2012 wies die Antragsgegenerin den Widerspruch zurück. Sie verwies erneut auf den Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II. Der Antragsteller könne sich auch nicht auf das Europäische Fürsorgeabkommen (EFA) berufen, weil unabhängig davon, dass die Bundesrepublik Deutschland einen mit Wirkung zum 19.12.2011 in Kraft getretenen Vorbehalt gegen dieses Abkommen erklärt habe, Polen nicht zu den Vertragsstaaten des EFA gehöre. Es lasse sich auch kein anderes Aufenthaltsrecht im Sinne des § 2 Abs. 2 und 3 Freizügigkeitsgesetz/EU ableiten. Der Antragsteller gehe in Deutschland aktuell weder als Arbeitnehmer noch als Selbständiger einer Erwerbstätigkeit nach und sei auch in der Vergangenheit einer solchen nicht nachgegangen. Er habe somit keinen Arbeitsnehmerstatus in Deutschland begründet. Gegen den Widerspruchsbescheid hat der Antragsteller am 25.04.2012 Klage erhoben, die beim Sozialgericht Mannheim (SG) unter dem Aktenzeichen S 11 AS 1345/12 anhängig ist.
Zuvor hat der Kläger am 14.03.2012 beim SG den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel der Gewährung von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II beantragt. Er hat ausgeführt, derzeit in stationärer Behandlung und mittellos zu sein. Seine Entlassung stehe unmittelbar bevor. Er sei erwerbsfähig und auf Arbeitssuche. Als polnischer Staatsbürger und EU-Bürger genieße er seit dem 30.04.2011 volle Arbeitnehmerfreizügigkeit. Es sei auf Grundsicherungsleistungen nach SGB II angewiesen.
Die Antragsgegnerin ist dem Antrag entgegengetreten. Sie hat geltend gemacht, weder ein Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund lägen vor. Der Antragsteller sei ohne festen Wohnsitz und begehre Leistungen nach dem SGB II. Er sei gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 2 SGB II vom Leistungsbezug des SGB II ausgeschlossen.
Mit Beschluss vom 22.03.2012 hat das SG den Antrag abgelehnt. Es hat ausgeführt, es bestünden erhebliche Zweifel, ob der Antragsteller erwerbsfähig im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II sei. Er leide offensichtlich an einer schwerwiegenden Suchterkrankung, welche in den letzten Jahren mehrere und zum Teil mehrmonatige stationäre psychiatrische Behandlungen erforderlich gemacht hätten. Ob es schon deshalb an der Erwerbsfähigkeit des Antragstellers mangele, könne jedoch dahinstehen, weil nach summarischer Prüfung der Leistungsanspruch gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II ausgeschlossen sei. Diese Vorschrift sei anzuwenden und das erkennende Gericht sei von der Europarechtswidrigkeit der Vorschrift nicht überzeugt. Wegen der weiteren Begründung wird auf die Ausführungen im angefochten Beschluss verwiesen.
Gegen den ihm am 26.03.3012 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller mit einem beim SG am 24.04.2012 eingegangen Schreiben Beschwerde eingelegt. Der Antragsteller macht geltend, erwerbsfähig zu sein und nicht gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II vom Leistungsanspruch ausgeschlossen zu sein. Diese Vorschrift sei unionsrechtswidrig. Unzutreffend sei insbesondere die Annahme des Sozialgerichts, dass der Leistungsausschluss von Art. 24 Abs. 2 der Richtlinien 2004/38 EG nicht erfasst sei. Zudem verstoße die Vorschrift gegen die Verordnung (EG) Nr. 883/04 des Europäischen Parlaments und des Rats vom 29.04.2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit. Die Auffassung des SG widerspreche dem unionsrechtlichen Auslegungsgrundsatz des effet utile. Eine Einschränkung diese Grundsatzes nach der vom Sozialgericht vorgenommen historisch-systematischen sowie teleologischen Auslegung sei nicht zulässig.
Der Antragsteller teilte mit, zwischenzeitlich am 28.03.2012 aus der Klinik entlassen worden zu sein und wiederum unter der K. in H. postalisch erreichbar zu sein.
Er beantragt - teilweise sinngemäß -,
den Beschluss des Sozialgerichts Mannheim vom 22.03.2012 aufzuheben und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm bis zur Entscheidung der Hauptsache Leistungen gemäß SGB II in Höhe 374,- EUR monatlich seit 28.03.2012 zu zahlen, ferner für eine angemessene Miete aufzukommen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie ist der Beschwerde entgegengetreten und hält an ihrer bislang vertretenen Auffassung unter Bezugnahme auf die Entscheidung des SG fest.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogene Akte der Antragsgegnerin sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.
II.
Die unter Beachtung des § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegt Beschwerde des Antragsstellers ist zulässig. In der Sache ist die Beschwerde jedoch nicht begründet.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht der Fall des Absatz 1 des § 86b SGG vorliegt, eine einstweilige Anordnung im Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragsstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG). Vorliegend kommt nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Grundsätzlich soll wegen des vorläufigen Charakters der einstweiligen Anordnung die endgültige Entscheidung der Hauptsache nicht vorweggenommen werden. Wegen des Gebots, effektiven Rechtsschutz zu gewähren (vgl. Art. 9 Abs. 4 Grundgesetz), ist von diesem Grundsatz eine Abweichung nur dann geboten, wenn ohne die begehrte Anordnung schwere und unzumutbare, später nicht mehr gutzumachende Nachteile entstünden, zu deren Beseitigung eine nachfolgende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre. Unter Beachtung dieser Maßstäbe hat der Antragsteller einen (Anordnungs-) Anspruch nicht hinreichend glaubhaft gemacht.
Anspruchsgrundlage für das Begehren ist § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Danach erhalten Leistungen nach diesem Buch Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht haben (Nr. 1), erwerbsfähig sind (Nr. 2), hilfebedürftig sind (Nr. 3) und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (Nr. 4). Die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II sind bereits nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Es bestehen erhebliche Zweifel daran, dass der Antragsteller erwerbsfähig ist. Personen sind erwerbsfähig im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II, wenn sie nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedienungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 8 Abs. 1 SGB II). Wie das SG bereits dargelegt hat, leidet der Antragsteller offensichtlich an einer schwerwiegenden Suchterkrankung, welche mehrere und teilweise länger andauernde psychiatrische Behandlungen erforderlich machte. Aus der letzten stationären Behandlung wurde der Antragsteller am 28.03.2012 entlassen, ohne dass - trotz Aufforderung durch den Senat - ein Entlassungsbericht vorgelegt wurde. Insoweit ist die Erwerbsfähigkeit nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Da der Antragsteller auch weiterhin ohne festen Wohnsitz ist und nur postalisch über den SKM erreichbar ist, hegt der Senat erhebliche Zweifel daran, dass der Antragsteller derzeit tatsächlich in der Lage ist, regelmäßig einer wenigstens dreistündigen Beschäftigung nachzugehen.
Unabhängig davon steht dem geltend gemachten Anspruch auch nach Auffassung des Senats § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II entgegen, wonach vom grundsätzlich anspruchsberechtigten Personenkreis diejenigen Ausländer ausgenommen sind, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt. Der Antragsteller hält sich nach seinen Angaben allein zum Zweck der Arbeitsaufnahme in der Bundesrepublik Deutschland auf und ist deshalb von den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II ausgeschlossen. Einen anderen Grund des Aufenthaltes im Sinne des § 2 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU), der die Anwendbarkeit des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II hindern könnte, ist weder dargetan noch ersichtlich. Auf einen fortwirkenden Status als Arbeitnehmer (oder selbstständig Erwerbstätiger - vgl. § 2 Abs. 3 FreizügG/EU) kann sich der Antragsteller jedenfalls nicht berufen, weil er in der Bundesrepublik Deutschland weder abhängig beschäftigt noch selbstständig tätig war. Anderes hat der Antragsteller weder vorgetragen, noch ergeben sich sonst Anhaltspunkte dafür, dass er nach seiner Einreise im Mai 2011 eine Beschäftigung aufgenommen hatte.
Die Anwendung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II scheitert auch nicht daran, dass die Norm, wie der Antragsteller geltend macht, gegen europarechtliche Regelungen verstößt und deshalb unanwendbar ist. Es liegt weder ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot aus Art. 4 iVm Art. 70 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (im Folgenden: VO (EG) Nr. 883/2004) vor, die seit dem 01.10.2010 anwendbar ist, noch verstößt sie gegen Primärrecht der Union.
Art. 4 VO (EG) Nr. 883/2004 untersagt zwar jegliche auf die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedsstaates gestützte Diskriminierung einer in den Geltungsbereich der Verordnung fallenden Person in der sozialen Sicherheit als Ausfluss des primärrechtlich in Art. 21 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) verankerten Diskriminierungsverbotes unter EU-Bürgern. Die Norm gebietet somit, die sozialrechtlich geschuldete Leistung einem Angehörigen eines anderen Mitgliedsstaates unter denselben Voraussetzungen zu gewähren wie dem Staatsangehörigen des zuständigen Staates (vgl. Eichenhofer, in: Fuchs, Europäisches Sozialrecht, 5. Aufl. 2010, Art. 4 VO (EG) Nr. 883/2004, Rn. 1, Rn. 4 m.w.N.). Die Verordnung umfasst nach ihrem Art. 3 Abs. 3 auch besondere beitragsunabhängige Sozialleistungen, diese allerdings nur nach Maßgabe von Art. 70 VO (EG) Nr. 883/2004. Dieser bestimmt in Absatz 1, dass beitragsunabhängige Sozialleistungen solche sind, die auf Grund ihres persönlichen Geltungsbereichs, ihrer Ziele und/oder ihrer Anspruchsvoraussetzungen sowohl Merkmale der in Art. 3 Abs. 1 VO genannten, immer erfassten Sozialleistungen als auch Merkmale der Sozialhilfe aufweisen. Die weiteren, konkreten Anforderungen sind in Art. 70 Abs. 2 VO (EG) Nr. 883/2004 genannt, unter denen auch das Arbeitslosengeld II nach dem deutschen SGB II subsumiert werden kann und es ist von der Bundesrepublik benannt und ausdrücklich als erfasste Leistung in Anlage X Buchst. b) zu Art. 70 VO (EG) Nr. 883/2004 aufgenommen worden (Art. 70 Abs. 2 lit. c). Eine Beschränkung des Gleichbehandlungsgebotes ist aber nur insoweit vorgesehen, als die Art. 70 VO unterliegenden besonderen beitragsunabhängigen Leistungen nicht in einen anderen Mitgliedsstaat exportiert werden dürfen (Art. 70 Abs. 4 VO (EG) Nr. 883/2004). Der teilweise Geltungsausschluss nach Art. 70 Abs. 3 VO umfasst auch nicht das Gleichbehandlungsgebot aus Art. 4 VO (EG) Nr. 883/2004.
Soweit hieraus der Schluss gezogen wird, der Ausschluss in § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II verstoße gegen diese Vorschriften der Verordnung, in deren Anwendungsbereich der Antragsteller als Unionsbürger im Übrigen ohne Zweifel fällt, folgt der Senat dem nicht und schließt sich nach eigener Prüfung der Sach- und Rechtslage insoweit den Ausführungen des 3. Senats des Landessozialgerichts Baden-Württemberg (Urteil vom 16.05.2012, L 3 AS 1477/11 - in Juris - m.w.N. zum Meinungsstand) an. Denn Art. 4 VO (EG) Nr. 883/2004 tritt hinter die Regelung des in Art. 24 Abs. 2 Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (FreizügRL) zurück, der seinerseits eine nationalstaatliche Regelung über den Ausschluss von EU-Bürgern von Leistungen nach dem SGB II zulässt.
Der 3. Senat (a.a.O., dort Rz 73ff) führt hierzu Folgendes aus: "Grundsätzlich ordnet Art. 24 Abs. 1 FreizügRL an, dass vorbehaltlich spezifischer und ausdrücklich im Vertrag und im abgeleiteten Recht vorgesehener Bestimmungen jeder Unionsbürger, der sich aufgrund dieser Richtlinie im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats aufhält, im Anwendungsbereich des Vertrags die gleiche Behandlung wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats genießt und dass sich dieses Recht auf Gleichbehandlung auch auf Familienangehörige erstreckt, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und das Recht auf Aufenthalt oder das Recht auf Daueraufenthalt genießen. Diese Vorschrift sagt nichts Anderes als Art. 4 VO (=VO (EG) Nr. 883/2004). Jedoch sieht Art. 24 Abs. 2 FreizügRL eine Ausnahme von diesem Grundsatz vor. Diese Vorschrift lautet: "Abweichend von Absatz 1 ist der Aufnahmemitgliedstaat jedoch nicht verpflichtet, anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbstständigen, Personen, denen dieser Status erhalten bleibt, und ihren Familienangehörigen während der ersten drei Monate des Aufenthalts oder gegebenenfalls während des längeren Zeitraums nach Artikel 14 Absatz 4 Buchstabe b) einen Anspruch auf Sozialhilfe oder vor Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt Studienbeihilfen, einschließlich Beihilfen zur Berufsausbildung, in Form eines Stipendiums oder Studiendarlehens, zu gewähren". Diese Vorschrift erlaubt den Mitgliedsstaaten, auch alle diejenigen an sich freizügigkeitsberechtigten Unionsbürger von dem Bezug von "Sozialhilfe" auszuschließen, die nicht Arbeitnehmer, Selbstständige oder Personen mit fortgesetztem Arbeitnehmer- oder Selbstständigenstatus oder Familienangehöriger einer solchen Person sind. Dies hat der deutsche Gesetzgeber getan. Zur Sozialhilfe in diesem Sinne zählt auch die Regelleistung und die Leistungen für Unterkunft und Heizung nach §§ 20, 22 SGB II (so auch LSG Baden-Württemberg, Beschl. v. 22.02.2010, L 13 AS 356/10 ER-B, und v. 15.04.2010, L 13 AS 1124/10 ER-B, beide nach juris; a.A. - die Eigenschaft als Sozialhilfe anzweifelnd - dagegen LSG Baden-Württemberg, Beschl. v. 25.08.2010, L 7 AS 3769/10 ER-B, Juris Rn. 13). Abzustellen ist hier auf den Inhalt, den Zweck und die Ausgestaltung der jeweiligen Leistung, und zwar ausgehend von der Sozialhilfe alten Rechts, die von Art. 24 Abs. 2 FreizügRL zweifellos erfasst wurde. Hierbei ist allerdings der Zweck der Leistung nach ihren Ergebnissen und nicht nach ihrer formalen Struktur zu bestimmen (EuGH, Urt. v. 04.06.2009, Rs. C 22/08 und C 23/08 - Vatsouras/Koupatantze - Juris Rn. 41 f.). Die genannten Leistungen nach dem SGB II sind in der Nachfolge des zum Ende 2004 aufgehobenen Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) zur Sicherung des Lebensunterhalts eingeführt worden. Ihnen fehlt - anders als etwa den Eingliederungsleistungen nach dem SGB II - der spezifische Bezug zum Arbeitsmarkt, der für einen Vorrang der VO gegenüber der FreizügRL spräche. Sie unterscheiden sich in Höhe und Art nicht von den entsprechenden Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII), denen ausdrücklich ein Bezug zum Arbeitsmarkt fehlt. Auch die Leistungen nach dem SGB II sind steuerfinanziert. Entsprechend hat im Übrigen auch das BSG in dem Urteil vom 19.10.2010 (a.a.O., Rn. 32) die genannten Leistungen nach dem SGB II als "Fürsorgeleistungen" Art. 1 EFA eingestuft und ausdrücklich an der speziellen Regelung zur deutschen "Sozialhilfe" in Anhang I zum EFA gemessen (a.a.O., Rn. 34). Dies zeigt, dass auch das BSG die genannten Leistungen eher als Sozialhilfe zur allgemeinen Sicherung des Lebensunterhalts einstuft denn als Leistungen zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt. Mit dieser Einschätzung weicht der Senat nicht von dem genannten Urteil des EuGH vom 04.06.2009 ab. Der EuGH hat dort entschieden, dass für lediglich Arbeitssuchende nur ein Anspruch auf solche Leistungen bestehen muss, die den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern sollen, sofern eine hinreichend tragfähige Beziehung zu dem (jeweiligen) Arbeitsmarkt festgestellt werden kann (a.a.O., Rn. 33 ff., 38; vgl. Thie/Schoch, LPK-SGB II, 4. Aufl. 2011, § 7 Rn. 31 m.w.N.), und er hat es offen gelassen, ob diese Voraussetzung für die genannten Leistungen nach dem SGB II vorliegt. Eine europarechtliche Einstufung nationalstaatlicher Leistungen wäre auch kaum möglich, nachdem die entsprechenden Regelungen in den Mitgliedsstaaten höchst unterschiedlich sind und es ggfs. auch von Zufälligkeiten abhängt, wie die Leistungen nationalstaatlich eingeordnet sind. So wäre z. B. eine Person mit einem Restleistungsvermögen von unter drei Stunden täglich, der aber eine entsprechende Erwerbstätigkeit ausübt, europarechtlich ein Arbeitnehmer, könnte aber wegen § 8 Abs. 1 SGB II (aufstockende) Leistungen nicht nach dem SGB II, sondern womöglich nach dem SGB XII erhalten.
Art. 24 Abs. 2 FreizügRL hat auch Vorrang gegenüber Art. 4 VO. Der Senat schließt sich in diesem Punkt dem Beschluss des LSG Berlin-Brandenburg vom 03.04.2012 (L 5 AS 2157/11 B ER, L 5 AS 2177/11 B PKH, Juris Rn. 9) an. Hiernach sprechen zwar bei isolierter Betrachtung die Regelungen der VO für einen Gleichbehandlungsanspruch aller Unionsbürger auch hinsichtlich der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Jedoch ist § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II in Verbindung mit Art. 24 Abs. 2 FreizügRL als speziellere Regelung anwendbar. Im Recht der Europäischen Union sind sekundärrechtliche Normenkollisionen nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen "lex posterior derogat legi priori" und "lex specialis derogat legi generali" zu lösen (Nettesheim, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Stand Mai 2008, Art. 249 EGV Rn. 234). Die Anwendung des erstgenannten Rechtsgrundsatzes ist im vorliegenden Fall ausgeschlossen, da von einer früheren und einer späteren Regelung keine Rede sein kann. Die Richtlinie 2004/38/EG (FreizügRL) und die VO (EG) 883/2004 (VO) wurden am selben Tag erlassen, nämlich am 29.04.2004. An dieser Ausgangslage hat sich auch durch den späten Erlass der Durchführungsverordnungen zur VO nichts geändert. Diese Durchführungsverordnungen haben die VO zwar erst anwendbar gemacht. Sie enthalten aber keine Regelungen, die der Anwendung des Art. 24 Abs. 2 FreizügRL entgegenstehen. Auch soweit Art. 70 VO i.V.m. Anl. X zur VO die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ausdrücklich als besondere beitragsunabhängige Leistungen einstuft, steht das der Anwendung des § 24 Abs. 2 FreizügRL nicht entgegen. Diese Einstufung galt bereits nach der Vorgängerregelung des Art. 10a in Verbindung mit Anlage IIa der Wanderarbeitnehmerverordnung. Gleichwohl hat der EuGH in seiner bereits erwähnten Entscheidung vom 04.06.2009 (Vatsouras/Koupatantze) die Ausschlussregelung des Art. 24 Abs. 2 FreizügRL nicht für unanwendbar gehalten. Vor diesem Hintergrund ist sie gegenüber dem Gleichbehandlungsgebot aus Art. 4 VO als speziellere Vorschrift anzusehen. Die FreizügRL enthält insoweit ein eigenständiges Regelungswerk. Während die VO allgemeine Vorschriften zur Koordinierung der sozialen Sicherungssysteme beinhaltet, regelt die FreizügRL das Aufenthaltsrecht der Unionsbürger. In Art. 24 Abs. 1 FreizügRL ist auch das Gleichbehandlungsgebot gesondert geregelt. Hierzu stellt Art. 24 Abs. 2 eine Ausnahmevorschrift dar. Sie ist erforderlich, weil das Aufenthaltsrecht einerseits unter anderem schon tatbestandlich davon abhängt, dass Sozialhilfeleistungen nicht oder nicht unangemessen in Anspruch genommen werden (Art. 7 Abs. 1 Buchst. b und c, 12 Abs. 2, 14 Abs. 1 FreizügRL), andererseits aber die Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen gemäß Art. 14 Abs. 3 FreizügRL nicht automatisch zu einer Ausweisung führen darf. Auch aus einem anderen Grunde ist Art. 24 Abs. 2 FreizügRL als speziellere Regelung einzustufen: Diese Regelung betrifft - nur - Arbeitnehmer und Selbstständige, während die VO alle Unionsbürger erfasst. Dies spricht dafür, dass Sozialleistungen im Bereich der Arbeitssuche abschließend in der FreizügRL geregelt sein sollen."
Unter Berücksichtigung dessen ist der Antragsteller von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ausgeschlossen. Denn es besteht auch kein Zweifel, dass er von dem Anwendungsbereich des Art. 24 Abs. 2 FreizügRL erfasst wird. Bei Antragstellung war der Antragsteller weder Arbeitnehmer noch Selbstständiger, noch konnte er sich auf die Aufrechterhaltung eines solchen Status berufen. Wegen Art. 24 Abs. 2 iVm Art. 14 Abs. 4 lit. b) FreizügRL bleibt er selbst dann von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen, wenn er sich bereits mehr als 3 Monate in Deutschland aufhielt. Denn Art. 14 Abs. 4 lit. b) FreizügRL knüpft wiederum an den Status als Arbeitssuchender an. Art. 24 Abs. 2 FreizügRL verstößt auch nicht seinerseits gegen europäisches Primärrecht, vgl. EuGH, Urteil v. 04.06.2009, C-22/08, C-23/08, a.a.O.).
Der Antragsteller kann sich schließlich nicht auf das Gleichbehandlungsgebot des Art. 1 des Europäischen Fürsorgeabkommens (EFA) berufen. Er wird vom Schutzbereich des EFA nicht erfasst, weil Polen den Vertrag dieses Abkommens bislang nicht ratifiziert hat.
Einen Verstoß gegen den Grundsatz des effet utile vermag der Senat bei der Abgrenzung des Anwendungsbereiches von Art. 4 VO (EG) Nr. 883/2004 und Art. 24 Abs. 2 FreizügRL nicht zu erkennen. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH sind "bei der Auslegung einer Gemeinschaftsvorschrift nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden". Nach Auffassung des EuGH ist die Bedeutung von Gemeinschaftsrecht "unter Rückgriff auf die allgemein anerkannten Auslegungsgrundsätze" zu ermitteln; entscheidend ist der "Wille" der Urheber der zu interpretierenden Rechtsvorschriften (vgl. hierzu ausführlich LSG Berlin-Brandenburg 22.06.2012, L 29 AS 1252/12 B ER mit Verweis auf Potacs, "Effet utile als Auslegungsgrundsatz" in EuR 2009, 465, 471 und Beschluss LSG Berlin-Brandenburg v. 10.05.2012, L 20 AS 802/12 B ER).
Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).
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