L 10 R 3119/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 6 R 2456/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 3119/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 10.06.2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente.

Der im Jahr 1950 geborene kurdische Kläger stammt aus einem Dorf in der O ... Nach seinen Angaben trat er im Jahr 1983 mit dem rechten Fuß auf eine Mine. Der Vorfuß musste amputiert werden. Zwischen 1983 und 1992 war er fast durchgehend in der T. in Haft und erlitt Folterungen. Nachfolgend lebte er wieder in seinem Dorf. Im Jahr 1999 reiste er als Asylsuchender nach Deutschland. Später kamen seine Ehefrau und vier der neun Kinder nach. Seit der Einreise lebt er im Wesentlichen von staatlichen Unterstützungsleistungen und war nur für kurze Zeit als Verpackungs-Reinigungskraft eingestellt. Seine Ehefrau ist "kränklich", sodass er zu Hause auch Haushaltsarbeiten machen muss (Angaben des Klägers im Wesentlichen aus der Begutachtung durch Dr. C. im Mai 2007 Bl. 75 VA). Beim Kläger wurde von der zuständigen Versorgungsverwaltung das Merkzeichen G festgestellt.

Im Jahr 2000 wurde beim Kläger im Universitätsklinikum F. ein depressives Syndrom bei posttraumatischer Belastungsstörung nach Folter diagnostiziert (Bl. 33 VA). Im März 2008 führte der Facharzt für Orthopädie Dr. M. beim Kläger eine Nachamputation im Bereich des rechten Vorfußes aus (Bl. 35 SG-Akte). Der Kläger ist in diesem Bereich mit einer Epithese versorgt. Er wird von Dr. M. auch wegen Beschwerden an der Wirbelsäule behandelt (Bl. 33 SG-Akte). Ferner besteht bzw. bestand beim Kläger eine chronische Hepatitis C, wegen der vom 15.01.2010 bis Anfang Juli 2010 mit Erfolg eine Interferonbehandlung durchgeführt wurde (Bl. 20 LSG-Akte).

Einen ersten Rentenantrag des Klägers vom Februar 2007 lehnte die Beklagte - auch in einem Überprüfungsverfahren - bestandskräftig ab. Die Beklagte stützte sich dabei u.a. auf das nach Untersuchung des Klägers im Mai 2007 durch den Internisten Dr. C. erstellte Gutachten. Der Kläger gab ihm gegenüber zu der Vordiagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung u.a. an, er habe doch mehr Abstand gewonnen. Er berichtete nicht mehr über Angstträume oder sich aufdrängende Erinnerungen. Dr. C. führte aus, beim Gehen werde der rechte Fuß mit der Prothese nicht abgerollt. Im Ergebnis ging er davon aus, dass der Kläger trotz der traumatischen Fußamputation und der entzündlich wenig aktiven chronischen Hepatitis C leichte bis mittelschwere Tätigkeiten hauptsächlich im Sitzen mit nur kurzzeitigem Gehen und Stehen ohne Arbeiten in unebenem Gelände, mit Klettern, Steigen und Tragen schwerer Lasten verrichten könne und die rentenrelevante Gehstrecke von viermal 500 m in jeweils 20 Minuten noch gut zu bewältigen sei.

Auch den Rentenantrag des Klägers vom Juli 2009 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 07.08.2009 bestandskräftig ab. Der Kläger beantragte deswegen im Oktober 2009 eine Überprüfung und legte hierzu ein ärztliches Attest des Facharztes für Allgemeinmedizin S. vor, der die Arbeitsfähigkeit des Klägers selbst bei einer sitzenden Tätigkeit auf maximal zwei Stunden eingeschränkt sah und zur Begründung auf eine Verschlimmerung des depressiven Syndroms nebst notwendiger psychotherapeutischer Behandlung, auf Grund der Fußamputation auftretende Hüftgelenks- und Wirbelsäulenbeschwerden, ein chronisches Schmerzsyndrom sowie auf einen chronischen Schwindel und eine Infektanfälligkeit im Zusammenhang mit der Hepatitis C verwies. Da Dr. C. für den Sozialmedizinischen Dienst der Beklagten darin keine neuen Erkenntnisse sah, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 19.11.2009 den Überprüfungsantrag des Klägers ab. Im Widerspruchsverfahren legte der Kläger ein Attest von Dr. M. vom Oktober 2009, in dem dieser eine Leistungsfähigkeit des Klägers von über drei Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für fraglich erachtete, und einen Arztbrief des Internisten und Gastroenterologen Prof. Dr. R. vor, in dem dieser auf Grund eines histologischen Befunds vom Dezember 2009 hinsichtlich der Hepatitis C von einem Leberfibrosegrad III bei insgesamt gutem Allgemeinzustand berichtete. Die Beklagte veranlasste eine Begutachtung auf dem orthopädischen Fachgebiet. Dem Gutachter Dr. R. teilte der Kläger mit, er sei nicht mehr "beim Psychologen". Dr. R. beschrieb unter Benutzung der Prothese und zugerichtetem Schuhwerk ein flüssiges Gangbild zu ebener Erde. Depressionskriterien zeigten sich ihm nicht. Nachdem sich Dr. C. ergänzend zu dem neu vorgelegten Befund bezüglich der Hepatitis C geäußert und hierin keine wesentliche Änderung gesehen hatte, vertrat Dr. R. die Auffassung, der Kläger könne trotz des Zustands nach Minenverletzung mit Mittelfußamputation rechts bei jetzt reizlosem Rückfußstumpf mit adäquater Prothesenversorgung, des wiederkehrenden Lendenwirbelsäulensyndroms und der Hepatitis C leichte bis mittelschwere Tätigkeiten überwiegend im Sitzen mit gelegentlichem Umhergehen zu ebener Erde ohne langdauernde Zwangshaltungen der Wirbelsäule und ohne Arbeiten mit hepatotoxischen Stoffen mindestens sechs Stunden täglich verrichten. Der zumutbare Anmarschweg zur Arbeit sei nicht limitiert. Darauf gestützt wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 15.04.2010 zurück.

Deswegen hat der Kläger am 10.05.2010 beim Sozialgericht Freiburg Klage erhoben. Das Sozialgericht hat die behandelnden Ärzte des Klägers als sachverständige Zeugen befragt. Dr. M. hat mitgeteilt, der Kläger sei auch mit der neu angefertigten Epithese nicht zufrieden. Gehhilfen würden nicht benützt. Aus orthopädischer Sicht bestünde eine qualitative Leistungseinschränkung des Klägers bezüglich schwerer körperlicher Arbeit bzw. Tätigkeiten, die längeres Stehen oder größere Gehstrecken erfordern. Eine hinreichend leichte (überwiegend sitzende) körperliche Tätigkeit könne der Kläger noch sechs Stunden pro Tag ausüben. Prof. Dr. R. hat auf die im Juli 2010 abgeschlossene Interferonbehandlung hingewiesen und den weiteren Verlauf als noch nicht abschätzbar erachtet. Nach Beendigung der Therapie hat er eine Tätigkeit bis vier Stunden eventuell für möglich angesehen. Er hat seiner sachverständigen Zeugenaussage eine Patientendokumentation beigefügt, in der unter dem 06.08.2010 ausgeführt ist, dem Kläger gehe es nach Beendigung der Therapie wieder gut, die Haut sei abgeheilt. Alle anderen Probleme seien vorbei. Der Facharzt für Allgemeinmedizin S. hat den Kläger für nicht mehr in der Lage erachtet, mindestens sechs Stunden täglich zu arbeiten. Den Schwerpunkt der Beeinträchtigungen hat er auf dem orthopädischen Fachgebiet gesehen.

Mit Gerichtsbescheid vom 10.06.2011 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Beklagte sei bei Erlass des Bescheids vom 07.08.2009 weder von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen, noch habe sie das Recht unrichtig angewandt. Dem Kläger stehe kein Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung zu. Das Sozialgericht hat seine Entscheidung auf die Gutachten von Dr. R. und Dr. C. sowie die eingeholten sachverständigen Zeugenaussagen gestützt. Der Kläger leide an einem Zustand nach Minenverletzung von 1983 mit Mittelfußamputation rechts bei reizlosem Rückfußstumpf in Kombination mit adäquater Prothesenversorgung, an einem wiederkehrenden Lendenwirbelsäulensyndrom bei Verschleiß sowie an einer Hepatitis C. Schwere körperliche Arbeiten, die längeres Stehen oder größere Gehstrecken erfordern, könne der Kläger nicht mehr ausüben. Eine hinreichend leichte (überwiegend sitzende) körperliche Tätigkeit sei jedoch noch sechs Stunden täglich möglich. Die von Prof. Dr. R. hinsichtlich der Hepatitis C berichteten Befunde könnten eine quantitative Leistungsminderung nicht plausibel begründen. Das Sozialgericht hat hierzu auf den Eintrag in seiner Patientenkartei vom 06.08.2010 hingewiesen. Zudem habe Prof. Dr. R. den Schwerpunkt der Beeinträchtigungen ebenso wie der Allgemeinmediziner S. auf dem orthopädischen Gebiet gesehen. Für diese hätten jedoch die fachnäheren Dres. R. und M. in sich schlüssig, nachvollziehbar und daher überzeugend dargelegt, dass eine rentenrechtlich relevante Leistungsminderung nicht bestehe. Bezüglich der vorgetragenen psychischen Probleme sei keine Behandlung ersichtlich. Dies spreche für einen mangelnden Leidensdruck, sodass eine rentenrechtlich relevante Leistungsminderung nicht nachgewiesen sei.

Gegen den ihm am 20.06.2011 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 15.07.2011 Berufung eingelegt. Er stützt sich auf die vom Sozialgericht eingeholten Zeugenaussagen des Allgemeinmediziners S. und Prof. Dr. R ... Seine psychische Krankheit sei durch den Arztbrief des Universitätsklinikums F. aus dem Jahr 2000 sowie seine Biographie hinreichend belegt. Soweit keine Behandlung wegen der posttraumatischen Belastungsstörung erfolge, habe er eventuell ein Stadium erreicht, in dem er das Gefühl habe, ihm könne keiner mehr helfen. Soweit Prof. Dr. R. gegenüber dem Senat eine abweichende Leistungseinschätzung vertrete (s.u.), sei nach den Gründen hierzu bei ihm nachzufragen. Die Aussage von Dr. M. stellt er in Frage, sie sei aus Laiensicht nicht nachvollziehbar. Da er auch nicht überwiegend sitzend arbeiten könne, stünde ihm auf dem Arbeitsmarkt kein geeigneter Arbeitsplatz zur Verfügung. Seine Prothese sei unzureichend angepasst und führe immer wieder zu Druckstellen. Er sei auf eine Gehhilfe angewiesen. Zudem bestünde ein Widerspruch zwischen dem von Dr. R. beschriebenen flüssigen Gangbild und den von Dr. M. angegebenen Beeinträchtigungen beim Gehen.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 10.06.2011 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 19.11.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.04.2010 zu verpflichten, den Bescheid vom 07.08.2009 zurückzunehmen und ihm Rente wegen voller Erwerbsminderung bzw. wegen teilweiser Erwerbsminderung, auch bei Berufsunfähigkeit, zu gewähren,

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend.

Der Senat hat Prof. Dr. R. nochmals als sachverständigen Zeugen befragt. Er hat mitgeteilt, die Hepatitis C sei nach erfolgreicher Therapie als ausgeheilt zu erachten. Der Fibrosegrad liege nach wie vor bei 3, eine Verbesserung könne man erst in etwa fünf Jahren erwarten. Wegen der Fibrose bestehe eine Minderung der Leistungsfähigkeit um 20%.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144 und 151 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet.

Die Beklagte hat zu Recht eine Rücknahme des bestandskräftig gewordenen Bescheids vom 07.08.2009 abgelehnt. Dem Kläger steht kein Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung zu. Dies hat das Sozialgericht in dem angefochtenen Urteil unter Nennung der zutreffenden Rechtsgrundlagen (§ 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X -, §§ 43, 240 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VI) unter überzeugender Würdigung der Gutachten von Dr. C. und Dr. R. sowie der eingeholten sachverständigen Zeugenaussagen ausführlich dargestellt. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat auf diese Ausführungen Bezug und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung gemäß § 153 Abs. 2 SGG zurück.

Zum Berufungsvorbringen und im Hinblick auf die im Berufungsverfahren erfolgte Nachfrage bei Prof. Dr. R. ist - wie im Wesentlichen schon im Beschluss über die Ablehnung von Prozesskostenhilfe vom 19.01.2012 ausgeführt - zu ergänzen:

Der Senat verkennt nicht das Schicksal des in der T. aufgewachsenen kurdischen Klägers. Eine rentenrelevante Leistungsminderung wegen einer psychischen Erkrankung, die auf die Biografie des Klägers zurückzuführen ist, ist jedoch nicht erkennbar. Die im Jahr 2000 - im engen zeitlichen Zusammenhang mit der als Asylbewerber erfolgten Einreise nach Deutschland - gestellte Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung reicht hierfür nicht aus. Es liegen insoweit keine Anhaltspunkte für weiterhin vorhandene Beschwerden und einen fortbestehenden erheblichen Leidensdruck vor. So teilte der Kläger im Jahr 2007 gegenüber Dr. C. mit, "doch mehr Abstand" gewonnen zu haben. Der Kläger berichtete nicht mehr über Angstträume oder sich aufdrängende Erinnerungen und gab an, jetzt auch nicht mehr in nervenärztlicher Behandlung zu stehen. Eine gravierende depressive Symptomatik konnte Dr. C. nicht feststellen. Er beschrieb den Kläger freundlich, ruhig und gelassen wirkend. Auch gegenüber Dr. R. gab der Kläger an, nicht mehr in psychologischer Behandlung zu stehen und mit der vom Hausarzt verordneten Medikation "ginge es". Dementsprechend fielen auch Dr. R. bei der Begutachtung im Januar 2010 keine Depressionskriterien auf. Vor diesem Hintergrund hat das Sozialgericht zu Recht aus den fehlenden fachärztlichen Behandlungen auf einen nicht erheblichen Leidensdruck geschlossen. Soweit die Bevollmächtigte des Klägers die fehlenden Behandlungen darauf zurückgeführt hat, dass der Kläger eventuell ein Stadium erreicht habe, in dem er das Gefühl habe, ihm könne keiner mehr helfen, ist dies eine spekulative Annahme der Prozessbevollmächtigten des Klägers und gibt somit nicht die tatsächliche Sachlage wieder. Im Übrigen stellten - wie bereits dargelegt - weder Dr. C. noch Dr. R. , beides Sozialmediziner, irgendwelche psychischen Auffälligkeiten fest, die Anlass zu weiterer Abklärung böten. Vor diesem Hintergrund sieht der Senat keine Veranlassung, ein psychiatrischen Gutachten einzuholen. Der Antrag des Klägers, von Amts wegen ein Gutachten beim Universitätsklinikum Freiburg, Psychiatrische Universitätsklinik, einzuholen, wird abgelehnt.

Prof. Dr. R. hat in der vom Senat ergänzend eingeholten sachverständigen Zeugenaussage nicht mehr an seiner gegenüber dem Sozialgericht geäußerten Auffassung, nach Beendigung der Hepatitis C-Therapie sei lediglich eine leichte Tätigkeit von vier Stunden täglich denkbar, festgehalten. Vielmehr hat er nun ausgeführt, dass die durchgeführte Therapie erfolgreich gewesen und die Hepatitis-C als ausgeheilt anzusehen ist. Wegen der fortbestehenden Leberfibrose im Stadium 3 hat er nur eine "Minderung der Leistungsfähigkeit um 20 %" angenommen. Bezogen auf eine vollschichtige Tätigkeit von acht Stunden wäre damit aber (sofern Prof. Dr. R. mit der angegebenen Leistungsminderung nicht ohnehin nur qualitative Einschränkungen umschrieben hat), eine Leistungsfähigkeit von sechs Stunden noch gegeben so wie von Dr. C. schon immer angenommen. Dies entspricht auch der rentenrechtlichen medizinischen Literatur. Danach ist selbst bei einer nicht ausgeheilten viralen Hepatitis ohne hohe entzündliche Aktivität und ohne chronische Müdigkeit - für die hier keine Anhaltspunkte vorliegen - von einer Leistungsfähigkeit von sechs Stunden und mehr für körperlich leichte Arbeiten auszugehen (Deutsche Rentenversicherung, Sozialmedizinische Begutachten für die gesetzliche Rentenversicherung, Siebte Auflage, S. 380). Auch bei Personen mit Leberzirrhose (Fibrosegrad 4) ist grundsätzlich eine Leistungsfähigkeit von sechs Stunden und mehr für körperlich leichte bis mittelschwere Tätigkeiten anzunehmen (a.a.O., S. 382). Beim Kläger liegt jedoch - so Prof. Dr. R. - "nur" der Fibrosegrad 3 vor. Nachdem die von Prof. Dr. R. gegenüber dem Senat geäußerte Auffassung und die Ausführungen von Dr. C. somit auch in Übereinstimmung mit der rentenrechtlichen medizinischen Literatur stehen, sieht der Senat keine Veranlassung zur weiteren Nachfrage bei Prof. Dr. R ...

Im Übrigen geht der Senat davon aus, dass der Kläger während der Dauer der Interferontherapie im Jahr 2010 auf Grund von Nebenwirkungen zeitweise in der Tat nicht in der Lage war, mindestens sechs Stunden täglich einer leichten Tätigkeit nachzugehen. Dabei handelt es sich indessen um ein Geschehen, dass bei Erlass des Bescheides vom 07.08.2009 nicht berücksichtigt werden konnte und daher auch nicht die Rechtswidrigkeit dieses Bescheides begründen könnte. Ohnehin handelte es sich um keinen dauerhaften - einen Zeitraum von mindestens sechs Monate umfassenden - Zustand. Die Therapie begann, wie sich aus der sachverständigen Zeugenaussage von Prof. Dr. R. und der von ihm vorgelegten Patientenkartei ergibt, am 15.01.2010 und endete vier Wochen vor dem 06.08.2010. Noch am 11.02.2010 dokumentierte Prof. Dr. R. , dass die Leistungsfähigkeit nicht eingeschränkt sei, die neue Therapie werde gut vertragen (Bl. 42 SG-Akte). Am 06.08.2010 teilte der Kläger - wie vom Sozialgericht ausgeführt - Prof. Dr. R. mit, dass es ihm wieder gut gehe. Die Haut zeigte sich abgeheilt und auch andere Probleme bestanden nicht mehr (Bl. 44 SG-Akte).

Soweit Dr. S. als sachverständiger Zeuge gegenüber dem Sozialgericht eine Leistungsfähigkeit von über drei Stunden nicht mehr als gegeben erachtet hat, hat er darauf hingewiesen, dass der Schwerpunkt der Beeinträchtigungen des Klägers auf dem orthopädischen Fachgebiet liegt. Hier hat aber der sachverständige Zeuge Dr. M. - wie zuvor schon gutachtlich der Orthopäde Dr. R. - gerade keine rentenrelevante zeitliche Leistungsminderung gesehen. Dabei hat Dr. M. im Rahmen seiner Zeugenaussage vom August 2010 durchaus auf die fehlende Zufriedenheit des Klägers mit der angefertigten Epithese hingewiesen. Ebenso hat er berücksichtigt, dass durch die Nachamputation und neue epithetische Versorgung die Geh- und Stehfähigkeit nicht wesentlich verbessert werden konnte. Gleichwohl hat er klar dargestellt, dass sich aus den beim Kläger vorliegenden orthopädischen Krankheitsbildern keine zeitliche Leistungseinschränkung ableiten lässt. Soweit der Kläger auf immer wieder auftretende Druckstellen wegen der Epithesenversorgung hinweist, handelt es sich um einen Gesichtspunkt, der sich ggf. im Rahmen einer Akuterkrankung, jedoch nicht als Frage einer dauerhaften Erwerbsminderung stellt.

Der Senat hält die Zeugenaussage von Dr. M. für nachvollziehbar und sieht - trotz seiner zuvor in dem vom Kläger vorgelegten Attest abweichenden zeitlichen Leistungseinschätzung - keine Veranlassung, diese in Frage zu stellen. Dr. M. hat die Rückenbeschwerden ausführlich dargestellt und gleichwohl eine überwiegend sitzende Tätigkeit für möglich erachtet hat. Die vom Kläger "aus Laiensicht" sinngemäß vertretene Auffassung, dass ein Mensch mit Rückenschmerzen generell keiner überwiegend sitzenden Tätigkeit nachgehen kann, hält der Senat für unzutreffend. Es ist vielmehr überzeugend, dass Dr. R. wegen des wiederkehrenden Lendenwirbelsäulensyndroms bei den hier in Betracht kommenden überwiegend sitzenden Tätigkeiten lediglich auf die Notwendigkeit zum gelegentlichen Umhergehen verwies und zudem lang andauernde Zwangshaltungen der Wirbelsäule - die nicht mit einer sitzenden Tätigkeit zu verwechseln sind - für nicht zumutbar erachtete, im Übrigen aber das Vorliegen einer rentenrelevanten zeitlichen Leistungseinschränkung verneinte. Ein auch insoweit nicht rentenrelevant eingeschränktes Leistungsvermögen - und damit auch die Auffassung des Zeugen Dr. M. - wird im Übrigen dadurch bestätigt, dass der Kläger gegenüber Dr. C. angab, zur Entlastung seiner kränklichen Ehefrau die Haushaltsarbeiten zum Großteil selbst zu verrichten.

Bei den vom Sozialgericht und Dr. R. beschriebenen qualitativen Leistungseinschränkungen (keine schweren Arbeiten, kein längeres Stehen, keine größeren Gehstrecken, überwiegendes Sitzen mit der Möglichkeit zu gelegentlichem Umhergehen, keine lang andauernden Zwangshaltungen der Wirbelsäule, keine Arbeiten mit hepatotoxischen Stoffen) handelt es sich entgegen dem sinngemäßen Vorbringen des Klägers nicht um eine Summierung ungewöhnlicher oder eine schwere spezifische Leistungseinschränkung. Die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit ist daher nicht erforderlich (BSG, Urteil vom 14.09.1995, 5 RJ 50/94 in SozR 3-2200 § 1246 Nr. 50, auch zum Nachfolgenden). Denn nach der Rechtsprechung des BSG steht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine so große Anzahl von Tätigkeitsarten zur Verfügung, dass das Vorhandensein einer geeigneten Verweisungstätigkeit offensichtlich ist. Nur ausnahmsweise ist für einen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbaren Versicherten wie den Kläger mit zumindest sechsstündigem Leistungsvermögen für leichte Arbeiten die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit erforderlich, wenn die Erwerbsfähigkeit durch mehrere schwerwiegende gesundheitliche Einschränkungen oder eine besonders einschneidende Behinderung gemindert ist. In der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes sind bestimmte Fälle anerkannt (z.B. Einarmigkeit, vgl. BSG, a.a.O., m.w.N.), zu denen der vorliegende Fall aber nicht gehört. Vielmehr braucht eine Verweisungstätigkeit erst benannt zu werden, wenn die gesundheitliche Fähigkeit zur Verrichtung selbst leichter Tätigkeiten in vielfältiger, außergewöhnlicher Weise eingeschränkt ist. Dies ist jedenfalls dann nicht der Fall, wenn ein Versicherter noch vollschichtig körperlich leichte Arbeiten ohne Heben und Tragen von Gegenständen über 5 kg, ohne überwiegendes Stehen und Gehen oder ständiges Sitzen, nicht in Nässe, Kälte oder Zugluft, ohne häufiges Bücken, ohne Zwangshaltungen, ohne besondere Anforderungen an die Fingerfertigkeit und nicht unter besonderen Unfallgefahren zu verrichten vermag (BSG, a.a.O.; Urteil vom 27.04.1982, 1 RJ 132/80 in SozR 2200 § 1246 Nr. 90). Denn ein Teil dieser Einschränkungen stimmt bereits mit den Tätigkeitsmerkmalen einer körperlich leichten Arbeit überein; dies gilt insbesondere für die geminderte Fähigkeiten, Lasten zu bewältigen und die geringe Belastbarkeit der Wirbelsäule (BSG, SozR 3 a.a.O.) mit den hierauf beruhenden Einschränkungen. Nicht anders liegt der Fall des Klägers. Auch bei ihm wird den qualitativen Einschränkungen im Wesentlichen jedenfalls dadurch Rechnung getragen, dass die ihm zugemuteten leichten bis mittelschweren Tätigkeiten auch ausschließlich leichte Arbeiten umfassen.

Der Senat ist gestützt auf die Gutachten von Dr. C. und Dr. R. der Überzeugung, dass der Kläger ausreichend wegefähig ist. Nur das Leistungspotenzial, das auf dem Arbeitsmarkt konkret einsetzbar ist, kann als Maßstab für die Fähigkeit eines Versicherten, Einkommen zu erzielen, herangezogen werden. Folglich gehört nach der Rechtsprechung des BSG zur Erwerbsfähigkeit auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle aufzusuchen (hierzu und zum Nachfolgenden BSG, Urteil vom 28.08.2002, B 5 RJ 12/02 R m.w.N.). Denn eine Tätigkeit zum Zweck des Gelderwerbs ist in der Regel nur außerhalb der Wohnung möglich. Das Vorhandensein eines Minimums an Mobilität ist deshalb Teil des in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherten Risikos, das Defizit führt zur vollen Erwerbsminderung.

Hat der Versicherte keinen Arbeitsplatz und wird ihm ein solcher auch nicht konkret angeboten, bemessen sich die Wegstrecken, deren Zurücklegung ihm - auch in Anbetracht der Zumutbarkeit eines Umzugs - möglich sein muss, nach dem generalisierenden Maßstab, der zugleich den Bedürfnissen einer Massenverwaltung Rechnung trägt. Dabei wird angenommen, dass ein Versicherter für den Weg zur Arbeitsstelle öffentliche Verkehrsmittel benutzen und von seiner Wohnung zum Verkehrsmittel und vom Verkehrsmittel zur Arbeitsstelle und zurück Fußwege zurücklegen muss. Erwerbsfähigkeit setzt danach grundsätzlich die Fähigkeit des Versicherten voraus, vier Mal am Tag Wegstrecken von mehr als 500 m mit zumutbarem Zeitaufwand (weniger als 20 Minuten) zu Fuß bewältigen und zwei Mal täglich während der Hauptverkehrszeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren zu können. Bei der Beurteilung der Mobilität des Versicherten sind alle ihm tatsächlich zur Verfügung stehenden Hilfsmittel (z.B. Gehstützen) und Beförderungsmöglichkeiten (insbes. die zumutbare Benutzung eines vorhandenen Kraftfahrzeugs) zu berücksichtigen.

Dr. R. beschrieb im Rahmen seiner gutachtlichen Untersuchung bei Benutzung der adäquat gearbeiteten Prothese und des adäquat zugerichteten Schuhwerks ein flüssiges Gangbild und sah keine Limitierung des zumutbaren Anmarschweges zur Arbeit. Er bestätigte damit, die bereits im Jahr 2007 von Dr. C. geäußerte Auffassung, dass Gehen und Stehen zwar nur relativ kurze Zeit möglich sind, die rentenrelevante Gehstrecke (s. eben) aber noch gut bewältigt werden kann.

Dem zuletzt vom Kläger aufgezeigten - scheinbaren - Widerspruch zwischen der Feststellung eines flüssigen Gangbilds seitens Dr. R. und der Ausführung von Dr. M. , auch durch die Nachamputation und neue epithetische Versorgung sei keine wesentliche Verbesserung der Geh- und Stehfähigkeit erzielt worden, misst der Senat keine wesentliche Bedeutung bei. Auf Grund der Formulierung von Dr. R. über ein "flüssiges" Gangbild ist nicht davon auszugehen, dass der Kläger mit der Epithesenversorgung völlig ungehindert gehen kann. Schon Dr. C. beschrieb, dass der Kläger den Fuß nicht abrollt. Soweit Dr. R. im Rahmen der zwangsläufig auf Grund der Amputation gegebenen Einschränkungen ein flüssiges Gangbild beschrieb, ist seiner Leistungsbeurteilung klar zu entnehmen, dass auch er eine deutliche Einschränkung der Gehfähigkeit für gegeben erachtete. Denn er schränkte die möglichen Tätigkeiten auf solche, die überwiegend im Sitzen verrichtet werden, ein. Damit besteht aber eine Übereinstimmung mit der Auffassung von Dr. M. , der ebenfalls hinsichtlich der Verrichtung einer Tätigkeit längeres Stehen oder größere Gehstrecken nicht mehr für möglich erachtet hat. Im Ergebnis vermag der Senat keinen relevanten Widerspruch zwischen den Äußerungen der beiden Ärzte zu erkennen. Bereits damit entfällt der vom Kläger behauptete Grund für die Notwendigkeit einer Nachfrage bei Dr. M. , der sich zur Frage der Wegefähigkeit im Übrigen ausschließlich gutachtlich und nicht als Zeuge im engeren Sinne äußern könnte. Denn es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass der Kläger bei Dr. M. eine konkrete Testung der Wegefähigkeit durchgeführt hat. Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass Dr. M. im Rahmen seiner Zeugenaussage bei Beantwortung der Frage nach den von ihm erhobenen Befunden hinsichtlich der Beeinträchtigung der Geh- und Stehfähigkeit lediglich die Angaben des Klägers über eine starke Beeinträchtigung wiedergegeben hat und im Übrigen bereits nach eigener Überzeugung größere Gehstrecken während der Arbeit - also nicht nur entsprechend den oben dargestellten Kriterien bei der Prüfung der Wegefähigkeit vier Mal täglich - ausgeschlossen hat. Zudem kommt es für die Feststellung einer ausreichenden Wegefähigkeit lediglich darauf an, dass die rentenrelevante Gehstrecke in 20 Minuten zumutbar zurückgelegt werden kann. Nicht nötig ist, dass dies - wie von Dr. C. freilich beschrieben - sogar "gut" möglich ist. Der Antrag des Klägers, Dr. M. als Zeugen zu befragen, ob er in der Lage sei die rentenrelevante Gehstrecke von 4 x 500 m in jeweils 20 Minuten "gut" zu bewältigen, ist auf Grund dieser Erwägungen abzulehnen.

Ferner ist unerheblich, ob der Kläger, wie von ihm zur Begründung der Berufung in Widerspruch zu seinen Angaben gegenüber Dr. M. und Dr. R. behauptet, auf eine Gehhilfe angewiesen ist. Denn bei der Beurteilung der Mobilität des Versicherten sind, wie bereits ausgeführt, alle dem Versicherten tatsächlich zur Verfügung stehenden Hilfsmittel, also auch eine Gehhilfe zu berücksichtigen. Aus dem Gebrauch einer Gehhilfe kann mithin nicht auf ein rentenrelevant eingeschränktes Gehvermögen geschlossen werden.

Der Umstand, dass beim Kläger das Merkzeichen G anerkannt ist, ist für das vorliegende Verfahren auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung ohne entscheidende Bedeutung. Denn die Beurteilung nach dem Schwerbehindertenrecht besitzt für die Beurteilung der Erwerbsfähigkeit im Rahmen eines Anspruchs auf Rente wegen Erwerbsminderung keine anspruchsbegründende Bedeutung (BSG, Beschluss vom 09.12.1987, 5b BJ 156/87, veröffentlicht in Juris) und die Voraussetzungen für die Beurteilung des Grades der Behinderung unterscheiden sich maßgeblich (vgl. § 2 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch: Beeinträchtigung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft) von jenen für die Beurteilung einer Erwerbsminderung (vgl. z.B. § 43 Abs. 3 SGB VI: Fähigkeit, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes zu arbeiten). Gleiches gilt für das Merkzeichen G (Grenze: übliche Wegstrecke von 2 km, vgl. BSG, Urteil vom 24.04.2008, B 9/9a SB 7/06 R in SozR 4-3250 § 146 Nr. 1, und damit geringere Anforderungen als bei der Wegefähigkeit).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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