S 28 KR 2331/11

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
28
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 28 KR 2331/11
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Das Sozialgericht Berlin erklärt sich für örtlich unzuständig. Der Rechtsstreit wird dem Bundessozialgericht zu Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts vorgelegt.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit von Einbehalten zur Förderung der integrierten Versorgung nach § 140 d des Fünften Sozialgesetzbuchs (SGB V) in den Jahren 2006-2008.

Die Klägerin, die ihren Sitz im Sozialgerichtsbezirk Osnabrück hat, ist Trägerin eines im Lande Berlin gelegenen Krankenhauses. In diesem behandelte sie bei der Beklagten krankenversicherte Patienten. Von den Rechnungen des Krankenhauses behielt die Beklagte in den Jahren 2006-2008 insgesamt 9.660,45 EUR zur Förderung der integrierten Versorgung nach § 140 d SGB V ein. Mit der am 31. Dezember 2010 bei dem Sozialgericht Osnabrück erhobenen Klage begehrt die Klägerin die Zahlung dieses Betrages. Zur Begründung führt sie aus, dass derartige Einbehalte nur zulässig seien, wenn die einbehaltenen Mittel zur Finanzierung der nach § 140 c Absatz 1 Satz 1 SGB V vereinbarten Vergütungen verwendet werden. Hierzu sei erforderlich, dass entsprechende Verträge gemäß §§ 140 a, 140 b SGB V geschlossen worden und der Einbehalt zur Finanzierung erforderlich sei. Die Beklagte sei diesbezüglich darlegungs- und beweispflichtig. Sie habe jedoch den Inhalt der Verträge nicht offen gelegt, sondern allein darauf verwiesen, dass die Meldebestätigungen der Registrierungsstelle bei der Bundesgeschäftsstelle Qualitätssicherung gGmbH (BQS) ausreichend seien.

Das Sozialgericht Osnabrück hat die Beklagte mit Verfügung vom 1. Juni 2011 im Hinblick auf die Vorschrift des § 57 a Abs. 3 und 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gebeten mitzuteilen, "ob Integrationsverträge ausschließlich mit einzelnen Bundesländern (wenn ja: welches Land?) oder auf Bundesebene" bestehen. Diese hat daraufhin mitgeteilt, es sei nicht nachvollziehbar, dass die Regelungen des § 57 a SGG einschlägig sein sollen. Die Klägerin betreffend lägen Verträge für Berlin-Brandenburg vor. Daraufhin teilte das Sozialgericht Osnabrück den Beteiligten mit, dass eine Verweisung an das Sozialgericht Berlin gemäß § 57 a Abs. 3 SGG beabsichtigt sei. Mit Beschluss vom 29. November 2011 hat es sich für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das nach § 57 a Abs. 3 SGG zuständige Sozialgericht Berlin verwiesen. Der Beschluss enthält keinerlei Begründung.

Mit Schreiben vom 20. Dezember 2011/4. Januar 2012 hat das Sozialgericht Berlin den Beteiligten mitgeteilt, es beabsichtige, sich für örtlich unzuständig zu erklären und den Rechtsstreit dem Bundessozialgericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorzulegen. Die Beteiligten erhielten Gelegenheit zur Stellungnahme.

II.

Der Rechtsstreit ist dem Bundessozialgericht gemäß § 58 Abs. 1 Nr. 4 SGG zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorzulegen, da sowohl das Sozialgericht Osnabrück sich mit unanfechtbaren Beschluss für unzuständig erklärt hat und das Sozialgericht Berlin sich mit dem vorliegenden Beschluss ebenfalls für unzuständig erklärt. Das gemeinsame nächsthöhere Gericht im Sinne des § 58 Abs. 1 Nr. 4 SGG ist das Bundessozialgericht.

Das Sozialgericht Osnabrück ist nach § 57 Absatz 1 Satz 1 SGG örtlich zuständig, weil die Klägerin in dessen Bezirk ihren Sitz hat, die Vorschrift des § 57a SGG nicht einschlägig und der Verweisungsbeschluss des Sozialgerichts Osnabrück nicht bindend ist.

1. Die örtliche Zuständigkeit des Sozialgerichts Berlin ergibt sich nicht aus § 57 a Abs. 3 SGG in der seit dem 1. April 2008 geltenden Fassung des Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26. März 2008 (BGBl. I, S. 444). Danach ist in Angelegenheiten, die Entscheidungen oder Verträge auf Landesebene betreffen, das Sozialgericht zuständig, in dessen Bezirk die Landesregierung ihren Sitz hat, soweit das Landesrecht nichts Abweichendes bestimmt. Verträge auf Landesebene im Sinne der Vorschrift sind aber nicht bereits dann betroffen, wenn sie für einen geltend gemachten Anspruch eines Leistungserbringers Rechtsgrundlage sind oder aber der Anspruch durch sie berührt werden kann. Vielmehr setzt ein "betreffen" voraus, dass der Vertrag selbst unmittelbar in Streit steht (vergleiche: Bundessozialgericht, Beschluss vom 5. Januar 2012, zitiert nach juris, Rn. 10; Keller in Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, 10. Auflage 2012, § 57 a, Rn. 5 m.w.N.). Dagegen ist es nicht ausreichend, dass über die Auslegung eines Vertrages gestritten wird (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 28. Juli 2011, L 1 SV 1905/11, zitiert nach juris; a.A. Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 5. Januar 2009, L 1 B 73/08 KR, zitiert nach juris). In diesem Sinne ist ein Vertrag aber nicht Gegenstand dieses Rechtsstreits: Die Beteiligten streiten nicht über die Wirksamkeit eines Vertrages zur integrierten Versorgung bzw. darüber, ob und welche Verpflichtungen die unmittelbar Vertragsbeteiligten haben. Auch geht es nicht um die Auslegung eines solchen Vertrages. Gegenstand des Rechtsstreits ist vielmehr allein die Frage, ob die mit den in § 140 b SGB V genannten Leistungserbringern geschlossenen Verträge die Kriterien des § 140 a SGB V erfüllen sowie ob sie den Einbehalt nach § 140 d SGB V rechtfertigen und zur Umsetzung der Verträge erforderlich sind. In diesem Rahmen streiten die Beteiligten im Wesentlichen über Art und Umfang der der Beklagten obliegenden Darlegungs- und Beweispflichten. Der Inhalt der Verträge berührt somit zwar den geltend gemachten Anspruch, jedoch ist er gleichwohl nicht selbst Gegenstand des Streits.

2. Der Verweisungsbeschluss des Sozialgerichts Osnabrück vom 29. November 2011 ist auch nicht bindend. Zwar bindet gemäß § 98 Satz 1 SGG i.V.m. § 17 a Abs. 2 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) ein Verweisungsbeschluss wegen örtlicher oder sachlicher Unzuständigkeit das Gericht, an das verwiesen wurde. Dies gilt im Interesse des verfassungsrechtlich gewährleisteten effektiven Rechtsschutzes und einer möglichst zügigen sachlichen Entscheidung grundsätzlich unabhängig von der Verletzung prozessualer oder materieller Vorschriften. Ausnahmsweise kommt jedoch einem Verweisungsbeschluss dann keine Bindungswirkung zu, wenn die Verweisung auf einer Missachtung elementarer Verfahrensgrundsätze oder einem willkürlichen Verhalten beruht (ständige Rechtsprechung; vergleiche zuletzt BSG, Beschluss vom 5. Januar 2012, a.a.O., Rn 5). Willkürlich ist eine gerichtliche Entscheidung in dem aufgezeigten Zusammenhang erst dann, wenn sie unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt mehr vertretbar ist, so dass sich der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht und deshalb auch Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verletzt.

Eine Bindung des Sozialgerichts Berlin an den Verweisungsbeschluss des Sozialgerichts Osnabrück liegt hier deshalb nicht vor, weil elementare Verfahrensgrundsätze missachtet wurden. Denn das Sozialgericht Osnabrück hat entgegen der Vorschrift des § 17 a Abs. 4 Satz 2 GVG seinen Verweisungsbeschluss mit keinem Wort begründet. Zwar macht ein Verstoß gegen die Begründungspflicht eine Verweisung nicht grob verfahrensfehlerhaft bzw. willkürlich, da die Begründung in erster Linie den Rechtsschutzmöglichkeiten der Beteiligten dient (Bundessozialgericht, Beschluss vom 25. Oktober 2004, B 7 SF 20/04 S, zitiert nach juris, Rn. 7). Jedoch kann dies insbesondere dann nicht gelten, wenn weder nach dem Akteninhalt noch nach dem bisherigen Vorbringen sich den Beteiligten die Entscheidung des Sozialgerichts erschließen kann. Der Akteninhalt lässt hier aber nicht erkennen, von welchen rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkten sich das Sozialgericht Osnabrück hat leiten lassen, als es den Rechtsstreit an das Sozialgericht Berlin verwiesen hat. Es bezieht sich im Tenor des Verweisungsbeschlusses zwar auf die Vorschrift des § 57 a Absatz 3 SGG, jedoch ohne deutlich zu machen, wie es die Vorschrift auslegt und welcher Vertrag im Sinne des § 57 a Abs. 3 SGG betroffen sein soll. Dies gilt insbesondere deshalb, weil die Beklagte mitgeteilt hatte, die in Rede stehenden Verträge über eine integrierte Versorgung beträfen Berlin-Brandenburg. Es ist bereits fraglich, ob bei Verträgen, deren Geltungsbereich sich über mehrere Bundesländer erstreckt, überhaupt die Vorschrift des § 57 a Abs. 3 SGG einschlägig ist (vergleiche Keller in Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, 10. Auflage, § 57a, Rn. 6). Wenn das Sozialgericht Osnabrück aber hiervon ausgeht, hätte es sich jedenfalls damit auseinandersetzen müssen, weshalb für den Rechtsstreit das Sozialgericht Berlin und nicht das für den Sitz der Brandenburger Landesregierung zuständige Sozialgericht Potsdam zuständig sein soll. Wenn dagegen für das Sozialgericht Osnabrück andere Verträge maßgeblich waren, die allein das Land Berlin betreffen, müsste sich aus dem Verweisungsbeschluss oder zumindest aus den Akten ergeben, welche Verträge dies sein sollen. Insoweit ist der Verweisungsbeschluss aus dem Akteninhalt heraus nicht ansatzweise nachvollziehbar. Insbesondere unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Beklagte bereits schriftsätzlich ausgeführt hat, für sie sei es nicht nachvollziehbar, dass die Regelungen des § 57 a SGG einschlägig sein sollen und das Sozialgericht Osnabrück im Vorfeld der Verweisung keine Gründe hierfür genannt hat, stellt sich die Verweisung so dar, dass nicht sachliche Gründe für sie ausschlaggebend waren, sondern allein der richterliche Wille, den Rechtsstreit schnellstmöglich loszuwerden.

Der Beschluss ist nach § 98 Satz 2 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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