Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 14 R 748/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 R 2806/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 27.5.2011 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Der 1957 geborene Kläger hat den Beruf des Dachdeckers erlernt. Von 1972 bis Dezember 2001 war er zunächst als Auszubildender für den Beruf des Kfz-Mechanikers (Lehre abgebrochen im September 1973) und anschließend des Dachdeckers (Gesellenprüfung 18.06.1976), sodann zuletzt als Dachdecker versicherungspflichtig beschäftigt. Seit 1.2.2002 bezieht der Kläger wegen Gleichgewichtsstörungen Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit auf Dauer. Daneben übte er eine geringfügige Beschäftigung bei der Firma Autohaus-H. aus (Arbeitszeit 3 bis 4 Stunden täglich); bis etwa Dezember 2010 überführte der Kläger als Fahrer Wohnmobile, seitdem ist er als Arbeiter tätig.
Der Internist und Sozialmediziner Dr. I. hatte im Gutachten vom 6.6.2002 neben rezidivierenden LWS- und HWS-Beschwerden mit nur geringer Funktionsbehinderung und ohne Wurzelreizsymptomatik eine Untererregbarkeit des linken Gleichgewichtsorgans nach otogener Labyrinthitis 2/1998 diagnostiziert und den Kläger für fähig erachtet, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts vollschichtig zu verrichten; als Dachdecker sei er aber (weiterhin) nicht einsetzbar. Der Kläger hatte Gleichgewichtsstörungen bzw. Unsicherheiten angegeben, die nach 2 bis 3 Schritten zur Seite wieder verschwänden. Etwas breitbeiniges Gehen genüge, um Stürze zu vermeiden. Er fahre auch viel mit dem Auto.
Der Internist und Sozialmediziner Dr. M. hatte im Gutachten vom 14.5.2003 einen Ausfall des linken Gleichgewichtsorgans nach Entzündung 2/1998 mit Gleichgewichtsstörungen, eine Fehlhaltung der Wirbelsäule ohne nennenswerte degenerative Veränderungen, zeitweilige Cervikal- und Lumbalbeschwerden, Kniebinnenschäden beidseits, eine Sehnenansatzreizung an Ellenbogen- und Schultergelenken mit wechselnder Ausprägung, kardiovaskuläre Risikofaktoren, anamnestisch Magengeschwüre zuletzt 2000 und zeitweilige Kopfschmerzen nach Gehirnerschütterung 1979 diagnostiziert. An die Schwindelsymptomatik habe sich der Kläger nach eigenen Angaben gewöhnt; Fahrradfahren könne er nicht mehr, während Autofahren problemlos möglich sei. Der Kläger könne leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts vollschichtig verrichten; als Dachdecker jedoch nicht arbeiten. Er sei wegefähig.
Die Nervenärztin Dr. S. hatte im Gutachten vom 1.7.2004 eine Gleichgewichtsstörung bei Z. n. Ausfall des linken Gleichgewichtsorgans nach Entzündung 2/1998, bei WS- und gelenkbezogenen Beschwerden kein Hinweis für eine Wurzelreizsymptomatik und eine hyperthyme Persönlichkeit ohne Rückwirkung auf das altersentsprechende Leistungsvermögen diagnostiziert. Der breitbeinige Gang sei auf kurzer Strecke ausreichend sicher gewesen. Leichte und mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts seien vollschichtig, die Tätigkeit des Dachdeckers sei nicht mehr möglich.
Der Chirurg und Sozialmediziner Dr. N. hatte im Gutachten vom 10.8.2004 keine richtungsweisenden Funktionsminderungen mit Rückwirkung auf das Leistungsvermögen oder über die Altersnorm hinausgehende Verschleißveränderungen gefunden (zeitweiliges statomyalgisches Dorso-Lumbal-Syndrom ohne aktuell belangvolle Wurzelreizsymptomatik oder sensomotorisches Defizit). Der Kläger könne mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts vollschichtig verrichten, als Dachdecker aber nur unter 3 Stunden täglich arbeiten.
Vom 24.10. bis 21.11.2008 hatte der Kläger eine stationäre (Anschluss-)Rehabilitationsbehandlung im S. Bad W. absolviert. Im Entlassungsbericht vom 2.12.2008 sind die Diagnosen KHK, 2-Gefäßerkrankung, Hinterwandinfarkt am 8.10.2008, PTCA/Stent der RCA am 8.10.2008, Hyperlipidämie und Nikotinabusus festgehalten. Für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts bestehe vollschichtiges Leistungsvermögen ohne wesentliche Einschränkung. Die Tätigkeit des Dachdeckers wäre nicht mehr leidensgerecht. Die Nebenbeschäftigung als Fahrer ohne wesentliche Belastungen erscheine indessen vollschichtig leidensgerecht.
Am 10.10.2009 beantragte der Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung. Die Beklagte zog Arztunterlagen und (bereits vorliegende) Rentengutachten bei und lehnte mit Bescheid vom 29.10.2009 den Rentenantrag ab.
Zur Begründung des dagegen eingelegten Widerspruchs trug der Kläger vor, wegen des Vestibularisausfalls und dessen Folgen, wie Schwindel, Übelkeit, Erbrechen, Hörminderung und Angstattacken, stehe er dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung. Selbst bei der leichten Nebentätigkeit für die Firma Autohaus-H. habe er erhebliche Schwierigkeiten.
Mit Widerspruchsbescheid vom 25.2.2010 wies die Beklagte den Widerspruch zurück, worauf der Kläger am 5.3.2010 Klage beim Sozialgericht Ulm erhob.
Das Sozialgericht befragte behandelnde Ärzte und erhob das Gutachten des Prof. Dr. S. (Chefarzt der Medizinischen Klinik II - Angiologie und Kardiologie - des O.-Klinikum, A.) vom 17.11.2010. Der Kläger hatte die Begutachtung durch Prof. Dr. S. zunächst gem. § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beantragt, später aber Prof. Dr. R. als Gutachter benannt; den Antrag auf Begutachtung durch Prof. Dr. R. nahm er in der mündlichen Verhandlung des Sozialgerichts vom 27.5.2011 zurück.
Der Allgemeinarzt Sch. (Hausarzt des Klägers) teilte unter dem 19.4.2010 mit, im Vordergrund stünden die rezidivierenden und persistierenden Schwindelattacken bei komplettem Vestibularisausfall links. Der Schwindel trete mehrmals in der Woche auf und beeinträchtige den Kläger beim Stehen, Laufen und Sitzen. Der Kläger sei in der Vergangenheit gestürzt und habe sich dabei verletzt. Aufgrund des Hinterwandinfarkts komme es zu rezidivierenden Angina Pectoris-Attacken, vor allem bei Wetterwechsel und Belastungen. Der Kläger sei nicht in der Lage, leichte Tätigkeiten mindestens 6 Stunden täglich zu verrichten. Auch die Gehfähigkeit sei eingeschränkt. Der Kläger könne sich zwar gut zu Fuß fortbewegen; es zeigten sich aber ein deutlich breiter Gang und zum Teil auch Gangunsicherheiten. Nach 50 m bemerke der Kläger zunehmenden Schwindel und Koordinationsprobleme. In einem dem Bericht beigefügten Arztbrief des Neurologen und Psychiaters Dr. B. vom 23.7.2009 heißt es, Sturzattacken seien nach Angaben des Klägers etwa 1 bis 3 mal wöchentlich vorgekommen, nach dem Hinterwandinfarkt im Oktober 2008 und der Einnahme von Blutverdünnern jedoch nicht mehr. Das Gangbild sei leicht breitbeinig, ohne Fallneigung, ohne Seitentendenz, ebenfalls leichte, jedoch deutlich ungerichtete Unsicherheit beim Linien- und Blindgang.
Der Internist Dr. N. teilte im Bericht vom 3.5.2010 die Diagnose koronare Herzkrankheit (2- Gefäßerkrankung) bei Z. n. Hinterwandinfarkt und mehrfacher interventioneller Behandlung mit. Der Kläger könne leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens 6 Stunden täglich verrichten.
Prof. Dr. S. diagnostizierte in seinem Gutachten eine koronare Herzerkrankung, V. a. Gonarthrose links, degenerative Wirbelsäulenbeschwerden seit den 90er Jahren, Z. n. Bandscheibenvorfall 12/2001 sowie rezidivierende Sturzattacken und Hörminderung bei Z. n. Otitis links 1998. Aus rein kardiologischer Sicht könne der Kläger leichte bis mittelschwere Tätigkeiten (unter qualitativen Einschränkungen) 6 Stunden täglich verrichten. Die Gehstrecke sei durch (vom Kläger angegebene) Schmerzen am linken Kniegelenk auf ca. 500 m limitiert, d.h. der Kläger müsse nach ca. 500 m kurz pausieren und könne dann weitergehen. Wegen der bestehenden Knieschmerzen bei Belastung solle sich der Kläger bei einem Orthopäden vorstellen. Die als Nebenbeschäftigung ausgeübte Fahrertätigkeit habe der Kläger wegen zunehmender Rückenschmerzen und einem beschriebenen Tunnelblick aufgegeben.
Nachdem die Beklagte die beratungsärztliche Stellungnahme der Internistin und Sozialmedizinerin Dr. J. vom 12.1.2011 vorgelegt hatte, wies das Sozialgericht die Klage mit Urteil vom 27.5.2011 ab. Zur Begründung führte es aus, (volle) Erwerbsminderung liege nicht vor, da der Kläger leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens 6 Stunden täglich verrichten könne (§ 43 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch, SGB VI). Kardiologische Erkrankungen begründeten keine rentenberechtigende (zeitliche) Leistungseinschränkung; das gehe (u. a.) aus dem Gutachten des Prof. Dr. S. und dem Bericht des Dr. N. hervor. Die anamnestisch (unter Divergenzen in der Beschwerdeschilderung) angegebenen Schwindel- und Sturzattacken bei Vestibularisausfall links hätten nicht objektiviert werden können. Der Neurologe Dr. B. habe im Arztbrief vom 23.7.2009 lediglich ein leicht breitbeiniges Gangbild mit leichter Unsicherheit beim Liniengang und beim Blindgang ohne Fallneigung und ohne Seitentendenz beschrieben. Die Gehstrecke habe sich bei der Untersuchung durch Prof. Dr. S. ausschließlich durch vom Kläger angegebene Knieschmerzen als limitiert gezeigt. Der Kläger habe außerdem ungeachtet der Schwindel- und Sturzattacken noch bis Ende 2010 3 bis 4 Stunden täglich als Fahrer gearbeitet und sei derzeit noch bei der Firma Autohaus-H. als Arbeiter beschäftigt. Die Fahrertätigkeit habe er nach eigenen Angaben nicht wegen des Schwindels oder der Sturzattacken, sondern (u.a.) wegen Rückenschmerzen aufgegeben. Rentenberechtigende (zeitliche) Leistungseinschränkungen lägen auch auf orthopädischem und HNO-ärztlichem Fachgebiet nicht vor; eine orthopädische Behandlung finde nicht statt. Der Kläger sei wegefähig; er müsse - nach eigenen Angaben - nach 500 m lediglich kurz pausieren und könne dann weitergehen.
Auf das ihm am 15.6.2011 zugestellte Urteil hat der Kläger am 6.7.2011 Berufung eingelegt. Er trägt ergänzend vor, die wesentliche Gesundheitsbeeinträchtigung durch Schwindelanfälle sei nicht ausreichend berücksichtigt worden. Man hätte hierzu auch eine nervenärztliche Begutachtung durchführen müssen. Die subjektive Symptomatik mit Beeinträchtigung des Sicherheitsgefühls nehme allgemein mit steigendem Alter zu. Es sei ein weiterer Schlaganfall festgestellt worden.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 27.5.2011 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 29.10.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.2.2010 zu verurteilen, ihm Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 1.11.2009 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der Senat hat auf Antrag des Klägers gem. § 109 SGG das Gutachten des Prof. Dr. St. (Oberarzt an der Neurologischen Klinik und Poliklinik der Universitätsklinik M.) vom 16.3.2012 erhoben.
Prof. Dr. St. hat einen Z. n. Zaster oticus links (Februar 1998) mit damals bestehendem Schwindel und linksseitiger Hörstörung sowie persistierendem peripher-vestibulärem Defizit links und mit im Verlauf rezidivierenden, kurzen Schwindelattacken, teilweise mit Stürzen, und im Verlauf zunehmender Frequenz (derzeitige Frequenz nach Angaben des Klägers 1 bis 5 mal pro Woche, im Mittel 3 bis 4 mal ), einen Z. n. computertomographisch dokumentiertem (18.7.2011) Hirninfarkt im hinteren Drittel des linken Mediastrombahngebietes (Durchmesser ca. 5 mm), einen Z. n. Hinterwandinfarkt Okt. 2008 (nach PTCA und Stent), V. a. Kniegelenksarthrose links betont, degenerative Wirbelsäulenbeschwerden seit den 90er Jahren und einen Z. n. Bandscheibenvorfall Dez. 2001 diagnostiziert. Bei den Schwindelattacken - nur im Stehen oder Gehen, nie im Sitzen - ziehe es den Kläger (nach eigenen Angaben) nach links ohne Bewusstseinsverlust, wobei er sich meistens abstützen könne oder einen kurzen Ausfallschritt machen müsse. im Jahr 2011 sei es bei 4 oder 5 Attacken zu einem Sturz gekommen. Die beschriebenen Schwindelattacken beruhten mit stark überwiegender Wahrscheinlichkeit auf Tumarkinschen Otolithenkrisen. Sie träten typischerweise ohne Vorzeichen auf und könnten zu Stürzen führen. Deswegen könne der Kläger Arbeiten im Stehen oder Arbeiten, die Stehen und Gehen im Wechsel erforderten, nicht leisten, da hier eine unmittelbare Gefährdung der Gesundheit wahrscheinlich sei. Darüber hinaus dürfe er nicht Autofahren, wenn er nicht mindestens 12 Monate attackenfrei sei. Arbeiten mit höherer Balanceleistung oder an gefährlichen Maschinen seien ebenfalls nicht möglich. Leichte, rein sitzende Tätigkeiten (etwa als Telefonist) könne der Kläger mindestens 6 Stunden täglich verrichten. Die (seit 2000 bestehende) Gefahr plötzlich auftretender Schwindel-/Sturzattacken stelle eine doch erhebliche Beschränkung des Arbeitsweges dar; wegen der Möglichkeit von Sturzattacken sei der Kläger nicht wegefähig.
Die Beklagte hat die Stellungnahme ihrer Beratungsärztin Dr. J. vom 8.5.2012 vorgelegt. Diese hat ausgeführt, für die sozialmedizinische Leistungsbeurteilung komme es nicht auf exakte diagnostische Einordnungen (der beschriebenen Schwindelattacken), sondern auf funktionelle Beeinträchtigungen an. Nach den eigenen Angaben des Klägers komme es etwa 3 bis 4 mal wöchentlich zu Schwindelattacken, bei denen es ihn nach links ziehe. Die Attacken träten nur im Stehen oder Gehen auf, zu einem Bewusstseinsverlust komme es nicht; der Kläger könne sich meistens abstützen, so dass nur selten zu einem Sturz komme. 2011 seien insgesamt 4 oder 5 Stürze aufgetreten. Der Ausschluss der Wegefähigkeit (zumal schon seit 2000) sei nicht nachvollziehbar. Der Kläger habe bis 9/2011 eine Nebentätigkeit ausgeübt und hierfür seinen Arbeitsplatz offensichtlich erreichen können. Außerdem wäre die Verwendung von Hilfsmitteln denkbar.
Der Kläger hat abschließend geltend gemacht, er könne nicht als Telefonist arbeiten, da er wegen des computertomographisch dokumentierten Hirninfarkts starke Gedächtnisaussetzer habe und bspw. Wörter verwechsle und außerdem durch einen Tinnitus gestört werde. Die seit den 90er Jahren bestehenden Wirbelsäulenbeschwerden und ein Bandscheibenvorfall 2001 schlössen das Sitzen über eine Stunde aus. Nach dem Aufstehen könne er sich kaum noch bewegen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Senatsentscheidung ohne mündliche Verhandlung gem. §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Im Einverständnis der Beteiligten entscheidet der Senat ohne mündliche Verhandlung (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG).
Die gem. §§ 143, 144, 151 SGG statthafte und auch sonst zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Der Kläger, der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 SGB VI) bezieht, kann Rente wegen voller Erwerbsminderung nicht beanspruchen. Die Beklagte hat dies zu Recht abgelehnt.
Das Sozialgericht hat in seinem Urteil zutreffend dargelegt, nach welchen Rechtsvorschriften (§ 43 SGB VI) das Rentenbegehren des Klägers zu beurteilen ist, und weshalb ihm danach Rente nicht zusteht. Der Senat nimmt auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG). Ergänzend ist im Hinblick auf das Berufungsvorbringen der Beteiligten und die Ergebnisse der Beweisaufnahme im Berufungsverfahren anzumerken:
Auch der Senat ist der Auffassung, dass der Kläger (jedenfalls) leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts (unter qualitativen Einschränkungen) mindestens 6 Stunden täglich verrichten kann, weshalb Erwerbsminderung nicht vorliegt (§ 43 Abs. 3 SGB VI). Das haben die Verwaltungsgutachter Dres. I., M., S. und N. bereits in den 2002 bis 2004 erhobenen Gutachten festgestellt. Seitdem ist eine wesentliche Änderung, die zu rentenberechtigenden (zeitlichen) Leistungseinschränkungen führen würde, nicht eingetreten.
Die (erfolgreich behandelte) Herzerkrankung des Klägers (Hinterwandinfarkt im Oktober 2008) begründet keinen Rentenanspruch. Das haben bereits die Ärzte des S. Bad W., wo der Kläger nach dem Hinterwandinfarkt eine stationäre Anschlussheilbehandlung vom 24.10. bis 21.11.2008 absolviert hatte, festgestellt; die Klinikärzte hatten vollschichtiges Leistungsvermögen für leichte Tätigkeiten gefunden (Entlassungsbericht vom 2.12.2008). Der behandelnde Internist Dr. N. hat diese Leistungseinschätzung ebenso bestätigt (Bericht vom 3.5.2010) wie der Gutachter Prof. Dr. S. (Gutachten vom 17.11.2010).
Auf orthopädischem Fachgebiet sind rentenberechtigende Leistungseinschränkungen ebenfalls nicht festgestellt. Die bereits genannten Verwaltungsgutachter und die Ärzte des S. haben entsprechende Befunde nicht erheben können; gefunden wurden im Kern lediglich rezidivierende Wirbelsäulenbeschwerden mit geringer Funktionsbehinderung ohne Wurzelreizsymptomatik (Dr. I., Gutachten vom 6.6.2002; Dr. N., Gutachten vom 10.8.2004; Dr. S., Gutachten vom 1.7.2004) bzw. Kniebinnenschäden und wechselnd ausgeprägte Sehnenansatzreizungen ohne rentenberechtigende Folgewirkungen (Dr. M., Gutachten vom 14.5.2003). Seitdem sind weitergehende bzw. neue Befunde nicht dokumentiert, zumal eine fachorthopädische Behandlung ersichtlich nicht stattfindet. Zur (weiteren) Berufungsbegründung aufgestellte bloße Beschwerdebehauptungen können ärztliche Befunde nicht ersetzen. Die seit den 90er Jahren bestehenden Rückenbeschwerden und ein Bandscheibenvorfall des Jahres 2001 haben die Verwaltungsgutachter berücksichtigt.
Der Kläger stützt sich für sein Rentenbegehren im Kern auf Gleichgewichtsstörungen bzw. Schwindelanfälle. Daraus folgen jedoch keine quantitativen (zeitlichen), sondern nur qualitative Leistungseinschränkungen, die letztendlich auch zur Gewährung von Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit geführt haben; ob diese Rente zu Recht zuerkannt worden ist, muss der Senat nicht überprüfen. Die Wegefähigkeit des Klägers ist wegen der Schwindelanfälle ebenfalls nicht ausgeschlossen. Der abweichenden Auffassung des auf Antrag des Klägers gem. § 109 SGG mit der Begutachtung beauftragten Prof. Dr. St. kann sich der Senat nicht anschließen. Prof. Dr. St. hat sich wesentlich mit der genauen diagnostischen Einordnung der Schwindelanfälle befasst. Darauf kommt es für die Gewährung von Erwerbsminderungsrente freilich nicht an; hierfür sind allein sozialmedizinisch (rentenrechtlich) beachtliche Leistungseinschränkungen maßgeblich. Solche Leistungseinschränkungen sind dem Gutachten aber nicht zu entnehmen. Entsprechendes gilt für die vom Gutachter postulierte Einschränkung der Wegefähigkeit. Dr. J. hat das in der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 8.5.2012 überzeugend dargelegt und zu Recht darauf abgestellt, dass die (nicht objektivierten und im Beschwerdevorbringen auch nicht konsistent geschilderten) Schwindelattacken nach den eigenen Angaben des Klägers im Schnitt nur 3 bis 4 mal wöchentlich allein im Stehen oder Gehen ohne Bewusstseinsverlust aufträten, sich der Kläger auch meist abstützen könne und daher nur selten - im Jahr 2011 4 oder 5 mal - stürze. Dies steht weder der 6-stündigen Ausübung leichter Tätigkeiten (unter qualitativen Einschränkungen), zumal im Sitzen (so auch Prof. Dr. St.), noch der Wegefähigkeit des Klägers entgegen. Der Kläger hat ersichtlich auch bis in die jüngste Vergangenheit einen Arbeitsplatz zur Ausübung einer geringfügigen Beschäftigung - bis Ende 2010 mit Fahrertätigkeit - aufsuchen können. Er hatte sich - so jedenfalls bei der Begutachtung insbesondere durch Dr. I. und Dr. M. - mit etwas breitbeinigem Gehen an die Schwindelsymptomatik gewöhnt, die - so der Arztbrief des Dr. B. vom 23.7.2009 - seit Oktober 2008 (Einnahme von Blutverdünnern nach Hinterwandinfarkt) gar nicht mehr aufgetreten sei.
Der Bericht des Hausarztes des Klägers Sch. vom 19.4.2010 enthält keine aus Befunden nachvollziehbar begründete sozialmedizinische Beurteilung zur Leistungs- und Wegefähigkeit, sondern eine ärztliche Meinungsäußerung, die einen Rentenanspruch nicht begründen kann. Ob der Kläger als Telefonist arbeiten kann, ist nicht ausschlaggebend, da es sich hierbei nur um eine beispielhaft aufgeführte leichte, sitzende Tätigkeit handelt. Die konkrete Benennung einer dem Kläger noch möglichen leichten Tätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarkts ist nicht notwendig.
Bei dieser Sachlage drängen sich dem Senat weitere Ermittlungen, etwa weitere Begutachtungen, nicht auf.
Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, weshalb die Berufung des Klägers erfolglos bleiben muss. Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Der 1957 geborene Kläger hat den Beruf des Dachdeckers erlernt. Von 1972 bis Dezember 2001 war er zunächst als Auszubildender für den Beruf des Kfz-Mechanikers (Lehre abgebrochen im September 1973) und anschließend des Dachdeckers (Gesellenprüfung 18.06.1976), sodann zuletzt als Dachdecker versicherungspflichtig beschäftigt. Seit 1.2.2002 bezieht der Kläger wegen Gleichgewichtsstörungen Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit auf Dauer. Daneben übte er eine geringfügige Beschäftigung bei der Firma Autohaus-H. aus (Arbeitszeit 3 bis 4 Stunden täglich); bis etwa Dezember 2010 überführte der Kläger als Fahrer Wohnmobile, seitdem ist er als Arbeiter tätig.
Der Internist und Sozialmediziner Dr. I. hatte im Gutachten vom 6.6.2002 neben rezidivierenden LWS- und HWS-Beschwerden mit nur geringer Funktionsbehinderung und ohne Wurzelreizsymptomatik eine Untererregbarkeit des linken Gleichgewichtsorgans nach otogener Labyrinthitis 2/1998 diagnostiziert und den Kläger für fähig erachtet, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts vollschichtig zu verrichten; als Dachdecker sei er aber (weiterhin) nicht einsetzbar. Der Kläger hatte Gleichgewichtsstörungen bzw. Unsicherheiten angegeben, die nach 2 bis 3 Schritten zur Seite wieder verschwänden. Etwas breitbeiniges Gehen genüge, um Stürze zu vermeiden. Er fahre auch viel mit dem Auto.
Der Internist und Sozialmediziner Dr. M. hatte im Gutachten vom 14.5.2003 einen Ausfall des linken Gleichgewichtsorgans nach Entzündung 2/1998 mit Gleichgewichtsstörungen, eine Fehlhaltung der Wirbelsäule ohne nennenswerte degenerative Veränderungen, zeitweilige Cervikal- und Lumbalbeschwerden, Kniebinnenschäden beidseits, eine Sehnenansatzreizung an Ellenbogen- und Schultergelenken mit wechselnder Ausprägung, kardiovaskuläre Risikofaktoren, anamnestisch Magengeschwüre zuletzt 2000 und zeitweilige Kopfschmerzen nach Gehirnerschütterung 1979 diagnostiziert. An die Schwindelsymptomatik habe sich der Kläger nach eigenen Angaben gewöhnt; Fahrradfahren könne er nicht mehr, während Autofahren problemlos möglich sei. Der Kläger könne leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts vollschichtig verrichten; als Dachdecker jedoch nicht arbeiten. Er sei wegefähig.
Die Nervenärztin Dr. S. hatte im Gutachten vom 1.7.2004 eine Gleichgewichtsstörung bei Z. n. Ausfall des linken Gleichgewichtsorgans nach Entzündung 2/1998, bei WS- und gelenkbezogenen Beschwerden kein Hinweis für eine Wurzelreizsymptomatik und eine hyperthyme Persönlichkeit ohne Rückwirkung auf das altersentsprechende Leistungsvermögen diagnostiziert. Der breitbeinige Gang sei auf kurzer Strecke ausreichend sicher gewesen. Leichte und mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts seien vollschichtig, die Tätigkeit des Dachdeckers sei nicht mehr möglich.
Der Chirurg und Sozialmediziner Dr. N. hatte im Gutachten vom 10.8.2004 keine richtungsweisenden Funktionsminderungen mit Rückwirkung auf das Leistungsvermögen oder über die Altersnorm hinausgehende Verschleißveränderungen gefunden (zeitweiliges statomyalgisches Dorso-Lumbal-Syndrom ohne aktuell belangvolle Wurzelreizsymptomatik oder sensomotorisches Defizit). Der Kläger könne mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts vollschichtig verrichten, als Dachdecker aber nur unter 3 Stunden täglich arbeiten.
Vom 24.10. bis 21.11.2008 hatte der Kläger eine stationäre (Anschluss-)Rehabilitationsbehandlung im S. Bad W. absolviert. Im Entlassungsbericht vom 2.12.2008 sind die Diagnosen KHK, 2-Gefäßerkrankung, Hinterwandinfarkt am 8.10.2008, PTCA/Stent der RCA am 8.10.2008, Hyperlipidämie und Nikotinabusus festgehalten. Für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts bestehe vollschichtiges Leistungsvermögen ohne wesentliche Einschränkung. Die Tätigkeit des Dachdeckers wäre nicht mehr leidensgerecht. Die Nebenbeschäftigung als Fahrer ohne wesentliche Belastungen erscheine indessen vollschichtig leidensgerecht.
Am 10.10.2009 beantragte der Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung. Die Beklagte zog Arztunterlagen und (bereits vorliegende) Rentengutachten bei und lehnte mit Bescheid vom 29.10.2009 den Rentenantrag ab.
Zur Begründung des dagegen eingelegten Widerspruchs trug der Kläger vor, wegen des Vestibularisausfalls und dessen Folgen, wie Schwindel, Übelkeit, Erbrechen, Hörminderung und Angstattacken, stehe er dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung. Selbst bei der leichten Nebentätigkeit für die Firma Autohaus-H. habe er erhebliche Schwierigkeiten.
Mit Widerspruchsbescheid vom 25.2.2010 wies die Beklagte den Widerspruch zurück, worauf der Kläger am 5.3.2010 Klage beim Sozialgericht Ulm erhob.
Das Sozialgericht befragte behandelnde Ärzte und erhob das Gutachten des Prof. Dr. S. (Chefarzt der Medizinischen Klinik II - Angiologie und Kardiologie - des O.-Klinikum, A.) vom 17.11.2010. Der Kläger hatte die Begutachtung durch Prof. Dr. S. zunächst gem. § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beantragt, später aber Prof. Dr. R. als Gutachter benannt; den Antrag auf Begutachtung durch Prof. Dr. R. nahm er in der mündlichen Verhandlung des Sozialgerichts vom 27.5.2011 zurück.
Der Allgemeinarzt Sch. (Hausarzt des Klägers) teilte unter dem 19.4.2010 mit, im Vordergrund stünden die rezidivierenden und persistierenden Schwindelattacken bei komplettem Vestibularisausfall links. Der Schwindel trete mehrmals in der Woche auf und beeinträchtige den Kläger beim Stehen, Laufen und Sitzen. Der Kläger sei in der Vergangenheit gestürzt und habe sich dabei verletzt. Aufgrund des Hinterwandinfarkts komme es zu rezidivierenden Angina Pectoris-Attacken, vor allem bei Wetterwechsel und Belastungen. Der Kläger sei nicht in der Lage, leichte Tätigkeiten mindestens 6 Stunden täglich zu verrichten. Auch die Gehfähigkeit sei eingeschränkt. Der Kläger könne sich zwar gut zu Fuß fortbewegen; es zeigten sich aber ein deutlich breiter Gang und zum Teil auch Gangunsicherheiten. Nach 50 m bemerke der Kläger zunehmenden Schwindel und Koordinationsprobleme. In einem dem Bericht beigefügten Arztbrief des Neurologen und Psychiaters Dr. B. vom 23.7.2009 heißt es, Sturzattacken seien nach Angaben des Klägers etwa 1 bis 3 mal wöchentlich vorgekommen, nach dem Hinterwandinfarkt im Oktober 2008 und der Einnahme von Blutverdünnern jedoch nicht mehr. Das Gangbild sei leicht breitbeinig, ohne Fallneigung, ohne Seitentendenz, ebenfalls leichte, jedoch deutlich ungerichtete Unsicherheit beim Linien- und Blindgang.
Der Internist Dr. N. teilte im Bericht vom 3.5.2010 die Diagnose koronare Herzkrankheit (2- Gefäßerkrankung) bei Z. n. Hinterwandinfarkt und mehrfacher interventioneller Behandlung mit. Der Kläger könne leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens 6 Stunden täglich verrichten.
Prof. Dr. S. diagnostizierte in seinem Gutachten eine koronare Herzerkrankung, V. a. Gonarthrose links, degenerative Wirbelsäulenbeschwerden seit den 90er Jahren, Z. n. Bandscheibenvorfall 12/2001 sowie rezidivierende Sturzattacken und Hörminderung bei Z. n. Otitis links 1998. Aus rein kardiologischer Sicht könne der Kläger leichte bis mittelschwere Tätigkeiten (unter qualitativen Einschränkungen) 6 Stunden täglich verrichten. Die Gehstrecke sei durch (vom Kläger angegebene) Schmerzen am linken Kniegelenk auf ca. 500 m limitiert, d.h. der Kläger müsse nach ca. 500 m kurz pausieren und könne dann weitergehen. Wegen der bestehenden Knieschmerzen bei Belastung solle sich der Kläger bei einem Orthopäden vorstellen. Die als Nebenbeschäftigung ausgeübte Fahrertätigkeit habe der Kläger wegen zunehmender Rückenschmerzen und einem beschriebenen Tunnelblick aufgegeben.
Nachdem die Beklagte die beratungsärztliche Stellungnahme der Internistin und Sozialmedizinerin Dr. J. vom 12.1.2011 vorgelegt hatte, wies das Sozialgericht die Klage mit Urteil vom 27.5.2011 ab. Zur Begründung führte es aus, (volle) Erwerbsminderung liege nicht vor, da der Kläger leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens 6 Stunden täglich verrichten könne (§ 43 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch, SGB VI). Kardiologische Erkrankungen begründeten keine rentenberechtigende (zeitliche) Leistungseinschränkung; das gehe (u. a.) aus dem Gutachten des Prof. Dr. S. und dem Bericht des Dr. N. hervor. Die anamnestisch (unter Divergenzen in der Beschwerdeschilderung) angegebenen Schwindel- und Sturzattacken bei Vestibularisausfall links hätten nicht objektiviert werden können. Der Neurologe Dr. B. habe im Arztbrief vom 23.7.2009 lediglich ein leicht breitbeiniges Gangbild mit leichter Unsicherheit beim Liniengang und beim Blindgang ohne Fallneigung und ohne Seitentendenz beschrieben. Die Gehstrecke habe sich bei der Untersuchung durch Prof. Dr. S. ausschließlich durch vom Kläger angegebene Knieschmerzen als limitiert gezeigt. Der Kläger habe außerdem ungeachtet der Schwindel- und Sturzattacken noch bis Ende 2010 3 bis 4 Stunden täglich als Fahrer gearbeitet und sei derzeit noch bei der Firma Autohaus-H. als Arbeiter beschäftigt. Die Fahrertätigkeit habe er nach eigenen Angaben nicht wegen des Schwindels oder der Sturzattacken, sondern (u.a.) wegen Rückenschmerzen aufgegeben. Rentenberechtigende (zeitliche) Leistungseinschränkungen lägen auch auf orthopädischem und HNO-ärztlichem Fachgebiet nicht vor; eine orthopädische Behandlung finde nicht statt. Der Kläger sei wegefähig; er müsse - nach eigenen Angaben - nach 500 m lediglich kurz pausieren und könne dann weitergehen.
Auf das ihm am 15.6.2011 zugestellte Urteil hat der Kläger am 6.7.2011 Berufung eingelegt. Er trägt ergänzend vor, die wesentliche Gesundheitsbeeinträchtigung durch Schwindelanfälle sei nicht ausreichend berücksichtigt worden. Man hätte hierzu auch eine nervenärztliche Begutachtung durchführen müssen. Die subjektive Symptomatik mit Beeinträchtigung des Sicherheitsgefühls nehme allgemein mit steigendem Alter zu. Es sei ein weiterer Schlaganfall festgestellt worden.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 27.5.2011 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 29.10.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.2.2010 zu verurteilen, ihm Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 1.11.2009 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der Senat hat auf Antrag des Klägers gem. § 109 SGG das Gutachten des Prof. Dr. St. (Oberarzt an der Neurologischen Klinik und Poliklinik der Universitätsklinik M.) vom 16.3.2012 erhoben.
Prof. Dr. St. hat einen Z. n. Zaster oticus links (Februar 1998) mit damals bestehendem Schwindel und linksseitiger Hörstörung sowie persistierendem peripher-vestibulärem Defizit links und mit im Verlauf rezidivierenden, kurzen Schwindelattacken, teilweise mit Stürzen, und im Verlauf zunehmender Frequenz (derzeitige Frequenz nach Angaben des Klägers 1 bis 5 mal pro Woche, im Mittel 3 bis 4 mal ), einen Z. n. computertomographisch dokumentiertem (18.7.2011) Hirninfarkt im hinteren Drittel des linken Mediastrombahngebietes (Durchmesser ca. 5 mm), einen Z. n. Hinterwandinfarkt Okt. 2008 (nach PTCA und Stent), V. a. Kniegelenksarthrose links betont, degenerative Wirbelsäulenbeschwerden seit den 90er Jahren und einen Z. n. Bandscheibenvorfall Dez. 2001 diagnostiziert. Bei den Schwindelattacken - nur im Stehen oder Gehen, nie im Sitzen - ziehe es den Kläger (nach eigenen Angaben) nach links ohne Bewusstseinsverlust, wobei er sich meistens abstützen könne oder einen kurzen Ausfallschritt machen müsse. im Jahr 2011 sei es bei 4 oder 5 Attacken zu einem Sturz gekommen. Die beschriebenen Schwindelattacken beruhten mit stark überwiegender Wahrscheinlichkeit auf Tumarkinschen Otolithenkrisen. Sie träten typischerweise ohne Vorzeichen auf und könnten zu Stürzen führen. Deswegen könne der Kläger Arbeiten im Stehen oder Arbeiten, die Stehen und Gehen im Wechsel erforderten, nicht leisten, da hier eine unmittelbare Gefährdung der Gesundheit wahrscheinlich sei. Darüber hinaus dürfe er nicht Autofahren, wenn er nicht mindestens 12 Monate attackenfrei sei. Arbeiten mit höherer Balanceleistung oder an gefährlichen Maschinen seien ebenfalls nicht möglich. Leichte, rein sitzende Tätigkeiten (etwa als Telefonist) könne der Kläger mindestens 6 Stunden täglich verrichten. Die (seit 2000 bestehende) Gefahr plötzlich auftretender Schwindel-/Sturzattacken stelle eine doch erhebliche Beschränkung des Arbeitsweges dar; wegen der Möglichkeit von Sturzattacken sei der Kläger nicht wegefähig.
Die Beklagte hat die Stellungnahme ihrer Beratungsärztin Dr. J. vom 8.5.2012 vorgelegt. Diese hat ausgeführt, für die sozialmedizinische Leistungsbeurteilung komme es nicht auf exakte diagnostische Einordnungen (der beschriebenen Schwindelattacken), sondern auf funktionelle Beeinträchtigungen an. Nach den eigenen Angaben des Klägers komme es etwa 3 bis 4 mal wöchentlich zu Schwindelattacken, bei denen es ihn nach links ziehe. Die Attacken träten nur im Stehen oder Gehen auf, zu einem Bewusstseinsverlust komme es nicht; der Kläger könne sich meistens abstützen, so dass nur selten zu einem Sturz komme. 2011 seien insgesamt 4 oder 5 Stürze aufgetreten. Der Ausschluss der Wegefähigkeit (zumal schon seit 2000) sei nicht nachvollziehbar. Der Kläger habe bis 9/2011 eine Nebentätigkeit ausgeübt und hierfür seinen Arbeitsplatz offensichtlich erreichen können. Außerdem wäre die Verwendung von Hilfsmitteln denkbar.
Der Kläger hat abschließend geltend gemacht, er könne nicht als Telefonist arbeiten, da er wegen des computertomographisch dokumentierten Hirninfarkts starke Gedächtnisaussetzer habe und bspw. Wörter verwechsle und außerdem durch einen Tinnitus gestört werde. Die seit den 90er Jahren bestehenden Wirbelsäulenbeschwerden und ein Bandscheibenvorfall 2001 schlössen das Sitzen über eine Stunde aus. Nach dem Aufstehen könne er sich kaum noch bewegen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Senatsentscheidung ohne mündliche Verhandlung gem. §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Im Einverständnis der Beteiligten entscheidet der Senat ohne mündliche Verhandlung (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG).
Die gem. §§ 143, 144, 151 SGG statthafte und auch sonst zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Der Kläger, der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 SGB VI) bezieht, kann Rente wegen voller Erwerbsminderung nicht beanspruchen. Die Beklagte hat dies zu Recht abgelehnt.
Das Sozialgericht hat in seinem Urteil zutreffend dargelegt, nach welchen Rechtsvorschriften (§ 43 SGB VI) das Rentenbegehren des Klägers zu beurteilen ist, und weshalb ihm danach Rente nicht zusteht. Der Senat nimmt auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG). Ergänzend ist im Hinblick auf das Berufungsvorbringen der Beteiligten und die Ergebnisse der Beweisaufnahme im Berufungsverfahren anzumerken:
Auch der Senat ist der Auffassung, dass der Kläger (jedenfalls) leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts (unter qualitativen Einschränkungen) mindestens 6 Stunden täglich verrichten kann, weshalb Erwerbsminderung nicht vorliegt (§ 43 Abs. 3 SGB VI). Das haben die Verwaltungsgutachter Dres. I., M., S. und N. bereits in den 2002 bis 2004 erhobenen Gutachten festgestellt. Seitdem ist eine wesentliche Änderung, die zu rentenberechtigenden (zeitlichen) Leistungseinschränkungen führen würde, nicht eingetreten.
Die (erfolgreich behandelte) Herzerkrankung des Klägers (Hinterwandinfarkt im Oktober 2008) begründet keinen Rentenanspruch. Das haben bereits die Ärzte des S. Bad W., wo der Kläger nach dem Hinterwandinfarkt eine stationäre Anschlussheilbehandlung vom 24.10. bis 21.11.2008 absolviert hatte, festgestellt; die Klinikärzte hatten vollschichtiges Leistungsvermögen für leichte Tätigkeiten gefunden (Entlassungsbericht vom 2.12.2008). Der behandelnde Internist Dr. N. hat diese Leistungseinschätzung ebenso bestätigt (Bericht vom 3.5.2010) wie der Gutachter Prof. Dr. S. (Gutachten vom 17.11.2010).
Auf orthopädischem Fachgebiet sind rentenberechtigende Leistungseinschränkungen ebenfalls nicht festgestellt. Die bereits genannten Verwaltungsgutachter und die Ärzte des S. haben entsprechende Befunde nicht erheben können; gefunden wurden im Kern lediglich rezidivierende Wirbelsäulenbeschwerden mit geringer Funktionsbehinderung ohne Wurzelreizsymptomatik (Dr. I., Gutachten vom 6.6.2002; Dr. N., Gutachten vom 10.8.2004; Dr. S., Gutachten vom 1.7.2004) bzw. Kniebinnenschäden und wechselnd ausgeprägte Sehnenansatzreizungen ohne rentenberechtigende Folgewirkungen (Dr. M., Gutachten vom 14.5.2003). Seitdem sind weitergehende bzw. neue Befunde nicht dokumentiert, zumal eine fachorthopädische Behandlung ersichtlich nicht stattfindet. Zur (weiteren) Berufungsbegründung aufgestellte bloße Beschwerdebehauptungen können ärztliche Befunde nicht ersetzen. Die seit den 90er Jahren bestehenden Rückenbeschwerden und ein Bandscheibenvorfall des Jahres 2001 haben die Verwaltungsgutachter berücksichtigt.
Der Kläger stützt sich für sein Rentenbegehren im Kern auf Gleichgewichtsstörungen bzw. Schwindelanfälle. Daraus folgen jedoch keine quantitativen (zeitlichen), sondern nur qualitative Leistungseinschränkungen, die letztendlich auch zur Gewährung von Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit geführt haben; ob diese Rente zu Recht zuerkannt worden ist, muss der Senat nicht überprüfen. Die Wegefähigkeit des Klägers ist wegen der Schwindelanfälle ebenfalls nicht ausgeschlossen. Der abweichenden Auffassung des auf Antrag des Klägers gem. § 109 SGG mit der Begutachtung beauftragten Prof. Dr. St. kann sich der Senat nicht anschließen. Prof. Dr. St. hat sich wesentlich mit der genauen diagnostischen Einordnung der Schwindelanfälle befasst. Darauf kommt es für die Gewährung von Erwerbsminderungsrente freilich nicht an; hierfür sind allein sozialmedizinisch (rentenrechtlich) beachtliche Leistungseinschränkungen maßgeblich. Solche Leistungseinschränkungen sind dem Gutachten aber nicht zu entnehmen. Entsprechendes gilt für die vom Gutachter postulierte Einschränkung der Wegefähigkeit. Dr. J. hat das in der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 8.5.2012 überzeugend dargelegt und zu Recht darauf abgestellt, dass die (nicht objektivierten und im Beschwerdevorbringen auch nicht konsistent geschilderten) Schwindelattacken nach den eigenen Angaben des Klägers im Schnitt nur 3 bis 4 mal wöchentlich allein im Stehen oder Gehen ohne Bewusstseinsverlust aufträten, sich der Kläger auch meist abstützen könne und daher nur selten - im Jahr 2011 4 oder 5 mal - stürze. Dies steht weder der 6-stündigen Ausübung leichter Tätigkeiten (unter qualitativen Einschränkungen), zumal im Sitzen (so auch Prof. Dr. St.), noch der Wegefähigkeit des Klägers entgegen. Der Kläger hat ersichtlich auch bis in die jüngste Vergangenheit einen Arbeitsplatz zur Ausübung einer geringfügigen Beschäftigung - bis Ende 2010 mit Fahrertätigkeit - aufsuchen können. Er hatte sich - so jedenfalls bei der Begutachtung insbesondere durch Dr. I. und Dr. M. - mit etwas breitbeinigem Gehen an die Schwindelsymptomatik gewöhnt, die - so der Arztbrief des Dr. B. vom 23.7.2009 - seit Oktober 2008 (Einnahme von Blutverdünnern nach Hinterwandinfarkt) gar nicht mehr aufgetreten sei.
Der Bericht des Hausarztes des Klägers Sch. vom 19.4.2010 enthält keine aus Befunden nachvollziehbar begründete sozialmedizinische Beurteilung zur Leistungs- und Wegefähigkeit, sondern eine ärztliche Meinungsäußerung, die einen Rentenanspruch nicht begründen kann. Ob der Kläger als Telefonist arbeiten kann, ist nicht ausschlaggebend, da es sich hierbei nur um eine beispielhaft aufgeführte leichte, sitzende Tätigkeit handelt. Die konkrete Benennung einer dem Kläger noch möglichen leichten Tätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarkts ist nicht notwendig.
Bei dieser Sachlage drängen sich dem Senat weitere Ermittlungen, etwa weitere Begutachtungen, nicht auf.
Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, weshalb die Berufung des Klägers erfolglos bleiben muss. Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
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