L 9 U 3375/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 20 U 1329/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 3375/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 9. April 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt die Anerkennung einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie einer generalisierten Angststörung als Folgen seines Arbeitsunfalls vom 30.3.2004 und die Gewährung einer Verletztenrente.

Der 1970 geborene Kläger war seit August 1994 als Helfer bei der Firma G. – Baumalerei und Gerüstbau – beschäftigt. Am 30.3.2004 fiel beim Gerüstabbau eine Diele bzw. ein Aluminiumbelag (Lauffläche) eines Gerüsts auf dem Rücken des Klägers, der sich vorn übergebeugt hatte. Er verspürte Schmerzen im Bereich des Rückens und bemerkte sensomotorische Störungen der Beine. Dr. J. von der Klinik für Traumatologie der Universität F., in der der Kläger vom 30.3. bis 2.4.2004 stationär behandelt wurde, diagnostizierte eine Contusio spinalis sowie eine schlaffe Paraparese und eine inkomplette Paraplegie (vgl. DA-Bericht vom 20.4.2004 nebst neurologischer Befundbericht vom 6.4.2004). Alle bildgebenden Verfahren zeigten keine Schädigung im Bereich der Wirbelsäule. Die Parese der Beine zeigte eine deutliche Rückbildung, am ersten Tag nach dem Unfall waren die Beine schon wieder mit voller Kraft beweglich und bei Entlassung fanden sich nur noch geringe Defizite. Die neurologische Kon-siliaruntersuchung zeigte keine fokalen neurologischen Defizite; es wurde allerdings eine Untersuchung mittels evozierter Potenziale empfohlen (Zwischenbericht der Klinik für Traumatologie vom 8.4.2004). Der Neurologe und Psychiater Dr. F. führte unter dem 3.6.2004 aus, der Kläger habe ihn lediglich einmalig am 5.4.2004 konsultiert; dabei hätten sich keine funktionellen relevanten Beeinträchtigungen gezeigt. Eine Arbeitsunfähigkeit sei von ihm nicht attestiert worden. Der Unfallchirurg Dr. M. bescheinigte unter dem 3.6.2004 weitere Arbeitsunfähigkeit und führte aus, es bestünden noch Schmerzen in der unteren Lendenwirbelsäule (LWS), Kraftminderung in beiden Beinen und Störungen der Koordination. Die krankengymnastische Behandlung werde mit Gehtraining und Kraftaufbau fortgeführt. Unter dem 25.6.2004 erklärte er, die Arbeitsunfähigkeit werde sich bis Ende Juli hinziehen, danach sollte eine Belastungserprobung mit zunächst vierstündiger Arbeit täglich erwogen werden.

Zur Heilverfahrenskontrolle ließ die Beklagte den Kläger von Dr. B., Oberarzt der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T., untersuchen. Dieser konnte auf chirurgischem Fachgebiet keine Auffälligkeiten objektivieren und empfahl eine erneute neurologische Kontrolle (Bericht vom 12.7.2004). Am 27.7.2004 wurde der Kläger aus der ambulanten Behandlung entlassen und Arbeitsunfähigkeit ab 28.7.2004 festgestellt. Der Kläger nahm die Arbeit – nach seinem Urlaub – am 23.8.2004 auf und brach sie am 24.8.2008 wegen starker Schmerzen im LWS-Bereich und in beiden Hüften sowie wegen Wegknicken der Kniegelenke bei schweren Arbeiten ab und suchte Dr. M. auf. Dieser fand bei der Untersuchung einen Druckschmerz über dem Dornfortsatz der Lendenwirbelkörper (LWK) 4 und 5, eine paravertebral schmerzhaft verspannte Muskulatur sowie eine um ein Drittel eingeschränkte Beweglichkeit der LWS und schrieb den Kläger bis 30.9.2004 arbeitsunfähig.

Dr. H., Leitender Oberarzt der Chirurgischen Abteilung des Kreiskrankenhauses L., gelangte im Gutachten vom 27.9.2004 (Untersuchung vom 14.9.2004) zum Ergebnis, es lägen keine Unfallfolgen mehr vor. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage vom 28.7.2004 bis 13.9.2004 20 v.H. und vom 14.9.2004 bis 31.12.2004 10 v.H., danach 0 v.H.

Nachdem der Kläger ein Attest des Neurologen und Psychiaters Dr. H. vom 8.11.2004 vorgelegt hatte, der ausführte, zum Zustand nach fraglicher Contusio spinalis komme eine somatoforme Störung, vielleicht auch im Sinne einer leichten posttraumatischen Belastungsstörung hinzu, holte die Beklagte eine beratungsärztliche Stellungnahme bei Professor Dr. S. ein. Dieser führte unter dem 15.2.2005 aus, eine posttraumatische Belastungsstörung bestehe beim Kläger nicht. Unfallfolgen auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet lägen nicht vor. Die möglicherweise anfangs bestehende Commotio spinalis sei folgenlos ausgeheilt. In der ergänzenden Stellungnahme vom 15.3.2005 erklärte Dr. H., lege man strenge Maßstäbe an, komme eine MdE um 20 v.H. – wie von ihm angegeben – nicht in Betracht.

Professor Dr. S., Chefarzt der Chirurgischen Abteilung des St. J.krankenhauses F., gelangte im Gutachten vom 11.8.2005 (Untersuchung 28.7.2005) zum Ergebnis, die MdE auf unfallchirurgischem Gebiet betrage vom 28.7.2005 bis 31.7.2006 0 v.H. Die geltend gemachten Unfallfolgen lägen auf neurologischem Gebiet, weswegen die MdE nach Vorlage eines neurologischen Gutachtens eingeschätzt werden sollte.

Dr. O., Arzt für Allgemeinmedizin und behandelnder Arzt des Klägers, führte unter dem 11.1.2006 aus, die psychischen Störungen des Klägers seien unmittelbar nach dem schweren Spinaltrauma aufgetreten. Wegen des zeitlichen Zusammenhangs gehe er von einer posttraumatischen Belastungsstörung aus. Diese sei in Kombination mit der Depression die Hauptursache der Arbeitsunfähigkeit des Klägers.

Dr. H., Oberärztin der Neurologischen Universitätsklinik F., führte im Gutachten vom 16.2.2006 aus, als möglichen Hinweis auf eine damals über das Ausmaß einer Commotio spinalis (per definitionem nach 72 Stunden vollständige rückläufige Symptomatik) hinausgehende Schädigung des Rückenmarks (minimale Contusio spinalis) lägen neben einer geringgradigen Schrankenstörung des Liquors (Befund vom 15.6.2005) eine leichte Affektion der langen Bahnen bei Ableitung der Tibialis-SEP (Befund vom 27.4.2005) vor. In den aktuellen elektrophysiologischen Untersuchungen finde sich jedoch wieder eine vollständige Normalisierung der vormals pathologischen Befunde. Auch in der Verlaufs-Kernspintomographie der Wirbelsäule habe zu keinem Zeitpunkt eine diagnoseweisende Pathologie beschrieben werden können. Der bereits im initialen MRT der Wirbelsäule vorbeschriebene rechts paramediane Bandscheibenvorfall in Höhe BWK 7/8 stelle sich unverändert dar. Ob der Bandscheibenvorfall bereits vor dem Trauma bestanden habe oder im Rahmen des Traumas aufgetreten sei, könne anhand der vorliegen MRT-Aufnahmen nicht geklärt werden. Ein Zusammenhang mit den diffusen angegebenen Beschwerden sei eher unwahrscheinlich. Die MdE auf neurologischem Gebiet liege unter 10 v.H. Die Gesamt-MdE sollte nach Vorlage eines psychiatrischen Gutachtens eingeschätzt werden.

Mit Bescheid vom 11.5.2006 teilte die Beklagte dem Kläger mit, wegen der Folgen seines Arbeitsunfalls vom 30.3.2004 habe er keinen Anspruch auf Rente. Die Prellung der LWS mit Funktionsstörung des Rückenmarks sei folgenlos ausgeheilt. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22.12.2006, zur Post am 27.12.2006, zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 30.1.2007 Klage zum Sozialgericht (SG) Freiburg (S 8 U 592/07) erhoben. Nach dem Ruhen dieses Klageverfahrens wegen eines weiteren Klageverfahrens (S 7 U 4408/06), in dem es um medizinische Reha-Maßnahmen ging, ist das Verfahren unter dem Az. S 20 U 1329/08 fortgesetzt worden. Das SG hat ein psychiatrisches Gutachten eingeholt.

Professor Dr. E., Arzt für Psychiatrie an der Klinik für Psychiatrie und Psychosomatik an der Universität F., hat im Gutachten vom 8.7.2009 beim Kläger eine depressive Episode diagnostiziert. Hierbei handle es sich um eine primär affektive Störung, bei der neurobiologisch begründbare Hirnveränderungen postuliert würden. Ein Unfall, auch vorübergehende körperliche Unfallfolgen, sei nach heutigem wissenschaftlichen Erkenntnisstand keine wahrscheinliche Ursache einer jahrelang autonom und unabhängig von äußeren Umständen verlaufenden depressiven Episode bzw. endogenen Depression. Die depressive Episode sei nicht wahrscheinlich durch den Arbeitsunfall verursacht worden.

Der Kläger hat ein Gutachten des psychologischen Psychotherapeuten V. vom 20.8.2009 vorgelegt. Dieser hat beim Kläger eine generalisierte Angststörung diagnostiziert und ausgeführt, diese lasse sich eindeutig auf den Arbeitsunfall zurückführen. Es sei sehr unwahrscheinlich, dass sich die generalisierte Angststörung auch ohne den Arbeitsunfall entwickelt hätte. In einem weiteren Gutachten vom 2.12.2009 hat er aufgrund probatorischer Sitzungen und psychodiagnostischer Messinstrumente beim Kläger folgende Diagnosen genannt: Soziale Phobie, generalisierte Angststörung, posttraumatische Belastungsstörung bzw. posttraumatische Stressstörung.

Mit Urteil vom 9.4.2010 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, beim Kläger lägen keine Gesundheitsstörungen als Folge des Arbeitsunfalls vor. Die depressive Episode sei nicht ursächlich auf das Unfallereignis zurückzuführen, wie sich für das SG aus dem ausführlichen und schlüssigen Gutachten von Professor Dr. E. ergebe. Auf die Entscheidungsgründe im Übrigen wird Bezug genommen.

Gegen das am 28.6.2010 zugestellte Urteil hat der Kläger am 19.7.2010 Berufung eingelegt und vorgetragen, er sei der Auffassung, dass die bei ihm von Herrn V. diagnostizierte posttraumatische Belastungsstörung und generalisierte Angststörung Unfallfolgen seien und ihm eine Rente nach einer MdE um mindestens 20 v.H. zustehe. Professor Dr. E. hätte auf die Diagnose einer generalisierten Angststörung eingehen müssen, weswegen eine ergänzende Anhörung erforderlich sei.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 9. April 2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 11. Mai 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. Dezember 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, bei ihm eine posttraumatische Belastungsstörung sowie eine generalisierte Angststörung als Unfallfolgen anzuerkennen und ihm eine Rente nach einer MdE um mindestens 20 v.H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erwidert, das Urteil des SG sei nicht zu beanstanden. Es beruhe im Wesentlichen auf den klaren und nachvollziehbaren Ausführungen im Gutachten von Professor Dr. E ... Der Bericht des behandelnden psychologischen Psychotherapeuten V. überzeuge dagegen nicht. Eine ergänzende Anhörung von Professor Dr. E. sei nicht erforderlich, da das von ihm erstattete Gutachten umfassend und schlüssig die vom SG gestellten Fragen beantwortet habe.

Der Senat hat Dr. S., Chefarzt der Klinik für Allgemeinpsychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik I am Psychiatrischen Zentrum N., mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. Dieser ist im Gutachten vom 26.3.2012 zum Ergebnis gelangt, eine depressive Erkrankung im Sinne des Klassifikationssystems ICD-10 liege beim Kläger nicht vor. Aktenkundig sei jedoch das Vorliegen einer klinisch relevanten depressiven Symptomatik zu früheren Zeitpunkten. Zu diagnostizieren sei eine depressive Störung, gegenwärtig remittiert (ICD-10: F32.4). Eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung oder sonstige Störung aus dem somatoformen Formenkreis habe zum Zeitpunkt der Begutachtung nicht vorgelegen. Einschlägige Kriterien für die Diagnose einer sozialen Phobie im Sinne von ICD-10: F40.1 seien nicht erfüllt. Auch Hinweise für eine generalisierte Angststörung (ICD-10: F41.1) mit den hierfür notwendigen psychovegetativen Begleitbeschwerden seien aufgrund der von ihm durchgeführten Untersuchung nicht gegeben. Zum Zeitpunkt seiner Untersuchung habe keine posttraumatische Belastungsstörung bestanden. Auch für die Vergangenheit einschließlich der Monate nach dem in Rede stehenden Schädigungsereignis ergäben sich weder nach dem Aktenmaterial noch nach den hier erhobenen Befunden Hinweise auf das Vorliegen einer Symptomatik, die retrospektiv die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung im Sinne der ICD-10-Kategorie F43.1 erlauben würde. Gesundheitsstörungen auf psychiatrisch-psychotherapeutischem Gebiet seien zum Zeitpunkt seiner Untersuchung nicht nachzuweisen. Zu diskutieren sei, ob rückblickend seit dem Schädigungsereignis unfallbedingte psychische Gesundheitsstörungen vorgelegen hätten. Ob eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung zwischen dem Schädigungsereignis und der hiesigen Begutachtung vorgelegen habe, könne nicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden. Aktenkundigen Befundberichten oder Vorgutachten (insbesondere dem neurologischen Gutachten von Professor Dr. W./Dr. H.) fehle es an der zu fordernden Auseinandersetzung mit möglichen Beeinträchtigungen der Beschwerdevalidität. Der Annahme von Professor Dr. W./Dr. H., dass beim Kläger eine sog. anhaltende somatoforme Störung der Schmerzverarbeitung als mittelbare Unfallfolge vorliegen würde, fehle eine nachvollziehbare Begründung unter Beachtung der aktuellen Literatur zum Thema der Ätiopathogenese somatoformer Störungen. Wenn auch eine depressive Symptomatik hinreichend plausibel vordiagnostiziert worden sei, so sei die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs mit dem Schädigungsereignis nicht zu bejahen. Depressiven Erkrankungen liege eine multifaktorielle Ätio-pathologie zu Grunde, bei der neben Anlagefaktoren und Faktoren der frühkindlichen Lebenserfahrungen, der Persönlichkeitsentwicklung, medizinische und psychologische Faktoren im Erwachsenenalter, auch traumatisch bedingte, durchaus eine Rolle spielen können. Jedoch hätten sich weder in den hiesigen Ergebnissen der Exploration in der Zeit nach dem Schädigungsereignis noch aus den aktenkundigen Befunden Hinweise für eine depressive Symptomatik im zeitlichen Zusammenhang mit dem Schädigungsereignis gefunden. Eine "depressive Anpassungsstörung" sei von neurologischer Seite erstmals am 15.6.2005 (Angaben im Gutachten von Professor Dr. T. vom 1.5.2007 im Parallelverfahren S 7 U 4408/06) festgestellt worden, während diese zuvor (beratungsärztliche Stellungnahme von Professor Dr. S. vom 15.2.2005) ausgeschlossen worden sei. Da für die Entstehung einer depressiven Störung vielfältige Faktoren als ursächlich in Betracht kämen – auch etwa Enttäuschungen über versagte wirtschaftliche Gratifikationen, private Belastungen bei Scheitern der Ehe usw. – sei ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem schädigenden Ereignis und der vordiagnostizierten, aktuell nicht mehr bestehenden depressiven Störung nicht hinreichend wahrscheinlich. Unfallfolgen auf psychiatrisch-psychotherapeutischem Gebiet seien nicht feststellbar.

Mit Verfügung vom 25.4.2012 hat der Senat auf die Möglichkeit einer Entscheidung durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hingewiesen und den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten, des SG (S 8 U 592/07, S 20 U 1329/08 und S 7 U 4408/06) und des Senats Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.

Die Berufung des Klägers ist jedoch nicht begründet. Das angefochtene Urteil des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden, da der Kläger keinen Anspruch auf Verurteilung der Beklagten zur Anerkennung von Unfallfolgen und auf Gewährung von Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung hat.

Gemäß § 153 Abs. 4 SGG kann das LSG - nach vorheriger Anhörung der Beteiligten - die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Im vorliegenden Fall sind die Berufsrichter des Senats einstimmig zum Ergebnis gekommen, dass die Berufung unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist. Mit Schreiben vom 25.4.2012 hat der Senat die Beteiligten auch auf die Möglichkeit einer Entscheidung nach § 153 Abs. 4 SGG hingewiesen und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Eine Zustimmung der Beteiligten ist nicht erforderlich.

Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls (hier: Arbeitsunfall vom 30.3.2004) über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, haben § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente (§ 56 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nach § 56 Abs. 1 Satz 3 SGB VII nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v. H. mindern.

Voraussetzung für die Berücksichtigung einer Gesundheitsstörung bzw. Funktionseinschränkung als Unfallfolge bei der Bemessung der MdE ist grundsätzlich u. a. ein wesentlicher ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis bzw. dem dadurch eingetretenen Gesundheitserstschaden und der fortdauernden Gesundheitsstörung (sog. haftungsausfüllende Kausalität). Dabei müssen die anspruchsbegründenden Tatsachen, zu denen - neben der versicherten Tätigkeit - der Gesundheitserstschaden und die eingetretenen fortdauernden Gesundheitsstörungen gehören, mit einem der Gewissheit nahekommenden Grad der Wahrscheinlichkeit erwiesen sein. Für die Bejahung eines ursächlichen Zusammenhanges zwischen dem Gesundheitserstschaden und den fortdauernden Gesundheitsstörungen gilt in der gesetzlichen Unfallversicherung die Kausalitätstheorie der "wesentlichen Bedingung". Diese hat zur Ausgangsbasis die naturwissenschaftlich-philosophische Bedingungstheorie. In einem ersten Schritt ist zu prüfen, ob das Ereignis nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio sine qua non). Auf Grund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist für die praktische Rechtsanwendung in einer zweiten Prüfungsstufe die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden, bzw. denen der Erfolg zugerechnet wird, und anderen, für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen. Nach der Theorie der wesentlichen Bedingung werden als kausal und rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens abgeleitet werden (vgl. die zusammenfassende Darstellung der Kausalitätstheorie der wesentlichen Bedingung im Urteil des BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 17 = BSGE 96, 196-209 und juris).

Bei mehreren konkurrierenden Ursachen muss die rechtlich wesentliche Bedingung nach dem Urteil des BSG vom 9.5.2006 (aaO Rdnr. 15) nicht "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig" sein. Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die anderen Ursachen keine überragende Bedeutung haben. Kommt einer der Ursachen gegenüber den anderen eine überragende Bedeutung zu, ist sie allein wesentliche Ursache und damit allein Ursache im Rechtssinn.

Im Urteil vom 9.5.2006 (aaO Rdnr. 21) hat das BSG keinen Zweifel daran gelassen, dass die Theorie der wesentlichen Bedingung auch uneingeschränkt auf die Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Arbeitsunfällen und psychischen Störungen anzuwenden ist, die nach Arbeitsunfällen in vielfältiger Weise auftreten können. Die Feststellung der psychischen Störung sollte angesichts der zahlreichen in Betracht kommenden Erkrankungen und möglichen Schu-lenstreiten aufgrund eines der üblichen Diagnosesysteme und unter Verwendung der dortigen Schlüssel und Bezeichnungen erfolgen. Denn je genauer und klarer die beim Versicherten bestehenden Gesundheitsstörungen bestimmt sind, desto einfacher sind ihre Ursachen zu erkennen und zu beurteilen sowie letztlich die MdE zu bewerten (BSG aaO Rdnr. 22). Das BSG hat im Weiteren darauf hingewiesen, dass es wegen der Komplexität von psychischen Gesundheitsstörungen im Bereich des Arbeitsunfalls keine Beweisregel des Inhalts gebe, dass bei fehlender Alternativursache (etwa wenn eine Vorerkrankung oder Schadensanlage nicht nachweisbar sind) die versicherte naturwissenschaftliche Ursache (also die Einwirkung durch den Arbeitsunfall, festgestellt auf der ersten Stufe der Ursächlichkeitsprüfung) damit auch automatisch zu einer wesentlichen Ursache (im Sinne der Ursächlichkeitsprüfung auf der zweiten Stufe) wird. Dies würde angesichts der Komplexität psychischer Vorgänge und des Zusammenwirkens gegebenenfalls lange Zeit zurückliegender Faktoren zu einer Umkehr der Beweislast führen, für die keine rechtliche Grundlage erkennbar sei (BSG aaO Rdnr. 39). Andererseits schließt aber eine "abnorme seelische Bereitschaft" die Annahme der psychischen Reaktion als Unfallfolge nicht aus. Wunschbedingte Vorstellungen sind aber als konkurrierende Ursachen zu würdigen und können der Bejahung eines wesentlichen Ursachenzusammenhangs zwischen dem Unfallereignis und der psychischen Reaktion entgegenstehen (BSG aaO Rdnr. 37 und 38).

Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperli¬chen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Die Bemessung der MdE hängt also von zwei Faktoren ab (vgl. BSG, Urteil vom 22.6.2004, B 2 U 14/03 R in SozR 4-2700 § 56 Nr. 1): Den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermö-gens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust un¬ter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche Meinungsäuße¬rungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit aus¬wirken, haben keine verbindliche Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unent¬behrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich dar¬auf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletz¬ten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswir¬kungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtli¬chen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel.

Gemessen an den vorstehenden Voraussetzungen hat der Kläger keinen Anspruch auf Anerkennung einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie einer generalisierten Angststörung als Unfallfolgen und auf Gewährung einer Verletztenrente.

Eine posttraumatische Belastungsstörung (ICD-10: F43.1) liegt und lag beim Kläger nicht vor, wie insbesondere Dr. S. für den Senat nachvollziehbar und überzeugend im Gutachten vom 26.3.2012 dargelegt hat. Eine solche hat auch schon Professor Dr. S. in seiner Stellungnahme vom 15.2.2005 aufgrund der Auswertung der vorliegenden ärztlichen Unterlagen ausgeschlossen. Professor Dr. T., der den Kläger im Parallelverfahren S 7 U 4408/06 begutachtet hat (Gutachten vom 1.5.2007, Untersuchung vom 19.3.2007) hat ebenfalls keine posttraumatische Belastungsstörung diagnostizieren können. Die vom psychologischen Psychotherapeuten V. im psychologischen Gutachten vom 2.12.2009 gestellte Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung ist durch die Beurteilung der oben genannten Ärzte für Psychiatrie widerlegt. Darüber hinaus hat der Psychologe V. auch nicht begründet, inwiefern es sich bei dem Unfallereignis um ein Ereignis mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, das bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde, gehandelt haben soll. Im Übrigen hat er sich auch nicht mit den fünf diagnostischen Kriterien (A-, B-, C-, D- und E-Kriterium) befasst, die vorliegen müssen, um diese Diagnose überhaupt stellen zu können.

Eine generalisierte Angststörung (ICD-10: F41.1) liegt beim Kläger ebenfalls nicht vor. So fehlen die für die Diagnose notwendigen psychovegetativen Begleiterscheinungen, wie Dr. S. überzeugend ausgeführt hat. Eine generalisierte Angststörung hat Professor Dr. T. anlässlich seiner gutachterlichen Untersuchung (29.3.2007) ebenfalls nicht festgestellt. Auch Professor Dr. S. hat eine solche in seinen beratungsärztlichen Stellungnahmen vom 15.2.2005 und 9.7.2007 aufgrund der vorliegenden Unterlagen nicht zu diagnostizieren vermocht. Die vom Psychologen V. genannte generalisierte Angststörung ist angesichts der von den Ärzten für Psychiatrie gestellten Diagnosen nicht nachgewiesen.

Gesundheitsstörungen auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet lagen bei der Begutachtung durch Dr. S. nicht vor. Es war weder eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung noch eine depressive Erkrankung feststellbar. Auch für die Vergangenheit ließ sich die Diagnose einer somatoformen Schmerzstörung nicht stellen. Soweit Professor Dr. W./Dr. H. diese Diagnose im Gutachten vom 16.2.2006 aufführen und sie als mittelbare Unfallfolge ansehen, setzen sie sich nicht mit den möglichen Beeinträchtigungen der Beschwerdevalidität und der Ätiopathologie somatoformer Störungen auseinander, wie Dr. S. zurecht bemängelt. Darüber hinaus haben sich Professor Dr. W./Dr. H. in ihrem Gutachten auf die Beurteilung der neurologischen Gesundheitsstörungen (neurologische MdE unter 10 v.H.) beschränkt und bezüglich der Beurteilung der Gesundheitsstörungen auf psychiatrischem Gebiet ein psychiatrisches Gutachten für erforderlich gehalten.

Der Senat vermag auch nicht festzustellen, dass der Arbeitsunfall für die vordiagnostizierte depressive Störung, die zum Zeitpunkt der Untersuchung durch Dr. S. nicht mehr vorlag, und zum Zeitpunkt der Untersuchung durch Professor Dr. T. (29.3.2007) lediglich leichtgradig (leichte residuelle depressive Episode) war, die rechtlich wesentliche Bedingung im Sinne der im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Kausalitätstheorie der wesentlichen Bedingung war. Denn auch wenn – anders als Professor Dr. E. meint – ein Kausalzusammenhang zwischen einer depressiven Störung und einem Unfall nicht von vornherein zu verneinen ist, so liegt depressiven Erkrankungen – wie Dr. S. ausführlich und überzeugend dargelegt hat – eine multifaktorielle Ätiopathogenese zu Grunde. Neben Anlagefaktoren und Faktoren der frühkindlichen Lebenserfahrungen, der Persönlichkeitsentwicklung spielen medizinische und psychologische Faktoren im Erwachsenenalter, auch traumatisch bedingte, eine Rolle. Beim Kläger ist schon nicht feststellbar, dass sich die depressive Störung im engen zeitlichen Zusammenhang mit dem Unfall entwickelt hat. So hat der Kläger erstmals am 5.11.2004, mehr als ein halbes Jahr nach dem Unfall, den Psychiater Dr. H. aufgesucht. Darüber hinaus fehlen detaillierte Befunde, die die depressive Störung im Einzelnen dokumentieren und eine engmaschige psychiatrische Behandlung. Denn nach dem 5.11.2004 hat der Kläger Dr. H. erst wieder am 7.3., 18.3. sowie 8.4.2005 aufgesucht und danach bis zum 15.2.2007 (sachverständige Zeugenaussage von Dr. H. im Parallelverfahren S 7 U 4408/06) gar nicht mehr. Dieser hat die vom Kläger vorgetragenen Beschwerden am ehesten als somatoforme Störung angesehen und von einer depressiven Grundstimmung bzw. Anpassungsstörung berichtet. Auch im Arztbrief der Neurologischen Universitätsklinik F. vom 15.6.2006 ist ausgehend von der gedrückten Stimmungslage des Klägers lediglich der Verdacht auf eine zusätzliche depressive Anpassungsstörung geäußert worden, ohne dass eine Depression bzw. depressive Episode sicher festgestellt wurde. Da vielfältige Faktoren für die Entstehung einer depressiven Störung – u. a. Enttäuschungen über versagte wirtschaftliche Gratifikationen, private Belastungen durch Scheitern der Ehe, was beim Kläger der Fall war – in Betracht kommen, ist ein ursächlicher Zusammenhang der depressiven Symptomatik mit dem Arbeitsunfall des Klägers nicht mit Wahrscheinlichkeit feststellbar.

Unfallfolgen auf chirurgischem und neurologischem Gebiet liegen nach Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit zum 28.7.2004 bzw. 1.10.2004 nicht vor, wie der Senat den übereinstimmenden Gutachten der Chirurgen Dr. H. vom 27.9.2004 (in Verbindung mit den ergänzenden Stellungnahmen vom 9.2. und 15.3.2005) und Professor Dr. S. vom 11.8.2005 sowie dem Gutachten der Neurologen Professor Dr. W./Dr. H. vom 16.2.2006 entnimmt.

Nach alledem war das angefochtene Urteil des SG nicht zu beanstanden. Die Berufung des Klägers musste deswegen zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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