L 4 P 3305/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 4 P 2676/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 P 3305/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 6. Juli 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Änderung der Bewilligung von Pflegegeld nach der Pflegestufe II in Pflegegeld nach der Pflegestufe I mit Wirkung zum 1. Februar 2010.

Der am 1999 geborene Kläger ist familienversichertes Mitglied der beklagten Pflegekasse. Er wurde als Zwilling in der 24. Schwangerschaftswoche nach künstlicher Befruchtung geboren. Er leidet an einer infantilen Cerebralparese mit Entwicklungsverzögerungen nach Hirnblutung. Ein Hydrocephalus ist mit einer Shunt-Anlage versorgt. Ein Epilepsieanfall trat zuletzt im Jahre 2004 auf. Auf den Antrag des Klägers vom 24. Juli 2000 bewilligte ihm die Beklagte mit Bescheid vom 15. Januar 2001 ab 11. Juli 2000 Pflegegeld nach der Pflegestufe I. Dieser Bewilligung zugrunde lag das Gutachten der Ärztin Dr. P., Medizinischer Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK), vom 9. Januar 2001, die den täglichen Hilfebedarf bei den Verrichtungen der Grundpflege auf 48 Minuten (258 Minuten [Körperpflege 83 Minuten, Ernährung 105 Minuten, Mobilität 70 Minuten] abzüglich 210 Minuten des Aufwands für ein gleichaltriges gesundes Kind) schätzte. Den Antrag des Klägers vom 19. Dezember 2001 auf Höherstufung lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 28. Februar 2002). Dem zu Grunde lag das Gutachten der Pflegefachkraft R., MDK, vom 25. Februar 2002. Sie schätzte den täglichen Hilfebedarf bei den Verrichtungen der Grundpflege auf 70 Minuten (235 Minuten [Körperpflege 66 Minuten, Ernährung 88 Minuten, Mobilität 81 Minuten] abzüglich 165 Minuten des Aufwands für ein gleichaltriges gesundes Kind). Unter dem 29. März 2004 beantragte der Kläger, der zwischenzeitlich den Kindergarten besuchte, erneut eine Höherstufung. Pflegefachkraft M., MDK, schätzte in ihrem deswegen von der Beklagten veranlassten Gutachten vom 16. Juni 2004 den Zeitaufwand für Verrichtungen der Grundpflege auf 122 Minuten täglich (Körperpflege 57 Minuten, Ernährung 20 Minuten, Mobilität 45 Minuten). Ein Mehrhilfebedarf bestehe im Bereich der Ganzkörperpflege. Derzeit werde eine Sauberkeitserziehung durchgeführt, auch im Kindergarten. Der Kläger trage ein geschlossenes Windelsystem. Das Richten der Bekleidung und vier- bis fünfmal, teilweise auch sechsmal täglich die Inkontinenzversorgung müssten vollständig übernommen werden. Erforderlich sei regelmäßige Hilfestellung beim Trinken, bei warmen Mahlzeiten, beim An- und Entkleiden zuzüglich des Wechsels der Oberbekleidung nach Nahrungsaufnahme sowie beim Transfer auf die Toilette (fünfmal). Der Kläger sei nicht gehfähig und könne nicht frei stehen. Innerhalb der Wohnung werde der Kläger getragen. Die Beklagte bewilligte daraufhin mit Bescheid vom 18. Juni 2004 ab 1. März 2004 Pflegegeld nach der Pflegestufe II.

Die Beklagte veranlasste eine Nachuntersuchung des Klägers, der zwischenzeitlich in die Schule ging. Pflegefachkraft Z., MDK, schätzte in ihrem Gutachten vom 28. Oktober 2009 den Zeitaufwand für Verrichtungen der Grundpflege auf 77 Minuten täglich (Körperpflege 46 Minuten, Ernährung 14 Minuten, Mobilität 17 Minuten). Seit der letzten Begutachtung habe der Kläger Fortschritte in seiner Entwicklung gemacht. Er benötige teilweise Aufforderung und Anleitung zur Durchführung bei pflegerischen Verrichtungen, könne aber viele Dinge auch selbstständig durchführen. Er wasche sich unter Anleitung mit der linken Hand den rechten Unterarm, das Gesicht, die Brust und den Bauch. Die Wäsche des restlichen Körpers müsse von der Pflegekraft übernommen werden. Erforderlich sei Hilfe und Aufforderung zum Händewaschen sowie die Beaufsichtigung beim Baden inklusive der Haarwäsche aufgrund der Epilepsie. Die Utensilien müssten vor- und nachbereitet werden. Während der Begutachtung zeige er den Umgang mit einer elektrischen Zahnbürste. Unterstützung beim Ausspucken und Aufforderung zur adäquaten Reinigung sei erforderlich. Eine Windelversorgung sei nicht mehr erforderlich. Der Kindertoilettensitz müsse vor jedem Toilettengang auf die Toilette gelegt und danach wieder abgenommen werden. Aufforderung zur adäquaten Säuberung nach dem Wasserlassen sei erforderlich. Er könne weitestgehend alleine essen. Nahrung werde klein geschnitten und Getränke eingeschenkt. Bei warmen Mahlzeiten sei eine Hilfestellung erforderlich. Er benötige teilweise Anleitung beim Anziehen. Im Bereich des Oberkörpers helfe er beim Anziehen mit. Die Kleidung müsse teilweise auch angereicht und Schmutzwäsche müsse entsorgt werden. Er benötige Hilfe beim Knöpfen, beim Öffnen von Reißverschlüssen, beim An- und Ausziehen der Hose sowie beim Transfer in und aus der Badewanne sowie auf die Toilette. Gehen könne er mit dem Rollator gut alleine. Mit Bescheid vom 11. Januar 2010 verfügte die Beklagte daraufhin unter Bezugnahme auf ihr Anhörungsschreiben vom 11. Dezember 2009, dass sie das monatliche Pflegegeld zum 1. Januar 2010 "auf EUR 225,00 umstellen" werde.

Der Kläger erhob Widerspruch und reichte der Beklagten eine als "Pflegetagebuch" bezeichnete Aufstellung für die Tage zwischen dem 19. April und 2. Mai 2010 ein, in welcher er die Pflegetätigkeiten an den einzelnen Tagen auflistete. Pflegefachkraft H., MDK, hielt in ihrem Gutachten nach Aktenlage vom 4. Februar 2010 und in ihrer Stellungnahme nach Aktenlage vom 20. Mai 2010 den im Gutachten vom 28. Oktober 2009 angenommenen krankheitsbedingten Hilfebedarf von 77 Minuten täglich bei den Verrichtungen der Grundpflege für nachvollziehbar. Aufgrund des eingereichten "Pflegetagebuchs" seien nur ca. neun Minuten täglich für die Fahrt zur wöchentlichen Physiotherapie (einfache Fahrt ca. 30 Minuten) zusätzlich berücksichtigungsfähig. Der Widerspruchsausschuss der Beklagten gab dem Widerspruch des Klägers insoweit statt, als der Kläger für den Monat Januar 2010 noch "Pflegeleistungen der Stufe II" erhielt. Im Übrigen wies er den Widerspruch des Klägers zurück (Widerspruchsbescheid vom 16. Juni 2010). Sie (die Beklagte) sei berechtigt und zugleich verpflichtet, eine Rückstufung in Pflegestufe I vorzunehmen (Verweis auf § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X -). Denn gestützt auf die Gutachten des MDK vom 27. Oktober 2009 sowie vom 4. Februar und 20. Mai 2010 lägen die Voraussetzungen für die Pflegestufe II beim Kläger nicht mehr vor. Das Ausmaß der Unterstützungen im Bereich der Grundpflege liege beim Kläger bei unter 1,5 Stunden täglich. Gegenüber der Begutachtung aus dem Jahr 2004 habe sich der Hilfebedarf insbesondere im Bereich der Darm- und Blasenentleerung, aber auch im Hinblick auf die Mobilität entsprechend reduzieren lassen. Da eine rückwirkende Änderung (ab 1. Januar 2010) nicht möglich sei, sei dem Widerspruch hinsichtlich des Monats Januar 2010 abgeholfen worden.

Der Kläger sowie seine Mutter erhoben am 23. Juli 2010 gegen den am 23. Juni 2010 zugegangenen Widerspruchsbescheid Klage beim Sozialgericht Mannheim (SG). Die Beklagte habe übersehen, dass er zum Zeitpunkt der Begutachtung im Jahre 2004 im Alter von vier Jahren und 11 Monaten noch ein Kind gewesen sei, für das ohnehin pflegerischer Aufwand nötig gewesen sei, dass er jeden Montag physiotherapeutische Behandlungen habe und bei Vorliegen eines entsprechenden Rezeptes auch Ergotherapie erhalte sowie dass er regelmäßig den Zahnarzt, Kieferorthopäden, Kinderarzt, Augenarzt, Orthopäden (wegen Anpassung seiner diversen Schienen) und Neurochirurgen aufsuche. Unberücksichtigt geblieben seien zudem seine Trainingszeiten, ohne die er beim Anziehen keine weiteren Fortschritte machen könne, sowie auch sein tägliches Lauftraining von 60 Minuten. Er habe zwar erhebliche Fortschritte gemacht, allerdings habe er mit 136 Minuten täglich immer noch einen erheblichen Pflegeaufwand. Er legte eine Aufstellung vor, wonach der Gesamtpflegeaufwand im Alter von vier Jahren und elf Monaten 210 Minuten und im Alter von zehn Jahren und drei Monaten 140 Minuten betragen habe.

Die Beklagte trat der Klage entgegen.

Das SG erhob von Amts wegen das Gutachten des Internisten B. vom 23. April 2011. Er nannte nach einer Untersuchung des Klägers am selben Tag als Diagnosen eine psychomotorische Retardierung mit Intelligenzminderung sowie mit spastischer Parese des rechten Armes und beider Beine nach postpartaler Hirnblutung, einen Zustand nach Implantation eines Ventrikelshunts bei Hydrocephalus, einen Zustand nach mehreren cerebralen Krampfanfällen sowie eine ausgeprägte Kurzsichtigkeit. Er schätzte den Zeitaufwand für die Verrichtungen der Grundpflege auf insgesamt 82 Minuten täglich (Körperpflege 51 Minuten, Ernährung acht Minuten, Mobilität 23 Minuten). Erfolge die eigentlich notwendige regelmäßige krankengymnastische Behandlung, die seit vier Monaten wegen Problemen von Seiten des durchführenden Instituts nicht mehr stattfinde, erhöhe sich der Hilfebedarf gegebenenfalls um 14 Minuten täglich. Der Hilfebedarf beim Waschen, Baden und Duschen (29 Minuten), bei der Zahnpflege (sechs Minuten) sowie beim Umkleiden einschließlich des An- und Ausziehens der Orthesen (15 Minuten) sei in den Gutachten des MDK vom 28. Oktober 2009 und 4. Februar 2010 etwas zu niedrig bewertet. Dass er den Hilfebedarf bei der Toilettenbenutzung mit fünf Minuten und bei der Nahrungsaufnahme mit acht Minuten geringer als in den Gutachten des MDK vom 28. Oktober 2009 und 4. Februar 2010 (18 Minuten bzw. 14 Minuten) ansetze, sei darauf zurückzuführen, dass der Kläger in der Zwischenzeit diesbezüglich selbstständiger geworden sei. Im Vergleich zum Gutachten des MDK vom 16. Juni 2004 habe der grundpflegerische Hilfebedarf sowohl bei der Körperpflege als auch bei der Ernährung als auch bei der Mobilität erheblich abgenommen. Damals sei u.a. noch eine komplette Windelversorgung erforderlich gewesen, der Kläger habe gefüttert und auf allen Wegen innerhalb der Wohnung getragen werden müssen. Der Kläger könne mit dem Rollator zwar spastisch, aber sicher laufen (nach Angaben seiner Mutter seit drei bis vier Jahren) und sich damit überall innerhalb der Wohnung fortbewegen. Zwar sei auch der Hilfebedarf für ein gleichaltriges gesundes Kind und die daraus resultierenden Zeitabzüge auf mittlerweile null Minuten zurückgegangen. Dennoch werde ein grundpflegerischer Hilfebedarf von mehr als 120 Minuten täglich, der im Gutachten vom 16. Juni 2004 nur knapp darüber gelegen habe, nicht mehr erreicht.

Der Kläger wandte zu dem Gutachten ein, der Sachverständige habe die Aktivierungspflege nicht berücksichtigt. Die Zeiten im Bereich der Körperpflege und Mobilität seien zu verdoppeln, um der Anleitung durch die nicht ausgebildete Pflegeperson Rechnung zu tragen.

Mit Gerichtsbescheid vom 6. Juli 2011 wies das SG die Klage ab. Es folgte der Auffassung des Sachverständigen B., dass der tägliche Zeitaufwand für die Verrichtungen der Grundpflege bei 82 Minuten liege und daher der für die Pflegestufe II notwendige Zeitaufwand von 120 Minuten täglich nicht mehr erreicht werde. Ein besonderer Bedarf der Anleitung bei einzelnen Verrichtungen sei nicht ersichtlich. Entweder sei der Kläger in der Lage, diese selbst durchzuführen, oder diese würden - vor allem im Bereich der Körperpflege - vollständig durch die Mutter übernommen. Ob wegen der geistigen Behinderungen des Klägers ein besonderer allgemeiner Betreuungsbedarf notwendig sei, bedürfe im vorliegenden Rechtsstreit keiner Klärung.

Gegen den der Prozessbevollmächtigten am 11. Juli 2011 zugestellten Gerichtsbescheid haben der Kläger und seine Mutter am 5. August 2011 Berufung eingelegt. Die Mutter des Klägers hat ihre Klage zurückgenommen. Der Kläger macht geltend, sein Grundpflegebedarf betrage mehr als 120 Minuten täglich. Das SG habe in allen Bereichen in nicht unerheblichem Maße Zeiten nicht berücksichtigt. Er gehe regelmäßig wöchentlich zur Physiotherapie und Ergotherapie bei einem Behandler, den er inzwischen gefunden habe. Dass diese Behandlung eine Zeit lang ausgesetzt worden sei, habe die Beklagte verschuldet. Über einen Antrag auf zeitweise stationäre Unterbringung in einer Rehabilitationsklinik sei seit über einem Jahr nicht entschieden. Es bestehe ein besonderer Bedarf zur Anleitung der einzelnen Verrichtungen. Er könne nur durch Übungen lernen, z.B. sich selbst die Zähne zu putzen, weshalb seine Mutter ständig dabei sein, ihn geduldig unterstützen und immer wieder aufs Neue motivieren müsse.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 6. Juli 2011 und den Bescheid der Beklagten vom 11. Januar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Juni 2010 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend. Selbst wenn der Aufwand für die krankengymnastischen Behandlungen, den der Sachverständige mit 14 Minuten veranschlagt habe, berücksichtigt werde, ergebe sich ein Hilfebedarf von 96 Minuten, so dass die Voraussetzungen für die Pflegestufe II auch nicht erfüllt seien. Einen Antrag des Klägers, höheres Pflegegeld zu zahlen, hat die Beklagte mit Bescheid vom 13. Februar 2012 abgelehnt. Dem zu Grunde liegt das Gutachten der Pflegefachkraft Krömer, MDK, vom 6. Februar 2012. Sie hat den täglichen Zeitaufwand für die Verrichtungen der Grundpflege auf 76 Minuten (Körperpflege 43 Minuten, Ernährung sechs Minuten, Mobilität 27 Minuten) geschätzt.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat Facharzt für Kinderheilkunde, Jugendmedizin und Neuropädiatrie Dr. F. das Gutachten vom 16. April 2012 nach einer Untersuchung des Klägers in seiner häuslichen Umgebung am 11. April 2012 erstattet. Er hat seinem Gutachten verschiedene Befundberichte beigefügt und folgenden Zeitaufwand für die einzelnen Verrichtungen der Grundpflege angegeben, ohne einen Gesamtzeitaufwand zu nennen:

Verrichtung Anzahl Zeit in Minuten Ganzkörperwäsche Einmal täglich 20 bis 25 Teilwäsche Hände/Gesicht Fünfmal täglich 1 bis 2 Zahnpflege Zweimal täglich 5 Kämmen Zweimal täglich 1 bis 3 Rasieren/Gesichtspflege Einmal wöchentlich 5 Wasserlassen Fünfmal täglich 2 bis 3 Stuhlgang Einmal täglich 10 Richten der Bekleidung Fünfmal täglich 2 Mundgerechte Zubereitung der Nahrung Fünfmal täglich 3 Aufnahme der Nahrung Dreimal täglich 15 Einfache Hilfe beim Aufstehen Einmal täglich 2 Ankleiden gesamt Zweimal täglich 6 Entkleiden gesamt Zweimal täglich 6 Schienen anlegen (zwei Oberschenkelschienen, eine Handschiene rechts, eine Zahnspange nachts Zweimal täglich 5 Schienen ablegen Zweimal täglich 5 Gehen • Umsetzen Rolli - Bett • Umsetzen Bett - Rolli • Umsetzen Rolli - Toilette • Umsetzen Toilette - Rolli Fünfmal täglich Fünfmal täglich Fünfmal täglich Fünfmal täglich 1 1 1 1 Stehen im Stehtrainer Zweimal täglich 2 Verlassen/Wiederaufsuchen der Wohnung Zweimal täglich 5

Dr. F. hat ausgeführt, der Kläger schweife bei der Ganzkörperwäsche trotz Anleitung oft ab, weshalb die meisten Tätigkeiten durch teilweise Übernahme durch die Pflegekraft zu Ende gebracht werden müssten. Aus seiner Sicht seien die Erfordernisse der Grundpflege "cum grano salis" richtig ermittelt, allerdings die - bis heute bestehenden - Erschwernisfaktoren (Kontrakturen großer Gelenke, hochgradige beinbetonte Spastik, rechtsbetonte Tetraparese, eingeschränkte Belastbarkeit infolge psychischer Einschränkungen, insbesondere der Aufmerksamkeit, Abwehrverhalten mit Behinderung der Übernahme, stark eingeschränkte Sinneswahrnehmung beim Sehen, pflegebehindernde räumliche Verhältnisse durch eine hohe Kante der Duschwanne, zeitaufwändiger Hilfsmitteleinsatz sowie Integration der physio- und ergotherapeutischen Übungen in die Pflege) sowie verrichtungsbezogene und krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen (An- und Ablegen von Bein- und Handorthesen, Integration der physio- und ergotherapeutischen Heimübungen in die Routine) nicht ausreichend berücksichtigt worden. Die im Juni 2006 bestehende Inkontinenz liege heute nicht mehr vor. Durch das Längenwachstum der Knochen bei zurückgebliebenem Wachstum der überspannten Gelenke sei es Ende 2006 zu einer Mobilitätskrise gekommen, die die komplizierte orthopädische Mehretagen-Operation mit anschließender Frührehabilitation habe notwendig werden lassen. Physio- und ergotherapeutische Behandlung sowie Heimübungen durch die Mutter hätten intensiviert werden müssen, weshalb eine wesentliche Änderung gegenüber den Verhältnissen vom 16. Juni 2004 eingetreten sei mit einer deutlichen Zunahme des Pflegeaufwandes.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakte, die Akte des SG sowie die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid der Beklagten vom 11. Januar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Juni 2010, mit welchem die Beklagte ihren Bescheid vom 18. Juni 2004 mit Wirkung zum 1. Februar 2010 teilweise aufhob und ab diesem Zeitpunkt nur noch Pflegegeld nach der Pflegestufe I bewilligte. Nicht Gegenstand des Rechtsstreits ist nach § 96 Abs. 1 SGG der Bescheid der Beklagten vom 13. Februar 2012 geworden, mit welcher die Beklagte den Antrag des Klägers auf Pflegegeld nach der Pflegestufe II ablehnte. Dieser Bescheid ändert den genannten streitgegenständlichen Bescheid weder ab noch ersetzt er ihn.

2. Die Berufung des Klägers ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und auch statthaft. Ein Berufungsausschlussgrund des § 144 Abs. 1 SGG ist nicht gegeben. Denn streitig sind höhere Leistungen für einen Zeitraum von mehr als einem Jahr (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).

3. Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 11. Januar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Juni 2010 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat ab 1. Februar 2010 keinen Anspruch mehr auf Pflegegeld nach der Pflegestufe II, sondern nur noch auf Pflegegeld nach der Pflegestufe I, weshalb die Beklagte ihren Bescheid vom 18. Juni 2004 mit Wirkung zum 1. Februar 2010 zu Recht teilweise aufhob und ab diesem Zeitpunkt nur noch Pflegegeld nach der Pflegestufe I bewilligte.

3.1. Zulässige Klage ist allein die reine Anfechtungsklage. Um den Anspruch auf Pflegegeld nach der Pflegestufe II auch ab 1. Februar 2010 durchzusetzen, bedarf es keiner (zusätzlichen) Leistungsklage (vgl. z.B. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 11. Dezember 1979 - 7 RAr 10/79 - SozR 4100 § 119 Nr. 11). Denn schon mit der Aufhebung des Bescheids vom 11. Januar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Juni 2010 wäre Pflegegeld nach der Pflegestufe II weiter zu gewähren.

Bei der Prüfung, ob die teilweise Aufhebung der Bewilligung zu Recht erfolgte, ist bei der reinen Anfechtungsklage die Sach- und Rechtslage zu dem Zeitpunkt maßgebend, in dem der angefochtene Verwaltungsakt erlassen worden ist (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 20. April 1993 - 2 RU 52/92 - SozR 3-1500 § 54 Nr. 18). Maßgeblich sind daher die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Bekanntgabe der letzten Verwaltungsentscheidung - hier des Widerspruchsbescheids vom 16. Juni 2010 am 23. Juni 2010 -, nicht aber die Frage, ob sich die tatsächlichen Verhältnisse zu einem späteren Zeitpunkt geändert haben.

3.2. Rechtsgrundlage für die Herabstufung des Pflegegeldes von Pflegestufe II in Pflegestufe I zum 1. Februar 2010 ist § 48 SGB X. Nach Abs. 1 Satz 1 dieser Vorschrift ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Die Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen der sozialen Pflegeversicherung nach einer bestimmten Pflegestufe ist als Verwaltungsakt mit Dauerwirkung zu qualifizieren. Ein solcher Verwaltungsakt mit Dauerwirkung liegt vor, wenn sich der Verwaltungsakt nicht in einem einmaligen Gebot oder Verbot oder in einer einmaligen Gestaltung der Rechtslage erschöpft, sondern ein auf Dauer berechnetes und in seinem Bestand vom Verwaltungsakt abhängiges Rechtsverhältnis begründet bzw. inhaltlich verändert (vgl. z.B. Bundessozialgericht [BSG], Urteile vom 16. Februar 1984 - 1 RA 15/83 - SozR 1300 § 45 Nr. 6 und vom 7. Juli 2005 - B 3 P 8/04 R - SozR 4-1300 § 48 Nr. 6). Wesentlich ist die Änderung, soweit der ursprüngliche Verwaltungsakt nach den nunmehr eingetretenen tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen so, wie er ergangen ist, nicht mehr erlassen werden dürfte (BSG, Urteil vom 19. Februar 1986 - 7 RAr 55/84 - SozR 1300 § 48 Nr. 22). Zu vergleichen sind nach § 48 Abs. 1 SGB X stets die zum Zeitpunkt der Aufhebung bzw. des Aufhebungstermins bestehenden tatsächlichen Verhältnisse mit jenen, die zum Zeitpunkt der letzten Leistungsbewilligung, bei der die Anspruchsvoraussetzungen vollständig geprüft worden sind, vorhanden gewesen sind (BSG, Urteil vom 7. Juli 2005 - B 3 P 8/04 R - a.a.O.).

Die letzte vollständige Überprüfung der Anspruchsvoraussetzungen und damit der maßgebliche Vergleichszeitpunkt ist vorliegend die durch den Bescheid der Beklagten vom 18. Juni 2004 erfolgte Bewilligung von Pflegegeld nach der Pflegestufe II ab 1. März 2004. Dem zu Grunde lag das Gutachten der Pflegefachkraft M. vom 16. Juni 2004, welches insoweit das maßgebliche Vergleichsgutachten ist.

3.3. Mit ihrem Bescheid vom 11. Januar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Juni 2010 hob die Beklagte den Bescheid der Beklagten vom 18. Juni 2004 mit Wirkung zum 1. Februar 2010 teilweise auf und bewilligte ab diesem Zeitpunkt nur noch Pflegegeld nach der Pflegestufe I. Obwohl dies ausdrücklich in den genannten Bescheiden so nicht verfügt wurde, lässt sich dies mit gerade noch hinreichender Bestimmtheit den genannten Bescheiden entnehmen (zu den Anforderungen an die Aufhebung der Bewilligung von Pflegegeld siehe z.B. Urteil des erkennenden Senats vom 5. März 2010 - L 4 P 4773/08 - in juris). Denn jedenfalls dem Widerspruchausschuss der Beklagten war bewusst, dass eine vorangegangene Bewilligung geändert werden musste. Er nannte in der Begründung des Widerspruchsbescheids als maßgebliche Rechtsgrundlage § 48 SGB X und legte dar, dass sich der Hilfebedarf verringert habe, so dass die Voraussetzungen der Pflegestufe II nicht mehr erfüllt seien.

3.4. Pflegebedürftige können nach § 37 Abs. 1 Satz 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) anstelle der Pflegesachleistungen ein Pflegegeld erhalten. Pflegebedürftig sind nach § 14 Abs. 1 SGB XI Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens, die im Einzelnen in § 14 Abs. 4 SGB XI genannt sind, auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate in erheblichem oder höherem Maß (§ 15 SGB XI) der Hilfe bedürfen. Pflegebedürftige der Pflegestufe I (erheblich Pflegebedürftige) sind Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XI). Hingegen sind nach Nr. 2 dieser Vorschrift Pflegebedürftige der Pflegestufe II (Schwerpflegebedürftige) Personen, die (in denselben Bereichen) mindestens dreimal täglich zu verschiedenen Tageszeiten der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen. Nach Abs. 3 Satz 1 der Vorschrift muss der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, wöchentlich im Tagesdurchschnitt (1.) in der Pflegestufe I mindestens 90 Minuten betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen, (2.) in der Pflegestufe II mindestens drei Stunden betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mindestens zwei Stunden entfallen. Die Grundpflege umfasst die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen aus den Bereichen der Körperpflege (§ 14 Abs. 4 Nr. 1 SGB XI), der Ernährung (Nr. 2) und der Mobilität (Nr. 3). Zur Grundpflege zählt ein Hilfebedarf im Bereich der Körperpflege beim Waschen, Duschen, Baden, der Zahnpflege, dem Kämmen, Rasieren, der Darm- und Blasenentleerung, im Bereich der Ernährung beim mundgerechten Zubereiten der Nahrung und der Aufnahme der Nahrung sowie im Bereich der Mobilität beim selbstständigen Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, dem An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen und dem Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung. Das Ausmaß des Pflegebedarfs ist nach einem objektiven ("abstrakten") Maßstab zu beurteilen. Maßgebend für den zeitlichen Aufwand ist grundsätzlich die tatsächlich bestehende Pflegesituation unter Berücksichtigung der individuellen Bedürfnisse des zu Pflegenden, allerdings am Maßstab des allgemein Üblichen. § 14 SGB XI stellt allein auf den "Bedarf" an Pflege und nicht auf die im Einzelfall unterschiedliche Art der Deckung dieses Bedarfs oder die tatsächlich erbrachte Pflege ab (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2002 - B 3 P 12/01 R - SozR 3-3300 § 14 Nr. 19). Bei der Bestimmung des erforderlichen Zeitbedarfs für die Grundpflege sind als Orientierungswerte die Zeitkorridore der Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XI (Begutachtungs-Richtlinien) zu berücksichtigen. Diese Zeitwerte sind zwar keine verbindlichen Vorgaben; es handelt sich jedoch um Zeitkorridore mit Leitfunktion (Abschnitt F Nr. 1 der Begutachtungs-Richtlinie; vgl. dazu BSG, Urteil vom 22. Juli 2004 - B 3 P 6/03 R - SozR 4-3300 § 23 Nr. 3 m.w.N.). Dabei beruhen die Zeitkorridore auf der vollständigen Übernahme der Verrichtungen durch eine Laienpflegekraft. Die Zeiten für den Hilfebedarf bei den einzelnen Verrichtungen beruhen regelmäßig auf Schätzungen, denen eine gewisse und auf wenige Minuten beschränkte Unschärfe nicht abgesprochen werden kann und die dennoch hinzunehmen sind (vgl. BSG, Urteil vom 10. März 2010 - B 3 P 10/08 R - SozR 4-3300 § 15 Nr. 4). Bei Kindern ist nach § 15 Abs. 2 SGB XI für die Zuordnung zu einer Pflegestufe nur der zusätzliche Hilfebedarf gegenüber einem gesunden gleichaltrigen Kind maßgebend. Damit wird klargestellt, dass der natürliche, altersentsprechende Pflegebedarf von Kindern, der jeweils vom Lebensalter der Betroffenen abhängt (vgl. dazu u.a. BSG, Urteil vom 29. April 1999 - B 3 P 13/98 R - SozR 3-3300 § 14 Nr. 11), unberücksichtigt bleibt und allein auf den das altersübliche Maß übersteigenden Aufwand abzustellen ist (BSG, Urteil vom 26. November 1998 - B 3 P 20/97 R - SozR 3-3300 § 14 Nr. 9).

3.5. Gegenüber der ab 1. März 2004 erfolgten Bewilligung von Pflegegeld nach der Pflegestufe II ist eine wesentliche Änderung eingetreten. Der Kläger hat ab 1. Februar 2010 keinen Anspruch auf Pflegegeld nach der Pflegestufe II mehr, weil der erforderliche Zeitaufwand für die im Gesetz abschließend genannten Verrichtungen der Grundpflege (vgl. BSG, Urteil vom 19. Februar 1998 - B 3 P 3/97 R - SozR 3-3300 § 14 Nr. 2) nicht mehr mindestens 120 Minuten täglich betrug. Der Senat stützt sich - wie bereits das SG - auf das schlüssige und nachvollziehbare Gutachten des Sachverständigen B. vom 23. April 2011 sowie auch auf die ebenfalls schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachten der Pflegefachkräfte Z. vom 28. Oktober 2006 und H. vom 4. Februar und 20. Mai 2010.

Im Jahre 2004 war der Kläger nicht fähig zu gehen und frei zu stehen. Insoweit setzte Pflegefachkraft M. einen Hilfebedarf von 24 Minuten an. Der Senat geht davon aus, dass der von Pflegefachkraft M. genannte Hilfebedarf der gegenüber einem gesunden gleichaltrigen Kind zusätzliche Hilfebedarf ist, weil sie in ihrem Gutachten von dem Mehrhilfebedarf spricht. Demgegenüber konnte der Kläger im Jahre 2009 und im Jahre 2010 mit dem Rollator alleine sicher in der Wohnung laufen, wie sich aus den Gutachten des Sachverständigen B. und der Pflegefachkraft Z. ergibt. Abweichendes hat auch nicht der auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG im Berufungsverfahren gehörte Sachverständige Dr. F. festgestellt. Vielmehr hat auch er angegeben, der Kläger könne selbstständig Rollstuhl fahren und wenige Schritte am Rollator gehen. Auch aus dem dem Gutachten des Sachverständigen Dr. F. beigefügten Arztbrief des Dr. Vater vom 14. Februar 2012 ergibt sich, dass der Kläger nach einer vierwöchigen Intensivtherapie im Jahre 2010 eine "gute Strecke" frei laufen konnte. Diese Besserung der Gehfähigkeit hat der Kläger nicht bestritten. Aufgrund dessen lässt sich ein Zeitaufwand für die Verrichtungen des Gehens, wie dies in der vom Kläger mit der Klagebegründung vorgelegten Pflegetabelle (Bl. 23 SG-Akte) in einem Umfang von 20 Minuten angegeben ist, im Juni 2010 nicht begründen. Da für die Verrichtungen des Gehens jedenfalls im Juni 2010 kein Hilfebedarf mehr anzusetzen ist, ist schon allein deshalb der Hilfebedarf, der zur Bewilligung von Pflegegeld nach der Pflegestufe II ab 1. März 2004 führte, auf unter 120 Minuten (gesamter Hilfebedarf im Jahre 2004 122 Minuten abzüglich 24 Minuten [von der Pflegefachkraft M. angenommener Zeitaufwand für die Verrichtung des Gehens] = 98 Minuten) gesunken.

Des Weiteren ist der Hilfebedarf des Wechsels der Windeln nach Wasserlassen und Stuhlgang, den Pflegefachkraft M. mit insgesamt 22 Minuten annahm, entfallen. Denn beim Kläger ist keine Windelversorgung mehr notwendig. Dies ergibt sich übereinstimmend aus den Gutachten des Sachverständigen B. vom 23. April 2011, der Pflegefachkräfte Z. vom 28. Oktober 2006 und H. vom 4. Februar und 20. Mai 2010 sowie auch aus dem Gutachten des Sachverständigen Dr. F., der ebenfalls feststellte, beim Kläger liege die früher bestehende Inkontinenz nicht mehr vor.

Im Übrigen behauptet der Kläger selbst, erhebliche Fortschritte gemacht zu haben. Wenn der Kläger selbst von Fortschritten und damit einer Verminderung seines Pflegebedarfs ausgeht, ergibt sich hieraus schon zwangsläufig, dass der für die Pflegestufe II maßgebliche Zeitaufwand von 120 Minuten unterschritten sein muss. Denn der gegenüber einem gesunden gleichaltrigen Kind zusätzliche Zeitaufwand des Hilfebedarfs im Jahr 2004 mit 122 Minuten lag ganz knapp über dem für die Pflegestufe II erforderlichen Zeitaufwand von 120 Minuten. Nach der mit der Klagebegründung vorgelegten Pflegetabelle (Bl. 23 SG-Akte) ist selbst auf der Grundlage der eigenen Berechnungen des Klägers der Zeitaufwand des Hilfebedarfs von 210 Minuten im Alter von vier Jahren und elf Monaten (Juni 2004) auf 140 Minuten im Alter von zehn Jahren und drei Monaten (Oktober 2009), also um ein Drittel gesunken. Übertragen auf den im Gutachten der Pflegefachkraft M. festgestellten Zeitaufwand für den Hilfebedarf von 122 Minuten entspricht dies einem Absinken auf 81 Minuten. Pflegefachkräfte Z. und H. schätzten den Zeitaufwand für den Hilfebedarf ohne einen Zeitbedarf für das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung mit jeweils 77 Minuten, der Sachverständige B. mit 82 Minuten ein. Dies zeigt, dass auch die Gutachterinnen des MDK und der Sachverständige von einem Absinken des Zeitaufwand für den Hilfebedarf von einem Drittel ausgehen. Berücksichtigt man zusätzlich noch den Zeitaufwand für den Hilfebedarf für das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung, weil der Kläger zum Zeitpunkt der teilweisen Aufhebung der Bewilligung im Februar 2010 noch wöchentlich Ergotherapie und Krankengymnastik erhielt, den Pflegefachkraft H. mit neun Minuten und der Sachverständige B. mit 14 Minuten schätzten, so dass sich ein Zeitaufwand von 86 bzw. 96 Minuten ergibt, verringert sich das Verhältnis leicht.

Aus dem Vorigen ergibt sich dann auch, dass allein ein Zeitaufwand für die Verrichtungen des Verlassens und Wiederaufsuchens der Wohnung nicht dazu führte, dass der für die Pflegestufe II maßgebliche Zeitaufwand von 120 Minuten am 1. Februar 2010 überschritten wurde. Ein höherer Hilfebedarf für diese Verrichtung als der von Pflegefachkraft H. und dem Sachverständige B. genannte lässt sich nicht feststellen. Hinsichtlich der Verrichtung des Verlassens und Wiederaufsuchens der Wohnung hat das BSG bereits mehrmals entschieden, dass Hilfeleistungen auf Wegen außerhalb der Wohnung nur in begrenztem Maße im Bereich der Mobilität zu berücksichtigen sind, weil sie in der Regel anderen Lebensbereichen zuordnen sind (BSG, Urteile vom 24. Juni 1998 - B 3 P 4/97 R - SozR 3-3300 § 14 Nr. 5, vom 6. August 1998 - B 3 P 17/97 R - SozR 3-3300 § 14 Nr. 6, vom 10. Oktober 2000 - B 3 P 15/99 R - SozR 3-3300 § 14 Nr. 16, vom 21. Februar 2002 - B 3 P 12/01 R - SozR 3-3300 § 14 Nr. 19 und vom 28. Mai 2003 - B 3 P 6/02 R - SozR 4-3300 § 15 Nr. 1 sowie Beschluss vom 18. August 2011 - B 3 P 10/11 B , nicht veröffentlicht). Hilfe im Bereich der Mobilität außerhalb der eigenen Wohnung bei der Verrichtung Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung ist als Pflegebedarf der sozialen Pflegeversicherung nur berücksichtigungsfähig, wenn sie erforderlich ist, um das Weiterleben in der eigenen Wohnung zu ermöglichen, also Krankenhausaufenthalte und die stationäre Pflege in einem Pflegeheim zu vermeiden (grundlegend dazu BSG, Urteile vom 24. Juni 1998 - B 3 P 4/97 R - SozR 3-3300 § 14 Nr. 5 und 6. August 1998 - B 3 P 17/97 R - SozR 3-3300 § 14 Nr. 6 m.w.N.). Diese Voraussetzung ist u.a. nur dann gegeben, wenn ein mindestens einmal wöchentlicher Hilfebedarf beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung für Arztbesuche oder das Aufsuchen ärztlich verordneter Behandlungen gegeben ist. Die Behauptung des Klägers in der Stellungnahme zum Gutachten des Dr. F., es erfolgten wöchentliche Arztbesuche, ist jedenfalls für den 1. Februar 2010 (Zeitpunkt der wesentlichen Änderung) falsch. Sie steht im Widerspruch zu sämtlichen vom Kläger insoweit gemachten früheren Angaben. Weder in dem dem SG vorgelegten Vordruck der Entbindungserklärung (jährliche oder monatliche ärztliche Behandlung) noch gegenüber Pflegefachkraft Z. und dem Sachverständigen B., die den Kläger persönlich untersuchten, gab der Kläger wöchentliche Arztbesuche an (Gutachten der Pflegefachkraft Z. vom 28. Oktober 2009: Praxisbesuche weniger als einmal wöchentlich; Gutachten des Sachverständigen B. vom 23. April 2011: zweimal jährlich Arztbesuch in verschiedenen Kliniken zusätzlich alle sechs Wochen kieferorthopädische Behandlung). Wöchentlich erfolgte nur die physiotherapeutische Behandlung, die wie dargelegt, berücksichtigt wurde.

Für die Entscheidung des Rechtsstreits ist unerheblich, ob nach Erlass des Widerspruchsbescheides sich die Gehfähigkeit des Klägers wieder verschlechtert habe und ob ein anderer Behandler beim Kläger Physiotherapie (Krankengymnastik und/oder Ergotherapie) durchführt, da wie dargelegt, die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids maßgeblich sind, nicht aber die Frage, ob sich die tatsächlichen Verhältnisse zu einem späteren Zeitpunkt geändert haben.

Das Gutachten des Dr. F. vermag den vom Kläger geltend gemachten Anspruch nicht zu stützen. Die Schätzung des Zeitaufwands für die Verrichtungen der Grundpflege durch Dr. F. ist nicht nachvollziehbar. Es ist schon nicht erkennbar, von welchem gesamten Zeitaufwand Dr. F. ausgeht. Bei Addition der von ihm genannten Zeiten (Spalte 3 der oben auf S. 7 angeführten Tabelle) ergibt sich ein Zeitaufwand von 99 bis 108 Minuten. Multipliziert man diese Zeiten mit der täglich oder wöchentlich zu erbringenden Anzahl (Spalte 2 der oben auf S. 7 angeführten Tabelle), ergibt sich ein Zeitaufwand von 208 bis 237 Minuten. Einen so hohen Zeitaufwand im Februar 2010 hat selbst der Kläger nicht behauptet. Weiter ermittelte Dr. F. den Hilfebedarf des Klägers zum Zeitpunkt seiner (des Dr. F.) Untersuchung am 11. April 2012, nicht aber - wie dies durch die Beweisfragen vorgegeben war - denjenigen im Juni 2010. Dafür spricht, dass er zum Teil Arztbriefe aus den Jahren 2011 und 2012, die seinem Gutachten beigefügt waren, seiner Beurteilung zu Grunde legte. Zudem stellte er - mit Ausnahme der Verrichtungen der mundgerechten Zubereitung der Nahrung, des An- und Ablegens der Schienen sowie des Gehens - als Hilfebedarf des Klägers nur eine Teilübernahme, Unterstützung, Aufforderung oder Beaufsichtigung fest. Daraus wird deutlich, dass der Kläger Verrichtungen zumindest teilweise selbstständig ausführen kann, wie dies insbesondere auch der Sachverständige B. darlegte. Deshalb sind einzelne Zeitansätze, die nach den Orientierungswerten der Begut-achtungs-Richtlinien einer vollen Übernahme der Verrichtung entsprechen (Ganzkörperwäsche 20 bis 25 Minuten, Zahnpflege fünf Minuten) oder sie überschreiten (Stuhlgang drei bis sechs Minuten, demgegenüber Dr. F. zehn Minuten), nicht plausibel. Auch ist der von Dr. F. angenommene Hilfebedarf bei der Aufnahme der Nahrung nicht nachvollziehbar. Die beim Kläger bestehenden Funktionsstörungen stehen einer selbstständigen Aufnahme der Nahrung nicht entgegen. Erforderlich ist allenfalls eine gelegentliche Unterstützung oder eine Beaufsichtigung und Aufforderung. Von Letzterem geht wohl auch der Sachverständige Dr. F. aus, soweit er die Abkürzungen B (= Beaufsichtigung) und A (= Aufforderung) anfügt. Allein aus einer notwendigen Beaufsichtigung der Nahrungsaufnahme oder Aufforderung zur Nahrungsaufnahme lässt sich jedenfalls dieser erhebliche Zeitaufwand nicht erklären. Eine Beaufsichtigung und Kontrolle bei der Nahrungsaufnahme ist nur als berücksichtigungsfähige Hilfe einzustufen, wenn sie von einer solchen Intensität ist, dass die Pflegeperson - wie beim Füttern - praktisch an der Erledigung anderer Aufgaben gehindert ist bzw. diese, wenn auch möglicherweise nur kurzzeitig, unterbrechen muss, die Hilfe also über das - gewissermaßen "nebenbei" erfolgende - bloße "Im-Auge-Behalten" des Pflegebedürftigen und das nur vereinzelte, gelegentliche Auffordern bzw. Ermahnen hinausgeht (BSG, Beschluss vom 8. Mai 2001 - B 3 P 4/01 B - in juris; Urteil vom 28. Mai 2003 - B 3 P 6/02 R - SozR 4-3300 § 15 Nr. 1; s.a. D 4.0/II Begutachtungs-Richtlinien). Schließlich ist die angenommene Zeitaufwand für Stuhlgang und Wasserlassen nicht plausibel. Nach den eigenen Feststellungen des Dr. F. liegt beim Kläger die früher bestehende Inkontinenz nicht mehr vor. Schließlich ist auch nicht erkennbar, weshalb Dr. F. beim Kläger für das Jahr 2010 einen Hilfebedarf beim Rasieren annahm. Der Kläger hatte damals das elfte Lebensjahr noch nicht vollendet. In diesem Alter ist ein Rasieren nicht erforderlich. Auch dies spricht wieder dafür, dass Dr. F. bei seiner Schätzung des Hilfebedarfs von demjenigen zum Zeitpunkt seiner Untersuchung im April 2012 ausging. Aus dem Hinweis des Sachverständigen Dr. F., Heimübungen durch die Mutter hätten intensiviert werden müssen, lässt sich kein in der sozialen Pflegeversicherung berücksichtigungsfähiger Hilfebedarf ableiten. Denn diese Heimübungen können keiner der abschließend im Gesetz genannten Verrichtungen zugeordnet werden. Es ist nicht Ziel der sozialen Pflegeversicherung, jedweden Pflegebedarf lückenlos zu erfassen und bei der Leistungsbemessung zu berücksichtigen (vgl. § 4 Abs. 2 Satz 1 SGB XI).

Die vom Kläger im Widerspruchsverfahren vorgelegten, als "Pflegetagebuch" bezeichneten Aufstellungen vermögen einen Zeitaufwand von mindestens 120 Minuten nicht zu belegen. Sie enthalten Zeitangaben für Verrichtungen, die bei der Grundpflege nicht zu berücksichtigen sind, wie z.B. Zeiten für das Zubereiten von Mahlzeiten, das Erledigen von Hausaufgaben, Begleitung beim Fahrradfahren sowie Training zum Ausziehen der Bekleidung und Schuhe.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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