S 2 KA 172/11

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
2
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 2 KA 172/11
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen derzeit bezifferbaren Betrag in Höhe von EUR 9.041,40 für das Quartal 02/2010, EUR 18.033,05 für das Quartal 03/2010, EUR 13.365,55 für das Quartal 04/2010, EUR 4.500,20 für das Quartal 01/2011, EUR 10.337,15 für das Quartal 02/2011 sowie EUR 14.496,20 für das Quartal 03/2011 nebst Verzugszinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz bezüglich der fälligen Gesamtvergütung sowie nebst Prozesszinsen in Höhe von 8 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand:

Streitig sind Einbehalte von der Gesamtvergütung im Hinblick auf seit längerem bestehende Probleme in der Sicherstellung von Elektroepilationsbehandlungen gemäß Ziffern 02300 bzw. 10340 EBM im Bereich der Klägerin.

Unter dem 28.04.2005 teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass sie in nächster Zeit nicht in der Lage sei, entsprechende Vertragsärzte zu benennen, die diese Leistung im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung erbringen würden. Im Hinblick auf die Sicherstellung der Versorgung der Versicherten der Beklagten werde die Klägerin einen Abzug an der Gesamtvergütung - zunächst ohne Anerkennung einer Rechtspflicht - bis zum Widerruf akzeptieren.

Seit August 2008 lehnt die Klägerin die Übernahme der Behandlungskosten von Elektroepilationen in Form einer Anrechnung auf die Gesamtvergütung ab, obwohl die Beklagte die Klägerin immer wieder auf bestehende Versorgungsprobleme hingewiesen und erfolglos um Benennung von Vertragsbehandlern gebeten hatte, die die o.g. Behandlung durchführen. Soweit von der Klägerin Behandler genannt wurden, ergab sich, dass - wenn überhaupt - nur Laserepilationsbehandlungen durchgeführt werden und Elektroepilationsgeräte in den Praxen nicht mehr vorgehalten werden.

Für die Quartale 2/2010 bis 3/2011 setzte die Beklagte Gesamtvergütungsanteile in Höhe von 69.773,55 EUR ab, die sie für Nadel-Epilationsbehandlungen ihrer Versicherten aufgewendet hatte. Diese Leistungen waren von nichtärztlichen Kosmetikern, z.T. Elektrologistinnen, erbracht worden.

Am 27.06.2011 hat die Klägerin Leistungsklage auf Zahlung der einbehaltenen Gesamtvergütungsanteile erhoben. Am 29.02.2012 hat sie im Verfahren S 2 KA 103/12 ER den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt.

Nach ihrer Ansicht hat die Beklagte kein Recht auf Einbehaltung von Teilen der Gesamtvergütung in Höhe derjenigen Kosten, die ihr infolge von Kostenerstattungsleistungen für Elektroepilationen entstanden seien und entstehen würden. Der Gesetzgeber habe den Anrechnungsanspruch in § 85 Abs. 2 Satz 8 SGB V abschließend geregelt. Von der Anrechnung seien demnach Kostenerstattungsleistungen nach § 13 Abs. 3 SGB V ausgeschlossen, wie auch das Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen (LSG NRW) mit Urteil vom 01.10.2003 - L 11 KA 39/02 - erkannt habe. Im Übrigen seien Leistungen von Kosmetikinstituten - auch im Hinblick auf den Arztvorbehalt - keine Leistungen im Sinne des § 13 Abs. 3 SGB V. Des Weiteren wären die von der Beklagten erstatteten Rechnungsbeträge auf ihre Schlüssigkeit im Hinblick auf das GKV-Leistungssystem zu überprüfen. Bei einer Punktzahlbewertung von 160 Punkten für die Ziffer 10340 EBM - einmal am Behandlungstag - und einem derzeitigen Orientierungspunktwert von 3,5048 ct. ergebe sich ein maximal erstattungsfähiger Betrag von 5,61 EUR. Die Beklagte habe jedoch Beträge von bis zu 180,- EUR je Behandlungstag erstattet.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen derzeit bezifferbaren Betrag in Höhe von EUR 9.041,40 für das Quartal 02/2010, EUR 18.033,04 für das Quartal. 03/2010, EUR 13.365,55 für das Quartal 04/2010, EUR 4.500,20 für das Quartal 01/2011, EUR 10.337,15 für das Quartal 02/2011 sowie EUR 14.496,20 für das Quartal 03/2011 nebst Verzugszinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz bezüglich der fälligen Gesamtvergütung sowie nebst Prozesszinsen in Höhe von 8 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor, obgleich sie die Klägerin über Jahre hinweg immer wieder auf das Problem der Sicherstellung der den EBM-Ziffern 02300 bzw. 10340 zugrunde liegenden Leistungen aufmerksam gemacht habe, könne diese bis heute Vertragsärzte, die diese Leistungen erbringen, nicht benennen und insofern ihrem SichersteIlungsauftrag nicht nachkommen. Die Beklagte sei in den den Einbehalten zugrunde liegenden Fällen aufgrund der vom MDK in jedem Einzelfall festgestellten medizinischen Notwendigkeit der Leistung den Ansprüchen der betroffenen Versicherten nach § 13 Abs. 3 SGB V ausgesetzt gewesen und hätte diese zu erfüllen gehabt. Sie habe aus dieser Verpflichtung heraus nach § 13 Abs. 3 SGB V mangels Alternative Epilationsbehandlungen durch Kosmetiker erstattet, dies im Vorfeld der jeweiligen Absetzungen der Klägerin mitgeteilt und um Berücksichtigung der Erstattungen bereits bei der Erstellung der Abrechnung gebeten. Nachdem die Klägerin nur anfänglich einen Abzug von der Gesamtvergütung zugelassen habe, später jedoch ihre Haltung geändert habe, habe die Beklagte die Kosten von der Abrechnung abgesetzt und die Klägerin hierüber informiert. Aufgrund der o.g. Vertragsverletzung bestehe ein Anspruch auf Ersatz des der Beklagten entstandenen Schadens in Höhe der Aufwendungen für die erstatteten Epilationsbehandlungen, mit dem die Beklagte aufgerechnet habe.

Die Kammer hat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass sie durch Gerichtsbe-scheid zu entscheiden beabsichtige. Die Klägerin hat hierzu ihr Einverständnis erteilt.

Entscheidungsgründe:

Gemäß § 105 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann über die Klage ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschieden werden, da die Streitsache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten sind zuvor gehört worden.

Die zulässige Leistungsklage ist begründet.

Dabei neigt die Kammer mit dem LSG NRW bereits dazu, in Behandlungsfällen, in denen die Kostenerstattung gemäß § 13 Abs. 3 SGB V erfolgt ist, eine Anrechenbarkeit dieser Beträge auf die Gesamtvergütung generell auszuschließen (Urteil vom 01.10.2003 - L 11 KA 39/02 -). Denn § 85 Abs. 2 Satz 8 SGB V umfasst von seinem Wortlaut her nur die Kostenerstattungsleistungen nach § 13 Abs. 2 SGB V und § 53 Abs. 4 SGB V - mit Ausnahme der Kostenerstattungsleistungen nach § 13 Abs. 2 Satz 6 SGB V - sowie die Mehrkostenregelung nach § 28 Abs. 2 Satz 3 SGB V. Daraus wird deutlich, dass eine Anrechnung auf die Gesamtvergütung nur für derartige Leistungen in Betracht kommen soll, die im System der vertragsärztlichen Versorgung grundsätzlich angeboten werden und für die die Gesamtvergütung mit befreiender Wirkung von den gesetzlichen Krankenkassen gezahlt wird. Die Kostenerstattung gemäß § 13 Abs. 3 SGB V betrifft jedoch Leistungen, die gerade im vertragsärztlichen Versorgungssystem nicht angeboten werden (sog. Systemversagen). Da die von den Krankenkassen gezahlte Gesamtvergütung derartige im vertragsärztlichen Versorgungssystem nicht vorhandene Leistungen nicht beinhaltet, kann auch eine Anrechnung der für diese Leistung entstandenen Kosten auf die Gesamtvergütung nicht erfolgen.

Aber selbst wenn eine Anrechnung von Kostenerstattungsleistungen nach § 13 Abs. 3 SGB V auf die Gesamtvergütung nicht grundsätzlich ausgeschlossen sein sollte, so war ein Einbehalt von Gesamtvergütungsanteilen in der vorliegenden Fallgestaltung unstatthaft. Denn die Kosten für Epilationsbehandlungen durch Kosmetikinstitute sind von den Krankenkassen nicht zu erstatten.

Nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V gilt: Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war.

Der Kostenerstattungsanspruch reicht hierbei nicht weiter als der entsprechende Sachleistungsanspruch. Er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte Leistung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in natura als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (BSG, Urteile vom 18.05.2004 - B 1 KR 21/02 R - und vom 19.10.2004 - B 1 KR 27/02 R -). Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt; es besteht daher weder ein Anspruch auf Gewährung der Leistung (im Rahmen des Sachleistungsprinzips) wie auf Erstattung der entstandenen Kosten.

Die bei den Versicherten der Antragsgegnerin durchgeführten Epilationen sind im Hinblick darauf, dass sie im EBM (Abrechnungsziffern 02300, 10340) und auch in der Gebührenordnung für Ärzte (Abrechnungsziffern 742, 1323) aufgeführt sind, als ärztliche Behandlung (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, § 28 Abs. 1 SGB V) und nicht etwa als Heilmittel (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, § 32 SGB V) anzusehen (so auch SG Düsseldorf, Urteil vom 11.12.2007 - S 4 KR 78/07 -; vgl. auch BSG, Urteil vom 04.04.2006 - B 1 KR 12/05 R -). Ärztliche Behandlungen dürfen aber nur von Ärzten erbracht werden (§ 15 Abs. 1 SGB V - sog. Arztvorbehalt). Die Kosmetikinstitute sind indes keine Ärzte. Kostenerstattungen an Kosmetikinstitute als krankenversicherungsrechtlich nicht zugelassene Leistungserbringer sind daher ausgeschlossen (vgl. im Einzelnen LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 27.01.2009 - L 11 KR 3126/08 - m.w.N.; Bayer. LSG, Urteil vom 07.05.2009 - L 4 KR 465/07 -).

Die Kammer räumt ein, dass es schwierig sein mag, ärztliche Behandler für die Nadelepilation zu finden. Ggf. müsste auf Privatärzte zurückgegriffen werden, wenn Vertragsärzte nicht zur Verfügung stehen sollten (vgl. BSG, Urteil vom 24.09.1996 - 1 RK 33/95 -). Das muss jedoch ebenso hingenommen werden wie der Umstand, dass für die Behandlung bei einem Arzt ein längerer Zeitraum als bei einer Kosmetikerin anzusetzen ist. Der schnellere Fortschritt der Behandlung durch ein Kosmetikinstitut beruht allein darauf, dass dieses in anderer Art und Weise abrechnet und deswegen pro Sitzung länger epiliert, wie aus den Rechnungen ersichtlich ist. Diese Unterschiede sind aber dem vertragsärztlichen System immanent. Sie berechtigen einen Versicherten nicht, die Leistung außerhalb desselben in Anspruch zu nehmen und die Kosten der Krankenkasse in Rechnung zu stellen.

Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen gegen den Arztvorbehalt nicht. Es ist anerkannt, dass auch aus den Grundrechten regelmäßig kein verfassungsrechtlicher Anspruch gegen die Krankenkassen auf Bereitstellung bestimmter und insbesondere spezieller Gesundheitsleistungen besteht. Die gesetzlichen Krankenkassen sind nicht von Verfassungs wegen gehalten, alles zu leisten, was an Mitteln zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit verfügbar ist. Zwar hat sich die Gestaltung des Leistungsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung an der objektiv-rechtlichen Pflicht des Staates zu orientieren, sich schützend und fördernd vor die Rechtsgüter des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zu stellen. Entsprechende Leistungspflichten sind aber bisher nur in Fällen der Behandlung einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung angenommen worden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 06.12.2005 - 1 BvR 347/98 -). Solche Fälle sind hier nach den eingeholten MDK-Gutachten nicht gegeben und scheiden auch für zukünftige Fälle ersichtlich aus.

Der Anspruch auf Verzugszinsen ergibt sich aus § 6 Abs. 6 des Vergütungsvertrages.

Der Anspruch auf Prozesszinsen ergibt sich aus der analogen Anwendung des § 291 BGB. Da die vorliegend streitige Gesamtvergütung auf einem öffentlich-rechtlichen Vertragsverhältnis beruht und weder die §§ 53 bis 60 SGB X noch die sonstigen Vorschriften des Sozialgesetzbuchs eine ausdrückliche Regelung über Prozesszinsen enthalten (§ 61 Satz 1 SGB X), greift gemäß § 61 Satz 2 SGB X die ergänzende Verweisung auf die Bestimmungen des BGB ein (vgl. BSG, Urteile vom 28.09.2005 - B 6 KA 71/04 R -; vom 13.12.2011 - B 1 KR 9/11 R - m.w.N.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Rechtskraft
Aus
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