Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 18 AS 3354/12 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 AS 2886/12 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 29. Juni 2012 insoweit aufgehoben, als sie verpflichtet wurde, der Antragstellerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts sowie für Unterkunft und Heizung über den bestandskräftigen Abschluss des Verfahrens bzw. über den 30. September 2012 hinaus, zu gewähren. Insoweit wird der Antrag abgelehnt.
Im Übrigen wird die Beschwerde der Antragsgegnerin zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin hat auch die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Die am 26.4.1997 vor dem Standesamt M., Italien geschlossene Ehe der 1973 geborenen Antragstellerin mit S. B. (S. B.) wurde durch Urteil des Amtsgerichts (AG) W., verkündet am 26.7.2006, nach italienischem Recht getrennt. Ausweislich des Urteils lebten die Eheleute seit Oktober 2004 getrennt. Während der Ehe waren die Kinder G. und M. in Deutschland geboren worden. Mit Urteil vom 20.2.2008, rechtskräftig seit 26.3.2008, hat das AG W. festgestellt, dass der frühere Ehemann der Antragstellerin S. B. nicht der Vater der während der Ehe geborenen Kinder ist.
Am 17.10.2011 reiste die Antragstellerin mit ihren Kindern und ihrem Lebensgefährten A. T. (A. T.) von N. kommend in die Bundesrepublik Deutschland ein. Sie wurden im Hotel A. in S. untergebracht, wofür pro Tag und pro Person 17,00 EUR an Übernachtungskosten anfallen. Die Beschwerdeführerin stellte A. T. zunächst (20.10.2011) einen Lebensmittelgutschein aus und bewilligte ihm und seiner Bedarfsgemeinschaft (Antragstellerin und Kindern) aufgrund seines Antrags vom 19.10.2011 mit Bescheid vom 24.10.2011 Leistungen für die Zeit vom 1.10.2011 bis 30.11.2011 i.H.v. monatlich 1.158,00 EUR (A. T. und Antragstellerin jeweils 328,00 EUR und für die Kinder jeweils 251,00 EUR). Mit Bescheid vom 12.12.2011 bewilligte die Beschwerdeführerin der Bedarfsgemeinschaft für Dezember 2011 ebenfalls Leistungen i.H.v. 1.158,00 EUR.
Vom 1.12.2011 bis 15.2.2012 arbeitete A. T. als Pizzabäcker zu einem Monatslohn von 1.650,00 EUR brutto und netto 893,76 (Steuerklasse 6) bzw. 1.156,87 EUR (Steuerklasse 1).
Mit Bescheid vom 26.1.2012 bewilligte die Beschwerdeführerin A. T. und der Antragstellerin (einschließlich Kindern) für die Zeit vom 1.1.2012 bis 31.3.2012 monatlich 244,24 EUR als aufstockende Regelleistung, wobei die Hotelkosten für Januar 2012 nochmals übernommen wurden und darauf hingewiesen wurde, dass für Februar voraussichtlich ein Teil der Hotelkosten selbst bezahlt werden müsse.
Wegen Änderung der Verhältnisse (Eintritt der Arbeitslosigkeit) bewilligte die Beschwerdeführerin A. T. und der Antragstellerin (nebst Kindern) mit Bescheid vom 16.2.2012 Leistungen i.H.v. 1.949,01 EUR für die Zeit vom 1.2.2012 bis 31.3.2012. Dabei führte sie aus, dieser Bescheid ergehe gemäß § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II in Verbindung mit § 328 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB III vorläufig.
Unter dem 19.3.2012 nahm die Beschwerdeführerin für März 2012 eine Neuberechnung – unter Berücksichtigung von Erwerbseinkommen von A. T. und von Kindergeld – vor und gewährte (ohne Hotelkosten) der Bedarfsgemeinschaft vorläufige Leistungen in Höhe von 474,47 EUR. Mit einem weiteren vorläufigen Bescheid vom 19.3.2012 gewährte die Beschwerdeführerin der Bedarfsgemeinschaft für die Zeit vom 1.4.2012 bis 30.6.2012 Leistungen in Höhe von monatlich 808,00 EUR.
A. T. anerkannte am 6.2.2012 die Vaterschaft zu den Kindern G. und M., der die Antragstellerin unter dem 8.3.2012 zustimmte.
Mit vorläufigem Bescheid vom 26.4.2012 gewährte die Beschwerdeführerin A. T. für Juni 2012 Leistungen i.H.v. 337,00 EUR.
Mit einem weiteren Bescheid vom 26.4.2012 teilte die Beschwerdeführerin der Antragstellerin mit, ab dem 1.6.2012 erhielten sie und ihre Kinder kein Arbeitslosengeld (ALG) II und kein Sozialgeld. Dazu führte sie im Schreiben vom 26.4.2012 an die Antragstellerin und A. T. aus, mit dem Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union seien in § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II ein neuer Ausschlussgrund eingeführt und die übrigen Ausschlussgründe neu geregelt worden. Danach seien Ausländer und deren Familienangehörige während der ersten drei Monate nach Einreise vom Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Nach den ersten drei Monaten seien diejenigen Ausländer ausgeschlossen, deren Aufenthaltsrecht sich ausschließlich aus dem Zweck der Arbeitssuche ergebe. Zum Zeitpunkt der Einreise der Antragstellerin sei der Beschwerdeführerin die Änderung der Ausschlussgründe für Ausländer noch nicht bekannt gewesen, weshalb die Antragstellerin und ihre Kinder in der Vergangenheit Leistungen bezogen hätten. Aus den genannten Regelungen ergebe sich für die Antragstellerin und ihre Kinder ein Leistungsausschluss. Wenn die Kinder die leiblichen Kinder von A. T. wären, hätten sie einen Anspruch auf Leistungen bis August 2012. Es fehle jedoch noch der Nachweis dafür. Der Leistungsausschluss bestehe seit 1.1.2012, weswegen sie sich vorbehalte, die bereits ausgezahlten Leistungen seit 1.1.2012 mit gesondertem Bescheid zurückzufordern. Gegenüber A. T. führte er aus, da A. T. nach seiner Einreise für kurze Zeit gearbeitet habe, habe er zunächst einen Arbeitnehmerstatus erworben, der den Leistungsausschluss bis August 2012 aussetze, so dass er bis 31.8.2012 Leistungen erhalten könne.
Mit Bescheid vom 27.4.2012 gewährte die Beschwerdeführerin A. T. für Juni 2012 ALG II und Sozialgeld i.H.v. 471,00 EUR unter Berücksichtigung der Kinder und unter Anrechnung von Kindergeld in Höhe von jeweils 184,00 EUR.
Gegen den Bescheid vom 27.4.2012 hat A. T. auch im Namen seiner "Familie" Widerspruch eingelegt und insbesondere beanstandet, seine "Frau" erhalte keine Leistungen, obwohl sie über eine Freizügigkeitsbescheinigung verfüge und ihr Aufenthalt außer durch die Arbeitssuche auch familienbedingt (Mann und Kinder) sei. Ferner werde Kindergeld angerechnet, das noch nicht gewährt werde. Die Bundesrepublik Deutschland verstoße gegen europäisches Recht.
Mit Schreiben vom 15.5.2011 teilte die Familienkasse mit, ab November 2011 bestehe Anspruch auf Kindergeld in Höhe von monatlich 368,00 EUR, insgesamt i.H.v. 2.576,00 EUR für die Zeit von November 2011 bis Mai 2012.
Am 14.6.2012 hat die Antragstellerin einen Antrag auf Gewährung von einstweiligen Rechtsschutz gestellt, mit der sie die Gewährung von ALG II-Leistungen begehrt. Zwar seien ihrem Partner und ihren gemeinsamen Kindern Leistungen bewilligt worden, ihr jedoch seien diese versagt worden. Der Widerspruch sei bislang noch nicht beschieden worden; ihre wirtschaftliche Lage spitze sich zu.
Die Beschwerdeführerin ist dem Antrag entgegen getreten. Er hat erwidert, der Lebensgefährte der Antragstellerin habe angegeben, er habe sich vom 1.1.2007 bis 30.9.2011 in Italien aufgehalten. Die Antragstellerin habe angegeben, zuvor Leistungen vom Jobcenter Waiblingen bezogen zu haben. Der Bezugszeitraum sei vom 11.7.2005 bis 31.12.2008 gewesen. Laut der vorgelegten Freizügigkeitsbescheinigung sei der Zeitpunkt der Anmeldung der 11.12.2003 gewesen. Ab 2009 habe sich die Antragstellerin in Italien aufgehalten und sei erst im November 2011 (richtig wohl: 19.10.2011) wieder nach Deutschland eingereist. Die benannten Personen hätten im Frühjahr 2011 Leistungen vom Jobcenter Waiblingen erhalten. Dort seien sie abgemeldet worden, da sie sich offensichtlich zurück nach Italien begeben hätten. Die Kindergeldkasse habe am 15.5.2012 Ansprüche auf Kindergeld festgestellt. Seitens der Beschwerdeführerin sei lediglich ein Erstattungsanspruch für die Zeit von November 2011 bis Dezember 2011 geltend gemacht worden. Es sei kein Grund erkennbar, dass die Kindergeldkasse das Kindergeld nicht ausgezahlt habe. Der Ausgangsbescheid vom 19.3.2012 sei nur vorläufig gewesen, so dass sich die Antragstellerin nicht auf dessen Bestand berufen könne. Ein Anordnungsanspruch sei nicht gegeben. In den Fällen, in denen sich das Aufenthaltsrecht auf den Grund "zur Arbeitssuche" stütze, seien der EU-Bürger und seine Familienangehörigen vom Leistungsbezug nach dem SGB II ausgeschlossen. Einen anderen Grund als den der Arbeitssuche nach § 2 des Freizügigkeitsgesetzes/EU als Einreisegrund liege hier nicht vor. Die Antragstellerin habe seit ihrer Einreise keinen Arbeitnehmerstatus erreicht. Sie sei auch mit der Absicht eingereist, hier von Sozialleistungen zu leben. Zudem greife auch § 2 Abs. 2 Nr. 7 Freizügigkeitsgesetz/EU in Verbindung mit §§ 3, 4 Freizügigkeitsgesetz/EU nicht ein, da sie nicht als Familienangehörige eines in Deutschland erwerbstätigen Unionsbürgers, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland habe, eingereist sei. A. T. sei zwar erwerbstätig (gewesen), nicht jedoch Familienangehöriger. Aus dem Anspruch der Kinder lasse sich kein Anspruch herleiten. Zudem seien die weiteren Freizügigkeitsvoraussetzungen des § 2 Abs. 2 Freizügigkeitsgesetz/EU nicht erfüllt. Zwar hätte die Antragstellerin, ausgehend davon, dass sie sich vom 11.12.2003 bis 31.12.2008 dauerhaft in Deutschland aufgehalten hatte, ein Daueraufenthaltsrecht erworben gehabt. Dieses habe sie jedoch nach § 4a Abs. 7 SGB II (gemeint wohl: Freizügigkeitsgesetz/EU) wieder verloren, da sie sich mehr als zwei Jahre in Italien aufgehalten habe. A. T. habe sogar angegeben, sich schon vom 1.1.2007 bis 30.9.2011 in Italien aufgehalten zu haben. Ein Nachweis, dass die Antragstellerin ihr Daueraufenthaltsrecht nicht verloren habe, liege nicht vor; sie habe auch keinen Arbeitnehmerstatus. Nachdem das BSG mit Urteil vom 19.10.2010 (B 14 AS 23/10) entschieden hatte, der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II finde für Staatsangehörige von Vertragsstaaten des Europäischen Fürsorgeabkommens (EFA) keine Anwendung, habe die Bundesrepublik Deutschland einen Vorbehalt gegen das EFA erklärt, der zum 19.12.2011 in Kraft getreten sei.
Mit Beschluss vom 29.6.2012 hat das SG die Antragsgegnerin verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 14.6.2012 bis 30.6.2012 i.H.v. 479,97 EUR, für die Zeit vom 1.7.2012 bis 31.8.2012 i.H.v. 864,00 EUR monatlich, für die Zeit vom 1.9.2012 bis 30.9.2012 i.H.v. 847,00 EUR, für die Zeit vom 1.10.2012 bis 31.10.2012 i.H.v. 864,00 EUR, für die Zeit vom 1.11.2012 bis 30.11.2012 i.H.v. 847,00 EUR sowie vom 1.12.2012 bis 31.12.2012 i.H.v. 864,00 EUR zu zahlen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Antragstellerin habe sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund hinreichend glaubhaft gemacht. Die Folgenabwägung gehe zu Gunsten der Antragstellerin aus. Dabei sei maßgeblich zu berücksichtigen, dass die Anspruchsvoraussetzungen nach dem derzeitigen Stand vorlägen und der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II – auch wenn sich das Aufenthaltsrecht der Antragstellerin ausschließlich aus dem Recht zur Arbeitssuche ergeben sollte – für eine italienische Staatsangehörige als Alt-Unionsbürgerin und unter Berücksichtigung des primären EU-Rechts erheblichen Bedenken begegne. Zweifelhaft sei auch, ob der von der Bundesregierung erklärte Vorbehalt gegen die Anwendung des Abkommens wirksam sei. Auf die Entscheidungsgründe im Übrigen wird Bezug genommen.
Gegen den ihr am 2.7.2012 zugestellten Beschluss hat die Beschwerdeführerin am 6.7.2012 Beschwerde eingelegt und vorgetragen, mit Bescheid vom 27.6.2012 seien A. T. und den Kindern für die Zeit vom 1.7. bis 15.8.2012 weiter Leistungen bewilligt worden. Der Beschluss des SG sei aufzuheben und der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abzuweisen. Sie hat unter anderem auf Entscheidungen des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Württemberg vom 16.5.2012 – L 3 AS 1477/11 – und des LSG Nordrhein-Westfalen vom 22.6.2012 – L 19 AS 845/12 B ER und L 19 AS 846/12 B – verwiesen und ausgeführt, die Antragstellerin könne kein Aufenthaltsrecht herleiten, da sie mit A. T. nicht verheiratet sei. Auch von den zwei Kindern (italienische Staatsangehörige laut Meldebestätigung) könne die Antragstellerin kein Aufenthaltsrecht herleiten, da die Voraussetzungen nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 Freizügigkeitsgesetz/EU und nach § 4 Freizügigkeitsgesetz/EU nicht erfüllt seien. Entgegen der Ansicht des SG, das der Argumentation des LSG Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 23.5.2012 – L 25 AS 837/12 ER –) folge, sei der von der Bundesregierung erklärte Vorbehalt gegen die Anwendung des EFA wirksam. Ergänzend werde ausgeführt, dass für die Zeit ab 16.8.2012 der Partner der Antragstellerin voraussichtlich keinen Arbeitnehmerstatus mehr haben werde. Eine tatsächliche Verbindung zum Arbeitsmarkt weise die Antragstellerin nicht auf. Aus einem einmaligen Vorstellungsgespräch könne kein Schluss auf eine ernsthafte Arbeitssuche gezogen werden. Es sei daher davon auszugehen, dass keine ernsthaften Absichten vorlägen, eine Beschäftigung aufzunehmen. Auf die Beschlüsse des LSG Baden-Württemberg vom 15.4.2010 – L 13 AS 1124/10 ER-B – und vom 22.2. 2010 – L 13 AS 365/10 ER-B – werde Bezug genommen.
Die Beschwerdeführerin beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 29. Juni 2012 aufzuheben und den Antrag vom 14. Juni 2012 abzulehnen.
Die Beschwerdegegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie erwidert, es bestehe ein unabweisbarer Bedarf. Sie sei italienische Staatsbürgerin und Mutter von zwei bleibe- und freizügigkeitsberechtigten Kindern. Sie besitze das Sorgerecht und übe dies auch aus. Sie lebe mit A. T. in einer eheähnlichen Bedarfs- und Wirtschaftsgemeinschaft. Ihr Aufenthalts sei nicht nur arbeits-, sondern auch familienbezogen.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf die Akten der Beschwerdeführerin, des SG sowie des Senats Bezug genommen.
II.
Die form- und fristgemäß eingelegte Beschwerde der Antragsgegnerin ist zulässig, aber nur teilweise begründet. Die Antragstellerin hat Anspruch auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts sowie für Unterkunft und Heizung nach dem SGB II im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens, längstens bis zum 30.9.2012. Hierbei ist darauf hinzuweisen, dass A. T. auch im Namen der Antragstellerin gegen die Ablehnung der Leistungen ihr gegenüber wirksam Widerspruch eingelegt hat (Bescheid vom 26.4.2012).
Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht der Fall des Abs. 1 des § 86b SGG vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragsstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG). Vorliegend kommt nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Grundsätzlich soll wegen des vorläufigen Charakters der einstweiligen Anordnung die endgültige Entscheidung der Hauptsache nicht vorweggenommen werden. Wegen des Gebots, effektiven Rechtsschutz zu gewähren (vgl. Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz), ist von diesem Grundsatz eine Abweichung nur dann geboten, wenn ohne die begehrte Anordnung schwere und unzumutbare, später nicht mehr gutzumachende Nachteile entstünden, zu deren Beseitigung eine nachfolgende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre. Eine solche Fallgestaltung ist anzunehmen, wenn es – wie hier – im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes um die Sicherung des verfassungsrechtlich garantierten Existenzminimums während eines Verfahrens geht. Ist während des Hauptsacheverfahrens das Existenzminimum nicht gedeckt, kann diese Beeinträchtigung nachträglich nicht mehr ausgeglichen werden, selbst wenn dem Rechtsbehelfsverfahren erstrittenen Leistungen rückwirkend gewährt werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.5.2005 – 1 BvR 569/05 –NVwZ 2005, 927, 928 und in juris). Die Gerichte müssen in solchen Fällen, wenn sie sich einen Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren wollen, die Sach-und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend prüfen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29.7.2003 – 2 BvR 311/03 – NVw Z 2004, 95, 96 – und in juris). Ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden.
Die in § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 4 SGB II genannten Voraussetzungen für die Bewilligung von Leistungen sind erfüllt. Danach erhalten Leistungen nach diesem Buch Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht haben (Nr. 1), erwerbsfähig sind (Nr. 2), hilfebedürftig sind (Nr. 3) und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (Nr. 4). Die im Jahr 1973 geborene Antragstellerin ist erwerbsfähig. Insbesondere steht der Erwerbsfähigkeit der Antragstellerin nicht § 8 Abs. 2 S. 1 SGB II entgegen, denn ihr ist als "Alt-EU-Bürgerin" die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt. Sie ist auch hilfebedürftig im Sinne von § 9 SGB II und hat dementsprechend vom 19.10.2011 bis 31.5.2011 Leistungen nach dem SGB II bezogen. Seit 19.10.2011 hält sie sich mit ihrem Lebensgefährten und den Kindern rechtmäßig in der Bundesrepublik Deutschland auf, so dass auch ein gewöhnlicher Aufenthalt zu bejahen ist (BSG, Urteil vom 25.1.2012 – B 14 AS 138/11 R – in juris m. w. N.).
Einem Anspruch der Antragstellerin könnte § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II entgegenstehen, wonach Ausländer und Ausländerinnen, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus den Zweck der Arbeitssuche ergibt, keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II haben.
Das Aufenthaltsrecht der Antragstellerin ergibt sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche. Sie hat insbesondere kein Aufenthaltsrecht als Familienangehörige gemäß § 3 Freizügigkeitsgesetz/EU. Zwar mag die Antragstellerin ihren Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland auch deswegen begründet haben, weil sie mit ihrem Lebensgefährten A. T. und den gemeinsamen Kindern zusammen leben wollte. Sie ist jedoch nicht Familienangehörige von A. T., da sie mit diesem nicht verheiratet ist. Der nichteheliche Partner zählt nicht zu den Familienangehörigen (EuGH, Urteil vom 17.4.1986, 59/85, Leitsatz 1 in juris). Ein Aufenthaltsrecht kann die Antragstellerin auch nicht von ihren Kindern herleiten, da diese nicht zu den in § 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 5 Freizügigkeitsgesetz/EU genannten Personen (Unionsbürger, die sich als Arbeitnehmer, zur Arbeitssuche oder zur Berufsausbildung, Ausübung einer selbstständigen Erwerbstätigkeit u. ä.) gehören. Ein Daueraufenthaltsrecht der Antragstellerin nach § 4a Freizügigkeitsgesetz/EU ist schon nicht belegt und wäre allein schon aufgrund der mehr als zweijährigen Abwesenheit nach § 4a Abs. 7 Freizügigkeitsgesetz/EU wieder verloren gegangen. Die Antragstellerin hat seit ihrem Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland in keinem Arbeitsverhältnis gestanden, so dass sie weder als Arbeitnehmerin noch als Arbeitnehmerin bei unfreiwilliger durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigter Arbeitslosigkeit nach weniger als einem Jahr Beschäftigung aufenthaltsberechtigt ist (§ 2 Abs. 3 S. 2 Freizügigkeitsgesetz/EU).
Zwar dürfte § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II nicht gegen Recht der Europäischen Union verstoßen. Hierzu hat der 3. Senat des LSG Baden-Württemberg mit Urteil vom 16.5.2012 – L 3 AS 1477/11 – in juris entschieden, es liege kein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot aus Art. 4 in Verbindung mit Art. 70 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19.4.2004 vor, da diese Vorschrift hinter die Regelung in Art. 24 Abs. 2 Freizügigkeitsrichtlinie zurücktrete, die als lex specialis eine nationalstaatliche Regelung über den Ausschluss von EU-Bürgern von Leistungen nach dem SGB II zulasse. Auch verletze Art. 24 Abs. 2 Freizügigkeitsrichtlinie nach der Rechtsprechung des EuGH nicht Primärrecht der Union, insbesondere nicht Art. 39 EUV (jetzt Art. 45 AEUV). Dieser Rechtsauffassung hat sich der Senat im Beschluss vom 16.7.2012 – L 9 AS 1790/12 ER-B – angeschlossen. Auf die Ausführungen im Urteil vom 16.5.2012, a. a. O., und im Beschluss vom 16.7.2012, a. a. O., wird Bezug genommen.
In Betracht kommen könnte jedoch, dass § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II gegenüber Angehörigen eines Signatarstaates des EFA, zu denen auch Italien gehört, nicht anwendbar sein könnte.
Mit Urteil vom 19.10.2010 – B 14 AS 23/10 R – in SozR 4-4200 § 7 Nr. 21 und in juris hatte das BSG entschieden, dass ein Ausländer, der sein Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ableite, nicht von den Leistungen der Grundsicherung vor Arbeitsuchende ausgeschlossen sei, wenn er vom Schutzbereich des EFA erfasst werde. Nach Art. 1 EFA sei jeder der vertragsschließenden Staaten verpflichtet, den Staatsangehörigen der anderen Vertragsstaaten, die sich in irgendeinem Teil seines Gebietes, auf das dieses Abkommen Anwendung finde, erlaubt aufhielten und nicht über ausreichende Mittel verfügten, in gleicher Weise wie seinen eigenen Staatsangehörigen und unter den gleichen Bedingungen die Leistungen der sozialen und Gesundheitsfürsorge zu gewähren, die in der in diesem Teil seines Gebietes geltenden Gesetzgebung vorgesehen seien. Bei dieser Vorschrift handle es sich um unmittelbar geltendes Bundesrecht. Bei der Regelleistung nach § 20 SGB II handle es sich um "Fürsorge" im Sinne von Art. 1 EFA. Die Bundesrepublik habe bisher auch keinen Vorbehalt hinsichtlich der Anwendung des SGB II auf die Staatsangehörigen der anderen Vertragsstaaten abgegeben (vgl. Art. 16 Abs. b S. 2 EFA). Der bislang abgegebene Vorbehalt betreffe jeweils nur die im Bundessozialhilfegesetz (BSHG) "in der jeweils geltenden Fassung" vorgesehene Hilfe zum Aufbau oder zur Sicherung der Lebensgrundlage und die dort vorgesehene Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten an Staatsangehörige der übrigen Vertragsstaaten.
Nachdem die Bundesrepublik mit Wirkung zum 19.12.2011 den Vorbehalt gemäß Art. 16 Abs. b EFA für Leistungen nach dem SGB II erklärt hat, ist in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung umstritten, ob der Vorbehalt wirksam ist und den normierten Voraussetzungen entspricht.
Während der 20. und 29. Senat des LSG Berlin-Brandenburg (Beschlüsse vom 12.6.2012 – L 29 AS 914/12 B ER – und – L 29 AS 1044/12 B ER – sowie vom 21.6.2012 – L 20 AS 1322/12 B – in juris) den Vorbehalt als wirksam ansehen (so auch SG Nürnberg, Beschluss vom 4.7.2012 – S 10 AS 494/12 ER – in juris), sieht der 19. Senat des LSG Berlin-Brandenburg (Beschlüsse vom 9.5.2012 – L 19 AS 794/12 B ER – und vom 23.5.2012 – L 19 AS 1106/12 B ER – in juris) den Vorbehalt als unwirksam an, da er nach dem Wortlaut von Art. 16 Abs. b S. 2 EFA nur gleichzeitig mit der Mitteilung neuer Rechtsvorschriften an den Generalsekretär des Europarates erfolgen könne. Dies sei hier nicht erfolgt, nachdem das SGB II bereits zum 1.1.2005 in Kraft getreten sei und auch bei Inkrafttreten des Leistungsausschlusses in § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II zum 28.8.2007 kein Vorbehalt erklärt worden sei. Der 25. Senat des LSG Berlin-Brandenburg hegt ebenfalls Zweifel an der Wirksamkeit des Vorbehalts (Beschluss vom 23.5.2012 – L 25 AS 837/12 B ER – in juris). Der 3. Senat des LSG Baden-Württemberg hat im Beschluss vom 3.7.2012 – L 3 AS 2541/12 ER – jedoch darauf hingewiesen, dass für die Wirksamkeit des von der Bundesregierung erklärten Vorbehalts und damit gegen die Anwendbarkeit des EFA sprechen könnte, dass nach Art. 16 Abs. b EFA der Vorbehalt nicht bei Erlass der neuen Rechtsvorschrift, sondern erst bei deren Mitteilung an den Generalsekretär des Europarats zu erklären sei. Zwar habe diese Mitteilung nach Art. 16 Abs. a EFA bei jeder Änderung der Gesetzgebung zu erfolgen, die den Inhalt von Anhang X berühre; gleichwohl werde auch hier nicht auf den Erlass der Rechtsänderung, sondern auf die Mitteilung abgestellt.
Da die Frage der Anwendbarkeit von § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II auf arbeitsuchende Unionsbürger aus Staaten, die das EFA unterzeichnet haben, nach Erklärung des Vorbehalts durch die Bundesregierung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht abschließend zu klären ist, muss der Ausgang des Hauptsacheverfahrens als offen bezeichnet werden. Bei der deshalb durchzuführenden Folgenabwägung (BVerfG, Beschluss vom 12.5.2005 – 1 BvR 569/05) sind grundrechtliche Belange der Antragstellerin umfassend in die Abwägung einzubeziehen. Da es vorliegend um die Existenzsicherung und damit die Sicherstellung menschenwürdigen Lebens geht, überwiegen die Belange der Antragstellerin am Erlass einer Regelungsanordnung hinsichtlich der Leistungen nach dem SGB II (Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts sowie zur Unterkunft und Heizung) das Interesse der Beschwerdeführerin, keine finanziellen Aufwendungen bei ungeklärter Rechtslage aufbringen zu müssen.
Der Senat hat die vorläufige Leistungsverpflichtung der Beschwerdeführerin auf den bestandskräftigen Abschluss des Hauptsache- bzw. Widerspruchsverfahrens, spätestens aber auf den 30.9.2012, zu beschränken, zumal sich das Aufenthaltsrecht der Antragstellerin allein aus der Arbeitssuche (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 Freizügigkeitsgesetz/EU) herleitet, ohne dass diesbezügliche nennenswerte Bemühungen der Antragstellerin um Arbeit erkennbar sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).
Im Übrigen wird die Beschwerde der Antragsgegnerin zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin hat auch die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Die am 26.4.1997 vor dem Standesamt M., Italien geschlossene Ehe der 1973 geborenen Antragstellerin mit S. B. (S. B.) wurde durch Urteil des Amtsgerichts (AG) W., verkündet am 26.7.2006, nach italienischem Recht getrennt. Ausweislich des Urteils lebten die Eheleute seit Oktober 2004 getrennt. Während der Ehe waren die Kinder G. und M. in Deutschland geboren worden. Mit Urteil vom 20.2.2008, rechtskräftig seit 26.3.2008, hat das AG W. festgestellt, dass der frühere Ehemann der Antragstellerin S. B. nicht der Vater der während der Ehe geborenen Kinder ist.
Am 17.10.2011 reiste die Antragstellerin mit ihren Kindern und ihrem Lebensgefährten A. T. (A. T.) von N. kommend in die Bundesrepublik Deutschland ein. Sie wurden im Hotel A. in S. untergebracht, wofür pro Tag und pro Person 17,00 EUR an Übernachtungskosten anfallen. Die Beschwerdeführerin stellte A. T. zunächst (20.10.2011) einen Lebensmittelgutschein aus und bewilligte ihm und seiner Bedarfsgemeinschaft (Antragstellerin und Kindern) aufgrund seines Antrags vom 19.10.2011 mit Bescheid vom 24.10.2011 Leistungen für die Zeit vom 1.10.2011 bis 30.11.2011 i.H.v. monatlich 1.158,00 EUR (A. T. und Antragstellerin jeweils 328,00 EUR und für die Kinder jeweils 251,00 EUR). Mit Bescheid vom 12.12.2011 bewilligte die Beschwerdeführerin der Bedarfsgemeinschaft für Dezember 2011 ebenfalls Leistungen i.H.v. 1.158,00 EUR.
Vom 1.12.2011 bis 15.2.2012 arbeitete A. T. als Pizzabäcker zu einem Monatslohn von 1.650,00 EUR brutto und netto 893,76 (Steuerklasse 6) bzw. 1.156,87 EUR (Steuerklasse 1).
Mit Bescheid vom 26.1.2012 bewilligte die Beschwerdeführerin A. T. und der Antragstellerin (einschließlich Kindern) für die Zeit vom 1.1.2012 bis 31.3.2012 monatlich 244,24 EUR als aufstockende Regelleistung, wobei die Hotelkosten für Januar 2012 nochmals übernommen wurden und darauf hingewiesen wurde, dass für Februar voraussichtlich ein Teil der Hotelkosten selbst bezahlt werden müsse.
Wegen Änderung der Verhältnisse (Eintritt der Arbeitslosigkeit) bewilligte die Beschwerdeführerin A. T. und der Antragstellerin (nebst Kindern) mit Bescheid vom 16.2.2012 Leistungen i.H.v. 1.949,01 EUR für die Zeit vom 1.2.2012 bis 31.3.2012. Dabei führte sie aus, dieser Bescheid ergehe gemäß § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II in Verbindung mit § 328 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB III vorläufig.
Unter dem 19.3.2012 nahm die Beschwerdeführerin für März 2012 eine Neuberechnung – unter Berücksichtigung von Erwerbseinkommen von A. T. und von Kindergeld – vor und gewährte (ohne Hotelkosten) der Bedarfsgemeinschaft vorläufige Leistungen in Höhe von 474,47 EUR. Mit einem weiteren vorläufigen Bescheid vom 19.3.2012 gewährte die Beschwerdeführerin der Bedarfsgemeinschaft für die Zeit vom 1.4.2012 bis 30.6.2012 Leistungen in Höhe von monatlich 808,00 EUR.
A. T. anerkannte am 6.2.2012 die Vaterschaft zu den Kindern G. und M., der die Antragstellerin unter dem 8.3.2012 zustimmte.
Mit vorläufigem Bescheid vom 26.4.2012 gewährte die Beschwerdeführerin A. T. für Juni 2012 Leistungen i.H.v. 337,00 EUR.
Mit einem weiteren Bescheid vom 26.4.2012 teilte die Beschwerdeführerin der Antragstellerin mit, ab dem 1.6.2012 erhielten sie und ihre Kinder kein Arbeitslosengeld (ALG) II und kein Sozialgeld. Dazu führte sie im Schreiben vom 26.4.2012 an die Antragstellerin und A. T. aus, mit dem Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union seien in § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II ein neuer Ausschlussgrund eingeführt und die übrigen Ausschlussgründe neu geregelt worden. Danach seien Ausländer und deren Familienangehörige während der ersten drei Monate nach Einreise vom Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Nach den ersten drei Monaten seien diejenigen Ausländer ausgeschlossen, deren Aufenthaltsrecht sich ausschließlich aus dem Zweck der Arbeitssuche ergebe. Zum Zeitpunkt der Einreise der Antragstellerin sei der Beschwerdeführerin die Änderung der Ausschlussgründe für Ausländer noch nicht bekannt gewesen, weshalb die Antragstellerin und ihre Kinder in der Vergangenheit Leistungen bezogen hätten. Aus den genannten Regelungen ergebe sich für die Antragstellerin und ihre Kinder ein Leistungsausschluss. Wenn die Kinder die leiblichen Kinder von A. T. wären, hätten sie einen Anspruch auf Leistungen bis August 2012. Es fehle jedoch noch der Nachweis dafür. Der Leistungsausschluss bestehe seit 1.1.2012, weswegen sie sich vorbehalte, die bereits ausgezahlten Leistungen seit 1.1.2012 mit gesondertem Bescheid zurückzufordern. Gegenüber A. T. führte er aus, da A. T. nach seiner Einreise für kurze Zeit gearbeitet habe, habe er zunächst einen Arbeitnehmerstatus erworben, der den Leistungsausschluss bis August 2012 aussetze, so dass er bis 31.8.2012 Leistungen erhalten könne.
Mit Bescheid vom 27.4.2012 gewährte die Beschwerdeführerin A. T. für Juni 2012 ALG II und Sozialgeld i.H.v. 471,00 EUR unter Berücksichtigung der Kinder und unter Anrechnung von Kindergeld in Höhe von jeweils 184,00 EUR.
Gegen den Bescheid vom 27.4.2012 hat A. T. auch im Namen seiner "Familie" Widerspruch eingelegt und insbesondere beanstandet, seine "Frau" erhalte keine Leistungen, obwohl sie über eine Freizügigkeitsbescheinigung verfüge und ihr Aufenthalt außer durch die Arbeitssuche auch familienbedingt (Mann und Kinder) sei. Ferner werde Kindergeld angerechnet, das noch nicht gewährt werde. Die Bundesrepublik Deutschland verstoße gegen europäisches Recht.
Mit Schreiben vom 15.5.2011 teilte die Familienkasse mit, ab November 2011 bestehe Anspruch auf Kindergeld in Höhe von monatlich 368,00 EUR, insgesamt i.H.v. 2.576,00 EUR für die Zeit von November 2011 bis Mai 2012.
Am 14.6.2012 hat die Antragstellerin einen Antrag auf Gewährung von einstweiligen Rechtsschutz gestellt, mit der sie die Gewährung von ALG II-Leistungen begehrt. Zwar seien ihrem Partner und ihren gemeinsamen Kindern Leistungen bewilligt worden, ihr jedoch seien diese versagt worden. Der Widerspruch sei bislang noch nicht beschieden worden; ihre wirtschaftliche Lage spitze sich zu.
Die Beschwerdeführerin ist dem Antrag entgegen getreten. Er hat erwidert, der Lebensgefährte der Antragstellerin habe angegeben, er habe sich vom 1.1.2007 bis 30.9.2011 in Italien aufgehalten. Die Antragstellerin habe angegeben, zuvor Leistungen vom Jobcenter Waiblingen bezogen zu haben. Der Bezugszeitraum sei vom 11.7.2005 bis 31.12.2008 gewesen. Laut der vorgelegten Freizügigkeitsbescheinigung sei der Zeitpunkt der Anmeldung der 11.12.2003 gewesen. Ab 2009 habe sich die Antragstellerin in Italien aufgehalten und sei erst im November 2011 (richtig wohl: 19.10.2011) wieder nach Deutschland eingereist. Die benannten Personen hätten im Frühjahr 2011 Leistungen vom Jobcenter Waiblingen erhalten. Dort seien sie abgemeldet worden, da sie sich offensichtlich zurück nach Italien begeben hätten. Die Kindergeldkasse habe am 15.5.2012 Ansprüche auf Kindergeld festgestellt. Seitens der Beschwerdeführerin sei lediglich ein Erstattungsanspruch für die Zeit von November 2011 bis Dezember 2011 geltend gemacht worden. Es sei kein Grund erkennbar, dass die Kindergeldkasse das Kindergeld nicht ausgezahlt habe. Der Ausgangsbescheid vom 19.3.2012 sei nur vorläufig gewesen, so dass sich die Antragstellerin nicht auf dessen Bestand berufen könne. Ein Anordnungsanspruch sei nicht gegeben. In den Fällen, in denen sich das Aufenthaltsrecht auf den Grund "zur Arbeitssuche" stütze, seien der EU-Bürger und seine Familienangehörigen vom Leistungsbezug nach dem SGB II ausgeschlossen. Einen anderen Grund als den der Arbeitssuche nach § 2 des Freizügigkeitsgesetzes/EU als Einreisegrund liege hier nicht vor. Die Antragstellerin habe seit ihrer Einreise keinen Arbeitnehmerstatus erreicht. Sie sei auch mit der Absicht eingereist, hier von Sozialleistungen zu leben. Zudem greife auch § 2 Abs. 2 Nr. 7 Freizügigkeitsgesetz/EU in Verbindung mit §§ 3, 4 Freizügigkeitsgesetz/EU nicht ein, da sie nicht als Familienangehörige eines in Deutschland erwerbstätigen Unionsbürgers, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland habe, eingereist sei. A. T. sei zwar erwerbstätig (gewesen), nicht jedoch Familienangehöriger. Aus dem Anspruch der Kinder lasse sich kein Anspruch herleiten. Zudem seien die weiteren Freizügigkeitsvoraussetzungen des § 2 Abs. 2 Freizügigkeitsgesetz/EU nicht erfüllt. Zwar hätte die Antragstellerin, ausgehend davon, dass sie sich vom 11.12.2003 bis 31.12.2008 dauerhaft in Deutschland aufgehalten hatte, ein Daueraufenthaltsrecht erworben gehabt. Dieses habe sie jedoch nach § 4a Abs. 7 SGB II (gemeint wohl: Freizügigkeitsgesetz/EU) wieder verloren, da sie sich mehr als zwei Jahre in Italien aufgehalten habe. A. T. habe sogar angegeben, sich schon vom 1.1.2007 bis 30.9.2011 in Italien aufgehalten zu haben. Ein Nachweis, dass die Antragstellerin ihr Daueraufenthaltsrecht nicht verloren habe, liege nicht vor; sie habe auch keinen Arbeitnehmerstatus. Nachdem das BSG mit Urteil vom 19.10.2010 (B 14 AS 23/10) entschieden hatte, der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II finde für Staatsangehörige von Vertragsstaaten des Europäischen Fürsorgeabkommens (EFA) keine Anwendung, habe die Bundesrepublik Deutschland einen Vorbehalt gegen das EFA erklärt, der zum 19.12.2011 in Kraft getreten sei.
Mit Beschluss vom 29.6.2012 hat das SG die Antragsgegnerin verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 14.6.2012 bis 30.6.2012 i.H.v. 479,97 EUR, für die Zeit vom 1.7.2012 bis 31.8.2012 i.H.v. 864,00 EUR monatlich, für die Zeit vom 1.9.2012 bis 30.9.2012 i.H.v. 847,00 EUR, für die Zeit vom 1.10.2012 bis 31.10.2012 i.H.v. 864,00 EUR, für die Zeit vom 1.11.2012 bis 30.11.2012 i.H.v. 847,00 EUR sowie vom 1.12.2012 bis 31.12.2012 i.H.v. 864,00 EUR zu zahlen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Antragstellerin habe sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund hinreichend glaubhaft gemacht. Die Folgenabwägung gehe zu Gunsten der Antragstellerin aus. Dabei sei maßgeblich zu berücksichtigen, dass die Anspruchsvoraussetzungen nach dem derzeitigen Stand vorlägen und der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II – auch wenn sich das Aufenthaltsrecht der Antragstellerin ausschließlich aus dem Recht zur Arbeitssuche ergeben sollte – für eine italienische Staatsangehörige als Alt-Unionsbürgerin und unter Berücksichtigung des primären EU-Rechts erheblichen Bedenken begegne. Zweifelhaft sei auch, ob der von der Bundesregierung erklärte Vorbehalt gegen die Anwendung des Abkommens wirksam sei. Auf die Entscheidungsgründe im Übrigen wird Bezug genommen.
Gegen den ihr am 2.7.2012 zugestellten Beschluss hat die Beschwerdeführerin am 6.7.2012 Beschwerde eingelegt und vorgetragen, mit Bescheid vom 27.6.2012 seien A. T. und den Kindern für die Zeit vom 1.7. bis 15.8.2012 weiter Leistungen bewilligt worden. Der Beschluss des SG sei aufzuheben und der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abzuweisen. Sie hat unter anderem auf Entscheidungen des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Württemberg vom 16.5.2012 – L 3 AS 1477/11 – und des LSG Nordrhein-Westfalen vom 22.6.2012 – L 19 AS 845/12 B ER und L 19 AS 846/12 B – verwiesen und ausgeführt, die Antragstellerin könne kein Aufenthaltsrecht herleiten, da sie mit A. T. nicht verheiratet sei. Auch von den zwei Kindern (italienische Staatsangehörige laut Meldebestätigung) könne die Antragstellerin kein Aufenthaltsrecht herleiten, da die Voraussetzungen nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 Freizügigkeitsgesetz/EU und nach § 4 Freizügigkeitsgesetz/EU nicht erfüllt seien. Entgegen der Ansicht des SG, das der Argumentation des LSG Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 23.5.2012 – L 25 AS 837/12 ER –) folge, sei der von der Bundesregierung erklärte Vorbehalt gegen die Anwendung des EFA wirksam. Ergänzend werde ausgeführt, dass für die Zeit ab 16.8.2012 der Partner der Antragstellerin voraussichtlich keinen Arbeitnehmerstatus mehr haben werde. Eine tatsächliche Verbindung zum Arbeitsmarkt weise die Antragstellerin nicht auf. Aus einem einmaligen Vorstellungsgespräch könne kein Schluss auf eine ernsthafte Arbeitssuche gezogen werden. Es sei daher davon auszugehen, dass keine ernsthaften Absichten vorlägen, eine Beschäftigung aufzunehmen. Auf die Beschlüsse des LSG Baden-Württemberg vom 15.4.2010 – L 13 AS 1124/10 ER-B – und vom 22.2. 2010 – L 13 AS 365/10 ER-B – werde Bezug genommen.
Die Beschwerdeführerin beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 29. Juni 2012 aufzuheben und den Antrag vom 14. Juni 2012 abzulehnen.
Die Beschwerdegegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie erwidert, es bestehe ein unabweisbarer Bedarf. Sie sei italienische Staatsbürgerin und Mutter von zwei bleibe- und freizügigkeitsberechtigten Kindern. Sie besitze das Sorgerecht und übe dies auch aus. Sie lebe mit A. T. in einer eheähnlichen Bedarfs- und Wirtschaftsgemeinschaft. Ihr Aufenthalts sei nicht nur arbeits-, sondern auch familienbezogen.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf die Akten der Beschwerdeführerin, des SG sowie des Senats Bezug genommen.
II.
Die form- und fristgemäß eingelegte Beschwerde der Antragsgegnerin ist zulässig, aber nur teilweise begründet. Die Antragstellerin hat Anspruch auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts sowie für Unterkunft und Heizung nach dem SGB II im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens, längstens bis zum 30.9.2012. Hierbei ist darauf hinzuweisen, dass A. T. auch im Namen der Antragstellerin gegen die Ablehnung der Leistungen ihr gegenüber wirksam Widerspruch eingelegt hat (Bescheid vom 26.4.2012).
Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht der Fall des Abs. 1 des § 86b SGG vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragsstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG). Vorliegend kommt nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Grundsätzlich soll wegen des vorläufigen Charakters der einstweiligen Anordnung die endgültige Entscheidung der Hauptsache nicht vorweggenommen werden. Wegen des Gebots, effektiven Rechtsschutz zu gewähren (vgl. Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz), ist von diesem Grundsatz eine Abweichung nur dann geboten, wenn ohne die begehrte Anordnung schwere und unzumutbare, später nicht mehr gutzumachende Nachteile entstünden, zu deren Beseitigung eine nachfolgende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre. Eine solche Fallgestaltung ist anzunehmen, wenn es – wie hier – im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes um die Sicherung des verfassungsrechtlich garantierten Existenzminimums während eines Verfahrens geht. Ist während des Hauptsacheverfahrens das Existenzminimum nicht gedeckt, kann diese Beeinträchtigung nachträglich nicht mehr ausgeglichen werden, selbst wenn dem Rechtsbehelfsverfahren erstrittenen Leistungen rückwirkend gewährt werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.5.2005 – 1 BvR 569/05 –NVwZ 2005, 927, 928 und in juris). Die Gerichte müssen in solchen Fällen, wenn sie sich einen Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren wollen, die Sach-und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend prüfen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29.7.2003 – 2 BvR 311/03 – NVw Z 2004, 95, 96 – und in juris). Ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden.
Die in § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 4 SGB II genannten Voraussetzungen für die Bewilligung von Leistungen sind erfüllt. Danach erhalten Leistungen nach diesem Buch Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht haben (Nr. 1), erwerbsfähig sind (Nr. 2), hilfebedürftig sind (Nr. 3) und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (Nr. 4). Die im Jahr 1973 geborene Antragstellerin ist erwerbsfähig. Insbesondere steht der Erwerbsfähigkeit der Antragstellerin nicht § 8 Abs. 2 S. 1 SGB II entgegen, denn ihr ist als "Alt-EU-Bürgerin" die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt. Sie ist auch hilfebedürftig im Sinne von § 9 SGB II und hat dementsprechend vom 19.10.2011 bis 31.5.2011 Leistungen nach dem SGB II bezogen. Seit 19.10.2011 hält sie sich mit ihrem Lebensgefährten und den Kindern rechtmäßig in der Bundesrepublik Deutschland auf, so dass auch ein gewöhnlicher Aufenthalt zu bejahen ist (BSG, Urteil vom 25.1.2012 – B 14 AS 138/11 R – in juris m. w. N.).
Einem Anspruch der Antragstellerin könnte § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II entgegenstehen, wonach Ausländer und Ausländerinnen, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus den Zweck der Arbeitssuche ergibt, keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II haben.
Das Aufenthaltsrecht der Antragstellerin ergibt sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche. Sie hat insbesondere kein Aufenthaltsrecht als Familienangehörige gemäß § 3 Freizügigkeitsgesetz/EU. Zwar mag die Antragstellerin ihren Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland auch deswegen begründet haben, weil sie mit ihrem Lebensgefährten A. T. und den gemeinsamen Kindern zusammen leben wollte. Sie ist jedoch nicht Familienangehörige von A. T., da sie mit diesem nicht verheiratet ist. Der nichteheliche Partner zählt nicht zu den Familienangehörigen (EuGH, Urteil vom 17.4.1986, 59/85, Leitsatz 1 in juris). Ein Aufenthaltsrecht kann die Antragstellerin auch nicht von ihren Kindern herleiten, da diese nicht zu den in § 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 5 Freizügigkeitsgesetz/EU genannten Personen (Unionsbürger, die sich als Arbeitnehmer, zur Arbeitssuche oder zur Berufsausbildung, Ausübung einer selbstständigen Erwerbstätigkeit u. ä.) gehören. Ein Daueraufenthaltsrecht der Antragstellerin nach § 4a Freizügigkeitsgesetz/EU ist schon nicht belegt und wäre allein schon aufgrund der mehr als zweijährigen Abwesenheit nach § 4a Abs. 7 Freizügigkeitsgesetz/EU wieder verloren gegangen. Die Antragstellerin hat seit ihrem Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland in keinem Arbeitsverhältnis gestanden, so dass sie weder als Arbeitnehmerin noch als Arbeitnehmerin bei unfreiwilliger durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigter Arbeitslosigkeit nach weniger als einem Jahr Beschäftigung aufenthaltsberechtigt ist (§ 2 Abs. 3 S. 2 Freizügigkeitsgesetz/EU).
Zwar dürfte § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II nicht gegen Recht der Europäischen Union verstoßen. Hierzu hat der 3. Senat des LSG Baden-Württemberg mit Urteil vom 16.5.2012 – L 3 AS 1477/11 – in juris entschieden, es liege kein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot aus Art. 4 in Verbindung mit Art. 70 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19.4.2004 vor, da diese Vorschrift hinter die Regelung in Art. 24 Abs. 2 Freizügigkeitsrichtlinie zurücktrete, die als lex specialis eine nationalstaatliche Regelung über den Ausschluss von EU-Bürgern von Leistungen nach dem SGB II zulasse. Auch verletze Art. 24 Abs. 2 Freizügigkeitsrichtlinie nach der Rechtsprechung des EuGH nicht Primärrecht der Union, insbesondere nicht Art. 39 EUV (jetzt Art. 45 AEUV). Dieser Rechtsauffassung hat sich der Senat im Beschluss vom 16.7.2012 – L 9 AS 1790/12 ER-B – angeschlossen. Auf die Ausführungen im Urteil vom 16.5.2012, a. a. O., und im Beschluss vom 16.7.2012, a. a. O., wird Bezug genommen.
In Betracht kommen könnte jedoch, dass § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II gegenüber Angehörigen eines Signatarstaates des EFA, zu denen auch Italien gehört, nicht anwendbar sein könnte.
Mit Urteil vom 19.10.2010 – B 14 AS 23/10 R – in SozR 4-4200 § 7 Nr. 21 und in juris hatte das BSG entschieden, dass ein Ausländer, der sein Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ableite, nicht von den Leistungen der Grundsicherung vor Arbeitsuchende ausgeschlossen sei, wenn er vom Schutzbereich des EFA erfasst werde. Nach Art. 1 EFA sei jeder der vertragsschließenden Staaten verpflichtet, den Staatsangehörigen der anderen Vertragsstaaten, die sich in irgendeinem Teil seines Gebietes, auf das dieses Abkommen Anwendung finde, erlaubt aufhielten und nicht über ausreichende Mittel verfügten, in gleicher Weise wie seinen eigenen Staatsangehörigen und unter den gleichen Bedingungen die Leistungen der sozialen und Gesundheitsfürsorge zu gewähren, die in der in diesem Teil seines Gebietes geltenden Gesetzgebung vorgesehen seien. Bei dieser Vorschrift handle es sich um unmittelbar geltendes Bundesrecht. Bei der Regelleistung nach § 20 SGB II handle es sich um "Fürsorge" im Sinne von Art. 1 EFA. Die Bundesrepublik habe bisher auch keinen Vorbehalt hinsichtlich der Anwendung des SGB II auf die Staatsangehörigen der anderen Vertragsstaaten abgegeben (vgl. Art. 16 Abs. b S. 2 EFA). Der bislang abgegebene Vorbehalt betreffe jeweils nur die im Bundessozialhilfegesetz (BSHG) "in der jeweils geltenden Fassung" vorgesehene Hilfe zum Aufbau oder zur Sicherung der Lebensgrundlage und die dort vorgesehene Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten an Staatsangehörige der übrigen Vertragsstaaten.
Nachdem die Bundesrepublik mit Wirkung zum 19.12.2011 den Vorbehalt gemäß Art. 16 Abs. b EFA für Leistungen nach dem SGB II erklärt hat, ist in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung umstritten, ob der Vorbehalt wirksam ist und den normierten Voraussetzungen entspricht.
Während der 20. und 29. Senat des LSG Berlin-Brandenburg (Beschlüsse vom 12.6.2012 – L 29 AS 914/12 B ER – und – L 29 AS 1044/12 B ER – sowie vom 21.6.2012 – L 20 AS 1322/12 B – in juris) den Vorbehalt als wirksam ansehen (so auch SG Nürnberg, Beschluss vom 4.7.2012 – S 10 AS 494/12 ER – in juris), sieht der 19. Senat des LSG Berlin-Brandenburg (Beschlüsse vom 9.5.2012 – L 19 AS 794/12 B ER – und vom 23.5.2012 – L 19 AS 1106/12 B ER – in juris) den Vorbehalt als unwirksam an, da er nach dem Wortlaut von Art. 16 Abs. b S. 2 EFA nur gleichzeitig mit der Mitteilung neuer Rechtsvorschriften an den Generalsekretär des Europarates erfolgen könne. Dies sei hier nicht erfolgt, nachdem das SGB II bereits zum 1.1.2005 in Kraft getreten sei und auch bei Inkrafttreten des Leistungsausschlusses in § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II zum 28.8.2007 kein Vorbehalt erklärt worden sei. Der 25. Senat des LSG Berlin-Brandenburg hegt ebenfalls Zweifel an der Wirksamkeit des Vorbehalts (Beschluss vom 23.5.2012 – L 25 AS 837/12 B ER – in juris). Der 3. Senat des LSG Baden-Württemberg hat im Beschluss vom 3.7.2012 – L 3 AS 2541/12 ER – jedoch darauf hingewiesen, dass für die Wirksamkeit des von der Bundesregierung erklärten Vorbehalts und damit gegen die Anwendbarkeit des EFA sprechen könnte, dass nach Art. 16 Abs. b EFA der Vorbehalt nicht bei Erlass der neuen Rechtsvorschrift, sondern erst bei deren Mitteilung an den Generalsekretär des Europarats zu erklären sei. Zwar habe diese Mitteilung nach Art. 16 Abs. a EFA bei jeder Änderung der Gesetzgebung zu erfolgen, die den Inhalt von Anhang X berühre; gleichwohl werde auch hier nicht auf den Erlass der Rechtsänderung, sondern auf die Mitteilung abgestellt.
Da die Frage der Anwendbarkeit von § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II auf arbeitsuchende Unionsbürger aus Staaten, die das EFA unterzeichnet haben, nach Erklärung des Vorbehalts durch die Bundesregierung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht abschließend zu klären ist, muss der Ausgang des Hauptsacheverfahrens als offen bezeichnet werden. Bei der deshalb durchzuführenden Folgenabwägung (BVerfG, Beschluss vom 12.5.2005 – 1 BvR 569/05) sind grundrechtliche Belange der Antragstellerin umfassend in die Abwägung einzubeziehen. Da es vorliegend um die Existenzsicherung und damit die Sicherstellung menschenwürdigen Lebens geht, überwiegen die Belange der Antragstellerin am Erlass einer Regelungsanordnung hinsichtlich der Leistungen nach dem SGB II (Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts sowie zur Unterkunft und Heizung) das Interesse der Beschwerdeführerin, keine finanziellen Aufwendungen bei ungeklärter Rechtslage aufbringen zu müssen.
Der Senat hat die vorläufige Leistungsverpflichtung der Beschwerdeführerin auf den bestandskräftigen Abschluss des Hauptsache- bzw. Widerspruchsverfahrens, spätestens aber auf den 30.9.2012, zu beschränken, zumal sich das Aufenthaltsrecht der Antragstellerin allein aus der Arbeitssuche (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 Freizügigkeitsgesetz/EU) herleitet, ohne dass diesbezügliche nennenswerte Bemühungen der Antragstellerin um Arbeit erkennbar sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).
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