L 11 KR 3037/12 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 5 KR 2304/12 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 3037/12 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 09.07.2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die unter Beachtung der Vorschrift des § 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts (SG) vom 09.07.2012 ist statthaft und zulässig, aber nicht begründet. Das SG hat es zu Recht abgelehnt, der Antragstellerin Krankengeld (Krg) für den Monat Mai 2012 im Wege einer einstweiligen Anordnung zuzusprechen. Denn ein Anordnungsanspruch ist nicht glaubhaft gemacht worden.

Gemäß § 86b Abs 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Absatzes 1 der Vorschrift vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind nach § 86b Abs 2 Satz 2 SGG auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussicht in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Satz 4 SGG iVm § 920 Abs 2 Zivilprozessordnung - ZPO).

Dabei begegnet es grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn sich die Gerichte bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren (vgl BVerfG [Kammer], 02.05.2005, 1 BvR 569/05, BVerfGK 5, 237, 242). Im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung ist ihnen allerdings in den Fällen, in denen es um existentiell bedeutsame Leistungen der Krankenversicherung für den Antragsteller geht, eine lediglich summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage verwehrt. Sie haben unter diesen Voraussetzungen die Sach- und Rechtslage abschließend zu prüfen (vgl. BVerfG [Kammer], 29.07.2003, 2 BvR 311/03, BVerfGK 1, 292, 296; 22.11.2002, 1 BvR 1586/02, NJW 2003, S 1236 f). Ist dem Gericht in einem solchen Fall eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden (vgl BVerfG [Kammer], 02.05.2005, aaO, mwN); die grundrechtlichen Belange des Antragstellers sind umfassend in die Abwägung einzustellen. Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (vgl BVerfG [Kammer], 22.11.2002, aaO, S 1237; 29.11.2007, 1 BvR 2496/07, NZS 2008, 365). Der hier streitgegenständliche Anspruch auf Krg gehört nicht zu den existenziell bedeutsamen Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung. Dies folgt schon daraus, dass nicht jeder gesetzlich Krankenversicherte einen solchen Anspruch hat (vgl § 44 Abs 1 Satz 2 SGB V). Geboten und ausreichend ist damit eine lediglich summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage (st Rpsr des Senats, vgl Beschlüsse 20.02.2012, L 11 KR 289/12 ER-B; vom 19.08.2010, L 11 KR 3364/10 ER-B, juris; 22.12.2009, L 11 KR 5547/09 ER-B, und vom 16.10.2008, L 11 KR 4447/08 ER-B, juris).

Nach der gebotenen aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ist festzustellen, dass ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht ist.

Soweit die Antragstellerin Krg für die Zeit vom 01. bis 09.05.2012 begehrt, fehlt es an einem Anordnungsgrund, weil es sich ausschließlich um Leistungen für einen Zeitraum vor dem Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung, den die Antragstellerin am 10.05.2012 beim SG stellte, handelt. Die Regelungsanordnung dient zur Abwendung wesentlicher Nachteile mit dem Ziel, dem Betroffenen die Mittel zur Verfügung zu stellen, die zur Behebung aktueller - noch bestehender - Notlagen notwendig sind. Einen Ausgleich für Rechtsbeeinträchtigungen in der Vergangenheit herbeizuführen ist deshalb grundsätzlich nicht Aufgabe des vorläufigen Rechtsschutzes; eine Ausnahme ist bei einer begehrten Regelungsanordnung nur dann zu machen, wenn die Notlage noch bis in die Gegenwart fortwirkt und den Betroffenen in seiner menschenwürdigen Existenz bedroht (vgl Senatsbeschluss vom 20.04.2010, L 11 KR 1430/10 ER mwN; LSG Baden-Württemberg, 28.03.2007, L 7 AS 1214/07 ER-B, juris). Anhaltspunkte für den genannten Ausnahmefall liegen nicht vor.

Aber auch für die Zeit vom 10. bis 31.05.2012 besteht kein Anordnungsanspruch. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) bestimmt allein das bei Entstehen eines Krg-Anspruchs bestehende Versicherungsverhältnis, wer in welchem Umfang als Versicherter Anspruch auf Krg hat (vgl BSG, 05.05. 2009, B 1 KR 20/08 R, SozR 4-2500 § 192 Nr 4 = juris; BSG, 02.11.2007, B 1 KR 38/06 R, SozR 4-2500 § 44 Nr 14). Gemäß § 44 Abs 1 Satz 1 SGB V haben "Versicherte" Anspruch auf Krg, wenn - abgesehen von den Fällen stationärer Behandlung, die im zu entscheidenden Fall nicht vorliegt - Krankheit sie arbeitsunfähig macht. Das Krg wird ohne zeitliche Begrenzung, für den Fall der Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit jedoch längstens 78 Wochen innerhalb von drei Jahren, gerechnet vom Tage des Beginns der AU an, gezahlt (§ 48 Abs 1 Satz 1 SGB V). Der Anspruch auf Krg entsteht gemäß § 46 Satz 1 Nr 2 SGB V von dem Tag an, der auf den Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit (AU) folgt. Grundsätzlich setzt daher der Anspruch auf Krg die vorherige ärztliche Feststellung der AU voraus. Dem Attest des behandelnden Arztes mit der Feststellung der AU kommt lediglich die Bedeutung einer gutachtlichen Stellungnahme zu, welche die Grundlage für den über den Krg-Bezug zu erteilenden Verwaltungsakt der Krankenkasse bildet, ohne dass Krankenkasse und Gerichte an den Inhalt der ärztlichen Bescheinigung gebunden sind (BSG, 08.11.2005, B 1 KR 18/04 R, SozR 4-2500 § 44 Nr 7). Die Voraussetzungen eines Krg-Anspruchs, also nicht nur die AU, sondern auch die ärztliche Feststellung der AU, müssen bei zeitlich befristeter AU-Feststellung und dementsprechender Krg-Gewährung für jeden Bewilligungsabschnitt jeweils erneut vorliegen (BSG, 26.06.2007, B 1 KR 8/07 R, SozR 4-2500 § 44 Nr 12 mwN). Zudem muss der Versicherte die AU und deren Fortdauer grundsätzlich rechtzeitig ärztlich feststellen lassen und seiner Krankenkasse gemäß § 49 Abs 1 Nr 5 SGB V melden (BSG, 08.11.2005, B 1 KR 30/04 R, SozR 4-2500 § 46 Nr 1).

Im vorliegenden Fall ist ein etwaiger Anspruch auf Krg über den 30.04.2012 - falls überhaupt bis dahin ein Anspruch auf Krg bestand, woran nach derzeitigem Kenntnisstand erhebliche Zweifel bestehen (vgl Beschluss des LSG Baden-Württemberg vom 13.07.2012 (L 4 KR 1078/12 ER-B) - schon deshalb nicht entstanden, weil es für die Zeit vom 01. bis zum 02.05.2010 an einer ärztlichen Feststellung der AU fehlt. Eine nur rückwirkende Feststellung von AU lässt - wie das SG zutreffend entschieden hat - einen Anspruch auf Krg nicht entstehen (BSG, 05.05.2009, B 1 KR 20/08 R, SozR 4-2500 § 192 Nr 4). Die von dem Arzt O. am 02.05.2012 bescheinigte AU wegen einer depressiven Episode (ICD-10 F32.9 G) hätte nach § 46 Satz 1 Nr 2 SGB V mithin frühestens ab dem 03.05.2012 einen Krg-Anspruch auslösen können. Da die Antragstellerin aber ab dem 01.05.2012 keinen Anspruch mehr auf Krg hatte, endete ihr (über § 192 Abs 1 Nr 2 SGB V bis dahin ggf verlängertes) Mitgliedschaftsverhältnis nach § 5 Abs 1 Nr 1 SGB V mit Ablauf des 30.04.2012. Danach dürfte die Antragstellerin aber nur noch gemäß § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V, mithin ohne Anspruch auf Krg (§ 44 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB V), versichert gewesen sein.

Ein Ausnahmefall, in dem die unterbliebene ärztliche Feststellung der AU ausnahmsweise - rückwirkend - nachgeholt werden kann (vgl dazu BSG, 08.11.2005, B 1 KR 30/04 R, BSGE 95, 219 = SozR 4-2500 § 46 Nr 1, jeweils Rdnr 18 ff), liegt nicht vor. Die Rechtsprechung hat bisher in engen Grenzen Ausnahmen anerkannt, wenn die ärztliche Feststellung oder die Meldung der AU durch Umstände verhindert oder verzögert worden sind, die dem Verantwortungsbereich der Krankenkassen und nicht dem des Versicherten zuzurechnen sind. So kann sich beispielsweise die Kasse nicht auf den verspäteten Zugang der Meldung berufen, wenn dieser auf von ihr zu vertretenden Organisationsmängeln beruht und der Versicherte hiervon weder wusste noch wissen musste (BSG, 28.10.1981, 3 RK 59/80, BSGE 52, 254, 258 ff = SozR 2200 § 216 Nr 5). Vor diesem Hintergrund gibt es keinen Grund, vorliegend einen Ausnahmefall anzuerkennen. Denn es gibt keine Hinweise darauf, dass die Antragstellerin daran gehindert gewesen wäre, alles in ihrem Verantwortungsbereich Mögliche zu unternehmen, vor Ablauf des AU-Zeitraums am 30.04.2012, einem Montag, eine rechtzeitige Verlängerung ihrer AU-Feststellung über den 30.04.2012 hinaus zu erlangen. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass es sich beim 30.04.2012 um einen sog "Brückentag" gehandelt hat und ihr behandelter Arzt O. wegen "organisatorischer Probleme" (vgl Bescheinigung vom 04.07.2012, Bl 23 der SG-Akte) die AU-Bescheinigung erst am 02.05.2012 ausstellen konnte. Bei einem "Brückentag" besteht die Obliegenheit für den Versicherten, ggf einen Vertretungsarzt aufzusuchen. Kommt der Versicherte - wie vorliegend - der genannten Obliegenheit nicht nach, ist eine rückwirkende Feststellung der AU nicht zulässig. Insoweit kommt auch der Bescheinigung des Arztes O. vom 04.07.2012 keine maßgebliche Bedeutung zu.

Da im gegenwärtigen Zeitpunkt des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens nicht klar ist, ob die Antragstellerin überhaupt bis 30.04.2012 einen Anspruch auf Krg hatte - hiergegen spricht die bereits genannte Entscheidung des 4. Senats des LSG Baden-Württemberg vom 13.07.2012 (L 4 KR 1078/12 ER-B) - braucht der Senat nicht zu prüfen ob ggf die Voraussetzungen für den einmonatigen nachgehenden Anspruch nach § 19 Abs 2 SGB V erfüllt sind. Hieran könnten bereits deshalb Zweifel bestehen, weil die Antragstellerin gegenüber einem Gutachter angegeben hat, von ihrem Ehemann getrennt zu leben. Ob ein bereits ein (rechtskräftiges) Scheidungsurteil vorliegt, musste im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes nicht ermittelt werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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