L 2 AL 34/09

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 3 AL 2/08
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 2 AL 34/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 5. Februar 2009 und der Bescheid der Beklagten vom 18. September 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Dezember 2007 werden aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger Insolvenzgeld für den Zeitraum 1. Mai 2006 bis 26. Juni 2006 in Höhe des sich aus einem Bruttobetrag für Monat Mai 2006 in Höhe von 2.115,00 EUR ergebenden Nettobetrages und des sich aus einem Bruttobetrag für den Monat Juni 2006 in Höhe von 1.625,00 EUR ergebenden Nettobetrages sowie 240 EUR Fahrtkostenpauschale zu zahlen. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Zahlung von Insolvenzgeld für die Zeit vom 1. Mai 2006 bis zum 26. Juni 2006.

Der am ... 1964 geborene Kläger stellte am 15. August 2006 bei der Beklagten einen Antrag auf Insolvenzgeld für ausstehende Lohnzahlungen der Firma F.-Trockenbau GmbH, Schützenstraße 5, 86862 L. (im Folgenden: Arbeitgeberin). Der Kläger hatte mit der Arbeitgeberin ursprünglich einen befristeten Arbeitsvertrag vom 1. März bis zum 20. Mai 2006 als Trockenbauer abgeschlossen und diesen bis zum 20. August 2006 verlängert. Offene Entgeltforderungen gab der Kläger in seinem Antrag für den Zeitraum 1. Mai bis 31. Mai 2006 und 1. Juni bis 26. Juni 2006 an. Im Monat Mai 2006 habe er für 211,50 Arbeitsstunden und unter Zugrundelegung von 10,00 EUR Lohn je Arbeitsstunde ein Entgelt von 2.115,00 EUR brutto zu beanspruchen. Eine Lohnabrechnung von der Arbeitgeberin für Mai und Juni 2006 und eine schriftliche Kündigung des Arbeitsvertrages habe er nicht erhalten. Zusätzlich sei eine Fahrtkostenpauschale von 120,00 EUR monatlich vereinbart. Für den Zeitraum 1. Juni bis 26. Juni 2006 habe er 162,50 Arbeitsstunden erbracht. Hierfür errechne sich ein Bruttolohn von 1.625,00 EUR zuzüglich ebenfalls 120,00 EUR Fahrtkostenpauschale. Der Kläger erwirkte beim Arbeitsgericht Kempten ein Versäumnisurteil über die vorgenannten Beträge unter Beifügung von Aufzeichnungen über die geleisteten Arbeitsstunden in den betreffenden Monaten (für weitere Einzelheiten wird auf die Stundenaufzeichnungen Bl. 167 f. Gerichtsakte verwiesen).

Die Arbeitgeberin, die F.-Trockenbau GmbH, wurde im Jahr 2004 mit Gesellschaftsvertrag vom 24. Mai 2004 gegründet. Der Gegenstand des Unternehmens betraf den Trocken- und Akustikbau, Holz- und Bautenschutz sowie den Einbau von genormten Baufertigteilen. Gesellschafter waren ursprünglich Herr Jens F. (99 % Gesellschaftsanteile) und seine Ehefrau Brigitte R.-F. (1 % Gesellschaftsanteil), die auch Geschäftsführerin war. Im Handelsregister wurde mit Wirkung zum 2. Juni 2006 als neuer Geschäftsführer der Zeuge G. K. eingetragen, welcher auch die gesamten Geschäftsanteile der Gesellschafter übernahm. In einem Handelsregisterauszug vom 21. Juli 2006 ist bei der Liste der Gesellschafter gemäß § 40 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) lediglich Herr K. aufgeführt. Mit Wirkung zum 1. August 2006 wurde der Sitz der Betriebsstätte verlagert von Lamerdingen in die Lieselotte-Herrmann-Straße 6 in 10407 B ... Bei der genannten Adresse handelt es sich um die Anschrift des Rechtsanwaltes W., welcher für die Arbeitgeberin tätig war. Am 23. November 2006 wurde im Handelsregister eingetragen, dass Herr K. nicht mehr Geschäftsführer ist, sondern Herrn J. Jan C ... Ebenfalls verkaufte Herr K. die Gesellschaftsanteile an Herrn C ... Das Finanzamt B. für Körperschaften II nahm am 26. Februar 2007 in der Lieselotte-Herrmann-Straße eine Ortsbesichtigung zur Existenzprüfung der GmbH vor und fand dort keinen Geschäftsbetrieb vor. Der Geschäftsführer Herr C. sei weder unter der genannten Geschäftsanschrift noch unter der im Handelsregister genannten Anschrift auffindbar.

Beitragsschulden für rückständige Gesamtsozialversicherungsbeiträge liefen nach Auskunft der AOK Sachsen-Anhalt nur für den Zeitraum 1. März 2006 bis zum 30. Juni 2006 auf. Auf Nachfrage der Beklagten bei dem Zeugen K. antwortete Rechtsanwalt Klaus H. aus M., dass Herr K. das Geschäft von den Eigentümern übernommen habe, da denen die Arbeit aus familiären Gründen zuviel geworden sei. Kurz darauf habe er ein Angebot erhalten, ein lukratives Kopiergeschäft in M. zu übernehmen. Er habe daher auf die F.-Trockenbau GmbH verzichtet und diese an einen polnischen Trockenbauer verkauft, der in B. habe tätig werden wollen und mit dem von Anfang an eine Zusammenarbeit geplant gewesen sei. Herr C. habe sich vom Erwerb der GmbH anscheinend eine Legalisierung seiner Arbeitsverhältnisse in Deutschland erwartet. Von einer Tätigkeitsaufnahme sei nichts bekannt. Auch Herr K. habe die Tätigkeit nicht in B. aufgenommen. Der Kaufpreis sei nie bezahlt worden. In einer am 4. September 2007 unterschriebenen Erklärung im Rahmen eines Fragebogens zur Betriebseinstellung gab der Zeuge K. an, die Gesellschaft sei zu seiner Zeit nicht insolvent gewesen. Es bestünden keine Gläubigerforderungen. Es sei auch nicht eine Nichtzahlung des Arbeitsentgeltes mit der Zahlungsunfähigkeit begründet worden. An welchem Tag die letzte dem Betriebszweck dienende Tätigkeit in B. ausgeübt worden sei, sei ihm unbekannt.

Ein von der AOK Bayern am 8. Juli 2006 gestellter Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Arbeitgeberin endete durch übereinstimmende Erledigterklärung der Beteiligten, nachdem die AOK B. mitteilte, sie habe eine Zahlungsvereinbarung mit der Arbeitgeberin getroffen und bereits eine Teilzahlung erhalten. Diese Mitteilung erfolgte am 27. Juli 2006. Mit Beschluss vom 28. August 2006 entschied das Amtsgericht Kempten, dass die Arbeitgeberin die Kosten des Insolvenzverfahrens zu tragen habe. Nach dem bisherigen Sachstand wäre ohne das erledigende Ereignis in Form der Bezahlung der Forderung mit einem Erfolg des Insolvenzantrages zu rechnen gewesen.

Mit Bescheid vom 18. September 2007 wies die Beklagte den Antrag des Klägers auf Insolvenzgeld zurück und führte zur Begründung aus: Ein Beschluss über eine Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder eine Ablehnung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse liege nicht vor. Auch eine offensichtliche Masselosigkeit habe nicht festgestellt werden können. Aus diesem Grund sei ein Anspruch auf Insolvenzgeld nicht gegeben. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 15. Oktober 2007 Widerspruch ein. Zur Begründung legte er ein Protokoll des Gerichtsvollziehers vom 19. November 2007 vor, wonach in der Zwangsvollstreckungssache des Klägers gegen die Arbeitgeberin die Vollstreckungsunterlagen zurückgeschickt wurden mit der Bemerkung, der Schuldner sei amtsbekannt "unbekannt verzogen". Am 25. Juni 2007 sei eine Abmeldung des Gewerbes der Arbeitgeberin von Amts wegen erfolgt. Demzufolge sei Insolvenzgeld wegen der vollständigen Beendigung der Betriebstätigkeit zu gewähren.

Mit Widerspruchsbescheid vom 3. Dezember 2007 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers mit der Begründung zurück, es sei nicht nachgewiesen, dass eine vollständige Betriebseinstellung bei gleichzeitiger Zahlungsunfähigkeit vorgelegen habe.

Hiergegen hat der Kläger am 2. Januar 2008 Klage vor dem Sozialgericht Dessau, später Sozialgericht Dessau-Roßlau (SG) erhoben. Zur Begründung hat er erneut darauf verwiesen, dass die Firma bereits am 25. Juli 2007 nach dem Gewerberegisterauszug von Amts wegen abgemeldet worden sei. Bei einer Vorortprüfung habe sich herausgestellt, dass die Firma vor ca. einem Jahr ausgezogen sei und Nachforschungen nach dem Geschäftsführer nicht zu einem Erfolg geführt hätten. Danach sei nachgewiesen, dass das Geschäftslokal bereits mehr als ein Jahr nicht mehr vorhanden gewesen sei. Die Anspruchsvoraussetzungen lägen vor. Die Beklagte hat darauf verwiesen, dass Zahlungsunwilligkeit (beispielsweise bei Absetzung ins Ausland) einer Zahlungsunfähigkeit nicht gleichgesetzt werden könne. Eine Betriebseinstellung bei gleichzeitiger Zahlungsunfähigkeit und Vermögenslosigkeit der Arbeitgeberin sei nicht nachgewiesen worden. Die Mitteilung des Insolvenzgerichts, ohne das erledigende Ereignis in Form der Bezahlung der Gläubigerforderung sei mit dem Erfolg eines Insolvenzantrages zu rechnen gewesen, sage nichts über eine mögliche Entscheidung nach Einholung eines Gutachtens durch das Insolvenzgericht aus.

Nach einem Schreiben von Rechtsanwalt W. vom 6. Februar 2008 sei die Geschäftstätigkeit in der neuen Konstellation in B. gar nicht erst aufgenommen worden. Ob ein formeller Auflösungsbeschluss gefasst oder ein Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gestellt worden sei, vermöge er nicht zu sagen. Er gehe davon aus, dass die polnischen Gesellschafter und der neue Geschäftsführer nichts mehr taten, als sich herausgestellt habe, dass die mit der Übernahme des "Gesellschaftsmantels" verfolgten Absichten sich nicht verwirklichen ließen. Er wisse positiv, dass unter der neuen Geschäftsführung keinerlei Geschäftsbetrieb weitergeführt worden sei. Er habe dem früheren Geschäftsführer zugesagt, für die Zeit des Übergangs bis zur Übernahme der Geschäftstätigkeit durch die neue Geschäftsführung seine Postadresse zur Verfügung zu stellen, solange, bis die neue Geschäftsführung ihre Tätigkeit aufnehmen und eigene Räume finden würde. Die eingehende Post, die sich nur auf die Zeit der Tätigkeit der Gesellschaft vor dem Anteilsverkauf bezogen habe, habe er an die alte Geschäftsführung (Eheleute F.) weitergeleitet. Die Anschrift von Rechtsanwalt W. lautet ebenfalls Lieselotte-Herrmann-Straße 6 in 10407 B ...

Mit Gerichtsbescheid vom 5. Februar 2009 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Der Kläger habe keinen Anspruch auf Insolvenzgeld. Die Voraussetzungen für eine Betriebseinstellung bei gleichzeitiger Zahlungsunfähigkeit und Vermögenslosigkeit der Arbeitgeberin hätten objektiv nicht festgestellt werden können. Eine von Amts wegen vorgenommene Gewerbeabmeldung belege nicht die Beendigung der Betriebstätigkeit im genannten Sinne. Dies sei auch nicht durch eine Verlegung des Geschäftssitzes zu begründen.

Gegen den ihm am 16. Februar 2009 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 13. März 2009 Berufung eingelegt und diese wie folgt begründet: Nach der Sitzverlegung nach B. sei keinerlei geschäftliche Tätigkeit mehr ausgeführt worden. Es habe keine steuerliche Anmeldung beim Finanzamt gegeben, kein Geschäftslokal und kein Arbeitnehmer seien beschäftigt worden. Die Firma sei auch vermögenslos. So sei eine Sachpfändung am 29. Oktober 2007 ins Leere gelaufen, weil die Firma amtsbekannt verzogen sei.

Ergänzend trägt der Kläger vor, er sei erstmalig am 26. Februar 2006 nach Lamerdingen gefahren und habe Herrn F. getroffen. Er habe ihn dafür am "Betriebssitz" in seinem Privathaus in der Schützenstraße 5 aufgesucht. Vor der Tür habe das Firmenfahrzeug gestanden. Vor der Abfahrt nach Österreich hätten sie noch aus einer Garage in derselben Straße eine Kiste eingeladen. Ab Montag, dem 26. Juni 2006, hätten sie (er und der Kollege Heinz St.) wegen Materialmangels nicht mehr weiterarbeiten können. Die bisherige nicht mehr bezahlte Unterkunft hätten sie schon zuvor verlassen müssen. Dabei hätten sie schon eine Woche zuvor gegenüber Herrn F. angegeben, welche Materialien benötigt würden. Nachdem ein persönlicher Besuch in Lamerdingen nicht erfolgreich gewesen sei, habe Herr F. per Handy mitgeteilt, dass sie das Betriebsfahrzeug in Lamerdingen stehen lassen und sehen sollten, "wie sie allein zurecht kämen". Sie seien gleichwohl nach Österreich zurück gefahren. Sie hätten dann den Zeugen K. getroffen, der sich zuvor bei ihnen telefonisch gemeldet habe. Er habe ihnen gesagt, er werde sich um alles kümmern. Sein Angebot, als Subunternehmer zu arbeiten, hätten sie abgelehnt, woraufhin Herr K. mitgeteilt habe, dass er nicht mit ihnen weiterarbeiten könne. Am 3. Juli 2006 habe der Zeuge K. mit ihm telefoniert und mitgeteilt, dass sich nun Herr F. um die Angelegenheiten kümmern würde. Ab 11. Juli 2006 habe er, der Kläger, ein neues Arbeitsverhältnis mit einem anderen Arbeitgeber begründet.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 5. Februar 2009 und den Bescheid der Beklagten vom 18. September 2007 und den Widerspruchsbescheid vom 3. Dezember 2007 aufzuheben und ihm antragsgemäß Insolvenzgeld für den Zeitraum 1. Mai 2006 bis 26. Juni 2006 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, dass das Insolvenzereignis der vollständigen Betriebseinstellung bei Masselosigkeit nicht gegeben sei. Zu dem Zeitpunkt der vermutlichen Einstellung der Betriebstätigkeit mit der Betriebssitzverlegung zum 1. August 2006 habe keine Masselosigkeit vorgelegen. Dies folge aus dem Beschluss des Amtsgerichts Kempten vom 28. August 2006, wonach das Insolvenzverfahren gegen die Arbeitgeberin für erledigt erklärt wurde, nachdem noch Zahlungen an die AOK B. erfolgt seien. Auch der Zeuge K. habe im September 2007 angegeben, dass keine Insolvenz vorgelegen habe, solange er noch Geschäftsführer gewesen sei. Insofern habe Zahlungsunfähigkeit allenfalls nach der vollständigen Betriebseinstellung vorgelegen. Die Behauptung des Klägers, dass bereits am Standort Kempten Arbeitsentgelt vorenthalten und veruntreut worden sei, würde im Hinblick auf die spätere Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen sowie der Aussage des Geschäftsführers K. allenfalls Zahlungsunwilligkeit, nicht aber Zahlungsunfähigkeit belegen.

Auf Nachfrage des Berichterstatters hat die AOK B. am 12. April 2012 mitgeteilt, dass die Zahlung auf die rückständigen Sozialversicherungsbeiträge der Arbeitgeberin auf einer telefonischen Vereinbarung am 1. Jun 2006 und einer schriftlichen Bestätigung von der Rechtsanwaltskanzlei W.-Sp. am 21. Juli 2006 beruhten. Am 25. Juli 2006 seien 3.000 EUR und am 8. September 2006 noch einmal 1.000 EUR überwiesen worden. Vereinbart seien vier weitere monatliche Raten zu je 1.000 EUR und eine Restzahlung von 858,54 EUR. Im Jahre 2009 hätten weitere Forderungen realisiert werden können insgesamt (1.145,20 EUR). Diese Forderungen resultierten aus einem am 22. Mai 2007 von Frau Brigitte R.-F. abgegebenen Schuldanerkenntnis (für Arbeitnehmeranteile als Schadensersatz gem. § 823 BGB i. V. m. den §§ 14 u. 266a StGB; Ursprungsforderung: 2.960,62 EUR). Aus dem vorgelegten Pfändungsprotokoll vom 3. Mai 2006 ergibt sich, dass er dem Schuldner nach Vorzeigen des Vollstreckungsauftrages fruchtlos zur Zahlung aufgefordert habe und in den Geschäftsräumen keine pfändbaren Sachen gefunden worden seien.

Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung vom 19. April 2012 Herrn K. als Zeugen vernommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll Bl. 163 ff. der Gerichtsakte verwiesen.

Für weitere Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie den Auszug aus der Insolvenzakte und die Gerichtsakte verwiesen. Diese Akten haben dem Senat bei der Entscheidungsfindung vorgelegen und sind von ihm berücksichtigt worden.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden.

Die Berufung ist auch begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 18. September 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Dezember 2007 ist rechtswidrig. Der Kläger hat einen Anspruch auf Insolvenzgeld für den Zeitraum 1. Mai 2006 bis 26. Juni 2006.

Mit der Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 1 und 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) wendet sich der Kläger gegen die Ablehnung seines Antrages auf Insolvenzgeld für die Zeit vom 1. Mai 2006 bis zum 26. Juni 2006.

Nach § 183 Abs. 1 des Sozialgesetzbuches – Drittes Buch – Arbeitsförderung in der Fassung bis zum 31. März 2012 (SGB III) haben Arbeitnehmer Anspruch auf Insolvenzgeld, wenn sie im Inland beschäftigt waren und bei

Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen ihres Arbeitsgebers,

Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse oder

vollständiger Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland, wenn ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht gestellt worden ist und ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt,

(Insolvenzereignis) für die vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben.

Es liegt ein Insolvenzereignis nach § 183 Abs. 1 Nr. 3 SGB III mit der Beendigung der Betriebstätigkeit durch Nichtfortführung der einzigen verbliebenen Baustellen der Arbeitgeberin, die sich in Österreich befanden, der Beendigung der Arbeitsverhältnisse mit den verbliebenen Arbeitnehmern und dem Nichtbetreiben eines weiteren Geschäftsbetriebes vor. Dies steht zur Überzeugung des Senates nach Würdigung der Einlassung des Klägers, der schriftlichen Darstellung von Rechtsanwalt W. und der Zeugenaussage von Herrn K. fest. Es kann dabei dahinstehen, ob die Betriebstätigkeit bereits Ende Juni 2006 oder erst Ende Juli 2006 ihr endgültiges Ende gefunden hat. In beiden Fällen liegen die Anspruchsvoraussetzungen für das beanspruchte Insolvenzgeld vor. Am 8. Juli 2006 wurde zwar zwischenzeitlich ein Antrag auf Insolvenzeröffnung gestellt, dieser entfaltet jedoch keine Sperrwirkung für das Insolvenzereignis nach § 183 Abs. 1 Nr. 3 SGB III, da er später für erledigt erklärt worden ist.

Bei der vollständigen Beendigung der Betriebstätigkeit ist auf das Gesamtbild des Einzelfalles nach der Art des Betriebes abzustellen. Dabei sind Tätigkeiten, die nur der Auflösung des Betriebes und Arbeiten, die lediglich der Erhaltung der Anlagen dienen, keine Fortsetzung der Betriebstätigkeit (vgl. Peters-Lange in Gagel, SGB III, § 183 Rn. 42). Der Betrieb der Arbeitgeberin befasste sich mit der Durchführung von Baumaßnahmen (Trockenbau, Holz- und Bautenschutz und dem Einbau von Baufertigteilen). Die Abarbeitung von Restaufträgen auf den Baustellen dient noch der Fortführung des Betriebszweckes. Nach der Überzeugung des Senates steht fest, dass die bisherigen Arbeitnehmer, wozu auch der Kläger gehörte, die Baustelle auf der der Kläger arbeitete am 27. Juni 2006 verlassen haben und der Betrieb auf den übrigen Baustellen im Verlauf des Monats Juli 2006 eingestellt wurde. Zu diesem Zeitpunkt gab es schon kein vom Arbeitgeber gestelltes Material mehr, obwohl dies zuvor angefordert worden war und die Arbeit konnte nicht mehr ausgeführt werden. Detailreich hat der Kläger, unterstützt durch seine Aufzeichnungen, dargelegt, dass am Montag den 26. Juni 2006 bereits kein Arbeitsmaterial mehr vorhanden gewesen und die Pension nicht mehr bezahlt worden sei. Der Zeuge K. hat ergänzend dargelegt, dass er zunächst die lukrativen Baustellen noch habe abarbeiten wollen, hiervon dann aber nach kurzer Zeit Abstand genommen habe. So habe er selbst "Leute", die er nach seiner Darstellung auf "selbständiger Basis" statt der bisherigen vier Arbeitnehmer dorthin geschickt habe, nach wenigen Tagen wieder abgezogen und die Baustellen "abgeschlossen", weil sich die Auftragsarbeiten "nicht machen ließen". Er habe dann "nichts mehr unternommen", keine Einnahmen erzielt und sich um seinen Copyshop in M. gekümmert. Eine Betriebstätigkeit ist damit nicht mehr ausgeübt worden. Die gesamte Firma "bestand" nur noch aus den dem Zeugen übergebenen Aktenordnern mit Firmenunterlagen, nicht aber aus Inventar oder Sachwerten und nach Aufgabe der offenen Aufträge auch nicht mehr aus offenen Aufträgen. Auch wenn der Zeuge dies auf direkte Frage abgestritten hat, drängt sich für den Senat der Eindruck auf - auch angesichts anderer vom Zeugen gekaufter Gesellschaften, "in denen er letztlich nichts gemacht habe" - dass die Arbeitgeberin schon durch den Verkauf an den Zeugen K. abgewickelt werden sollte. Der genaue Zeitpunkt der Beendigung der Betriebstätigkeit steht dabei aber nicht fest, da sich der Zeuge nicht festgelegt hat, an welchem Tag er die Baustellen aufgegeben hatte. Spätestens jedoch mit der Sitzverlagerung zum 1. August 2006 nach B. – als Briefkastenanschrift bei dem Rechtsanwalt W. – endete in jedem Fall die Betriebstätigkeit der Arbeitgeberin. Denn die Arbeitgeberin hat in B. keine Betriebstätigkeit mehr aufgenommen. Die Arbeitgeberin existierte ohne Inventar, ohne Mitarbeiter, ohne Aufträge nur noch als Postanschrift bzw. Gesellschaftsmantel. Dies steht nach der Überzeugung des Senates fest. Rechtsanwalt W. hat schriftlich dargelegt, dass er der Arbeitgeberin in B. unter seiner Kanzleianschrift nur "eine Briefkastenanschrift" zur Verfügung gestellt habe. Tatsächlich sei dort nie ein Büro eingerichtet oder gar eine weitere Geschäftstätigkeit entfaltet worden. Die Darlegung ist nachvollziehbar, da es sich um den Kanzleisitz des betreffenden Rechtsanwaltes handelt. Dies deckt sich auch mit den Erkenntnissen des Finanzamtes, welches die Übernahme der Akten abgelehnt hat, weil eine Betriebstätigkeit nicht entfaltet wurde. Der bis zum November 2006 eingetragene Geschäftsführer K. hat keine Aktivitäten mehr entfaltet, Arbeitnehmer wurden nicht beschäftigt. Der Zeuge K. hat dargelegt, dass er nicht in B. gewesen sei und die Firma nicht unterhalten habe. Er konnte sich nicht einmal an die Sitzverlegung erinnern. Auch der spätere Erwerber der GmbH-H., Her C., hat nach der nachvollziehbaren Darstellung von Rechtsanwalt W. keine Aktivitäten entfaltet und sich nicht einmal um die bei Rechtsanwalt W. eingehende Post gekümmert. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob der Erwerber, Herr C. anfangs vielleicht noch überlegt hat, den Betrieb wieder aufzunehmen. Die Rechtsklarheit erfordert, dass das Insolvenzereignis manifest wird und nicht lediglich von subjektiven Vorstellungen abhängt (vgl. Krodel in Niesel, SGB III, 5. Aufl., § 183 Rn. 44). Tatsächlich ist in B., kein Inventar, kein Betriebsvermögen usw. angekommen. Es bestanden bis auf die Adresse keinerlei objektivierbaren Anhaltspunkte für eine nur vorübergehende Betriebspause. Der neue Betriebsinhaber musste quasi "bei null" wieder anfangen. Die von Rechtsanwalt W. angesprochene eingegangene Korrespondenz bezog sich auf die frühere Betriebstätigkeit der Firma.

Auch die weitere Voraussetzung der offensichtlichen Masselosigkeit im Zeitpunkt der Betriebseinstellung liegt vor. Dies ist hier bereits zum Zeitpunkt der frühestmöglichen Betriebseinstellung am 27. Juni 2006 der Fall, erst Recht aber bei einer solchen Ende Juli 2006.

Hierbei muss keine letzte Klarheit über das Vorliegen der insolvenzrechtlichen Voraussetzungen bestehen. Es genügt vielmehr, wenn für einen unvoreingenommenen Betrachter alle äußeren Tatsachen für die Masseunzulänglichkeit sprechen. Hierbei bestimmt sich die offensichtliche Masselosigkeit nicht nach den Erkenntnismöglichkeiten und fähigkeiten des Arbeitnehmers (BSG, Urteil vom 17. Juli 1979 – 12 RAr 15/78 – SozR 4100 § 141b Nr. 11). Die Beklagte soll durch das Merkmal der Offensichtlichkeit in die Lage versetzt werden, ihre Entscheidung nur auf der Grundlage leicht erreichbarer Erkenntnisquellen zu treffen. Von umfangreichen Ermittlungen soll sie als in Insolvenzangelegenheiten nicht fachkundige Behörde entlastet und ihr eine schnelle und unbürokratische Entscheidungsfindung ermöglicht werden (BSG, Urteil vom 22. September 1993 – 10 Rar 9/91 – SozR 3-4100 § 141b Nr. 7). Die Offensichtlichkeit muss jedoch objektiv gegeben sein (BSG, Urteil vom 23. November 1981 – 10/8b RAr 6/80 – SozR 4100 § 141b Nr. 21). Abzugrenzen ist, ob die Außenstände auf Zahlungsunwilligkeit oder Zahlungsunfähigkeit beruhen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass bei juristischen Personen auf die Vermögensverhältnisse der Gesellschaft und nicht der Geschäftsführer abzustellen ist, auch nicht auf die Möglichkeit, dass Gesellschafter Geld "nachschießen". Insofern ist es unschädlich, wenn sich der Geschäftsführer abgesetzt hat und hierbei möglicherweise Geld außer Landes gebracht hat; jedenfalls ist in diesem Fall auszuschließen, dass er das Geld für die juristische Person verwaltet, sondern allenfalls, dass er persönlich Geld veruntreut hat und die Gesellschaft ggf. einen nicht realisierbaren Anspruch gegen den Geschäftsführer hat (vgl. Senatsentscheidung vom 15. Dezember 2004 – L 2 AL 133/03 – zitiert nach juris). Vorliegend verfügte die Arbeitgeberin nicht über Grundvermögen. Zudem war ein Pfändungsversuch am 3. Mai 2006 fruchtlos. Nach Würdigung der glaubwürdigen Einlassungen des Klägers im Termin und insbesondere der in diesem Punkt detaillreichen und nachvollziehbaren Schilderung des Zeugen K. steht zur Überzeugung des Senates fest, dass die Arbeitgeberin bereits zu dem Zeitpunkt der Übernahme des Gesellschaftsanteils durch Herrn K. masselos war. Es wurden keine Aktiva von Herrn K. übernommen. Einzig die abzuarbeitenden Aufträge hatten noch einen Vermögenswert. Nach der Aufgabe dieser Aufträge viel auch hier eine potentielle Einnahmequelle weg. Der Zeuge K. hat anschaulich und nachvollziehbar geschildert, dass die "übernommenen" Werte und Gegenstände aus dem Kauf der Anteile der GmbH im Wesentlichen aus Aktenordnern und den Restaufträgen bestanden. Insbesondere habe er kein Inventar, kein Firmenfahrzeug, kein Material, keine Maschinen und keine Geräte übernommen. Auch das Betriebskonto sei "leer" gewesen. Diese Schilderung passt zu den vom Kläger geschilderten Umständen bei der Arbeitgeberin und dem Umstand, dass bei der Pfändung keine pfändbaren Sachen gefunden wurden. So befand sich der Betriebssitz an der Anschrift des Privathauses der Eheleute F ... Gegenstände der Arbeitgeberin schienen zuvor in einer Garage gelagert worden zu sein. Ein Betriebsbüro, eine Werkstatt usw. gab es nicht. Die Unterkunft der Arbeitnehmer in Österreich war zum Schluss nicht mehr bezahlt worden, Ware habe nicht mehr angeschafft werden können und Lohn ist an mehrere Arbeitnehmer nicht mehr gezahlt worden. Auch wenn diese Aussage des Zeugen K. zu seiner früheren schriftlichen Stellungnahme vom 6. September 2007 im Widerspruch steht, hält der Senat die Aussage des Zeugen K. für glaubhaft. In der schriftlichen Stellungnahme fehlten gegenteilige Details, es handelt sich um pauschale Aussagen "die Firma war zu meiner Zeit nicht insolvent". Die jetzige, ihn hinsichtlich einer möglichen Insolvenzverschleppung belastende Aussage, passt hingegen zu den ermittelten äußern Umständen. Insbesondere ist nicht erkennbar, wo das angebliche Vermögen, mit dem ein Insolvenzverwalter bezahlt hätte werden können, herkommen sollte.

In diesem Zusammenhang kann die Zahlung von Beträgen an die AOK B. noch im Juli 2006 nicht als gegenteiliges Indiz herangezogen werden. Denn die Zahlungen erfolgten nach den glaubhaften Aussagen des Zeugen K. nicht aus dem Firmenvermögen. Das Privatvermögen, mit welchem ehemalige Gesellschafter einer GmbH einen Gläubiger befriedigen, kann nicht zum Vermögen der Arbeitgeberin gezählt werden. So stammte ein Teil der Zahlungen aus einem später abgeschlossen Anerkenntnis der ehemaligen Geschäftsführerin Frau R.-F ... Auch angesichts einer möglichen Konkursverschleppung mögen die ehemaligen Gesellschafter ein Interesse daran gehabt haben, dass die AOK Sachsen-Anhalt jedenfalls teilweise befriedigt wurde. Dies ändert aber nichts daran, dass Vermögenswerte der GmbH nicht ersichtlich sind. Es gab keine positiven Geldeinlagen, keine verwertbaren Gegenstände usw.

Das Insolvenzgericht hat in seinem Beschluss vom 28. August 2006 zwar deutlich gemacht, dass es von einem erfolgreichen Insolvenzantrag ausging. Allerdings gab es für das Gericht auch keinen Hinweis darauf, dass die Teilbefriedigung der Insolvenzantragstellerin nicht aus dem Vermögen der Schuldnerin stammte. Ausweislich der beigezogenen Insolvenzakte lagen dem Gericht auch keine weitergehenden Erkenntnisse vor. Insofern kann diesem Kostenbeschluss keine weitergehende Bedeutung beigemessen werden.

Ein Anspruch des Klägers besteht für die noch offenen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis für die dem Insolvenzereignis vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses. Unabhängig davon, ob das Insolvenzereignis Ende Juni 2006 oder Ende Juli 2006 angenommen wird, liegen die offenen Forderungen für den Zeitraum 1. Mai bis 26. Juni 2006 innerhalb dieses Dreimonatszeitraumes. Die Höhe des Insolvenzgeldanspruches richtet sich nach der zugrundeliegenden offenen arbeitsrechtlichen Forderung. Ausgehend von den – auch von der Beklagten anerkannten – tatsächlich gearbeiteten Stunden ergeben sich die ausgeurteilten Beträge. Am 26. Juni 2006, an dem der Kläger wegen fehlenden Materials nicht arbeiten konnte, hat er zu Recht zumindest die durch Anwesenheit am Arbeitsplatz angebotenen Arbeitsstunden (§ 615 BGB) angesetzt. Hinzu kommt die vereinbarte Fahrtkostenpauschale. Hierbei wird das Insolvenzgeld in Höhe des sich aus dem Bruttobetrag (begrenzt durch die Beitragsbemessungsgrenze) ergebenden Nettoarbeitsentgeltes gezahlt (vgl. § 184 SGB III).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Es bestehen keine Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf der Basis höchstrichterlicher Rechtsprechung ohne grundsätzliche Bedeutung.
Rechtskraft
Aus
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