S 4 AS 3038/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
4
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 4 AS 3038/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die wiederholte Bezeichnung der langjährigen Wohnpart-nerin gegenüber dem Grundsicherungsträger (Jobcenter) als „Lebensgefährtin“ spricht gegen das Vorliegen einer bloßen Wohngemeinschaft und für eine Einstehens- und Verantwortungsgemeinschaft
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten

Tatbestand:

Der Kläger begehrt vom Beklagten die Gewährung höherer laufender Leistungen der Grundsicherung nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch -SGB II-.

Der 1955 geborene und bis Juli 2011 selbständig berufstätige Kläger wohnt gemein-sam mit der 1966 geborenen W. seit Anfang 2009 in einer Drei-Zimmer-Wohnung in Pforzheim. Mit bestandskräftig gewordenen Bescheiden vom ... 2009 und vom ... 2009 gewährte der Beklagte dem Antragsteller und der W. antragsgemäß -als Bedarfsgemeinschaft- vorläufig laufende Leistungen zur Sicherung des Lebens-unterhalts nach dem SGB II (Arbeitslosengeld II) für die Zeit vom ... 2009 bis zum ... 2009. Mit weiter bestandskräftig gewordenem Bescheid vom ... 2010 sprach der Beklagte dem Kläger und der W. -wiederum als Bedarfsgemeinschaft- vorläufig Arbeitslosengeld II für die Zeit vom ... 2010 bis zum ... 2010. Mit weiterem bestandskräftig gewordenem Bescheid vom ... 2010 gewährte die Beklagte dem Kläger und der W. antragsgemäß abermals als Bedarfsgemeinschaft Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom ... 2010 bis zum ... 2010.

Zwischenzeitlich war der W. mit Bescheid der DRV Bund vom ... 2010 befristet für die Zeit vom ... 2009 bis zum ... 2012 Rente wegen voller Erwerbsminderung in monatlicher Höhe von 798,22 EUR zugesprochen worden. Darauf änderte der Beklagte mit allein an die W. adressiertem Bescheid vom ... 2010 die dem Kläger und der W. zustehenden grundsicherungsrechtlichen Bedarf unter Anrechnung der von der W. bezogenen Erwerbsminderungsrente für die Zeit ab dem ... 2010 nach unten ab. Die Leistungen erbrachte der Beklagte im Hinblick auf das monatlich unterschiedlich Einkommen des Klägers vorläufig.

Am ... 2011 sprach der Kläger bei der Beklagten vor. Dabei sei ihm, so seine Ausführungen, angekündigt worden, die Erwerbsminderungsrente der W. voll auf seine Leistungen anzurechnen. Dagegen erhob der Kläger am ... 2011 beim Beklagten schriftlich Widerspruch. Zur Begründung führte er aus, er und die W. bildeten keine Bedarfsgemeinschaft. Die W. sei nicht willens, für ihn einzustehen. Sie hätten auch keine gemeinsamen Konten und keine entsprechenden Verfügungsvollmachten. Dies ginge in ihrem Fall auch gar nicht, da die W. lediglich 790,- EUR Rente monatlich erhalte. Mit diesem Betrag könne sie nicht einmal ihre beiden leiblichen Kinder unterstützen und Miete zahlen usw. Sie sei nicht einmal in der Lage, Kindesunterhalt zu zahlen. Ihm gehe es mit seinen zwei Kindern leider ebenso.

Mit Widerspruchsbescheid vom ... 2011 verwarf der Beklagte den Widerspruch des Klägers vom ... 2011 als unzulässig. Der Beklagte wertete den Widerspruch da-bei als solchen gegen den Bescheid vom ... 2010. In diesem Bescheid sei in der Rechtsbehelfsbelehrung zutreffend auf die gesetzliche Widerspruchsfrist von einem Monat hingewiesen worden. Der Bescheid sei am ... 2010 zur Post gegeben worden und gelte dementsprechend als am ... 2010 bekanntgegeben. Die Widerspruchsfrist habe dementsprechend am ... 2010 geendet. Der Widerspruch sei aber erst nach Ablauf dieser Frist eingegangen, ohne dass Gründe dafür vorgetragen worden seien, die das Fristversäumnis rechtfertigen und eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ermöglichen würde.

Am ... 2011 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben.

Er trägt vor, es liege kein unzulässiger Widerspruch vor. Bereits in seiner Mitteilung vom ... 2011, beim Beklagten am ... 2011 eingegangen, habe er ausgeführt, dass er sich "schon jetzt" gegen die Anrechnung von Leistungen wende, die an Frau W. gezahlt würden. Daraus folge, dass sich der Widerspruch zumindest auch gegen die Untätigkeit des Beklagten richte. Weiter sei zu berücksichtigen, dass für den Zeitraum ab dem ... 2010 keine Leistungen gewährt worden seien und seine Anträge nicht bearbeitet worden seien. In der Sache sei der Annahme des Beklagten entgegenzutreten, es bestehe eine Bedarfsgemeinschaft zwischen ihm und der W. Zu einer Bedarfsgemeinschaft gehöre eine Person, die mit dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebe, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen sei, Verantwortung für einander zu tragen und füreinander einzustehen. Dies sei bei ihm nicht der Fall. Weder er noch die W. wollten für einander aufkommen und füreinander einstehen.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom ... 2010 in der Gestalt des Wider-spruchsbescheides vom ... 2011 abzuändern und den Beklagten zu verur-teilen, ihm für den hier streitgegenständlichen Zeitraum von November bis De-zember 2010 monatlich weitere Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II in Höhe von monatlich 379,60 EUR (insgesamt 759,20 EUR) zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Kläger habe in seinem Widerspruchsschreiben vom ... 2011 keinen Bescheid genannt, gegen den sich der Widerspruch richte. Es sei daher geprüft worden, wann der letzte Bescheid erlassen worden sei. Dies sei der Bescheid vom ... 2010 gewesen, mit dem, dem Kläger Leistungen für den Zeitraum vom ... 2010 bis zum ... 2010 bewilligt worden seien. Im Hinblick auf diesen Bescheid sei die Widerspruchsfrist aber bereits abgelaufen gewesen. In der Sache werde bestritten, dass zwischen dem Kläger und der W. keine Bedarfs-gemeinschaft bestehe. Seit Antragstellung im Januar 2009 seien der Kläger und die W. als Bedarfsgemeinschaft betrachtet und entsprechende Leistungen bewilligt worden. Dem seien weder die W. noch der Kläger in der Vergangenheit entgegengetreten. Die Entscheidungen seien mittlerweile bestandskräftig geworden. Erst nachdem für die W. eine Rente bewilligt worden sei, der Leistungsanspruch sich durch die Anrechnung entsprechend gemindert habe, werde dem entgegengetreten. Darin sei eine Schutzbehauptung des Klägers zu sehen. Die Leistungen für den Zeitraum von Juli 2010 bis zum Dezember 2010 seien zuletzt mit Änderungsbescheid vom ... 2010 festgesetzt und entsprechend ausbezahlt worden. Eine Untätigkeit liege nicht vor. Soweit sich der Kläger für den Zeitraum vom ... 2011 bis zum ... 2011 laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II beantragt habe, sei darüber, nachdem der Kläger auf entsprechende Aufforderung (Aufforderungsschreiben vom ... 2011) angeforderte Unterlagen nicht eingereicht habe, mit Versagungs- und Entziehungsbescheid vom ... 2011 entschieden worden.

Die Zeugin W. ist während der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht am ... 2012 zur Frage einer bloßen Wohngemeinschaft oder einer Einstehens- und Verantwortungsgemeinschaft mit dem Kläger vernommen worden. Wegen des Ergebnisses ihrer Zeugenaussage wird auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Während der mündlichen Verhandlung hat der Beklagte folgende auf den ... 2011 datierende und vom Kläger anlässlich einer Vorsprache beim Beklagten handschriftlich unterschriebene Erklärung vorgelegt:

"Hiermit bestätige ich, ..., dass ich seit dem ...2011 keinerlei Ein-nahmen aus Selbständigkeit hatte. Meine Lebensgefährtin hatte lediglich Einkommen aus Rente.

Über weiteres Einkommen und Vermögen verfügen wir beide nicht. Ich bin daher in einer finanziellen Notlage und bitte für die letzten Monate um einen Vorschuss in Höhe von 1.000 EUR.

Das Gewerbe wird rückwirkend zum ...2011 abgemeldet. Die Beschei-nigung wird nachgereicht."

Die vorgenannte Erklärung ist durch Verlesen des Vorsitzenden zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht und der Zeugin W. sowie dem Kläger vorgehalten worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der dem Gericht vorliegenden Behördenakte und den Inhalt der Prozessakten (S 4 AS 3038/11 und S 4 AS 5173/11 ER) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage (1.) hat in der Sache keinen Erfolg (2.).

1. Das erkennende Gericht erachtet den vom Kläger am ... 2011 gegen den Bescheid vom ... 2010 erhobenen Widerspruch -entgegen der Auffassung des Beklagten- als fristgerecht und damit zulässig. Von einer Widerspruchsverfristung kann nicht gesprochen werden, weil der auf den ... 2010 datierende Ausgangsbescheid nach Aktenlage allein an die W. adressiert worden ist. Ein Hinweis darauf, dass dieser Bescheid zeitgleich auch dem Kläger bekannt gemacht worden ist, findet sich in der Behördenakte nicht. Dementsprechend hat die nach § 84 Sozialgerichtsgesetz (SGG) geltende Widerspruchsfrist von einem Monat ab Bescheidbekanntgabe auch nur die W. treffen können. Indes ist der Kläger durch den an die W. adressierten Ausgangsbescheid vom ... 2010 beschwert, weil darin angenommen wird, dass er mit der W. in Bedarfsgemeinschaft lebe mit der weiteren Folge, dass seine Grund-sicherungsleistung von den Einkommens- und Vermögensverhältnissen der W. abhängen. Dementsprechend sind Einkommensersatzleistungen zu Gunsten der W. -deren Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit- für die Zeit ab dem ...2010 zu Lasten des Klägers angerechnet worden.

2. Der Bescheid des Beklagten vom ... 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbe-scheides vom ... 2011 ist aber in der Sache rechtlich nicht zu beanstanden und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger kann vom Beklagten für den hier allein noch streitgegenständlichen Zeitraum vom ... 2010 bis zum ...2010 keine höheren monatlichen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II verlangen als ihm mit dem angefochtenen Bescheid vom ... 2010 bewilligt worden sind.

Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II ist grundlegende Voraussetzung der Leistungs-berechtigung von erwerbsfähigen Personen die Hilfebedürftigkeit. Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfs-gemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht (1.) durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit, (2.) aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält (§ 9 Abs. 1 SGB II). Bei Personen, die in einer Be-darfsgemeinschaft leben, ist auch das Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen (§ 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II). Zur Bedarfsgemeinschaft gehören nach § 7 Abs. 3 SGB II u.a. die erwerbsfähigen Hilfebedürftigen (Nr. 1 a.a.O.) sowie als Partner des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen eine Person, die mit dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung für einander zu tragen und füreinander einzustehen (Nr. 3 Buchst. c a.a.O.).

Was die Kriterien für das Vorliegen einer Einstehens- und Verantwortungsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 Nr. 3 Buchst. c SGB II anbelangt, ist auf die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur eheähnlichen Gemeinschaft entwickelten Maßstäbe zurückzugreifen (vgl. Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 22. März 2007 - L 7 AS 640/07 ER-B und vom 17. Dezember 2007, L 7 AS 5125/07 ER-B, beide in JURIS); hiernach muss es sich um eine auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaft handeln, die daneben keine Lebensgemeinschaft gleicher Art zulässt und sich durch innere Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander begründen, also über die Beziehungen in einer reinen Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehen (vgl. BVerfGE 87, 234, 264 f.; BVerfG, Kammerbeschluss vom 2. September 2004 - 1 BvR 1962/04 - NVwZ 2005, 1178; Bundessozialgericht (BSG) BSGE 90, 90, 90, 98 f. = SozR 3-4100 § 119 Nr.26; BVerwGE 98, 195, 198 f.). Dem trägt die Regelung des § 7 Abs. 3 Nr. 3 Buchst. c SGB II Rechnung; dabei ist - wie bereits dem Wortlaut der Vorschrift zu entnehmen ist -, hinsichtlich des Willens, füreinander einzustehen, ein objektiver Maßstab anzulegen. Nicht ausschlaggebend ist deshalb die subjektive Sicht der betroffenen Personen; entscheidend ist vielmehr, ob bei verständiger Würdigung ein wechselseitiger Wille der Partner, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, unter objektiven Gesichtspunkten bejaht werden kann (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 22. März 2007 a.a.O.; Adolph in Linhart/Adolf, SGB II § 7 Rn. 74; A. Loose in Hohm, GK-SGB II, § 7 Rn. 57). Zur Annahme einer Einstehens- und Verantwortungsgemeinschaft reicht freilich eine bloße Wohngemeinschaft nicht aus (so bereits BSGE 63, 120, 123 = SozR 4100 § 138 Nr. 17), ebenso wenig eine reine Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft (vgl. auch Bundestags-Drucksache 16/1410 S. 19 (zu Nr. 7 Buchst. a)).

Allerdings wird ein Verantwortungs- und Einstehenswille nach der - gleichfalls mit dem Fortentwicklungsgesetz eingeführten - Regelung des § 7 Abs. 3a SGB II vermutet, wenn (1.) Partner länger als ein Jahr zusammenleben, (2.) mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben, (3.) Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder (4.) befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollte mit der Vermutungsregelung dem Leistungsmissbrauch durch falsche Angaben zu den häuslichen Verhältnissen entgegengewirkt werden, wobei hinsichtlich der Kriterien für die Vermutung einer Einstehensgemeinschaft auf die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts und daran anschließend des Bundessozialgerichts zurückzugreifen ist (vgl. Bundestags-Drucksache 16/1410 S. 19 (zu Nr. 7 Buchst. b)); hierzu gehören die lange Dauer und Intensität des Zusammenlebens, eine gemeinsame Wohnung, eine bestehende Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft, die gemeinsame Versorgung von Kindern und Angehörigen im gemeinsamen Haushalt sowie die Befugnis, über Einkommen und Vermögensgegenstände des anderen zu verfügen (vgl. BVerfGE 87, 234, 265; BSG SozR 3-4100 § 119 Nr. 15; SozR 3-4300 § 144 Nr. 10; ferner BVerwGE 98, 195, 200; BVerwG, Beschluss vom 24. Juni 1999 - 5 B 114/98 - JURIS; vgl. auch BSG, Beschluss vom 16. Mai 2007 - B 11b AS 37/06 B - JURIS). Allerdings können auch andere äußere Tatsachen das Vorliegen einer Einstehensgemeinschaft begründen; dies ist unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalles von Amts wegen zu prüfen (vgl. Bundestags-Drucksache 16/1410 S. 19 f. (zu Nr. 7 Buchst. b)). Ist indes zumindest einer der Vermutungstatbestände des § 7 Abs. 3a SGB II erfüllt, trifft den Anspruchsteller die Darlegungslast dafür, dass keiner der dort aufgeführten Sachverhalte vorliegt oder die Vermutung durch andere Umstände entkräftet wird (vgl. Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 22. März 2007 a.a.O.; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 16. Januar 2007 - L 13 AS 3747/06 ER-B - JURIS; Bundestags-Drucksache 16/1410 S. 19 (zu Nr. 7 Buchst. b); Spellbrink, NZS 2007, 121, 126 f.; A. Loose in Hohm, GK-SGB II, a.a.O. Rn.71; Peters in Estelmann, SGB II, § 7 Rn ... 43).

An diesem Prüfungsmaßstab orientiert, ist es dem Kläger für den streitgegenständli-chen Zeitraum von November 2010 bis Dezember 2010 -zu diesem Zeitpunkt hat der Kläger seit Anfang 2009 und damit länger als ein Jahr mit der W. zusammengelebt (§ 7 Abs. 3 Nr. 1 SGB II)- nicht gelungen, die gesetzliche Vermutung des wechselseitigen Willens, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, zu widerlegen. Nach der gebotenen Gesamtschau der Wohn- und Lebensverhältnisse des Klägers und der Zeugin W. seit Januar 2009 ist das erkennende Gericht vom Vorliegen einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft zwischen dem Kläger und der Zeugin W. überzeugt. Dies ergibt sich aus folgenden Einzelüberlegungen:

Die Einlassung des Klägers ist in dem entscheidungsrechtlichen Punkt widersprüchlich. Soweit der Kläger seit November 2010 behauptet, er habe zwar mit der Zeugin W. zusammengewohnt, es habe aber keine Einstehens- und Verantwortungsgemeinschaft zwischen ihnen bestanden, widerspricht dies der Aktenlage. Maßgeblich für das erkennende Gericht sind dabei zunächst insbesondere die gegenteiligen Angaben des Klägers und der Zeugin W. in den von ihnen selbst ausgefüllten und unterschriebenen Formblattanträgen zur Erlangung von Arbeitslosengeld II vom ... 2009 und ... 2010. Danach hat die Zeugin W. den Kläger als die Person angegeben, mit der sie in Bedarfsgemeinschaft zusammenlebt. Den Einwand, der Beklagte habe ihn und die Zeugin W. in diesem Punkt nicht genügend über die Bedeutung der Angabe Bedarfsgemeinschaft aufgeklärt, sieht das Gericht durch den vom Kläger und der Zeugin W. im Antragsformular unter dem ... 2009 durch eigenhändige Unterschrift bestätigten Erhalt des Merkblatts SGB II "Grundsicherung für Arbeitsuchende (Ar-beitslosengeld II/Sozialgeld)" als widerlegt an. Wenn dieses Merkblatt vom Kläger nicht oder nicht hinreichend gelesen worden ist, kann er daraus gegenüber dem Beklagten keine Recht herleiten. Der Kläger ist der deutschen Sprache mächtig und hat beim Gericht in der mündlichen Verhandlung einen zwar uneinsichtigen, aber keinen un-gewandten Eindruck hinterlassen. Antragsgemäß sind dem Kläger und der Zeugin W. jeweils bestandskräftig gewordenen Bescheiden des Beklagten vom ... 2009, ... 2009, ... 2010, ... 2010 und ... 2010 jeweils als Bedarfsgemeinschaft laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gewährt worden.

Einen weiteren gewichtigen Anhaltspunkt für das Vorliegen einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft zwischen dem Kläger und der Zeugin W. sieht das erkennende Gericht in der vom Kläger gegenüber der Beklagten am ... 2011 abgegeben schriftlichen Erklärung, in der er die Zeugin W. selbst als seine "Lebensgefährtin" be-zeichnet und sich zu deren Einkommens- und Vermögensverhältnissen äußert. Die Zeugin W. hat dazu erklärt, diese Erklärung des Klägers vom ... 2011 sei ihr zwar unbekannt gewesen, sie wisse aber, dass der Kläger sie gegenüber Dritten zuweilen als seine "Lebensgefährtin" bezeichne. Damit setzen der Kläger und die Zeugin W. objektiv den Rechtsschein, "Lebensgefährten" zu sein; auch umgangssprachlich und sachgedanklich ist dem Kläger ist dem Kläger der Unterschied zwischen einer bloßen Wohngemeinschaft und einer Lebenspartnerschaft im Sinne einer Einstehens- und Verantwortungsgemeinschaft bewusst. Dies zeigen seine gegenteiligen Einlassungen gegenüber dem Beklagten zur Widerspruchs- ( ... 2011) und Klagebegründung ( ... und ... 2011). Die offensichtliche Widersprüchlichkeit der Angaben, je nachdem was man gerade zu erreichen versucht, macht den Kläger als Person unglaubwürdig und seine Einlassung, mit der Zeugin W. nur der Not gehorchend zusammenzuleben, unglaubhaft.

Warum sich an der tatsächlichen Einstehens- und Verantwortungsgemeinschaft zwi-schen dem Kläger und der Zeugin W., die nach wie vor in einer Wohnung zusam-menleben, nunmehr für die Zeit ab November 2010 (Beginn des Rentenbezugs der Zeugin W.) etwas geändert haben sollte, ist dem Gericht auch nach Vernehmung der Zeugin W. nicht nachvollziehbar. Anhaltspunkte für eine Änderung der tatsächlichen Lebensverhältnisse zwischen dem Kläger und der W. als Paar, das füreinander einsteht, sind nicht ersichtlich.

Im Gegenteil, auch unter Außerachtlassung der Akten- und Urkundenlage, sprechen die glaubhaften Angaben der glaubwürdigen Zeugin W. im Ergebnis mehr für als gegen das Vorliegen einer -wenn auch durchaus ungleichen- Einstehens- und Verant-wortungsgemeinschaft zwischen dem Kläger und der W. Die W. finanziert das Leben des Klägers seit 2009 zu wesentlichen Teilen, indem sie ihm Unterkunft, Telefon und Fernsehen zur Verfügung stellt. Soweit sie vorgetragen hat, dem Kläger die anteiligen Kosten für Wohnung, Telefon und Fernsehen kraft mündlicher Absprache nur gestundet zu haben, ist sie in der mündlichen Verhandlung nicht einmal in der Lage gewesen, auch nur annähernd den Betrag benennen zu können, den der Kläger ihr mittlerweile schulden soll. Außerdem hat sie eingeräumt, den Betrag aufgrund der Mittellosigkeit des Klägers auch nicht zwangsweise durchsetzen zu wollen. Darüber hinaus berücksichtigt das Gericht, dass die Zeugin W. dem Kläger faktisch kostenfrei Telefon und Fernsehen zur Verfügung stellt und auch seine Wäsche mit wäscht, während sie umgekehrt zuweilen mit dem Kläger, das von diesem zubereitete Essen mit einnimmt. Zudem ist die Trennung von Tisch und Bett zwischen Kläger und Zeugin W. nicht vollständig aufgehoben. Die Zeugin W. hat in der mündlichen Verhandlung nämlich bekundet, mit dem Kläger, wenn auch nur gelegentlich bei besuchsweisen Aufenthalten ihrer beiden Töchter, das Bett zu teilen. Dem misst das Gericht vor dem weiteren von der Zeugin W. geschilderten Umstand eine gewisse Bedeutung bei, nämlich dem zumindest vorübergehenden Zusammenleben des Klägers mit der Zeugin W. im Jahre 2007 in dessen damaliger und nur 36 m² großen Wohnung. Auch die glaubhafte Einlassung der Zeugin W., sie schaffe es in Kenntnis des Umstands, den Kläger schon seit langem wesentlich mitzufinanzieren, nicht, diesen vor die Tür zu setzen, zeigt letztlich eine erhebliche emotionale Verbundenheit zwischen ihr und dem Kläger.

Bei alledem verkennt das Gericht nicht, dass es sich bei dem Zusammenwohnen und Zusammenleben des Klägers und der Zeugin W. aufgrund derer finanzieller Gesamt-situation auch um eine "Notgemeinschaft" handelt. Darin erschöpft sich die Beziehung zwischen dem Kläger und der Zeugin W. aber nicht, wie insbesondere seine schriftliche Erklärung gegenüber dem Beklagten vom ... 2011 in kaum zu überbietender Klarheit zeigt. Auch die von der Zeugin W. durchaus plastisch geschilderten Einzelumstände ihres Zusammenlebens vermitteln dem Gericht im Ganzen den Eindruck, dass es sich bei ihnen um deutlich mehr als eine bloße aus der Not geborene "Wohngemeinschaft" handelt. Die Zeugin W. steht im Gegenteil seit Jahren in nachgerade klassischer Weise durch Unterkunftsgewährung für den Kläger ein, ohne auch nur ansatzweise sicher sein zu können, jemals auch nur einen Bruchteil ihrer Kosten vom Kläger wirksam und nachhaltig zurückverlangen zu können.

Nach alledem hat die Klage in der Sache keinen Erfolg haben können.

Die Kostenentscheidung zu Lasten des Klägers beruht auf § 193 SGG.

Die streitgegenständliche Arbeitslosengeld-II-Forderung von 759,20 EUR überschreitet den in § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG festgelegten Wert des Beschwerdegegenstands (750,00 EUR), mit der Folge, dass die Berufung gegen das Urteil unbeschränkt zulässig ist.

-
Rechtskraft
Aus
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