L 6 R 1227/11

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Meiningen (FST)
Aktenzeichen
S 25 R 825/10
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 6 R 1227/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Bei der Begutachtung von Schmerzen müssen bei der Exploration geäußerte subjektive Beschwerden durch Schmerzen durch kritische Zusammenschau von Exploration, Untersuchungsbefunden, Verhaltensbeobachtung und Aktenlage validiert werden.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Meiningen vom 8. April 2011 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bei Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes vom 1. Mai 2011 bis zum 30. April 2014 hat.

Die 1957 geborene Klägerin war zuletzt laut Arbeitgeberauskunft der Einrichtungssysteme GmbH vom 12. September 2008 seit dem 13. Juni 1994 als Maschinenarbeiterin mit einer Anlernzeit von drei Monaten beschäftigt. Seit dem 12. Juli 2007 war sie arbeitsunfähig er-krankt, seit dem 22. August 2007 bezog sie Krankengeld und seit dem 9. Januar 2009 Arbeits-losengeld.

Im August 2008 beantragte sie die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte zog diverse medizinische Unterlagen, u.a. den Rehabilitationsentlassungsbericht der M.K.B.T.vom 15. Januar 2008 (Diagnosen: intracranielles Meningeom suprasellär mit Opera-tion vom 20. Juli 2007, Gesichtsfeldeinschränkung temporal oben links, Cephalgie, arterielle Hypertonie, Zustand nach Struma-Operation; Leistungsbild: zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Produktionsarbeiterin drei bis unter sechs Stunden, leichte Arbeiten im Wechselrhythmus mit Einschränkungen drei bis sechs Stunden täglich) bei. Des Weiteren holte sie ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten der Dipl.-Med. B.vom 7. Dezember 2008 (Diagnosen: Kopf-schmerz, Zustand nach Operation Hypophysenadenom 2007, Verdacht auf Benzodiazepina-busus, Hypothyreose, Hypertonie; Leistungsbild: Tätigkeit als Produktionsarbeiterin sechs Stunden und mehr, mittelschwere Arbeiten sechs Stunden und mehr) und ein augenärztliches Gutachten der Dr. Sch. vom 16. Februar 2009 (Diagnosen: Gesichtsfeldeinengung, geringe Hyperopie mit Astigmatismus (Weitsichtigkeit mit Stabsichtigkeit), Alterssichtigkeit; Leis-tungsbild: Tätigkeit als Produktionsarbeiterin sechs Stunden und mehr, leichte bis mittel-schwere Arbeiten im Wechselrhythmus mit Einschränkungen sechs Stunden und mehr) ein. Mit Bescheid vom 6. März 2009 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente wegen Er-werbsminderung ab und wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 29. Oktober 2009 zurück. Sie führte zur Begründung im Wesentlichen aus, im Ergebnis der vorgenomme-nen medizinischen Sachaufklärung bestehe bei der Klägerin ein Leistungsvermögen für sechs Stunden und mehr für leichte bis mittelschwere Arbeiten mit Einschränkungen. Somit liege weder teilweise noch volle Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 1 und Abs. 2 des Sechsten Bu-ches Sozialgesetzbuch (SGB VI) vor. Es bestehe auch kein Anspruch auf Rente wegen teil-weiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit, weil von dem Hauptberuf der Produktions-arbeiterin auszugehen sei. Damit sei sie in die Gruppe der Angelernten im unteren Bereich einzuordnen und grundsätzlich auf die Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweis-bar. Am 14. März 2010 teilte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin der Beklagten mit, er habe den Widerspruchsbescheid vom 29. Oktober 2010 nicht erhalten, woraufhin eine Über-sendung durch Einschreiben mit Rückschein erfolgte. Der Widerspruchsbescheid ging dem Prozessbevollmächtigten laut Rückschein am 7. April 2010 zu.

Auf die Klageerhebung am 13. April 2010 hat das Sozialgericht (SG) u.a. diverse Befundbe-richte mit entsprechenden medizinischen Anlagen beigezogen und ein undatiertes neurolo-gisch-psychologisches Gutachten des Prof. Dr. R. (Eingang beim SG am 29. Dezember 2010) sowie ein psychologisches Zusatzgutachten des Dipl.-Psych. K. vom 5. November 2010 ein-geholt. Prof. Dr. R. hat bei den Diagnosen ausgeführt, bei der Klägerin lägen wahrscheinlich eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung, eine somatoforme autonome Funktionsstörung des vestibulären Systems und eine leichte Episode einer rezidivierenden depressiven Störung vor. Sie weise eine verminderte Stresstoleranz, Konzentration, Leistungsgeschwindigkeit und Antrieb sowie eine vermehrte Ermüdbarkeit auf. Zudem empfinde sie einen Schwindel und multilokuläre Schmerzen. Sie könne eine Tätigkeit als Maschinenarbeiterin oder sonstige Tä-tigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in Industrie und Handel wegen verminderter Dauerbelastbarkeit halb- bis untervollschichtig ausführen. Leichte Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung ohne Zwanghaltungen, ohne häufiges Bücken, Absturzgefahr, Heben von Las-ten (maximal etwa 10 kg als Einzelleistung), ohne Schichtarbeit und Akkordarbeit (wegen vermehrter Ermüdbarkeit, verminderter Stresstoleranz und Leistungsgeschwindigkeit), ohne besondere Anforderungen an die nervliche Belastung sowie ohne besonderen Zeitdruck seien ihr auf einfachem Niveau (verminderte Stresstoleranz, Konzentration und Leistungsge-schwindigkeit) möglich. Arbeiten als Maschinenführerin erschienen wegen der ständigen Kopfschmerzen bei der Notwendigkeit einer Dauerkonzentration nicht zumutbar. Ansonsten könne sie Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in Industrie, Handel und Handwerk mit den genannten Einschränkungen ausüben. Dieses Leistungsvermögen bestehe etwa seit der Operation des suprasellären Meningenoms am 20. Juli 2007. Dipl.-Med. B. habe bei der Leistungseinschätzung die psychischen Störungen der Klägerin außer Acht gelassen. Dipl.-Psych. K. führt in seinem Zusatzgutachten aus, bei der Klägerin liege eine anhaltende somato-forme Schmerzstörung, eine somatoforme autonome Funktionsstörung des vestibulären Sys-tems und eine rezidivierende depressive Störung - gegenwärtig leichte Episode - vor. Hin-sichtlich der bei der Klägerin bestehenden quantitativen und qualitativen Einschränkungen stimmen seine Einschätzungen mit denen des Prof. Dr. R. überein.

Mit Urteil vom 8. April 2011 hat das SG antragsgemäß den Bescheid der Beklagten vom 6. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Oktober 2009 teilweise auf-gehoben und diese verurteilt, der Klägerin eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bei Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes ab dem 1. Mai 2011 befristet bis zum 30. April 2014 zu gewähren.

Im Berufungsverfahren macht die Beklagte geltend, dem erstinstanzlichen Urteil könne mit Blick auf den beurteilten medizinischen Sachverhalt und den Rentenbeginn nicht gefolgt wer-den. Der psychologische Psychotherapeut K. könne bestenfalls Aussagen über die effektive Belastbarkeit des Probanden, jedoch keine Aussagen zu Diagnosen, Prognosen, Rehabilitati-onsbedürftigkeit und -fähigkeit treffen. Da der neurologische Gutachter entsprechend seiner fachlichen Qualifikation die psychiatrischen Symptome zwar erkannt und mittels der psycho-logischen Zusatzbegutachtung auch gewürdigt haben wollte, habe er die vom Psychologen beschriebenen Diagnosen letztendlich nur als Verdachtsdiagnosen übernommen. Damit ent-behre das Gutachten wissenschaftlicher Kriterien, da auf Verdachtsdiagnosen eine quantitati-ve Leistungsminderung nicht begründet werden könne. Überdies sei die Beurteilung des Neu-rologen Prof. Dr. R. zur strittigen Frage der quantitativen Leistungsminderung auf psycholo-gischem Fachgebiet widersprüchlich zu den erhobenen Befunden und fachgebietsfremd beur-teilt. Es sei nicht schlüssig erkennbar, inwieweit es sich bei dem von ihm vorgelegten Gutach-ten um ein neurologisch-psychologisches Gutachten handele. Aus den objektiv mitgeteilten neurologischen Befunden sei eine zeitliche Leistungsminderung nicht nachvollziehbar. Der Einfluss der beschriebenen somatoformen Störungen und der gegenwärtig beschriebenen leichten depressiven Episode auf das quantitative Leistungsvermögen der Klägerin müsse durch eine psychiatrische Begutachtung überprüft werden. Darüber hinaus sei der Rentenbe-ginn - ausgehend von einem möglichen Leistungsfall am 5. November 2010 - nach § 101 Abs. 1 SGB VI der 1. Juli 2011 als siebter Kalendermonat nach dem Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Meiningen vom 8. April 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung verweist sie auf ihre Ausführungen im Widerspruchs- und Klageverfahren. Das Gutachten des Dr. K. stehe konträr zum Vorgutachten des Prof. Dr. R. und des Dipl.-Psych. K. Es sei nicht erkennbar, weshalb die Einschätzung des Dr. K. die Richtige und die Einschätzungen der im erstinstanzlichen Verfahren beauftragten Sachverständigen die Falsche sein solle.

Der Senat hat ein nervenärztliches Gutachten des Dr. K. vom 13. Dezember 2011 und eine ergänzende Stellungnahme vom 24. Februar 2012 eingeholt. Danach liegen bei der Klägerin folgende Diagnosen vor: - Zustand nach operativer Behandlung eines nicht bösartigen und nicht hormonaktiven Hypophysentumors im Universitätsklinikum Jena am 20. Juli 2007 mit Nachweis von funktionell nicht bedeutsamen Gesichtsfelddefekten, - Meralgia parästhetica links (Einengung des Nervus cutaneus femoris lateralis beim Durchtritt durch das Leistenband links mit sensiblen Reizsymptomen), - diffuses Wirbelsäulensyndrom als Ausdruck der somatoformen Schmerzstörung. Es ergeben sich keine Hinweise auf eine Schädigung der zervikal-spinalen oder lumbal-spinalen Wurzeln. Auch eine neurogene Claudicatio spinalis ist nicht nachweisbar, - anhaltende somatoforme Schmerzstörung (ICD-10: F45.4). Ausdruck dieser somato-formen Schmerzstörung ist einmal das Wirbelsäulensyndrom und auch die Kopf-schmerzkomponente, wobei hinsichtlich des Kopfschmerzes zusätzlich eine analgeti-kainduzierte Kopfschmerzproblematik anzunehmen ist.

Die Klägerin sei noch in der Lage vollschichtig körperlich leichte Tätigkeiten ohne Hektik, ohne Stress und ohne affektive belastende Situationen zu verrichten. In der letzten beruflichen Tätigkeit als Produktionsarbeiterin mit Akkordarbeit sei keine Einsatzfähigkeiten mehr gege-ben. Die Klägerin könne sechs Stunden täglich die Tätigkeit als Pförtnerin an der Nebenpforte oder als Produktionshelferin bzw. sonstige ungelernte Arbeiten in Industrie, Handel oder auf dem sonstigen Arbeitsfeld ausüben. Sie könne diese Tätigkeiten auch acht Stunden täglich verrichten.

Den Beteiligten wurden anonymisierte Kopien von Gutachten der berufskundlichen Sachver-ständigen J. zur Tätigkeit einer Pförtnerin vom 30. Mai 2005 aus einem anderen Verfahren des Senats (Az.: L 6 RJ 883/03), zur Tätigkeit einer Produktionshelferin vom 6. Juni 2004 (Az.: L 6 RJ 301/02) und eine Auskunft des Bundesverbandes Deutscher Wach- und Sicher-heitsunternehmen vom 20. Dezember 2007 zur Kenntnisnahme übersandt.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozess- und der beigezogenen Ver-waltungsakte der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist begründet; die Klägerin hat keinen Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bei Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes vom 1. Mai 2011 bis 30. April 2014.

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist nur ein Anspruch der Klägerin auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, die bei Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes als Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren ist, weil sie im erstinstanzlichen Verfahren ihren Antrag auf die Gewährung dieser Erwerbsminderungsrente ausdrücklich beschränkt hat.

Die Klage ist zulässig. Nach § 87 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ist die Klage binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsaktes zu erheben (Absatz 1). Hat ein Vorverfahren stattgefunden, so beginnt die Frist mit der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids (Absatz 2). Eine Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids vor Übersendung mit Rückschein (Zugang am 7. April 2010) an den Prozessbevollmächtigten der Klägerin ist aus der Verwaltungsakte der Beklagten nicht nachweisbar, so dass die Klagefrist nach § 87 Abs. 1 und Abs. 2 SGG mit der am 13. April 2010 erhobenen Klage beim SG gewahrt ist.

Ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI in der Fas-sung ab 1. Januar 2001 (n.F.) scheidet aus, denn die Leistungsfähigkeit der Klägerin ist nicht in dem für eine Rentengewährung erforderlichen Umfang herabgesunken. Nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Ren-te wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie teilweise erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich er-werbstätig zu sein (Satz 2). Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann (§ 43 Abs. 3 Halbsatz 1 SGB VI). Dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berück-sichtigen (§ 43 Abs. 3 Halbsatz 2 SGB VI).

Die Klägerin ist nicht teilweise erwerbsgemindert. Sie kann mindestens sechs Stunden täglich eine leichte Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausüben. Nach dem Gutachten des Dr. K. vom 13. Dezember 2001, dem der Senat folgt, ist sie trotz ihrer Gesundheitseinschrän-kungen nicht gehindert, eine Arbeitsleistung von mindestens sechs Stunden täglich zu erbrin-gen. Auf neurologischem Fachgebiet besteht ein Zustand nach operativer Behandlung eines nicht bösartigen und nicht hormonaktiven Hypophysentumors im Universitätsklinikum Jena am 20. Juli 2007 mit funktionell nicht bedeutsamen Gesichtsfelddefekten, eine Meralgia pa-rästhetica links und ein diffuses Wirbelsäulensyndrom als Ausdruck der somatoformen Schmerzstörung, auf psychiatrischem Fachgebiet eine anhaltende somatoforme Schmerzstö-rung (ICD-10: F45.4). Ausdruck der Schmerzstörung sind das Wirbelsäulensyndrom und die Kopfschmerzkomponente, wobei zusätzlich eine analgetikainduzierte Kopfschmerzproblema-tik anzunehmen ist. Der Schluss des Sachverständigen, die Klägerin könne noch leichte Ar-beiten mit Einschränkungen - Vermeidung von Tätigkeiten in gebückter oder halbgebückter Stellung, in Hockstellung, mit Kopfreklination, mit Überstreckung beider Arme, mit besonde-rer nervlicher Belastung oder unter besonderem Zeitdruck, ohne Heben und Tragen von Ge-genständen schwerer als 15 kg, ohne Tätigkeiten auf Leitern und Gerüsten oder mit Absturz-gefahr - in geschlossenen temperierten Räumen mit Schutz vor Kälte, Nässe, Zugluft, Lärm, Reizstoffen wie Staub, Rauch, Gas und Dampf in geräuscharmer Umgebung mindestens sechs Stunden täglich ausüben, überzeugt den Senat.

Dr. K. bestätigt die Ausführungen der Augenärztin Dr. Sch. in ihrem Gutachten vom 16. Feb-ruar 2009, dass die Leistungsfähigkeit der Klägerin durch die Gesichtsfeldseinschränkung nicht wesentlich eingeschränkt wird. Im Rahmen der umfassenden neurologischen und neuro-physiologischen Untersuchung ergaben sich keine Hinweise auf eine Schädigung lumbal-spinaler oder zervikal-spinaler Wurzelsegmente. Auch eine neurogene Claudicatio spinalis ist nicht fassbar. Die Einklemmung eines Hautnervs am linken Oberschenkel ist funktionell nicht bedeutsam. Die vorgetragenen Kopfschmerzen können nicht auf die Hypophysentumor-Operation 2007 zurückgeführt werden; sie sind der somatoformen Schmerzstörung zuzure-chen.

Im Rahmen von Gutachten müssen bei der Exploration geäußerte subjektive Beschwerden durch Schmerzen immer durch eine Konsistenzprüfung validiert werden (vgl. Widder "Schmerzsyndrome" in Widder/Gaidzig, Begutachtung in der Neurologie, 2. Auflage 2011, S. 389; Leitlinie für die Begutachtung von Schmerzen Nr. 030/102 der AWMF (Arbeitsgemein-schaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften) 4.5). Hier hat die Auswer-tung des Amsterdamer Kurzzeitgedächtnistests (KGT) und des Strukturierten Fragebogens Simulierter Symptome (SFSS) durch Dr. K. auffällige Befunde ergeben, die den Verdacht auf eine negative Antwortverzerrung nahelegen. Deutliche Diskrepanzen zwischen Selbst- und Fremdeinschätzung fanden sich auch bei der Auswertung des Deutschen Schmerzfragebogens (DGS). Die Tests sind mit deutlich reduzierter Anstrengungsbereitschaft und hochgradigem Verdacht auf negative Antwortverzerrung in hohem Maße auffällig. Dies spricht dafür, dass dem subjektiven Beschwerdebild kein adäquater Leidensdruck gegenübersteht. Tendenziöse Elemente im Beschwerdevortrag sind unverkennbar. Eine tief greifende Einschränkung der Aktivität und Partizipationsfähigkeit findet sich bei der Klägerin nicht; ein Rückzug von an-genehmen Dingen des Lebens (vgl. Widder "Schmerzsyndrome" in Widder/Gaidzig, Begut-achtung in der Neurologie, 2. Auflage 2011, S. 390) ist nicht festzustellen. Entgegen ihrer Behauptung, sie habe keine Freude mehr, hat sie z.B. vor kurzem noch einen Urlaub auf Mal-lorca durchgeführt; auch schaut sie sich am Wochenende regelmäßig ein Fußballspiel an. Eine depressive Symptomatik liegt weder nach den Kriterien des ICD-10 noch des DSM-IV-TR vor. Leicht eingeschränkt sind die Stressresistenz und die Frustrationstoleranz; eine leichte Einschränkung resultiert auch hinsichtlich der emotionalen Kompetenz. Zentrale Anteile der Persönlichkeit, d.h. die Willens- und Motivationsstruktur, die Merk- und Konzentrationsfä-higkeit, das Durchhaltevermögen, die Umstellungsfähigkeit, die geistige Flexibilität, und die Aufmerksamkeit sind nicht betroffen. Einschränkungen der Wegefähigkeit bestehen nicht; betriebsunübliche Pausen sind nicht erforderlich.

Der Senat folgt nicht den Gutachten des Prof. Dr. R. und des Dipl.-Psych. K. Die von Prof. Dr. R. angegebene quantitative Einschränkung des Restleistungsvermögens auf drei bis unter sechs Stunden täglich beruht nicht auf den Befunden des neurologischen Fachgebiets. Inso-weit berichtet er über eine linksbetonte Visusminderung, keine fingerperimetrisch feststellba-re Gesichtsfeldseinschränkung, über unsystematisch verteilte, sich nicht an anatomisch vor-gegebene Innervationsgebiete haltende Sensibilitätsstörungen an den Beinen und ein nicht neurologisch zu erklärendes leichtes Hinken. In der Beantwortung der Beweisfragen (Ad 2) übernimmt er dagegen die Diagnosen aus dem psychologischen Zusatzgutachten des Dipl.-Psych. K. allerdings - worauf die Beklagte zu Recht hinweist - nunmehr als Verdachtsdiagno-sen. Eine eigene psychologische Befundung hat der Sachverständige offensichtlich nicht durchgeführt; auch im Text des Gutachtens verweist er auf das psychologische Zusatzgutach-ten.

Soweit Dipl.-Psych. K. zu dem Ergebnis einer zeitlichen Einschränkung des Restleistungs-vermögens der Klägerin gelangt, kann ihm nicht gefolgt werden. Es begegnet bereits erhebli-chen Zweifeln, dass er als Nichtmediziner die Kompetenz zur Feststellung von Schmerzzu-ständen hat, denn deren Begutachtung ist eine interdisziplinäre Aufgabe und erfordert die Kompetenz zur Beurteilung körperlicher wie auch psychischer Störungen (vgl. Leitlinie für die Begutachtung von Schmerzen Nr. 030/102 der AWMF 2. Spezielle Aspekte der Begutach-tung von Schmerzen - Interdisziplinärer Charakter); zumindest Anhaltspunkte für erstere sind nicht ersichtlich. Überdies ist das Gutachten nicht schlüssig. So fehlt es an der unbedingt er-forderlichen Validisierung der Behauptungen der Klägerin durch kritische Zusammenschau von Exploration, Untersuchungsbefunden, Verhaltensbeobachtung und Aktenlage (vgl. Wid-der "Schmerzsyndrome" in Widder/Gaidzig, Begutachtung in der Neurologie, 2. Auflage 2011, S. 389). Weiter wäre zu prüfen gewesen, ob die Beschwerden bewusst oder bewusst-seinsnah zur Durchsetzung eigener Wünsche eingesetzt werden und damit bei zumutbarer Willensanspannung überwunden werden können (vgl. Leitlinie für die Begutachtung von Schmerzen Nr. 030/102 der AWMF 4.5 Zusammenfassung und Beurteilung 2.). Beides ist nicht geschehen. Die Annahme einer tief greifenden neurotischen Störung kann nicht aufrecht erhalten bleiben, denn die Klägerin ist durchaus in der Lage, ihre Ziele zu formulieren. Ihre Beschwerdedarstellung ist eindeutig tendenziös.

Der Senat stimmt Dr. K. zu, dass die Einholung von Gutachten auf anderem ärztlichen Fach-gebiet nicht erforderlich ist. Insoweit verweist er auf das augenärztliche Gutachten der Dr. Sch. vom 16. Februar 2009 sowie die ausführlichen Befundberichte des Universitätsklinikums Jena Klinik für Neurochirurgie, wonach keine hormonellen Störungsmuster gegeben sind. Im Ergebnis entspricht auch das Ergebnis des von der Beklagten eingeholten Gutachtens der Dipl.-Med. B. den Feststellungen des Dr. K ... Auch er berichtet dort von Hinweisen auf Aggravation.

Bei vollschichtig einsatzfähigen Versicherten bedarf es grundsätzlich keiner Benennung einer Verweisungstätigkeit. Angesichts der Rechtsprechung des 13. Senats des Bundessozialge-richts, dass eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkung oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung zur Verpflichtung der Benennung einer Verweisungstätig-keit führen kann (vgl. BSGE 81,15), verweist der Senat die Klägerin auf die ihr jedenfalls zumutbare und angesichts ihrer gesundheitlichen Einschränkungen mögliche ungelernte Tä-tigkeit als Produktionshelferin entsprechend dem Gutachten der Sachverständigen J. vom 6. Juni 2004 aus einem anderen Verfahren des Senats (Az: L 6 RJ 301/02). Dabei handelt es sich um einfache wiederkehrende Tätigkeiten, die in vielen Branchen und bei unterschiedlichsten Produkten anzutreffen sind, zum Teil auch bei Firmen, die sich auf derartige Arbeiten im Kundenauftrag spezialisiert haben und die nach kurzer Einweisung ausgeübt werden können. In nennenswerter Zahl sind sie z.B. in der Metall-, Elektro- oder Kunststoffindustrie sowie im Spielwaren und Hobbybereich vorhanden. Sie belasten nur leicht; Wirbelsäulen- oder gelenk-belastende Körperhaltungen kommen nicht vor. Das Arbeitstempo wird nicht durch Maschi-nen und Anlagen vorgegeben; der Lohn wird nicht nach Akkordsätzen errechnet. Als Einzel-aufgaben werden Waren beklebt, eingehüllt, gezählt, sortiert; es werden Abziehbilder, Wa-renzeichen oder Etiketten angebracht. Eingepackt wird in Papp-, Holzschachteln oder sonstige Behältnisse. Als Beispiel nennt die Sachverständige leichte Verpackungsarbeiten in der Den-talbranche. Dabei werden die im Unternehmen hergestellten Produkte in der Endverpackung so verpackt, wie sie an den Endverbraucher ausgeliefert werden. Z.B. werden kleine Dosen in Faltschachteln gepackt, Spritzen werden in Tiefziehteile gelegt und kommen dann zusammen mit einer Gebrauchsanweisung oder Mischblöcken in die Faltschachtel. Die Tätigkeit ist kör-perlich leicht und das Gewicht der zu verpackenden Teile liegt unter fünf Kilogramm. Sie kann im Wechsel von Gehen und Stehen erledigt werden; es kann auch gesessen werden.

Diesem Anforderungsprofil entspricht das festgestellte Leistungsvermögen der Klägerin in dem Gutachten des Dr. K. vom 13. Dezember 2011. Er hat die Möglichkeit der Ausübung dieser Tätigkeit in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 24. Februar 2012 ausdrücklich bejaht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
Saved