L 11 KR 124/12 KL

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 KR 124/12 KL
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen ist sachlich und örtlich unzuständig. Der Rechtsstreit wird an das sachlich und örtlich zuständige Sozialgericht Duisburg verwiesen.

Gründe:

I.

Mit der am 10.01.2012 beim Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen erhobenen Klage wendet sich die Klägerin gegen den Bescheid der Beklagten vom 02.11.2011, mit dem diese die Schließung der BKK I mit Sitz in E zum 31.12.2011 verfügt hat.

Die Klägerin macht geltend, als Arbeitnehmerin der BKK I Drittbetroffene und daher klagebefugt zu sein. Mit der Schließung der BKK I ende auch ihr Arbeitsverhältnis. Der Schließungsbescheid sei formell und materiell unwirksam (wird ausgeführt). Für die Klage gegen den Schließungsbescheid seien die Landessozialgerichte funktionell zuständig, denn aufgrund des mit der Schließung einhergehenden Arbeitsplatzverlustes sei sie als Arbeitnehmerin beschwert, sodass es sich um eine Aufsichtsangelegenheit i.S.v. § 29 Abs. 2 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) handele.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Die Klägerin sei nicht klagebefugt (wird ausgeführt). Die Bestimmungen des Aufsichtsrechts hätten keinen drittschützenden Charakter. Der Verlust des Arbeitsplatzes resultiere nicht aus dem Schließungsbescheid, sei vielmehr eine Fernwirkung. Insoweit habe die Kläger bereits Klage vor dem Arbeitsgericht Düsseldorf erhoben. Die Zuständigkeit des LSG sei nicht gegeben sei, da § 29 Abs. 2 Nr. 2 SGG nur Streitigkeiten zwischen Krankenkassen und der für sie zuständigen Aufsichtsbehörde erfasse. Allein die Tatsache, dass sich die Klägerin als Beschäftigter der BKK I gegen den Schließungsbescheid wende, führe nicht dazu, dass es sich um eine Aufsichtsangelegenheit i.S.v. § 29 Abs. 2 Nr. 2 SGG handele. Daraus folge, dass das Sozialgericht Duisburg sachlich und örtlich zuständig sei.

Der Senat hat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass er beabsichtigt, den Rechtsstreit an das Sozialgericht Duisburg zu verweisen.

Die Klägerin hat in der Klageschrift (hilfsweise) beantragt,

den Rechtsstreit an das Sozialgericht Duisburg zu verweisen.

Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Streitakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten verwiesen.

II.

Das LSG ist sachlich und örtlich unzuständig. Der Senat hat dies nach Anhörung der Beteiligten von Amts wegen gemäß § 98 Satz 1 SGG i.V.m. § 17a Abs. 2 Satz 1 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) auszusprechen und den Rechtsstreit zugleich an das sachlich und örtlich zuständige Sozialgericht Duisburg zu verweisen.

Das angerufene Gericht hat von Amts wegen seine sachliche und örtliche Zuständigkeit zu prüfen und festzustellen (Eschner in Jansen, SGG, 3. Auflage, 2009, § 98 Rdn. 5; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage, 2012, § 98 Rdn. 4). Nach § 29 Abs. 2 SGG in der Fassung des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des SGB II und SGB XII vom 24.03.2011(BGBl. I 453) entscheiden das Landessozialgericht im ersten Rechtszug als sachlich zuständiges Gericht über

1. Klagen gegen Entscheidungen der Landesschiedsämter und gegen Beanstandungen von Entscheidungen der Landesschiedsämter nach dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch, gegen Entscheidungen der Schiedsstellen nach § 120 Abs. 4 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch, der Schiedsstelle nach § 76 des Elften Buches Sozialgesetzbuch und der Schiedsstellen nach § 80 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch,

2. Aufsichtsangelegenheiten gegenüber Trägern der Sozialversicherung und ihren Verbänden, gegenüber den Kassenärztlichen und Kassenzahnärztlichen Vereinigungen sowie der Kassenärztlichen und Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung, bei denen die Aufsicht von einer Landes- oder Bundesbehörde ausgeübt wird,

3. Klagen in Angelegenheiten der Erstattung von Aufwendungen nach § 6b des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch,

4. Anträge nach § 55a SGG.

Das LSG Nordrhein-Westfalen entscheidet gemäß § 29 Abs. 3 SGG in der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung der Unfallversicherung vom 30.10.20089 (BGBl. I 2130) überdies im ersten Rechtszug über

1. Streitigkeiten zwischen gesetzlichen Krankenkassen oder ihren Verbänden und dem Bundesversicherungsamt betreffend den Risikostrukturausgleich, die Anerkennung von strukturierten Behandlungsprogrammen und die Verwaltung des Gesundheitsfonds,

2. Streitigkeiten betreffend den Finanzausgleich der gesetzlichen Pflegeversicherung und

3. Streitigkeiten betreffend den Ausgleich unter den gewerblichen Berufsgenossenschaften nach dem Siebten Buch Sozialgesetzbuch.

§ 29 Abs. 2 Nr. 2 SGG begründet vorliegend keine Zuständigkeit des LSG. Eine Aufsichtsangelegenheit i.S.d. genannten Vorschrift liegt nicht schon deshalb vor, weil sich die Klage gegen eine Maßnahme bzw. einen Bescheid der Aufsichtsbehörde richtet. Schon der Wortlaut der Norm verbietet eine dermaßen weite Auslegung. Zuständigkeitsbestimmend ist hiernach Zweierlei. So muss Streitgegenstand eine Aufsichtsangelegenheit sein. Hinzu kommen muss, dass diese &8243;gegenüber&8243; Trägern der Sozialversicherung und ihren Verbänden (usw.) ausgeübt wird. Durch diese Wortwahl bezeichnet das Gesetz die Hauptbeteiligten des Verfahrens, nämlich den Sozialversicherungsträger und die Aufsichtsbehörde (§ 69 Nr. 1 und Nr. 2 SGG). Demzufolge muss die Klage von einer Körperschaft erhoben werden, die der Aufsicht unterliegt oder unterliegen könnte (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 02.08.2011 - L 11 KR 2269/11 KL -). Daran fehlt es. Bei der von Klägerin erfolgten Anfechtung des Schließungsbescheides vom 02.11.2011 handelt es sich ihr gegenüber nicht um eine Aufsichtsangelegenheit. Streitgegenstand des Rechtsstreits bildet allein die Schließungsverfügung, die die beklagte Aufsichtsbehörde in dem Sonderrechtsverhältnis gegen die ihrer Staatsaufsicht nach §§ 87 ff. Viertes Buch Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (SGB IV) unterliegende BKK I erlassen hat. Die durch den Schließungsbescheid vom 02.11.2011 erfolgte Ausübung der Staatsaufsicht erschöpft sich regelmäßig allein in der Wahrung des Gleichgewichts zwischen Staat und Selbstverwaltungskörperschaft (vgl. BSG, Urteil vom 14.02.2007- B 1 A 3/06 R -). An dem Rechtsverhältnis zwischen Aufsichtsbehörde und Selbstverwaltungsträger sind ausschließlich die aufsichtsführende Körperschaft (hier die Beklagte) und der beaufsichtigte Selbstverwaltungsträger (hier die BKK I) beteiligt; denn die Rechtskontrolle ist ein interner Vorgang innerhalb der öffentlichen Verwaltung, bei der über Rechte und Pflichten nur des Selbstverwaltungsträgers entschieden wird (BSG, Urteil vom 18.05.1988 - 1/8 RR 36/83 -). Das Aufsichtsrecht ist nicht dazu bestimmt, dem Individualinteresse Einzelner zu dienen (BSG, Urteile vom 14.02.2007 - B 1 A 3/06 R - und 10.05.2000 - B 6 KA 20/99 R -). Ebenso wenig wie ein Dritter daher Ansprüche gegen eine Aufsichtsbehörde auf ein aktives Einschreiten gegen den der Aufsicht unterstellten Sozialleistungsträger daraus ableiten kann, dass über den Inhalt materiell-rechtlicher Normen gestritten wird, die (möglicherweise) auch den Schutz des Dritten zum Gegenstand haben, kann sich der Dritte gegen einen Bescheid der Aufsichtsbehörde wenden (BSG, Urteil vom 14.02.2007 - B 1 A 3/06 R -). Diese Sichtweise ist auch deshalb geboten, weil im sozialversicherungsrechtlichen Aufsichtsverhältnis grundsätzlich ein anderer Maßstab für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer angegriffenen Aufsichtsmaßnahme anzulegen ist, als er für die gerichtliche Kontrolle von Verwaltungshandeln im Verhältnis zwischen Bürger und Staat allgemein gilt (BSG, Urteil vom 14.02.2007 - B 1 A 3/06 R -); denn Prüfungsmaßstab der Aufsichtsbehörde ist nach dem Grundsatz der maßvollen Ausübung der Rechtsaufsicht (lediglich), ob allgemein anerkannte Bewertungsmaßstäbe überschritten worden sind, wobei der beaufsichtigten Behörde ein gewisser, von der Aufsicht zu beachtender Bewertungsspielraum zusteht, sofern sich das Handeln oder Unterlassen des Beaufsichtigten im Bereich des rechtlich noch Vertretbaren bewegt (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 14.02.2007 - B 1 A 3/06 R - m.w.N.). Daraus ergibt sich, dass eine sachliche Zuständigkeit nach § 29 Abs. 2 Nr. 2 SGG nicht dadurch begründet werden kann, dass ein Dritter (hier die Klägerin) behauptet, durch eine gegenüber der BKK I vorliegende Aufsichtsangelegenheit in ihren Rechten betroffen zu sein. Grundsätzlich wollte der Gesetzgeber mit der Einführung der erstinstanzlichen Zuständigkeit der Landessozialgerichte durch das SGGArbGGÄnG vom 26.03.2008 (BGBl I, 444) den Instanzenzug in der Sozialgerichtsbarkeit nämlich nicht in Frage stellen, sondern die Landessozialgerichte nur in den Fällen für erstinstanzlich zuständig erklären, in denen es vorwiegend um die Klärung von Rechtsfragen geht. Er hat hierbei insbesondere an die Prozessökonomie und die Rechtssicherheit für die "Sozialverwaltungen" (und nicht für potentiell Drittbetroffene) gedacht (BR-Drs 820/07, Seite 17 f). Vor diesem Hintergrund sieht der Senat - insbesondere auch im Hinblick auf Art. 101 Grundgesetz (GG) und § 59 SGG - keinen Bedarf für eine erweiternde oder analoge Anwendung der Ausnahmevorschrift (hierzu eingehend Senat, Beschlüsse vom 29.05.2012 - L 11 KR 206/12 B und L 11 KR 299/12 B - sowie 07.05.2012 - L 11 SO 108/12 B -) des § 29 Abs. 2 Nr. 2 SGG für Fälle, in denen ein Dritter behauptet, von einer Aufsichtsangelegenheit betroffen zu sein. Auch die weiteren Vorschriften des § 29 Abs. 2 und 3 SGG finden erkennbar, ohne dass dies einer weiteren Begründung bedarf, keine Anwendung. Damit verbleibt es gemäß § 8 SGG bei der sachlichen Zuständigkeit der Sozialgerichte.

Gemäß § 57 Abs. 1 Satz 1 SGG ist für Sozialrechtsstreitigkeiten das Sozialgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Kläger zur Zeit der Klageerhebung seinen Sitz oder Wohnsitz oder in Ermangelung dessen seinen Aufenthaltsort hat; steht er in einem Beschäftigungsverhältnis, so kann er auch vor dem für den Beschäftigungsort zuständigen Sozialgericht klagen. Ausgehend hiervon ist das Sozialgericht Duisburg örtlich zuständig, denn die Klägerin hat ihren Wohnsitz in Essen. Der Rechtsstreit war daher gemäß § 98 Satz 1 SGG i.V.m. § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG nach Anhörung der Beteiligten von Amts wegen an das sachlich und örtlich zuständige Sozialgericht Duisburg verweisen.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Nach § 98 Satz 1 SGG i.V.m. § 17b Abs. 2 Satz 1 GVG werden die Kosten im Verfahren vor dem angegangenen Gereicht als Teil der Kosten behandelt, die bei dem Gericht entstehen, an das der Rechtsstreit verwiesen wird. Sie bleibt mithin der Schlussentscheidung vorbehalten.

Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§§ 98 Satz 2, 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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