L 11 R 1789/12 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 2 R 714/12 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 1789/12 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Aus Bulgarien angeworbene Betreuungskräfte, die an private Haushalte "vermittelt" werden, können bei der Firma, die die "Vermittlung" vornimmt, abhängig beschäftigt sein.
Die Anmeldung eines Gewerbes durch die Beschäftigten und die Vergütung der Beschäftigten in Form von Rechnungen setzen eine selbständige Tätigkeit voraus, begründen aber für sich allein keine solche.
Der Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 22.03.2012 wird aufgehoben. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird für das Antrags- und Beschwerdeverfahren auf 35.745,99 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Beitragsbescheid vom 02.11.2011.

Die Antragstellerin war eine GmbH, die im Jahr 2008 gegründet wurde. Geschäftsführer waren D. Sch., Physiker, und seine Tochter, A. Sch., gelernte Krankenschwester. Der im Handelsregister eingetragene Geschäftsgegenstand war die Unternehmensberatung (HRB 7 ...). Im März 2011 wurde die Gesellschaft aufgelöst, der Geschäftsbetrieb wurde eingestellt. Die bisherigen Geschäftsführer wurden zu Liquidatoren bestellt. Im Insolvenzeröffnungsverfahren wurden mit Beschluss des Amtsgerichts Esslingen vom 20.12.2011 (5 IN 441/11) ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt und Sicherungsmaßnahmen angeordnet.

Die Antragstellerin warb in Bulgarien Personen an (bzw ließ sie dort anwerben) und vermittelte diese an deutsche Haushalte zur Betreuung alter oder kranker Menschen. Die Antragstellerin schloss mit den Betreuten (jedenfalls ab Oktober 2008) Verträge, die als "Betreuungsverträge" bezeichnet wurden. So wurde zB im Vertrag mit der zu Betreuenden I. R. vom 31.07.2009 (Blatt 111 ff der Ermittlungsakte Band 2) nach dessen Vorbemerkung das "Dreiecksverhältnis" zwischen der Antragstellerin, dem Betreuten und der betreuenden Person, die als "Dienstleisterin" bezeichnet wurde, geregelt. In § 1 der Vereinbarung wurden die Leistungen der Betreuungskraft beschrieben (Haushaltsführung, Unterstützung bei allen Aktivitäten des täglichen Lebens, Hilfe bei der Grundpflege und den Toilettengängen, Zubereitung von Mahlzeiten, Putzen, Waschen, Gestaltung der Freizeit). Über diese Leistungen habe die Betreuungskraft einen separaten Vertrag mit dem Betreuten als "Auftraggeber" abgeschlossen. Die Betreuungskraft habe ein angemeldetes Gewerbe und sei selbständig und eigenverantwortlich tätig. In § 2 der Vereinbarung wurden die Leistungen der Antragstellerin aufgelistet. Danach leiste die Antragstellerin der Betreuungskraft Unterstützung bei der Gewerbe-, Krankenkassen- und Finanzamtsanmeldung sowie beim Vertragsabschluss zwischen ihr und dem Betreuten. Sie erstellte außerdem die Rechnung für die Betreuungskraft an den Betreuten. Sie verpflichte sich, die anfallenden Steuern und Sozialabgaben für die Dienstleisterin abzuführen. Zu den weiteren Aufgaben der Antragstellerin gehörte die Betreuung der Betreuungskraft und des Betreuten, sowie die Schlichtung bei Problemen des Alltags und Unklarheiten aus dem Dienstleistungsvertrag. Weiter sind die Unterstützung der Betreuten bei der Suche nach einer "Ersatz-Dienstleisterin" sowie ein Besuch pro Woche im Haushalt des Betreuten durch eine examinierte Altenpflegerin der Antragstellerin vereinbart. Als Kosten sind unter § 3 der Vereinbarung die "Vergütung für die Dienstleistung gemäß dem Dienstleistungsvertrag" einschließlich Steuern, Sozialabgaben, die Kosten für die Betreuung und Verwaltung durch die Antragstellerin (in § 3 des Betreuungsvertrags E. R. vom 03.01.2009, Blatt 193 der Ermittlungsakte Band 2: Kosten für "Koordination und Kontrolle durch eine examinierte Altenpflegerin") und die Kosten für die Betreuung durch "I." in Bulgarien im Einzelnen konkret beziffert. Weiter ist vereinbart, dass die Fahrtkosten für die Hin- und Rückfahrt von Bulgarien nach Ulm die Betreute zu tragen habe, wobei die Betreuungskraft alle sechs bis acht Wochen nach Bulgarien fahren können solle.

Ab Januar 2010 schloss die Antragstellerin statt der genannten "Betreuungsverträge" Verträge mit den Betreuten, die als "Koordinationsverträge" bezeichnet wurden. Im Vertrag mit H. J. (Blatt 170ff der Ermittlungsakte Band 2) wurde zB in den §§ 1 und 2 die Leistungen der Antragstellerin sowie die hierfür anfallenden Kosten geregelt. Zu den Leistungen der Betreuungskraft sind keine Bestimmungen enthalten.

Zwischen den Betreuungskräften und den Betreuten wurden "Dienstleistungsverträge" abgeschlossen. In dem einzigen aktenkundigen Vertrag vom 05.05.2009 (Blatt 7 in Band 3 der Ermittlungsordner) wurde in § 1 geregelt, dass die Antragstellerin die Betreuungskraft bei Behördengängen unterstütze und bei Unklarheiten des Dienstleistungsvertrages und der Erfüllung der Aufgaben zwischen den Vertragspartnern vermittle. Die Betreuungskraft erklärte ihr Einverständnis damit, dass die Antragstellerin gegenüber den Betreuten die Leistungen der Betreuungskraft abrechnet und die Bezahlung entgegennimmt. Das Nettogehalt werde der Betreuungskraft auf ein Privatkonto in Bulgarien überwiesen. Inhalt des Dienstleistungsvertrages und deren Erfüllung, sowie Terminabsprachen und Bezahlung würden nur zwischen den Vertragspartnern geregelt. Absprachen hierüber mit der Antragstellerin seien ungültig. Im weiteren werden der Leistungsumfang der Betreuungskraft (§ 2), die Arbeitszeit (§ 3), die Bezahlung (§§ 4 ff) und Kündigungsmodalitäten (§ 8) geregelt. Die Betreuungskraft erhalte 26,50 EUR als Nettotagessatz. Sollte sie ihre Dienstleistung aus einem Grund, den sie nicht zu verantworten habe, nicht erbringen können, erhalte sie für weitere 5 Arbeitstage den vollen Tagessatz. Die Bezahlung von Steuern und Sozialabgaben erfolge für die Betreuungskraft durch die Antragstellerin. Der Betreuende übernehme die Kosten der An- und Abreise von Bulgarien zum Einsatzort alle zwei Monate. Bei Unterbrechung der Dienstleistung, die durch die Betreuungskraft oder ihr persönliches Umfeld verursacht worden sei, erhalte sie keine Bezahlung und habe keinen Anspruch auf Unterkunft und Verpflegung. Bei Krankheit oder Abwesenheit der Betreuungskraft bemühe sich die Antragstellerin um einen kurzfristigen Ersatz. Bei mangelhafter Leistung war vereinbart, dass der Betreute die Antragstellerin beauftrage, bei der Problemlösung zu vermitteln. Die Betreuungskraft sollte eine Woche Zeit zur Nachbesserung haben. Bei weiterhin nicht zufriedenstellender Leistung konnte der Vertrag von dem Betreuten gekündigt werden.

Schriftliche Verträge zwischen den Betreuungskräften und der Antragstellerin liegen nicht vor. Aus den Akten geht hervor, dass die Antragstellerin für die Betreuungskräfte Gewerbeanmeldungen ("Betreuerin") und Meldungen beim Einwohnermelde- und Finanzamt vornahm. Die Verträge zwischen den Betreuungskräften und den Betreuten bereitete die Antragstellerin vor. Außerdem stellte sie die Leistungen im Namen der Betreuungskräfte den Betreuten in Rechnung. In den Rechnungen war das Konto der Antragstellerin oder das Konto der B. M. benannt, für das die Antragstellerin verfügungsberechtigt war. Die Vergütung wurde den Betreuungskräften von der Antragtellerin bar ausgezahlt oder auf ein Konto in Bulgarien überwiesen. Für ihre eigenen Leistungen stellte die Antragstellerin gesonderte Rechnungen in eigenem Namen aus. Die Anzahl der Tage, an denen die Betreuungskräfte arbeiteten, die Einnahmen, das gezahlte Honorar, die abgeführten Beiträge zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung sowie Steuern hielt die Antragstellerin in "Einsatzplänen" fest. Zudem wurden von der Antragstellerin Pläne darüber geführt, welche Betreuungskraft in welchem Zeitraum bei welchem Betreuten tätig war ("Dienstplan").

Nach einer Betriebsprüfung nach § 28p Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) hinsichtlich des Zeitraums vom 01.10.2008 bis 30.04.2010 und einer Anhörung der Antragstellerin forderte die Antragsgegnerin von der Antragstellerin mit Bescheid vom 02.11.2011 die Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen nebst Säumniszuschlägen in Höhe von insgesamt 71.491,97 EUR. Die im Einzelnen benannten "Dienstleisterinnen" seien sozialversicherungspflichtig in der Renten-, Arbeitslosen-, Kranken- und Pflegeversicherung. Sie stünden in Beschäftigungsverhältnissen zur Antragstellerin. Hiergegen legte die Antragstellerin am 02.12.2011 Widerspruch ein und beantragte, die sofortige Vollziehung auszusetzen. Mit Bescheid vom 01.02.2012 lehnte die Antragsgegnerin die Vollziehungsaussetzung ab.

Am 10.01.2012 wurde von der Staatsanwaltschaft Stuttgart (183 Js 350/10) Anklage gegen die Geschäftsführer der Antragstellerin wegen Vorenthaltung von Sozialversicherungsbeiträgen und Beschäftigung ohne EU-Arbeitserlaubnis erhoben.

Am 08.02.2012 hat die Antragstellerin einstweiligen Rechtsschutz beim Sozialgericht Stuttgart (SG) beantragt. Zur Begründung hat sie vorgetragen, der Bescheid vom 02.11.2011 sei rechtswidrig, da die Antragstellerin nur als Vermittlerin und nicht als Arbeitgeberin tätig gewesen sei. Die Betreuungskräfte seien nicht bei der Antragstellerin beschäftig gewesen. Diese hätten weder der Antragstellerin ihre Arbeitskraft geschuldet noch während der Ausführung ihrer Dienstleistung unter der Leitung der Antragstellerin gestanden. Die Dienstleistungsverträge hätten die Betreuungskräfte mit den Betreuten selbst ausgehandelt. Sie hätten sich auf Deutsch verständigen können. Die Antragstellerin habe keinen Einfluss auf die Verhandlungen gehabt. Die Antragstellerin habe die Ankunft der Betreuungskräfte koordiniert. Sie hätten schon in Bulgarien die Informationen erhalten und selbst entscheiden können, wann und zu welchen Familien sie kommen möchten. Sie seien auch in der Gestaltung ihrer Tätigkeit frei gewesen. Eine Eingliederung in den Betrieb der Antragstellerin sei nicht erfolgt. Die "Dienstpläne" hätten der Koordination der Vermittlung gedient und seien für die Abrechnung der Servicepauschalen notwendig gewesen. Die Betreuungskräfte seien freiwillig kranken- und pflegeversichert sowie unfall- und haftpflichtversichert gewesen. Die Versicherungsbeiträge seien nicht von der Antragstellerin getragen worden. Die Betreuungskräfte hätten außerdem Aufträge anderer Dienstleistungsunternehmen in Anspruch genommen. Bei einer Nichtzahlung des Betreuten habe die Betreuungskraft kein Honorar erhalten. Sie habe das Risiko des Vergütungsausfalls getragen. Sie habe auch die Fahrtkosten selbst übernehmen müssen, wenn sie keine andere Vereinbarung mit dem Betreuten getroffen habe. Die Betreuungskräfte hätten ihre Tätigkeit beim Gewerbeamt angemeldet. Anspruch auf Urlaubs- oder Krankengeld habe nicht bestanden.

Mit Beschluss vom 22.03.2012 hat das SG die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Bescheid vom 02.11.2011 angeordnet und zur Begründung ausgeführt, es bestünden zwar keine wesentlichen Zweifel daran, dass die Betreuungskräfte keine selbständige Tätigkeit ausgeübt hätten. Zweifelhaft sei jedoch, ob ein Beschäftigungsverhältnis zwischen den Betreuungskräften und der Antragstellerin bestanden habe. Zwar sei ungewöhnlich, dass der Tätigkeitsumfang von der Antragstellerin als Vermittlerin festgelegt worden sei. Aus den aktenkundigen Verträgen ließe sich jedoch nicht ableiten, dass die Betreuungskräfte gegenüber der Antragstellerin zur Erbringung einer Arbeitsleistung verpflichtet gewesen seien. Dies sei aber Voraussetzung für die Annahme eines Beschäftigungsverhältnisses. Anhaltspunkte dafür, dass die schriftlichen Vereinbarungen tatsächlich anders gelebt worden seien, lägen nicht vor. Die "Dienstpläne" und "Einsatzpläne" sprächen nicht zwingend für Weisungen seitens der Antragstellerin. Die Unterlagen ließen sich mit Beschäftigungsverhältnissen zwischen den Betreuungskräften und den Betreuten vereinbaren. Auch die aktenkundigen E-Mails stünden dem nicht zwingend entgegen.

Am 27.04.2012 hat die Antragsgegenerin Beschwerde beim Landessozialgericht (LSG) eingelegt und zur Begründung vorgetragen, es lägen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 02.11.2011 vor. Gegen eine Selbständigkeit der Betreuungskräfte spreche, dass der Preis für ihre Tätigkeit nicht ausgehandelt, sondern von der Antragstellerin vorgegeben worden sei. Auch die Höhe der Vergütung (Tagessatz von 26,50 EUR) spreche gegen paritätisch ausgehandelte Vertragsbedingungen. Die Betreuungskräfte seien weder werbend für ihre Tätigkeit in Erscheinung getreten noch unterhielten sie einen festen Bürositz. Im Rahmen der staatsanwaltlichen Ermittlungen habe sich gezeigt, dass vielen die Bedeutung einer Gewerbeanmeldung unbekannt sei. Aufgrund fehlender sprach- und betriebswirtschaftlicher Kenntnisse sei ihnen die Führung eines selbständigen Gewerbes gar nicht möglich gewesen. Gegen eine abhängige Beschäftigung zur Antragstellerin spreche nicht, dass die Betreuungskräfte nicht ihr gegenüber weisungsabhängig gewesen seien. Denn ein Arbeitgeber könne sein Weisungsrecht auf Dritte, hier die Betreuten, übertragen. Anweisungen habe es ohnehin nicht bedurft. Denn die Art und Weise der Pflege gebe der Betreute bzw die Betreuungssituation vor. Im Bereich der Pflege sei eine hohe Eigenverantwortlichkeit der Pflegeperson gerade typisch. Die Rechnungen seien zwar im Namen der Betreuungskräfte erstellt worden. Allerdings habe die Antragstellerin die Rechnungen ausgestellt und die Entgelte entgegengenommen. Die umfangreiche Begleitung der Dienstleisterinnen durch die Antragstellerin zeige sich auch an dem für die Vermittlung geforderten Betrag von 9,50 EUR pro Arbeitstag. Eine reine Vermittlungsleistung beschränke sich auf die Erhebung einer einmaligen Vermittlungsgebühr. Hinzu komme, dass sich die Antragstellerin verpflichtet habe, einmal pro Woche eine examinierte Altenpflegerin in den Haushalt des Betreuten zu schicken. Hierdurch werde die Antragstellerin in die Pflegeleistung mit involviert. Dies stelle sicherlich auch eine gewisse Kontrolle der Betreuungskräfte dar. Die Antragstellerin habe sich außerdem verpflichtet, eine "Ersatzdienstleiterin" zu stellen. Dadurch werde deutlich, dass die Antragstellerin die kontinuierliche Betreuung schulde. Dies ergebe sich auch aus dem Vorhandensein von Dienstplänen bzw Einsatzplänen. Die bestehende persönliche Bindung der Betreuungskraft zum Betreuten stünde einer abhängigen Beschäftigung zur Antragstellerin nicht entgegen. Gleiches gelte für die Möglichkeit der Betreuungskraft, einen angebotenen Pflegefall abzulehnen. Im Übrigen ließen die E-Mails auf eine Weisungsgebundenheit der Betreuungskräfte schließen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 22.03.2012 aufzuheben und den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 02.11.2011 abzulehnen.

Die Antragstellerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung für zutreffend und verweist auf ihren Vortrag im Widerspruchsverfahren.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Antragsgegnerin Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist nach § 172 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft, insbesondere nicht nach § 172 Abs 3 Nr 1 SGG ausgeschlossen, da angesichts des Beschwerdewerts auch in der Hauptsache die Berufung zulässig wäre. Die Beschwerde ist zudem form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 173 SGG).

Die Beschwerde ist auch begründet. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Beitragsbescheid vom 02.11.2011 ist nicht anzuordnen.

Zutreffend ist das SG davon ausgegangen, dass der Widerspruch nicht bereits kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung hat. Nach § 86a Abs 1 SGG haben Widerspruch und Anfechtungsklage zwar grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Diese entfällt jedoch gemäß § 86a Abs 2 Nr 1 SGG bei der Entscheidung über Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten sowie der Anforderung von Beiträgen, Umlagen und sonstigen öffentlichen Abgaben einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten. Zu den Entscheidungen, die unter § 86a Abs 2 Nr 1 SGG fallen, gehören auch Bescheide des Rentenversicherungsträgers, die - wie hier - auf der Grundlage von § 28p SGB IV nach einer Prüfung beim Arbeitgeber ergehen (Beschlüsse des Senats vom 11.05.2010, L 11 KR 1125/10 ER-B, mwN und vom 29.07.2010, L 11 R 2595/10 ER-B, beide veröffentlicht in juris).

Die Frage, ob die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage aufgrund von § 86b Abs 1 Nr 2 SGG anzuordnen ist, ist anhand einer Interessenabwägung zu beurteilen. Die öffentlichen Interessen am sofortigen Vollzug des Verwaltungsaktes und die privaten Interessen an der Aussetzung der Vollziehung sind gegeneinander abzuwägen. Dabei ist zu beachten, dass das Gesetz mit dem Ausschluss der aufschiebenden Wirkung dem öffentlichen Interesse einer sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheids Vorrang vor dem Interesse des Betroffenen an einem Aufschub der Vollziehung einräumt. Diese typisierend zu Lasten des Einzelnen ausgestaltete Interessenabwägung kann aber auch im Einzelfall zugunsten des Betroffenen ausfallen. Die konkreten gegeneinander abzuwägenden Interessen ergeben sich in der Regel aus den konkreten Erfolgsaussichten des Hauptsachverfahrens, dem konkreten Vollziehungsinteresse und der für die Dauer einer möglichen aufschiebenden Wirkung drohenden Rechtsbeeinträchtigung (st Rspr des Senats; vgl Beschlüsse vom 06.05.2010, L 11 R 1806/10 ER-B, und 11.05.2010, L 11 KR 1125/10 ER-B, veröffentlicht in juris). Dabei sind auch stets die Maßstäbe des § 86a Abs 3 Satz 2 SGG zu berücksichtigen. Demgemäß hat eine Aussetzung der Vollziehung zu erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgabepflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

Der Senat geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass bei Beitragsstreitigkeiten ernstliche Zweifel in Sinne des § 86a Abs 3 Satz 2 SGG nur dann vorliegen, wenn ein Obsiegen des Antragstellers in der Hauptsache wahrscheinlicher ist als ein Unterliegen (vgl auch Beschluss des Senats vom 28.06.2010, L 11 R 1903/10 ER-B, nv). Andernfalls wäre in Beitragsangelegenheiten angesichts der vielfach in vorläufigen Rechtsschutzverfahren noch ungeklärten Verhältnisse eine Aussetzung der Vollziehung häufig nicht durchsetzbar, was die Funktionsfähigkeit der Sozialversicherungsträger beeinträchtigen könnte (ebenso LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 01.07.2004, L 5 B 2/04 KR ER mwN, juris). Insoweit müssen erhebliche Gründe für ein Obsiegen in der Hauptsache sprechen, damit die in § 86a Abs 2 Nr 1 SGG vorgenommene gesetzliche Risikoverteilung geändert werden kann.

Nach dem gegenwärtigen Stand ist es für den Senat nicht überwiegend wahrscheinlich, dass der Widerspruch der Antragstellerin gegen den Bescheid vom 02.11.2011 Erfolg haben wird.

Rechtsgrundlage für den streitgegenständlichen Bescheid ist § 28p SGB IV. Nach Abs 1 dieser Vorschrift prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten nach dem SGB IV, die im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag stehen, ordnungsgemäß erfüllen; sie prüfen insbesondere die Richtigkeit der Beitragszahlungen und der Meldungen mindestens alle vier Jahre. Die Prüfung soll in kürzeren Zeitabständen erfolgen, wenn der Arbeitgeber dies verlangt. Die Einzugsstelle unterrichtet den für den Arbeitgeber zuständigen Träger der Rentenversicherung, wenn sie eine alsbaldige Prüfung bei dem Arbeitgeber für erforderlich hält. Die Prüfung umfasst auch die Lohnunterlagen der Beschäftigten, für die Beiträge nicht gezahlt wurden. Die Träger der Rentenversicherung erlassen im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern; insoweit gelten § 28h Absatz 2 SGB IV sowie § 93 in Verbindung mit § 89 Absatz 5 des Zehnten Buches nicht.

Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist § 7 Abs 1 SGB IV. Danach ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (zur Verfassungsmäßigkeit der Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit vgl BVerfG 20.05.1996, 1 BvR 21/96, SozR 3-2400 § 7 Nr 11). Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung (st Rspr BSG, vgl ua BSG 28.05.2005, B 12 KR 13/07 R, juris).

Nach im Eilverfahren gebotener, aber auch ausreichender summarischer Prüfung bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes. Zwischen den Betreuungskräften und der Antragstellerin bestanden abhängige Beschäftigungsverhältnisse. Die Tätigkeit der Antragstellerin erschöpfte sich nicht in einer bloßen Vermittlung der Betreuungskräfte.

Zwar haben die Antragstellerin und die Betreuten einerseits sowie die Betreuungskräfte und die Betreuten andererseits jeweils schriftlich vereinbart, dass die Betreuungskräfte in Ausübung eines selbständigen Gewerbes eigenverantwortlich tätig werden. Zudem haben die Betreuungskräfte jeweils ein Gewerbe angemeldet und ihre Vergütung den Betreuten unter Ansatz von Mehrwertsteuer in Rechnungen gestellt. Diese Gesichtspunkte sind jedoch für die Abgrenzung zwischen abhängiger und selbständiger Tätigkeit ohne Bedeutung. Die Bewertung einer Tätigkeit als abhängige Beschäftigung bzw selbständige Tätigkeit kann ebenso wenig wie das Bestehen oder Nichtbestehen von Sozialversicherungspflicht vertraglich vereinbart werden. Die Anmeldung eines Gewerbes und die Vergütung in Form von Rechnungen setzen eine selbständige Tätigkeit voraus, begründen aber für sich allein keine solche. Maßgeblich ist vielmehr das Gesamtbild, das sich nach den tatsächlichen Verhältnissen bestimmt. Danach überwiegen nach derzeitiger Sachlage die Indizien für eine abhängige Beschäftigung eindeutig.

Gewichtiger Hinweis auf eine nichtselbständige Tätigkeit ist der Umstand, dass die Vergütungen für die Betreuungskräfte von den Betreuten an die Antragstellerin gezahlt wurden. In den aktenkundigen Rechnungen der Betreuungskräfte wurde entweder das Konto der Antragstellerin oder das Konto der B. M. angegeben, für das die Antragstellerin nach den Ermittlungen des Hauptzollamts verfügungsberechtigt war. Die Vergütung floss mithin der Antragstellerin zu. Diesem Zahlungsvorgang stimmte die Betreuungskraft in dem aktenkundigen "Dienstleistungsvertrag" mit dem Betreuten ausdrücklich zu. Dadurch begab sich die Betreuungskraft in eine finanzielle Abhängigkeit zur Antragstellerin.

Als Indiz für eine abhängige Beschäftigung ist des Weiteren anzuführen, dass die Betreuungskraft nicht selbst werbend für das Zustandekommen eines Betreuungsauftrags auftrat, sondern von einer Zuteilung eines zu Betreuenden durch die Antragstellerin abhängig war. Diese führte Dienst- und Einsatzpläne und verfügte damit über die Arbeitskraft der Betreuungskräfte. Der Einsatz der Betreuungskräfte bei den Betreuten erfolgte durch Koordination der Antragstellerin (vgl E-Mail vom 09.04.2010, Blatt 326 der Ermittlungsakte Band 3), was einen Beleg für eine Eingliederung darstellt. Die Antragstellerin gab damit den Arbeitsort und die Dauer des Arbeitseinsatzes vor. Die Betreuungskraft konnte zwar nach dem Vortrag der Antragstellerin einen Betreuungseinsatz oder dessen Verlängerung ablehnen. Dies allein begründet jedoch nicht die Annahme einer selbständigen Tätigkeit.

Für eine Eingliederung in den Betrieb der Antragstellerin spricht außerdem, dass sich die Antragstellerin nach den Betreuungs- bzw Kooperationsverträgen zu Hausbesuchen durch eine examinierte Altenpflegerin verpflichtete. Somit standen die Leistungen der Betreuungskräfte unter der Aufsicht und Kontrolle durch die Antragstellerin (so ausdrücklich in § 3 des Betreuungsvertrags E. R. vom 03.01.2009, Blatt 193 der Ermittlungsakte Band 2). Die Antragstellerin verpflichtete sich außerdem, Unterstützung bei der Suche nach einer "Ersatz-Dienstleisterin" zu leisten. Unter anderem hierfür erhielt die Antragstellerin von den Betreuten einen Betrag von 285,00 EUR pro Monat. Daran wird deutlich, dass die Antragstellerin Vertragspartnerin in Bezug auf eine kontinuierliche Betreuung der alten und kranken Menschen war. Dementsprechend bezeichnete die Antragstellerin den Vertrag mit dem Betreuten zu Beginn auch "Betreuungsvertrag". Die eigentliche Arbeitsleistung ließ die Antragstellerin von den Betreuungskräften erbringen. Insoweit unterschied sie sich nicht von einem Pflegedienstleister mit angestellten Pflegekräften.

Das für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis typische Weisungsrecht des Arbeitgebers findet sich in den zwischen der Antragstellerin und den "Dienstleisterinnen" geschlossenen Verträgen, wonach zu den "Aufgaben" der Antragstellerin auch die "Schlichtung" bei Problemen des Alltags und bei Unklarheiten des mit der zu betreuenden Person geschlossenen Dienstverträgen. Darunter kann unschwer eine Befugnis der Antragstellerin verstanden werden, einseitige und verbindliche Regelungen gegenüber der "Dienstleisterin" zu treffen.

Gegen eine selbständige Tätigkeit spricht ferner, dass die Betreuungskraft nach dem aktenkundigen "Dienstleistungsvertrag" Anspruch auf Fortzahlung ihrer Vergütung für fünf weitere Tage hatte, wenn sie aus einem Grund, den sie nicht zu verantworten hatte, ihre Dienstleistung nicht erbringen konnte. Dieser von der Antragstellerin als "Lohnfortzahlung" benannte Umstand (E-Mail vom 16.03.2010, Blatt 322 der Ermittlungsakte Band 3), ist mit dem Unternehmerrisiko eines selbständigen Tätigen nicht vereinbar. Die Kündigungsmöglichkeit des Betreuten im Fall von Schlechtleistungen ist ebenfalls kein Indiz für ein Unternehmerrisiko, weil eine solche Haftung für Schlechtleistung, wenn auch eingeschränkt, Arbeitnehmer gleichermaßen trifft. Nur bei Unterbrechungen, die in der Person der Betreuungskraft lagen, trug sie das Ausfallrisiko (§ 6 des "Dienstleistungsvertrags"). Gegen unternehmerisches Handeln der Betreuungskräfte spricht weiter, dass sie ihre Vergütung weder mit der Antragstellerin noch mit den Betreuten individuell aushandelten. Durch den Einsatz der von der Antragstellerin erstellten Muster-Betreuungsverträge und den mangelnden Deutschkenntnissen der Betreuungskräfte (vgl Vernehmungen der M. B. und I. M., Blatt 8 und 9 des Schlussberichts des Hauptzollamts) war es ihnen nicht möglich, die wirtschaftliche Verwertung ihrer Arbeitskraft selbst zu steuern. Sie erhielten einen im Vertragstext vorgegebenen Tagessatz in Höhe von 26,50 EUR. Kosten, die einem selbständig Tätigen bei der Verrichtung regelmäßig entstehen, standen dem nicht gegenüber. Die Fahrtkosten für die Hin- und Rückreise trug der Betreute (§ 3 des "Betreuungsvertrages" mit I. R.).

Bereits nach summarischer Prüfung überwiegen vorliegend die Indizien für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis zwischen der Antragstellerin und den bulgarischen Betreuungskräften derart eindeutig, dass für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung kein Raum ist. Ungeachtet dessen bleibt die eingehende Würdigung sämtlicher Umstände des vorliegenden Falles dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 197a Abs 1 SGG iVm § 154 Abs 1 Verwaltungsgerichtsordnung.

Der Streitwert wird nach § 197a SGG iVm §§ 63 Abs 1, 52 Abs 1 und 2 Gerichtskostengesetz (GKG) auf die Hälfte der streitigen Beitragsnachforderung und der Nebenkosten festgesetzt, also ½ aus 71.491,97 EUR, mithin 35.745,99 EUR.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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