L 7 SO 3522/10 B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 14 SO 3466/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 3522/10 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Verstirbt der im Erörterungstermin unentschuldigt nicht erschienene Kläger, bevor über seine Beschwerde gegen die Festsetzung von Ordnungsmitteln abschließend entschieden ist, so ist die angefochtene Festsetzung gegenstandslos und das Ordnungsmittelverfahren durch Beschluss einzustellen (Fortführung von BFH, Beschluss vom 7. März 2007 - X B 76/06 -).

2. Da es sich bei dem Beschwerdeverfahren nach § 172 Abs. 1 i.V.m. § 202 SGG und §§ 141 Abs. 3, 380 ZPO um ein selbstständiges Zwischenverfahren handelt, ist gemäß § 193 Abs. 1 SGG auch über die Kosten dieses Verfahrens zu entscheiden. Kostenschuldner kann bei erfolgreicher Beschwerde nur die Staatskasse sein.
Das gegen den Kläger gerichtete Ordnungsmittelverfahren wird eingestellt.

Die Staatskasse hat dem Kläger ein Viertel der außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

Gründe:

Das gegen den während des Beschwerdeverfahrens am 22. August 2011 verstorbenen Kläger eingeleitete Verfahren zur Festsetzung von Ordnungsmitteln war in entsprechender Anwendung des § 46 Abs. 1 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) i. V. m. § 206a Abs. 1 der Strafprozessordnung (StPO) durch förmlichen Beschluss einzustellen. Der vor dem rechtskräftigen Verfahrensabschluss eingetretene Tod des Klägers ist ein Verfahrenshindernis, das der Verhängung der in § 202 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i. V. m. §§ 141 Abs. 3, 380, 381 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) vorgesehenen Rechtsnachteile gegen den unentschuldigt im Termin ausgebliebenen Beteiligten insgesamt entgegensteht.

Wie der Bundesfinanzhof (BFH) zur Verhängung eines Ordnungsgeldes gemäß § 380 Abs. 1 Satz 2 ZPO gegen eine während des Beschwerdeverfahrens verstorbene Zeugin entschieden hat (Beschluss vom 7. März 2007 - X B 76/06 - (juris)), folge aus der zugleich präventiven und repressiven Rechtsnatur, dass sowohl Ordnungsgeld als auch Ordnungshaft gegen einen zwischenzeitlich verstorbenen Zeugen nicht mehr rechtskräftig verhängt werden dürften. Habe das Gericht den Zeugen noch zu dessen Lebzeiten mit Ordnungsmitteln belegt und sei die Festsetzung mit Rechtsmitteln angefochten worden, so sei das Beschwerdegericht durch den Tod des Zeugen selbst dann an einer die Festsetzung bestätigenden Entscheidung gehindert, wenn das Ordnungsgeld mangels rechtzeitiger und genügender Entschuldigung festgesetzt worden sei und Entschuldigungsgründe i.S. des § 381 Abs. 1 Satz 3 ZPO im Beschwerdeverfahren nicht vorgebracht würden. Ferner gelte sowohl für die Verfolgung von Straftaten als auch für die Ahndung von Ordnungswidrigkeiten, dass das Ziel des bereits eingeleiteten Straf- bzw. des Bußgeldverfahrens, eine Entscheidung über die Bestrafung oder Nichtbestrafung herbeizuführen, mit dem Tod des Angeklagten bzw. des Betroffenen nicht mehr erreicht werden kann. Aus diesem Grund sei das Verfahren in Ermangelung einer unerlässlichen Voraussetzung für seine weitere Durchführung vom Rechtsmittelgericht wegen eines Verfahrenshindernisses nach § 206a StPO (gegebenenfalls i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG) selbst dann einzustellen, wenn erstinstanzlich bereits eine Verurteilung erfolgt sei (Beschlüsse des Bundesgerichtshofs vom 8. Juni 1999 - 4 StR 595/97 -, BGHSt 45, 108 und vom 5. August 1999 - 4 StR 640/98 -, Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht 1999, Seite 426; Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, 54. Auflage 2011, § 206a Rdnr 8; Göhler/Seitz, Ordnungswidrigkeitengesetz, 14. Auflage 2006, Vor § 67 Rz 21). Die genannten Grundsätze seien auf die Festsetzung der für die Verletzung verfahrensrechtlicher Mitwirkungspflichten angedrohten Rechtsnachteile entsprechend anzuwenden. Die prozessualen Ordnungsverstöße seien dem Ordnungswidrigkeitenrecht wesensverwandt. Zwischen der Verhängung eines Bußgeldes und der Belegung mit einem Ordnungsgeld bestünden daher keine durchgreifenden Unterschiede, die es rechtfertigen würden, die Festsetzung des Ordnungsgeldes trotz eingelegter Beschwerde bestehen zu lassen, obwohl sie als Sanktion lediglich die Erben des Ordnungspflichtigen treffen würde, die an dem Ordnungsverstoß kein eigenes Verschulden treffe.

Der Senat hält diese Entscheidung nach eigener Prüfung für überzeugend und überträgt sie auf die vorliegende Konstellation, in der die Verhängung des Ordnungsgeldes aufgrund der über § 202 SGG i.Vm. § 141 Abs. 3 ZPO angeordneten Geltung des § 380 ZPO den Kläger (und nicht einen Zeugen) als Ordnungspflichtigen trifft. Denn die rechtliche Ausgangslage ist in beiden Fällen vergleichbar, weil zum einen die der Sanktion zugrunde liegende Rechtsnorm (§ 380 ZPO) identisch ist. Zum anderen entfällt nach dem Tod des ordnungspflichtigen Klägers ähnlich wie beim Tod des ordnungspflichtigen Zeugen der präventive Charakter des Ordnungsmittels, vorbeugend Druck auszuüben, im weiteren Prozess zur Sachverhaltsaufklärung beizutragen. Zudem würde bei Fortführung des Verfahrens - identisch wie im Falle des Zeugen - die Aufrechterhaltung der Sanktion lediglich die Erben des Ordnungspflichtigen treffen, die an dem Ordnungsverstoß kein eigenes Verschulden trifft.

Das Ordnungsmittelverfahren ist daher entsprechend § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 206a Abs. 1 StPO durch förmlichen Beschluss einzustellen (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Juni 1999, a.a.O.). Der angefochtene Beschluss des Sozialgerichts (SG) ist insoweit gegenstandslos, ohne dass es seiner Aufhebung bedarf (vgl. BGH, Beschluss vom 5. August 1999, a.a.O.).

Da es sich bei dem Beschwerdeverfahren nach § 172 Abs. 1 i.V.m. § 202 SGG und §§ 141 Abs. 3, 380 ZPO um ein selbständiges Zwischenverfahren handelt, hat der Senat gemäß § 193 Abs. 1 SGG auch über die Kosten dieses Verfahrens zu entscheiden. Kostenschuldner kann bei erfolgreicher Beschwerde gegen die Verhängung eines Ordnungsgeldes nur die Staatskasse sein (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage, § 111 Rdnr. 6c; Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg, Beschluss vom 14. Januar 2009 - L 13 AS 5633/08 B - und Senatsbeschluss vom 16. Juni 2008 - L 7 SO 5496/08 B - (jeweils veröffentlicht im Internet unter www.sozialgerichts-barkeit.de); zum Streitsstand hinsichtlich der Notwendigkeit einer Kostenentscheidung und der Rechtsgrundlage hierfür vgl. Münker in jurisPR-SozR 2/2011 Anm. 6 zu LSG Berlin-Postdam, Beschluss vom 8. März 2010 - L 5 AS 1114/09 B - (juris)).

Der Senat geht bei der auf § 193 Abs. 1 SGG beruhenden Ermessensentscheidung (vgl. Leitherer, a.a.O., § 193 Rdnr. 12) davon aus, dass die Beschwerde nur zu einem geringen Teil Erfolg gehabt hätte. Die Beschwerde hätte im Wesentlichen zurückgewiesen werden müssen. Deshalb erscheint es angemessen aber auch ausreichend, eine Kostenerstattungspflicht zu Lasten der Staatskasse in Höhe von einem Viertel der außergerichtlichen Kosten des Klägers auszusprechen. Im Übrigen haben die Erben des Klägers die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Rechtsgrundlage für das vom SG verhängte Ordnungsgeld ist § 202 SGG i.V.m. §§ 141 Abs. 3, 380, 381 Abs. 1 der ZPO. Nach § 141 Abs. 3 ZPO kann gegen einen im Termin ausgebliebenen Beteiligten, dessen persönliches Erscheinen angeordnet war (§§ 106 Abs. 3 Nr. 7, 111 Abs. 1 Satz 1 SGG), ein Ordnungsgeld wie gegen einen im Vernehmungstermin nicht erschienenen Zeugen festgesetzt werden. Nach § 381 Abs. 1 Satz 1 ZPO unterbleibt die Festsetzung des Ordnungsgeldes, wenn das Ausbleiben des Beteiligten rechtzeitig genügend entschuldigt wird. Die nachträgliche Entschuldigung führt zur Aufhebung des Ordnungsgeldbeschlusses (§ 381 Abs. 1 Satz 3 ZPO). Kein Ordnungsgeld darf nach § 141 Abs. 3 Satz 2 ZPO auferlegt werden, wenn der Beteiligte zum Termin einen Vertreter entsendet, der zur Aufklärung des Tatbestandes in der Lage und zur Abgabe der gebotenen Erklärungen, insbesondere zu einem Vergleichsabschluss, ermächtigt ist. § 141 Abs. 3 Satz 1 ZPO stellt die Entscheidung in das Ermessen des Gerichts. Dem Gericht ist damit nicht nur ein Auswahlermessen hinsichtlich der Höhe des Ordnungsgeldes in Höhe von 5 bis 1.000 Euro (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch (EGStGB)) eröffnet. Es hat auch über das "Ob" des Ordnungsgeldes zu befinden.

Bei der Festsetzung des Ordnungsgeldes muss der konkrete Grund für die Anordnung des persönlichen Erscheinens beachtet werden. Zweck des § 111 Absatz 1 Satz 1 SGG ist, ebenso wie die in dieser Vorschrift geregelte Ladung von Zeugen und Sachverständigen, die Aufklärung des Sachverhalts (so ausdrücklich § 141 Absatz 1 Satz 1 ZPO). Nicht relevant ist, eine vermeintliche Missachtung einer richterlichen Anordnung oder der gerichtlichen Autorität zu ahnden. Auch die (dem ausbleibenden Beteiligten oft nicht bekannte) Absicht des Gerichts, eine streitige Entscheidung zu verhindern und die einvernehmliche Regelung zwischen den Beteiligten zu ermöglichen, rechtfertigt die Festsetzung eines Ordnungsgeldes nicht. Sie kommt nur in Betracht, wenn durch das unentschuldigte Ausbleiben des Beteiligten die Aufklärung des Sachverhalts verhindert oder erschwert wird und deshalb eine Verzögerung des Rechtsstreits eintritt (LSG Berlin v. 10. Juni 2004 - L 3 B 14/04 U - m.w.N; LSG Baden-Württemberg vom 2. August 1993 - L 3 B 62/93 - Breithaupt 1994, 166 und vom 27. Juni 2011 - L 8 AL 1964/11 B - (juris)).

Diese Voraussetzungen waren beim Kläger erfüllt. Der Kläger war mit der Anordnung des persönlichen Erscheinens zum Termin am 9. Juni 2010 mittels Zustellungsurkunde am 11. Mai 2010 ordnungsgemäß geladen worden. Er war ferner auf die Folgen des Ausbleibens hingewiesen worden (§ 111 Abs. 1 Satz 2 SGG). Im Termin war er ohne Mitteilung von Gründen nicht erschienen. Auch sein Prozessbevollmächtigter hatte den Termin nicht wahrgenommen. Durch das unentschuldigte Ausbleiben des Kläger war die Aufklärung des Sachverhalts erschwert worden, denn ausweislich der Akte des SG kam es im vorliegenden Fall entscheidend darauf an, wo sich der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum aufgehalten hat. Dieser Umstand war ohne Angaben des Klägers in einem Gerichtstermin, bei dem es zur Prüfung des Wahrheitsgehaltes seiner Äußerungen auch auf den persönlichen Eindruck ankam, nicht zu ermitteln. Das SG hatte sich daher zu Recht in der Pflicht gesehen, den Kläger persönlich anzuhören. Der Erörterungstermin vom 9. Juni 2010 musste wegen des Nichterscheinens des Klägers ergebnislos beendet werden. Durch sein unentschuldigtes Ausbleiben hatte der Kläger damit die Aufklärung des Sachverhalts verhindert bzw. erschwert und eine Verzögerung der Entscheidung des Rechtsstreits verursacht. Die Höhe des festgesetzten Ordnungsgeldes war angemessen. Die Höhe des Ordnungsgeldes richtet sich nach Art. 6 Abs. 1 EGStGB. Danach ist ein Rahmen von 5 Euro bis 1.000 Euro vorgegeben, innerhalb dessen sich das Ordnungsgeld bewegen kann. Bei der Zumessung hat das Gericht die Umstände, die für oder gegen den Kläger sprechen, gegeneinander abzuwägen. Dabei ist auf das Maß der Pflichtwidrigkeit, die Art des Verstoßes und dessen schuldhafte Auswirkungen, auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers sowie auf das Verhalten nach dem Ordnungsverstoß abzustellen (vgl. Bayerisches LSG, Beschluss vom 3. März 2011 - L 2 AL 57/11 B - (juris)). Das SG hatte ein Ordnungsgeld im deutlich unteren Bereich des eröffneten Rahmens festgesetzt, das in seiner konkreten Höhe von 150 Euro nicht zu beanstanden ist. Dagegen hatte der Kläger im Übrigen auch keine Einwendungen erhoben. Das SG hatte ausweislich seiner Ausführungen im angefochtenen Beschluss zur Verhältnismäßigkeit und zum wiederholten Ausbleiben des Klägers ferner erkannt, dass ihm nicht nur hinsichtlich der Höhe des Ordnungsgeldes, sondern auch hinsichtlich der Entscheidung dem Grund nach ein Ermessensspielraum zusteht. Auch diesbezüglich ist der Beschluss somit nicht zu beanstanden.

Der Kläger hatte sich auch nicht nachträglich hinreichend entschuldigt. Er hatte seine Verhinderung nicht glaubhaft gemacht. Zwar hatte er über seinen Bevollmächtigten schon mit Schreiben vom 9. Juni 2010 (Blatt 106 der SG-Akte), dem SG noch am 9. Juni 2010 per Fax um 22:01 Uhr zugegangen, mitteilen lassen, dass er aus gesundheitlichen Gründen nicht verhandlungsfähig sei und angekündigt, eine entsprechende ärztliche Bescheinigung vorzulegen. Eine ärztliche Bescheinigung über Arbeitsunfähigkeit oder gar Verhandlungsunfähigkeit hatte der Kläger aber in der Folgezeit weder dem SG noch dem Senat vorgelegt. Damit war nicht glaubhaft gemacht, dass der Kläger wirklich gehindert war, den Termin am 9. Juni 2010 beim SG wegen Erkrankung wahrzunehmen.

Hingegen wäre die Beschwerde bezüglich der im angefochtenen Beschluss ausgesprochenen Androhung einer ersatzweisen Ordnungshaft erfolgreich gewesen. Denn hierfür fehlt es an einer Rechtsgrundlage, da § 141 Abs. 3 ZPO dies nicht vorsieht (vgl. auch Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 29. Auflage, § 141 Rdnr. 5).

Die Beschwerde wäre damit in ihrem wesentlichen Bereich, nämlich der Verhängung des Ordnungsgeldes, erfolglos geblieben, was die genannte Kostenquote rechtfertigt.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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