Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 14 R 263/12 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 R 345/12 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Die Bestandskraft eines Betriebsprüfungsbescheides ermöglicht eine nachfolgende weitere Beitragsnachforderung nur bei Anwendung des § 45 SGB X.
2. Stichprobenprüfungen können die Bescheidsrücknahme nach § 45 SGB X erleichtern, nicht ersetzen.
2. Stichprobenprüfungen können die Bescheidsrücknahme nach § 45 SGB X erleichtern, nicht ersetzen.
I. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 20.03.2012 aufgehoben und die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen den Bescheid vom 20.02.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.05.2012 angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens auf einstweiligen Rechtsschutz in beiden Rechtszügen.
III. Der Streitwert wird auf EUR 44.546,35 festgesetzt.
Gründe:
I.
Verfahrensgegenstand ist die Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruches gegen Beitragsnachforderungen aufgrund Betriebsprüfung infolge der "CGZP-Entscheidung" des Bundesarbeitsgerichts.
Die Antragstellerin ist ein Zeitarbeitsunternehmen und betreibt erlaubt gem. § 1 AÜG die Arbeitnehmerüberlassung. Nach den Arbeitsverträgen der beschäftigten Leiharbeitnehmer wurde die Anwendung der Tarifverträge zwischen der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP) vereinbart und die entsprechenden Vergütungen gezahlt. Die Antragsgegnerin führte als zuständiger Rentenversicherungsträger bei der Antragstellerin am 19.01. und 20.01.2010 eine stichprobenweise Betriebsprüfung für den Zeitraum 01.01.2006 bis 31.12.2009 durch. Als Ergebnis forderte sie mit Bescheid vom 27.01.2010 Gesamtsozialversicherungsbeiträge und Säumniszuschläge iHv 10.070,81 EUR nach im Wesentlichen wegen unzutreffender Beitragsbehandlung der Überlassung von Firmen-PKW zur Privatnutzung. Diese Entscheidung ist bestandskräftig.
Aufgrund neuer Betriebsprüfung vom 27.09.2011 bis 26.01.2012 an drei Tagen für den Prüfzeitraum 01.12.2005 bis 31.12.2009 forderte die Beklagte mit Bescheid vom 20.02.2012 Gesamtsozialversicherungsbeiträge iHv 178.185,38 EUR nach. Für die überlassenen Arbeitnehmer ergebe sich eine höhere Vergütung aus dem gesetzlichen Anspruch auf gleichen Lohn (Equal-Pay) infolge der durch das Bundesarbeitsgericht am 14.12.2010 (Az.: 1 ABR 19/10) festgestellten Tarifunfähigkeit der CGZP. Daraus resultierten die nachgeforderten Beiträge (Lohndifferenz aufgrund Tarifunfähigkeit CGZP). Die Höhe der Arbeitsentgelte schätzte die Antragsgegnerin nach von ihr zur Tarifunfähigkeit der CGZP entwickelten Grundsätzen. Dabei legte sie einen Erhöhungsfaktor von 4,7074% entsprechend der Besonderheiten der Antragstellerin zu Grunde.
Dagegen hat die Antragstellerin parallel zu ihrem Widerspruch am 02.03.2012 beim Sozialgericht Nürnberg die Herstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruches beantragt. Sie hat dazu geltend gemacht, ausgeschlossen sei ein Rückgriff in einen bereits bestandskräftig verbeschiedenen Betriebsprüfungszeitraum, eine Entscheidung nach § 45 SGB X liege nicht vor und könne mangels Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen auch nicht erfolgen. Zudem bestehe auf Seiten der Antragstellerin Vertrauensschutz, so dass die Beiträge bis 2006 verjährt seien.
Dem ist die Beklagte entgegengetreten und hat im Wesentlichen eingewandt, dass noch vor Eintritt der Verjährung die Antragstellerin bösgläubig geworden sei, es gelte also die Verjährungsfrist von 30 Jahren. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei eine vorangegangene Betriebsprüfung mit keiner Sperrwirkung ausgestattet. Auch die übrigen Argumente der Antragstellerin träfen nicht zu.
Mit Beschluss vom 20.03.2012 hat das Sozialgericht den Antrag abgelehnt, weil die vorzunehmende Interessenabwägung mangels offenbarer Rechtswidrigkeit der Nachforderung zu Gunsten der Antragsgegnerin zu entscheiden sei.
Dagegen hat die Antragstellerin Beschwerde eingelegt in Wiederholung ihres bisherigen Vorbringens. Ergänzend hat sie nach Veröffentlichungen der weiteren CGZP-Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts vom 22. und 23.05.2012 ihren bisherigen Standpunkt zur fehlenden Rückwirkung relativiert. Erweiternd ist sie der Auffassung entgegen getreten, die Antragsgegnerin könne sich auf die 30-jährige Verjährungsfrist berufen. Darüber hinaus hat die Antragstellerin sich darauf berufen, dass die vorangegangene Prüfung im Jahre 2009 mit Sicherheit auch die Anwendung des Tarifvertrages zum Gegenstand gehabt habe, welcher Grundlage der geprüften Vergütung der Arbeitnehmer der Antragstellerin gewesen sei. Deshalb sei der zum gleichen Prüfpunkt der tariflichen Vergütung ergangene Bescheid vom 02.03.2012 rechtswidrig.
Mit Widerspruchsbescheid vom 07.05.2012 hat die Antragsgegnerin den Widerspruch der Antragstellerin abschlägig beschieden. Dagegen hat die Antragstellerin am 30.05.2012 Klage zum Sozialgericht Nürnberg erhoben (Az. S 12 R 654/12).
Die Antragstellerin beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 20.03.2012 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 22.02.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.05.2012 anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Antragsgegnerin ist der Meinung, die Nachforderung sei zu Recht erfolgt. Insbesondere entfalte die vorangegangene Prüfung keine Sperrwirkung und es sei die 30-jährige Verjährungsfrist anzuwenden.
Ergänzend wird Bezug genommen auf die Verfahrensakten beider Instanzen.
II.
Die Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig gem. §§ 172, 173 SGG und begründet. Die streitige Beitragsachforderung umfasst einen Zeitraum, der bereits Gegenstand des bestandskräftigen Bescheids vom 27.01.2010 war. Dieser Bescheid ist nicht nachträglich beseitigt worden, so dass der Bescheid vom 22.02.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.05.2012 als offensichtlich rechtswidrig anzusehen ist mit der Folge der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der mittlerweile erhobenen Klage.
1.
Nach § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen - in denen wie hier gem § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG - Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, diese ganz oder teilweise anordnen. Die Entscheidung, ob die aufschiebende Wirkung einer Klage gegen Beitragsbescheide ausnahmsweise durch das Gericht angeordnet wird, richtet sich zunächst nach einer Abwägung des Aufschubinteresses der Antragstellerin einerseits und des öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehung des Beitragsnachforderungsbescheides andererseits. Bei dieser Abwägung ist ein Übergewicht des öffentlichen Interesses an der sofortigen Bescheidsvollziehung anzunehmen, wenn sich ohne Weiteres und in jeden vernünftigen Zweifel ausschließenden Weise erkennen lässt, dass der angefochtene Verwaltungsakt rechtmäßig ist und die Rechtsverfolgung keinen Erfolg verspricht (vgl. BT-Drs. 14/5943 Seite 25 unter Bezug auf BVerwG NJW 1974, 1294; ständige Rechtsprechung, vgl. LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 13.07.2011 - L 8 R 287/11 B ER; Bayer. LSG Beschluss vom 20.04.2012 - L 5 R 246/12 B ER).
2.
Wie der Senat bereits mit Urteil vom 18.01.2011 - L 5 R 752/08 sowie mit den Beschlüssen vom 22.03.2012 - L 5 R 138/12 B ER und vom 20.04.2012 - L 5 R 246/12 B ER entschieden hat, ist die Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen für einen Zeitraum, der bereits zuvor Gegenstand einer Betriebsprüfung nach § 28p SGB IV gewesen ist, nur nach Aufhebung des entsprechenden vorangegangenen Bescheides in Anwendung des § 45 SGB X möglich.
Diese Grundsätze, die in den jeweils rechtskräftigen Entscheidungen dargelegt sind, finden auch im vorliegenden Falle Anwendung. Mit Bescheid vom 27.01.2010 hatte die Antragsgegnerin als zuständige Prüfbehörde gemäß § 28p SGB IV für den Betriebsprüfungszeitraum 01.01.2006 bis 31.12.2010 als Ergebnis einer 19.01.2010 bis 21.10.2010 durchgeführten Betriebsprüfung eine Entscheidung gefällt. Dort wurden Gesamtsozialversicherungsbeiträge in Höhe von 10.070,81 EUR nachgefordert. Diese Entscheidung enthielt nur den Hinweis, dass die stichprobenweise durchgeführte Prüfung Feststellungen ergeben habe. Einen Widerrufsvorbehalt oder eine ähnliche vergleichbare Regelung, wonach ein späterer Bescheid für den gleichen Zeitraum noch zu erlassen sei, enthielt diese Entscheidung nicht. Der Bescheid vom 27.01.2010 ist bestandskräftig geworden.
Wollte die Antragsgegnerin nach § 28p SGB IV für den bestandskräftig verbeschiedenen Zeitraum bis 31.12.2009 aufgrund einer weiteren Betriebsprüfung nach § 28p SGB IV einen Bescheid nach § 28p SGB IV anderen Inhalts erlassen, widerspräche dies dem Regelungsgehalt des Bescheides vom 27.01.2010. Deshalb müsste die Antragsgegnerin nach der Gesamtkonzeption des Verfahrensrechts im SGB X die frühere Entscheidung zunächst nachträglich beseitigen und dabei § 45 SGB X anwenden. Andernfalls führte der frühere Bescheid zur Rechtswidrigkeit des späteren Bescheides (vgl. Bayer. LSG Beschluss vom 22.03.2012 - L 5 R 138/12 B ER und vom 20.04.2012 - L 5 R 246/12 B ER). Dies ist nicht geschehen. Auch dass die Antragsgegnerin den Ausgangsbescheid vom 27.01.2010 mit dem Satz versehen hat, die stichprobenweise Prüfung habe die Nachforderung ergeben, ändert hieran nichts. Denn Stichprobenprüfungen können die Bescheidsrücknahme nach § 45 SGB X erleichtern, aber nicht ersetzen (Bayer. LSG Beschluss vom 20.04.2012 - L 5 R 246/12 B ER Rn. 28 - zitiert nach JURIS).
Der strittige Bescheid vom 02.03.2012 ist daher offensichtlich rechtswidrig weil er für den deckungsgleichen Nachforderungszeitraum 01.12.2005 bis 31.12.2009 eine andere Regelung als der Ausgangsbescheid vom 27.01.2010 enthält. Ein überwiegendes öffentliches Vollzugsinteresse ist daher nicht anzuerkennen, so dass der Beschwerde der Antragstellerin stattgegeben und die aufschiebende Wirkung der mittlerweile anhängigen Klage angeordnet wird.
Von der Rechtsprechung des Senates abzuweichen besteht im vorliegenden Fall kein Anlass. Insbesondere ist im Widerspruch zu den Ausführungen der Antragsgegnerin darauf hinzuweisen, dass das Urteil des BSG vom 14.07.2004 - B 12 KR 1/04 R - keine Ausführungen zur Anwendbarkeit des § 45 SGB X enthält. Dort finden sich vielmehr Darlegungen hinsichtlich eines Verwirkungstatbestandes (a.A. LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 10.05.2012 - L 8 R 164/12 B ER; Hessisches LSG Beschluss vom 23.04.2012 - L 1 KR 95/12 B ER).
Auf die Frage, welche Rechtsfolgen aus der auffallenden Zeitintensivität der Betriebsprüfung (27.09.2011 bis 26.01.2012 an drei Tagen) insbesondere im Hinblick auf eine möglichen Verjährungseintritt erwachsen können, kommt es damit nicht an.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 155 Abs. 1 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG mit §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 4, 47 Abs. 2 GKG. Insoweit hält der Senat noch an seiner bisherigen Rechtsprechung fest, dass der Streitwert der Ausgangsinstanz den Streitwert der Rechtsmittelinstanz limitiert.
Dieser Beschluss beendet das Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes und ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens auf einstweiligen Rechtsschutz in beiden Rechtszügen.
III. Der Streitwert wird auf EUR 44.546,35 festgesetzt.
Gründe:
I.
Verfahrensgegenstand ist die Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruches gegen Beitragsnachforderungen aufgrund Betriebsprüfung infolge der "CGZP-Entscheidung" des Bundesarbeitsgerichts.
Die Antragstellerin ist ein Zeitarbeitsunternehmen und betreibt erlaubt gem. § 1 AÜG die Arbeitnehmerüberlassung. Nach den Arbeitsverträgen der beschäftigten Leiharbeitnehmer wurde die Anwendung der Tarifverträge zwischen der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP) vereinbart und die entsprechenden Vergütungen gezahlt. Die Antragsgegnerin führte als zuständiger Rentenversicherungsträger bei der Antragstellerin am 19.01. und 20.01.2010 eine stichprobenweise Betriebsprüfung für den Zeitraum 01.01.2006 bis 31.12.2009 durch. Als Ergebnis forderte sie mit Bescheid vom 27.01.2010 Gesamtsozialversicherungsbeiträge und Säumniszuschläge iHv 10.070,81 EUR nach im Wesentlichen wegen unzutreffender Beitragsbehandlung der Überlassung von Firmen-PKW zur Privatnutzung. Diese Entscheidung ist bestandskräftig.
Aufgrund neuer Betriebsprüfung vom 27.09.2011 bis 26.01.2012 an drei Tagen für den Prüfzeitraum 01.12.2005 bis 31.12.2009 forderte die Beklagte mit Bescheid vom 20.02.2012 Gesamtsozialversicherungsbeiträge iHv 178.185,38 EUR nach. Für die überlassenen Arbeitnehmer ergebe sich eine höhere Vergütung aus dem gesetzlichen Anspruch auf gleichen Lohn (Equal-Pay) infolge der durch das Bundesarbeitsgericht am 14.12.2010 (Az.: 1 ABR 19/10) festgestellten Tarifunfähigkeit der CGZP. Daraus resultierten die nachgeforderten Beiträge (Lohndifferenz aufgrund Tarifunfähigkeit CGZP). Die Höhe der Arbeitsentgelte schätzte die Antragsgegnerin nach von ihr zur Tarifunfähigkeit der CGZP entwickelten Grundsätzen. Dabei legte sie einen Erhöhungsfaktor von 4,7074% entsprechend der Besonderheiten der Antragstellerin zu Grunde.
Dagegen hat die Antragstellerin parallel zu ihrem Widerspruch am 02.03.2012 beim Sozialgericht Nürnberg die Herstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruches beantragt. Sie hat dazu geltend gemacht, ausgeschlossen sei ein Rückgriff in einen bereits bestandskräftig verbeschiedenen Betriebsprüfungszeitraum, eine Entscheidung nach § 45 SGB X liege nicht vor und könne mangels Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen auch nicht erfolgen. Zudem bestehe auf Seiten der Antragstellerin Vertrauensschutz, so dass die Beiträge bis 2006 verjährt seien.
Dem ist die Beklagte entgegengetreten und hat im Wesentlichen eingewandt, dass noch vor Eintritt der Verjährung die Antragstellerin bösgläubig geworden sei, es gelte also die Verjährungsfrist von 30 Jahren. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei eine vorangegangene Betriebsprüfung mit keiner Sperrwirkung ausgestattet. Auch die übrigen Argumente der Antragstellerin träfen nicht zu.
Mit Beschluss vom 20.03.2012 hat das Sozialgericht den Antrag abgelehnt, weil die vorzunehmende Interessenabwägung mangels offenbarer Rechtswidrigkeit der Nachforderung zu Gunsten der Antragsgegnerin zu entscheiden sei.
Dagegen hat die Antragstellerin Beschwerde eingelegt in Wiederholung ihres bisherigen Vorbringens. Ergänzend hat sie nach Veröffentlichungen der weiteren CGZP-Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts vom 22. und 23.05.2012 ihren bisherigen Standpunkt zur fehlenden Rückwirkung relativiert. Erweiternd ist sie der Auffassung entgegen getreten, die Antragsgegnerin könne sich auf die 30-jährige Verjährungsfrist berufen. Darüber hinaus hat die Antragstellerin sich darauf berufen, dass die vorangegangene Prüfung im Jahre 2009 mit Sicherheit auch die Anwendung des Tarifvertrages zum Gegenstand gehabt habe, welcher Grundlage der geprüften Vergütung der Arbeitnehmer der Antragstellerin gewesen sei. Deshalb sei der zum gleichen Prüfpunkt der tariflichen Vergütung ergangene Bescheid vom 02.03.2012 rechtswidrig.
Mit Widerspruchsbescheid vom 07.05.2012 hat die Antragsgegnerin den Widerspruch der Antragstellerin abschlägig beschieden. Dagegen hat die Antragstellerin am 30.05.2012 Klage zum Sozialgericht Nürnberg erhoben (Az. S 12 R 654/12).
Die Antragstellerin beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 20.03.2012 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 22.02.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.05.2012 anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Antragsgegnerin ist der Meinung, die Nachforderung sei zu Recht erfolgt. Insbesondere entfalte die vorangegangene Prüfung keine Sperrwirkung und es sei die 30-jährige Verjährungsfrist anzuwenden.
Ergänzend wird Bezug genommen auf die Verfahrensakten beider Instanzen.
II.
Die Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig gem. §§ 172, 173 SGG und begründet. Die streitige Beitragsachforderung umfasst einen Zeitraum, der bereits Gegenstand des bestandskräftigen Bescheids vom 27.01.2010 war. Dieser Bescheid ist nicht nachträglich beseitigt worden, so dass der Bescheid vom 22.02.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.05.2012 als offensichtlich rechtswidrig anzusehen ist mit der Folge der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der mittlerweile erhobenen Klage.
1.
Nach § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen - in denen wie hier gem § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG - Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, diese ganz oder teilweise anordnen. Die Entscheidung, ob die aufschiebende Wirkung einer Klage gegen Beitragsbescheide ausnahmsweise durch das Gericht angeordnet wird, richtet sich zunächst nach einer Abwägung des Aufschubinteresses der Antragstellerin einerseits und des öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehung des Beitragsnachforderungsbescheides andererseits. Bei dieser Abwägung ist ein Übergewicht des öffentlichen Interesses an der sofortigen Bescheidsvollziehung anzunehmen, wenn sich ohne Weiteres und in jeden vernünftigen Zweifel ausschließenden Weise erkennen lässt, dass der angefochtene Verwaltungsakt rechtmäßig ist und die Rechtsverfolgung keinen Erfolg verspricht (vgl. BT-Drs. 14/5943 Seite 25 unter Bezug auf BVerwG NJW 1974, 1294; ständige Rechtsprechung, vgl. LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 13.07.2011 - L 8 R 287/11 B ER; Bayer. LSG Beschluss vom 20.04.2012 - L 5 R 246/12 B ER).
2.
Wie der Senat bereits mit Urteil vom 18.01.2011 - L 5 R 752/08 sowie mit den Beschlüssen vom 22.03.2012 - L 5 R 138/12 B ER und vom 20.04.2012 - L 5 R 246/12 B ER entschieden hat, ist die Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen für einen Zeitraum, der bereits zuvor Gegenstand einer Betriebsprüfung nach § 28p SGB IV gewesen ist, nur nach Aufhebung des entsprechenden vorangegangenen Bescheides in Anwendung des § 45 SGB X möglich.
Diese Grundsätze, die in den jeweils rechtskräftigen Entscheidungen dargelegt sind, finden auch im vorliegenden Falle Anwendung. Mit Bescheid vom 27.01.2010 hatte die Antragsgegnerin als zuständige Prüfbehörde gemäß § 28p SGB IV für den Betriebsprüfungszeitraum 01.01.2006 bis 31.12.2010 als Ergebnis einer 19.01.2010 bis 21.10.2010 durchgeführten Betriebsprüfung eine Entscheidung gefällt. Dort wurden Gesamtsozialversicherungsbeiträge in Höhe von 10.070,81 EUR nachgefordert. Diese Entscheidung enthielt nur den Hinweis, dass die stichprobenweise durchgeführte Prüfung Feststellungen ergeben habe. Einen Widerrufsvorbehalt oder eine ähnliche vergleichbare Regelung, wonach ein späterer Bescheid für den gleichen Zeitraum noch zu erlassen sei, enthielt diese Entscheidung nicht. Der Bescheid vom 27.01.2010 ist bestandskräftig geworden.
Wollte die Antragsgegnerin nach § 28p SGB IV für den bestandskräftig verbeschiedenen Zeitraum bis 31.12.2009 aufgrund einer weiteren Betriebsprüfung nach § 28p SGB IV einen Bescheid nach § 28p SGB IV anderen Inhalts erlassen, widerspräche dies dem Regelungsgehalt des Bescheides vom 27.01.2010. Deshalb müsste die Antragsgegnerin nach der Gesamtkonzeption des Verfahrensrechts im SGB X die frühere Entscheidung zunächst nachträglich beseitigen und dabei § 45 SGB X anwenden. Andernfalls führte der frühere Bescheid zur Rechtswidrigkeit des späteren Bescheides (vgl. Bayer. LSG Beschluss vom 22.03.2012 - L 5 R 138/12 B ER und vom 20.04.2012 - L 5 R 246/12 B ER). Dies ist nicht geschehen. Auch dass die Antragsgegnerin den Ausgangsbescheid vom 27.01.2010 mit dem Satz versehen hat, die stichprobenweise Prüfung habe die Nachforderung ergeben, ändert hieran nichts. Denn Stichprobenprüfungen können die Bescheidsrücknahme nach § 45 SGB X erleichtern, aber nicht ersetzen (Bayer. LSG Beschluss vom 20.04.2012 - L 5 R 246/12 B ER Rn. 28 - zitiert nach JURIS).
Der strittige Bescheid vom 02.03.2012 ist daher offensichtlich rechtswidrig weil er für den deckungsgleichen Nachforderungszeitraum 01.12.2005 bis 31.12.2009 eine andere Regelung als der Ausgangsbescheid vom 27.01.2010 enthält. Ein überwiegendes öffentliches Vollzugsinteresse ist daher nicht anzuerkennen, so dass der Beschwerde der Antragstellerin stattgegeben und die aufschiebende Wirkung der mittlerweile anhängigen Klage angeordnet wird.
Von der Rechtsprechung des Senates abzuweichen besteht im vorliegenden Fall kein Anlass. Insbesondere ist im Widerspruch zu den Ausführungen der Antragsgegnerin darauf hinzuweisen, dass das Urteil des BSG vom 14.07.2004 - B 12 KR 1/04 R - keine Ausführungen zur Anwendbarkeit des § 45 SGB X enthält. Dort finden sich vielmehr Darlegungen hinsichtlich eines Verwirkungstatbestandes (a.A. LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 10.05.2012 - L 8 R 164/12 B ER; Hessisches LSG Beschluss vom 23.04.2012 - L 1 KR 95/12 B ER).
Auf die Frage, welche Rechtsfolgen aus der auffallenden Zeitintensivität der Betriebsprüfung (27.09.2011 bis 26.01.2012 an drei Tagen) insbesondere im Hinblick auf eine möglichen Verjährungseintritt erwachsen können, kommt es damit nicht an.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 155 Abs. 1 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG mit §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 4, 47 Abs. 2 GKG. Insoweit hält der Senat noch an seiner bisherigen Rechtsprechung fest, dass der Streitwert der Ausgangsinstanz den Streitwert der Rechtsmittelinstanz limitiert.
Dieser Beschluss beendet das Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes und ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
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