L 4 R 5755/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 6 R 2270/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 R 5755/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 15. November 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt Rente wegen Erwerbsminderung.

Der am 1960 in der Türkei geborene Kläger erlernte keinen Beruf. Nach seiner Umsiedlung in die Bundesrepublik Deutschland im November 1974 war er unterbrochen durch Zeiten der Arbeitslosigkeit zwischen dem 16. August 1976 und Juli 1996 zunächst als Bauarbeiter und dann als Städtischer Mitarbeiter bei der Straßenreinigung und der Müllabfuhr versicherungspflichtig beschäftigt. Seither übt er keine versicherungspflichtige Beschäftigung mehr aus. Er bezog nach Beendigung der Lohnfortzahlung zunächst vom 13. August 1996 bis 07. Oktober 1997 Krankengeld und vom 08. Oktober 1997 bis 07. September 1999 Leistungen wegen Arbeitslosigkeit, anschließend war er arbeitslos ohne Leistungsbezug. Vom 01. Januar 2005 bis 30. Juni 2007 erhielt er Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II), danach war er bis 26. November 2007 arbeitslos gemeldet ohne Leistungsbezug.

Einen am 08. Dezember 1997 gestellten ersten Antrag des Klägers auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit lehnte die Landesversicherungsanstalt Baden, Rechtsvorgängerin der Beklagten (im Folgenden einheitlich: Beklagte) mit Bescheid vom 13. Februar 1998 und Widerspruchsbescheid vom 05. Mai 1998 ab. Im Klageverfahren beim Sozialgericht Karlsruhe (SG, S 2 RJ 2057/98) wurden die behandelnden Ärzte des Klägers als Zeugen gehört und der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. D. mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. Dr. D. kam in seinem Gutachten vom 09. November 1998 zu dem Ergebnis, dass beim Kläger ein vermutlich psychogen ausgelöster rechtsseitiger Dauerkopfschmerz bestehe und der Kläger bei einer begleitenden psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlung dazu in der Lage sein müsse, alle Tätigkeiten ganzschichtig leisten zu können. Im Anschluss daran erstattete Prof. Dr. M., Leiter des Lehrstuhls für Biologische und Klinische Psychologie der Universität J., auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das Gutachten vom 02. März 1999 und die ergänzende gutachterliche Stellungnahme vom 01. Juli 1999. Er diagnostizierte beim Kläger eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung begleitet von Schwächeanfällen und einer Antriebsstörung sowie von verminderter Aufmerksamkeitsleistung und erhöhter Vergesslichkeit und eine klinisch relevante majore Depression und kam zu dem Ergebnis, dass die Leistungsfähigkeit des Klägers aufgrund der anhaltenden somatoformen Schmerzstörung zur Zeit deutlich gemindert sei. Ohne weitergehende Therapie sei er nicht voll arbeitsfähig. Zur Wiederherstellung seiner vollen Arbeitsfähigkeit bedürfe es dringend einer fachlich qualifizierten psychosomatischen Behandlung. Hierauf hob das SG mit Urteil vom 05. Oktober 1999 den Bescheid der Beklagten vom 13. Februar 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05. Mai 1998 auf und verurteilte die Beklagte, dem Kläger Rente wegen Erwerbsunfähigkeit befristet für die Zeit vom 01. Juli 1998 bis längstens 31. Oktober 2000 zu gewähren. Im Übrigen wies es die Klage ab. Das SG stützte sich dabei auf die von Dr. D. und Prof. Dr. M. erstatteten Gutachten, wonach der Kläger derzeit jedenfalls nicht vollschichtig leistungsfähig sei. Auf die von der Beklagten dagegen eingelegte Berufung (L 2 RJ 4528/99) hob das Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) nach Einholung eines neurologisch-psychiatrischem Gutachtens bei Prof. Dr. A. vom 21. März 2000 mit der ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme vom 31. Juli 2000, der keine objektiven Gesundheitsstörungen feststellte, und auf Antrag des Klägers eines ergänzenden Gutachtens bei Prof. Dr. M. vom 05. Januar 2001, der dabei verblieb, dass der Kläger aufgrund der Schwere seiner Erkrankung gegenwärtig nicht arbeitsfähig erscheine, das Urteil des SG vom 05. Oktober 1999 auf und wies die Klage ab sowie die vom Kläger erhobene Anschlussberufung zurück. Der Senat folgte insbesondere den umfassenden und überzeugenden Ausführungen von Dr. D. und Prof. Dr. A ... Prof. Dr. M. vermochte der Senat weder mit Blick auf die Diagnose einer somatoformen Schmerzstörung noch der hierauf gestützten Leistungsbeurteilung zu folgen. Auch Anhaltspunkte dafür, dass eine majore Depression vorliege, gebe es nicht.

Einen am 27. Februar 2003 gestellten zweiten Antrag des Klägers auf Rente wegen Erwerbsminderung lehnte die Beklagte gestützt auf das in ihrem Auftrag von dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. am 21. April 2003 erstattete Gutachten, wonach beim Kläger insgesamt atypische vasomotorische Kopfschmerzen und eine psychogene Überlagerung und Fixierung vorlägen, diese jedoch keine solchen schweren Ausprägungen hätten, dass dadurch das Leistungsvermögen gemindert sei, mit Bescheid vom 14. Mai 2003 ab. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies der bei der Beklagten gebildete Widerspruchsausschuss mit Widerspruchsbescheid vom 20. Oktober 2003 zurück. Im erneuten Klageverfahren beim SG (S 6 RJ 3976/03) wurden wiederum die den Kläger behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen gehört. Mit Blick auf das Leistungsvermögen des Klägers verneinten sie eine Abweichung zu den von Dr. S. erhobenen Befunden und Schlussfolgerungen. Im Anschluss daran erstattete erneut auf Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG Prof. Dr. M. das Gutachten vom 31. Juli 2004. Er diagnostizierte erneut eine chronische somatoforme Schmerzstörung begleitet von Schwächeanfällen und einer Antriebsstörung, jedoch keine klinisch relevante majore Depression und führte aus, dass nicht davon auszugehen sei, dass der Kläger in der Lage sei, gegenwärtig über einen Zeitraum von drei bis vier Stunden hinweg die für einfache körperliche Arbeiten notwendige Konzentration aufzubringen, weshalb er ohne weitergehende Therapie gegenwärtig nicht voll arbeitsfähig sei. Mit Urteil vom 12. April 2005 wies das SG die Klage ab. Der Kläger sei nicht erwerbsgemindert. Die von Prof. Dr. M. getroffene Feststellung der Erwerbsunfähigkeit werde von dessen eigenen Befunden nicht gedeckt. Aber selbst wenn (aus Sicht des Klägers) von Erwerbsunfähigkeit auszugehen sei, sei zu berücksichtigen, dass es sich bei den genannten Störungen um behandlungsbedürftige, aber auch behandlungsfähige Störungen handele und dem Kläger durchaus mehr Willensanspannung zuzumuten sei, weil er möglicherweise hierdurch befähigt werden könne, wieder in das Erwerbsleben einzutreten. Im gegenwärtigen Zeitpunkt sei allenfalls von Arbeitsunfähigkeit, nicht aber von Erwerbsunfähigkeit auszugehen. Dies entspreche auch der Bewertung durch Prof. Dr. M ...

Am 12. August 2008 beantragte der Kläger erneut Rente wegen Erwerbsminderung. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 26. August 2008 zunächst wegen fehlender versicherungsrechtlicher Voraussetzungen ab. Der Kläger erhob Widerspruch. Sein Gesundheitszustand habe sich seit seinem letzten Antrag im Jahr 2003 deutlich verschlechtert, wobei er sich auf vorgelegte - Arztbriefe des Orthopäden Br., des Psychologischen Psychotherapeuten Simon und des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. N. aus den Jahren 2006 bis 2008 sowie den Bescheid des Landratsamts Karlsruhe vom 29. Juli 2005 (Grad der Behinderung 30) stützte. Nach Überprüfung kam die Beklagte zum Ergebnis, die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen lägen vor, und beauftragte sodann Ärztin für Psychiatrie Dr. L.-K. mit der Erstattung eines Gutachtens über den Kläger. Dr. L.-K., der die vom Kläger außerdem noch die vorgelegte Bescheinigung des Arztes Br. vom 03. April 2003 und die vorgelegten Arztbriefe des Arztes Br. vom 02. März und 29. November 2007, des Internisten Dr. Ri. vom 10. Mai und 08. November 2007 und des Arztes für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde Dr. Bo. vom 06. November 2007 vorlagen, diagnostizierte in ihrem Gutachten vom 10. März 2009 eine Somatisierungsstörung mit chronischen, halbseitigen fluktuierenden Kopfschmerzen ohne organisches Korrelat und ein Lendenwirbelsyndrom ohne funktionelle Beeinträchtigung. Beim Kläger bestehe auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ein mindestens sechsstündiges Leistungsvermögen. Qualitative Einschränkungen bestünden für körperlich schwere Arbeiten, Tätigkeiten mit Wirbelsäulenzwangshaltungen und mit häufigem Bücken. Durch Bescheid vom 16. März 2009 bejahte die Beklagte das Vorliegen der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen, lehnte jedoch wiederum eine Rentengewährung ab, da mit dem vorhandenen Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Tätigkeiten im Umfang von mindestens sechs Stunden täglich ausgeübt werden könnten. Mit Widerspruchsbescheid vom 08. Mai 2009 wies der bei der Beklagten gebildete Widerspruchsausschuss den Widerspruch zurück.

Hiergegen erhob der Kläger am 25. Mai 2009 erneut Klage zum SG. Er trug unter Vorlage des im Rahmen des Schwerbehindertenverfahrens S 10 SB 5177/05 erstatteten neurologisch-psychiatrischen Gutachtens des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. Be. vom 20. September 2006, Ausdrucken aus der ihn betreffenden Patientendatei des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. Sc. vom 28. Juli 2009, die Zeit vom 01. Januar 2004 bis 06. Juli 2009 betreffend, sowie einer Aufstellung der zwischen 2004 und 2009 erfolgten Behandlungen vor, dass sein Leistungsvermögen unter drei Stunden liege. Bei ihm bestünden eine chronische Kopfschmerzsymptomatik, im Bereich der rechten Gesichtshälfte ein diffuses, wenig abgrenzbares, abgeschwächtes Berührungsempfinden, ein eingeschränktes Hörvermögen und Tinnitus, eine depressive Verstimmung und Schmerzfixierung, Wirbelsäulenbeschwerden, Schulterbeschwerden rechts, Schmerzen am rechten Ellenbogengelenk, Magenbeschwerden, Verdauungsbeschwerden, Blähungen und eine chronische Refluxkrankheit sowie eine Zwangsstörung. Mit Blick auf die Kopfschmerzen seien seit 1996 zahllose Versuche zur Behandlung unternommen worden, die allesamt erfolglos geblieben seien. Von den behandelnden Ärzten und Gutachtern werde deshalb die chronische Kopfschmerzsymptomatik als Symptom einer somatoformen Störung eingestuft. Er habe sich deswegen auch vom 13. Juli bis 19. Dezember 2005 in eine psychotherapeutische Behandlung begeben, dies habe aber ebenfalls zu keinerlei Verbesserung geführt. In den vergangenen Jahren hätte sich die Schmerzintensität der Kopfschmerzen noch erhöht. Auf Nachfrage des SG teilte der Kläger mit, dass er sich aktuell nicht in neurologischer Behandlung befinde.

Die Beklagte trat der Klage entgegen. Auch das im Rahmen des Verfahrens S 10 SB 5177/05 veranlasste neurologisch-psychiatrische Gutachten ändere nichts an der Einschätzung des Leistungsvermögens des Klägers, da sich der Gutachter nicht zu dem auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bestehenden Leistungsvermögen, sondern lediglich zum Vorliegen einer Schwerbehinderung geäußert habe.

Das SG vernahm die behandelnden Ärzte des Klägers als sachverständige Zeugen. Dr. Ri. (Auskunft vom 23. November 2009) gab an, dass er den Kläger viermal, zuletzt am 12. Februar 2008 untersucht habe. Es hätten sich Bulbuserosionen sowie eine kleine Hiatushernie und eine Helicobactergastritis gefunden. Diese seien entsprechend behandelt worden und als Bagatellveränderungen einzuordnen. Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit bestünden hierdurch nicht. Arzt Br. führte in seiner Auskunft vom 10. Dezember 2009 aus, dass er beim Kläger einen Druckschmerz im Bereich der unteren Wirbelsäule, eine eingeschränkte Beweglichkeit der Lendenwirbelsäulen, im Bereich der rechten Schulter einen angedeuteten Painful arc zwischen 80 und 120 Grad, einen deutlichen Druckschmerz am Epicondylus humeri ulnaris rechts und einen Druckschmerz an den Fersen beidseits plantar befundet habe. Die Lendenwirbelsäulenbeschwerden und die Schulterbeschwerden rechts hätten sich durch die Behandlung gebessert. Die Beschwerden am rechten Ellenbogen hielten seit Januar 2008 chronisch an und ließen sich durch Therapie jeweils nur kurzfristig bessern. Die Frage, ob der Kläger in der Lage sei, einer körperlich leichten und nervlich wenig belastenden Tätigkeit im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche mindestens sechs Stunden täglich nachzugehen, bejahte er. Dr. Sc. bekundete (Auskunft vom 11. Dezember 2009), die chronischen Beschwerden des Klägers in Form von Kopf- und Wirbelsäulenschmerzen, Sodbrennen, Nierensteinleiden und Beschwerden beim Wasserlasen hätten sich nicht geändert. Hinzu gekommen seien noch Ohrenschmerzen, ein Tinnitus, eine Nasenobstruktion und Ellenbogenschmerzen rechts. Der Kläger sei in der Lage, vielleicht vier bis sechs Stunden täglich einer Tätigkeit nachzugehen. Auf Nachfrage des SG gab Dr. Sc. an (Auskunft vom 03. April 2010), dass dem Kläger eine körperlich leichte und nervlich wenig belastende Tätigkeit sechs Stunden täglich, vorerst probeweise, zuzumuten wäre. Dr. Bo. führte unter dem 10. Dezember 2009 aus, der Kläger habe, wenn er sich in seine Behandlung begeben habe, meist an einer Otitis externa beidseits und zuletzt im Oktober 2009 an einer Rhinitis sicca gelitten. Die Frage, ob der Kläger leichte Tätigkeiten mindestens sechs Stunden täglich verrichten könne, bejahte Dr. Bo ...

Sodann erhob das SG ein Gutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie, Facharzt für psychotherapeutische Medizin Dr. W ... Dieser diagnostizierte in seinem Gutachten vom 04. Oktober 2010 eine Neurasthenie, eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung sowie eine leichtergradige Angst und depressive Störung gemischt. Leichte und teilweise mittelschwere körperliche Arbeiten ohne häufiges Bücken, Treppensteigen, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, Akkord-, Fließband-, Schicht- und Nachtarbeitsbedingungen, überwiegenden Publikumsverkehr sowie erhöhte Verantwortung könne der Kläger sechs Stunden täglich und mehr ausüben.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG erstattete wiederum Prof. Dr. M. das Gutachten vom 26. April 2011. Er diagnostizierte wiederum eine chronische somatoforme Schmerzstörung, die von Schwächeanfällen und einer Antriebsstörung begleitet sei. Neben die anhaltende somatoforme Schmerzstörung gesellten sich im Moment eine leichte majore Depression, Wahnvorstellungen verbunden mit diffusen Ängsten, Zwangsgedanken und Zwangshandlungen, eine erhöhte Neigung zur Kontrolle sowie Anzeichen einer mittelgradigen Hypochondrie. Mit Bezug auf die - beigefügten - Untersuchungsergebnisse des Mitteldeutschen Kopfschmerzzentrums (Arztbrief des Prof. Dr. Wi. vom 11. März 2011) bestehe ferner der Verdacht auf einen neuropathischen Schmerz im Innervationsgebiet des Nervus oczipitalis minor rechts, verbunden mit einer Hypästhesie dreier Finger der linken Hand. Des Weiteren würden ein chronisches Schmerzsyndrom der Lendenwirbelsäule und rezidivierende Entzündungen beider äußeren Ohren diagnostiziert. Aufgrund der vom Kläger geschilderten Unabhängigkeit der Schmerzcharakteristika von körperlichen, psychischen oder sozialen Belastungen und des beklagten dauerhaften Schmerzcharakters erkenne er, der Sachverständige, keine Einschränkung von Tätigkeiten. Schmerzen würden alle Tätigkeiten des Klägers so wie auch die derzeitigen Tätigkeiten, die er außerhalb eines Beschäftigungsverhältnisses zu Hause in seiner Familie ausübe, auf ähnliche Weise begleiten. Aufgrund der aufmerksamkeitsbindenden Funktion seiner Schmerzproblematik und der begrenzten Konzentrationsfähigkeit erscheine lediglich das Arbeiten an Maschinen mit erhöhten Gefahren verbunden zu sein. Es sei nicht davon auszugehen, dass der Kläger in der Lage sei, gegenwärtig über einen Zeitraum von drei bis vier Stunden hinweg die für einfache körperliche Arbeit notwendige Konzentration und Aufmerksamkeitsleistung aufzubringen. Bei aller zumutbaren Willensanstrengung könne die Krankheit aus eigener Kraft nicht überwunden werden, sondern bedürfe einer kompetenten therapeutischen Intervention. Es bestehe nach wie vor begründete Aussicht, dass sich die Krankheitssymptome durch Teilnahme an geeigneten Heilmaßnahmen in einem überschaubaren Zeitraum wesentlich bessern könnten. Der Kläger sei nicht erwerbsunfähig, sondern im Moment krank. Er könne dem Arbeitsmarkt wieder zugeführt werden, nachdem er einer adäquaten psychosomatischen bzw. verhaltensmedizinischen Behandlung zugeführt worden sei.

Die Beklagte trat der Klage unter Vorlage einer Stellungnahme des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. He. vom 18. Mai 2011 entgegen. Dr. He. führte aus, die kontinuierlich seit 1996 vorgebrachten Beschwerden, phasenweise erkennbar ausgestaltet, seien bei entsprechender Motivation sowie Einstellung, wie auch Prof. Dr. M. bestätige, in überschaubarem Zeitraum wesentlich zu bessern. Selbst für Prof. Dr. M. sei der Kläger in der Vergangenheit und auch heute nicht erwerbsunfähig, sondern im Moment krank. Die überwiegende Mehrzahl der befragten Gutachter sowie auch in die Behandlung eingebundene Ärzte hätten immer wieder deutlich gemacht, dass die Bedeutung der ausführlich beschriebenen Beschwerden und Störungen sich in Grenzen halte, insbesondere in ihrer Bedeutung für das qualitative Leistungsvermögen. Er empfehle sich der Leistungseinschätzung des Dr. W. anzuschließen.

Hierzu führte Prof. Dr. M. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 20. August 2011 aus, dass er seinen Äußerungen im Gutachten vom 26. April 2011 nichts prinzipiell Neues und Anderes hinzufügen könne.

Mit Urteil vom 15. November 2011 wies das SG die Klage ab. Der Kläger sei weder voll noch teilweise erwerbsgemindert. Dies ergebe sich zu seiner, des SG, Überzeugung aus dem schlüssigen und überzeugenden Gutachten des Dr. W. sowie aus dem von der Beklagten bei Dr. L.-K. eingeholten Gutachten und den sachverständigen Zeugenaussagen des Dr. Ri., des Arztes Br. und des Dr. Bo ... Der Kläger leide im Wesentlichen an einer Neurasthenie, einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung sowie einer leichtgradigen Angst- und depressiven Störung verbunden mit Wahnvorstellungen und leichten Zwangsmechanismen. Insbesondere die somatoforme Schmerzstörung führe nach der überzeugenden und nachvollziehbaren Einschätzung des Sachverständigen Dr. W. nicht zu einer vollen oder teilweisen Erwerbsminderung. Dem Gutachten des nach § 109 SGG beauftragten Prof. Dr. M. schließe es, das SG, sich nicht an. Nach Ansicht des Sachverständigen fehle dem Kläger die für einfache körperliche Arbeit notwendige Konzentration und Aufmerksamkeit. Dem widerspreche allerdings, dass er, der Sachverständige, zuvor angegeben habe, der Kläger mache einen offenen, wachen, klaren und orientierten Eindruck. Zudem höre er den Fragen aufmerksam zu und antworte ruhig und überlegt. Insofern fänden sich in dem Gutachten, das im Übrigen auch keine gesonderte Untersuchung des Konzentrationsvermögens enthalte, keine Anhaltspunkte für ein vermindertes Konzentrationsvermögen. Auch habe kein anderer Arzt eine rentenrechtlich relevante Verminderung der Konzentrationsfähigkeit festgestellt. Die neben den psychiatrisch-neurologischen Beschwerden bestehenden gastroenterologischen, orthopädischen und hals-nasen-ohrenärztlichen Leiden führten nicht zu einer anderen Bewertung. Dies ergebe sich aus den überzeugenden und nachvollziehbaren Auskünften der behandelnden Fachärzte.

Gegen das am 01. Dezember 2011 zugestellte Urteil hat der Kläger am 28. Dezember 2011 Berufung eingelegt. Er wiederholt im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen und stützt sich auf das von Prof. Dr. M. erstattete Gutachten vom 26. April 2011 und die ergänzende Stellungnahme vom 20. August 2011.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 15. November 2011 und den Bescheid der Beklagten vom 26. August 2008 in der Fassung des Bescheids vom 16. März 2009, beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08. Mai 2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 12. August 2008 Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf ihren bisherigen Vortrag und die Ausführungen im angefochtenen Urteil.

Der Senat hat Dr. N. als sachverständigen Zeugen gehört. Dr. N. hat unter dem 08. Mai 2012 ausgeführt, dass im Jahre 2012 bisher zwei Behandlungstermine stattgefunden hätten. Davor habe es den letzten Termin am 19. Februar 2008 und davor am 12. Mai 2005 gegeben. Beim Kläger bestehe eine somatoforme Schmerzstörung bei Kopfschmerzsymptomatik und eine Zwangsstörung. Von Seiten der somatoformen Störung und auch der Zwangsstörung sei der Kläger in der Lage, seinen zuletzt ausgeübten Beruf als Straßenreiniger sechs Stunden täglich auszuüben. Auch sonst könne der Kläger leichte körperliche Arbeiten ohne Tätigkeiten unter Zeitdruck und Stressbelastung noch sechs Stunden täglich verrichten.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakte, die Akten des SG, die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten und die Vorprozessakten Bezug genommen.

II.

Der Senat entscheidet über die Berufung des Klägers gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, da er die Berufung des Klägers einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Der Rechtsstreit weist nach Einschätzung des Senats keine besonderen Schwierigkeiten in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht auf, die mit den Beteiligten in einer mündlichen Verhandlung erörtert werden müssten. Zu der beabsichtigten Verfahrensweise hat der Senat die Beteiligten angehört.

Die nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 26. August 2008 in der Fassung des Bescheids vom 16. März 2009, beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08. Mai 2009 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat ab 12. August 2008 weder Anspruch auf Rente wegen voller noch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nach § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI).

Versicherte haben nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze (insoweit mit Wirkung zum 01. Januar 2008 geändert durch Artikel 1 Nr. 12 des RV-Altersgrenzenanpassungsgesetzes vom 20. April 2007, BGBl. I, S. 554), wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

Der Kläger ist seit 12. August 2008 weder voll noch teilweise erwerbsgemindert. Dies hat das SG in seinem Urteil vom 15. November 2011 insbesondere unter Auswertung des im Gerichtsverfahren eingeholten Sachverständigengutachtens von Dr. W. und des im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachtens von Dr. L.-K., aber auch der bei Dr. Ri., Dr. Bo. und dem Orthopäden Br. eingeholten sachverständigen Zeugenauskünfte, wonach dem Kläger jeweils Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts in einem Umfang von mindestens sechs Stunden täglich zumutbar sind, zutreffend entschieden. Ausgehend von diesen Gutachten und den sachverständigen Zeugenauskünften, die die in den Vorverfahren eingeholten Gutachten bei Dr. D., Prof. Dr. A. und Dr. S. bestätigt haben und auch im Einklang mit den früher eingeholten sachverständigen Zeugenauskünften und den sozialmedizinischen Stellungnahmen, zuletzt des Dr. He. stehen, ist auch zur Überzeugung des Senats eine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 SGB VI nicht gegeben. Beim Kläger besteht zwar schon seit etwa Mitte der 1990-Jahre eine Somatisierungsstörung mit chronischen Kopfschmerzen. Außerdem leidet er mittlerweile auch an Beschwerden im Bereich der Wirbelsäule und des rechten Ellenbogens. Diese Gesundheitsstörungen bedingen jedoch nur qualitative Leistungseinschränkungen dergestalt, dass der Kläger nur noch leichte und teilweise mittelschwere körperliche Arbeiten ohne häufiges Bücken, Wirbelsäulenzwangshaltungen, Treppensteigen, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, Akkord-, Fließband-, Schicht- und Nachtarbeitsbedingungen, überwiegenden Publikumsverkehr sowie nicht an laufenden Maschinen verrichten kann. Insoweit stützt sich der Senat maßgeblich auf die von Dr. L.-K., Dr. W. und auch Prof. Dr. M. erstatteten Gutachten und die sachverständige Zeugenauskunft des Arztes Br ... Quantitative Leistungseinschränkungen ergeben sich hieraus jedoch, wie der Senat den Gutachten von Dr. L.-K. und Dr. W. und den vom SG eingeholten sachverständigen Zeugenauskünften der den Kläger behandelnden Ärzte entnimmt, nicht. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat auf die aus seiner Sicht - sowohl im Hinblick auf die Feststellungen der gesundheitlichen Beeinträchtigungen im Einzelnen als auch auf ihre Auswirkungen für das berufliche Leistungsvermögen des Klägers - zutreffenden und ausführlichen Darlegungen in den Entscheidungsgründen des Urteils des SG Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG).

Widerlegt wird diese Einschätzung des Leistungsvermögens des Klägers, wie das SG ebenfalls zutreffend ausgeführt hat, weshalb auch hierauf Bezug genommen wird, auch nicht durch das nunmehr vierte Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. M. vom 26. April 2011 und seine ergänzende Stellungnahme vom 20. August 2011. Zwar ist Prof. Dr. M. - wie bereits in seinen vorangegangenen Gutachten - der Auffassung, es sei nicht davon auszugehen, dass der Kläger in der Lage sei, gegenwärtig über eine Zeitraum von drei bis vier Stunden hinweg die für einfache körperliche Arbeit notwendige Konzentration und Aufmerksamkeit zu erbringen. Anhaltspunkte dafür, dass die Konzentration und Aufmerksamkeit des Klägers gestört ist, ergeben sich aus dem Gutachten indessen nicht. Der Kläger machte ausweislich des Gutachtens strukturierte Angaben und wirkte wie schon bei den Vorbegutachtungen auf den Sachverständigen während des Gesprächs offen, wach, klar und orientiert und erschien dem Sachverständigen weder niedergeschlagen noch depressiv. Allein auf die Angabe des Klägers, dass bei ihm eine zunehmende Konzentrations- und Aufmerksamkeitsschwäche und eine wachsende Vergesslichkeit vorliege, was zwar auch seine ihn bei der Begutachtung begleitende Tochter bestätigte, kann eine Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörung nicht gestützt werden. Etwas anderes ergibt sich insoweit auch nicht mit Blick darauf, dass der Kläger im Zusammenhang mit der Begutachtung bei Prof. Dr. M. am 10. März 2011 das Mitteldeutsche Kopfschmerzzentrum aufsuchte. Denn bezüglich des Kopfschmerzes wurden dort keine Untersuchungen durchgeführt, sondern nur eine Epikrise aufgenommen und letztlich auch nur der Verdacht auf einen neuropathischen Schmerz im Innervationsgebiet des Nervus oczipitalis minor rechts gestellt. Hiermit lässt sich eine zeitliche Leistungseinschränkung auf unter sechs Stunden ebenfalls nicht begründen. Dies stellt auch keinen Beleg für eine Konzentrations- und Aufmerksamkeitsschwäche dar. Im Gegenteil, auch aus dem über die Vorstellung gefertigten Arztbrief des Prof. Dr. Wi. vom 11. März 2011 ergeben sich keinerlei Anhaltspunkte für eine Konzentrations- und Aufmerksamkeitsschwäche.

Bestätigt wird die Einschätzung des Leistungsvermögens des Klägers auf über sechs Stunden täglich auch durch die vom Senat eingeholte sachverständige Zeugenauskunft des Dr. N. vom 08. Mai 2012. Dr. N., der den Kläger im Jahr 2012 zweimal behandelte, ist ebenfalls der Auffassung, dass der Kläger trotz der somatoformen Störung und auch der Zwangsstörung in der Lage ist, seinen zuletzt ausgeübten Beruf als Straßenreiniger und sonstige leichte körperliche Tätigkeiten sechs Stunden täglich zu verrichten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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