Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
2
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 2 SO 39/11
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid vom 02.09.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.11.2010 wird aufgehoben. Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 01.08.2006 bis zum 19.08.2011 Eingliederungshilfe in Form der stationären Betreuung in der Einrichtung T nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu bewilligen.
Der Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Gewährung von Eingliederungshilfe nach dem SGB XII in Abgrenzung zur Jugendhilfe.
Der am 00.00.1984 geborene Kläger leidet an einer ungeklärten Hirnfunktionsstörung mit beeinträchtigter Körperorientierung, Wahrnehmungsstörungen sowie Störung der sinnvollen Anordnung von Einzelbewegungen (Dyspraxie) und weist autistisch anmutende Verhaltensmuster auf. Bei dem Kläger wurde im Rahmen ärztlicher Untersuchungen ein Intelligenzquotient (IQ) von 70 ermittelt. Er lebt in der Einrichtung T, wo er seit 8 Jahren in dem dort vorhandenen Betrieb des Obsthofes tätig ist. Mit Bescheid vom 14.08.2003 wurde dem Kläger seinerzeit durch den Beklagten, dort durch dessen Abteilung Arbeit und Soziales zunächst Eingliederungshilfe nach §§ 39 ff. BSHG gewährt. In dem Bescheid heißt es, es handle sich um keine rentengleiche Dauerleistung, die Gewährung verlängere sich jedoch stillschweigend von Tag zu Tag, solange die Voraussetzungen erfüllt seien. Mit Bescheid vom 31.07.2006 bewilligte der Beklagte dem Kläger durch sein Jugendamt die laufende Gewährung von Eingliederungshilfe nach den §§ 41, 35a Abs. 2 Nr.4 SGB VIII ab dem 01.08.2006. Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger Klage vor dem Verwaltungsgericht Braunschweig, die dort unter dem Aktenzeichen S 3 A 335/06 geführt wurde. In einem Rechtsstreit vor der 16. Kammer des Sozialgerichts Detmold, der auf einer Abtrennung des Klageantrags auf Gewährung von Eingliederungshilfe nach dem SGB XII aus dem verwaltungsgerichtlichen Klageverfahren S 3 A 335/06 des VG Braunschweig gegen den Bescheid vom 31.07.2006 beruhte, schlossen die Beteiligten folgenden Vergleich: "1. Der Beklagte erklärt sich bereit, über die Einstellung der Sozialhilfegewährung mit Wirkung vom 31.07.2006 gegenüber dem Kläger des hiesigen Verfahrens rechtsmittelfähig zu entscheiden." Unter Ziffer 2 – 4 folgen Regelungen zu den Kosten und zur Erledigung des Rechtsstreits.
Mit dem hier streitgegenständlichen Bescheid vom 02.09.2010 teilte der Beklagte durch sein Amt für Arbeit und Soziales mit, die durch Bescheid vom 14.08.2003 bewilligten Leistungen würden zum 01.08.2006 eingestellt. Gemäß § 2 SGB XII erhalte Sozialhilfe nicht, wer erforderliche Leistungen von anderen, insbesondere Trägern der Sozialhilfe erhalte. Da ab dem 01.08.2006 das Jugendamt seine Zuständigkeit bejaht und Leistungen bewilligt habe, finde hier der Nachrang der Sozialhilfe Anwendung. Dagegen erhob der Kläger Widerspruch, der mit Widerspruchsbescheid vom 24.11.2010 zurückgewiesen wurde. Für die Einzelheiten wird auf den Inhalt des Widerspruchsbescheids Bezug genommen.
Dagegen erhob der Kläger die unter dem hiesigen Aktenzeichen S 2 SO 39/11 geführte Klage. Die Eingliederungshilfe sei hier nach den Bestimmungen des SGB XII und nicht nach den Regeln über die Jugendhilfe im SGB VIII zu erbringen. Nach den Bestimmungen des § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII gingen Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem Zwölften Buch für junge Menschen, die körperlich oder geistig behindert sind oder von einer solchen Behinderung bedroht sind, Leistungen nach dem SGB VIII vor. Dabei sei nicht auf den Schwerpunkt der Behinderung abzustellen. Insbesondere komme es bei Mehrfachbehinderungen nicht darauf an, welchem Behinderungsanteil ein Übergewicht zukomme.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 02.09.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.11.2010 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm in der Zeit vom 01.08.2006 bis zum 19.08.2011 Eingliederungshilfe in Form der stationären Betreuung in der Einrichtung T zu bewilligen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es sei auf den Schwerpunkt der Behinderung abzustellen. Der Kläger leide im Schwerpunkt unter einer starken Lernbehinderung und autistischen Verhaltensmustern, die für das Vorliegen einer wesentlichen seelischen Behinderung verantwortlich seien. Daher seien die Bestimmungen über die Jugendhilfe vorrangig. Das Anerkenntnis der Leistungspflicht des Jugendamtes vom Juli 2006 sei rückwirkend zum 17.08.2003 erfolgt. Somit sei die Jugendhilfe schon vor Vollendung des 21. Lebensjahres gewährt worden und könne daher gemäß § 41 Abs. 1 Satz 2, Halbsatz 2 SGB VIII für einen begrenzten Zeitraum über das 21. Lebensjahr fortgesetzt werden.
Ferner erhob der Kläger während des laufenden Verfahrens S 2 SO 39/11 die weitere Klage S 2 SO 72/12, die die Gewährung von Eingliederungshilfe ab Vollendung des 27. Lebensjahres betrifft.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet. Der Kläger ist im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) beschwert. Denn der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 02.09.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.11.2010 ist rechtswidrig und der Kläger in seinen Rechten verletzt.
Die Leistungen waren hier zur Überzeugung der Kammer für den Kläger ab dem Aufnahmetag am 17.08.2003 als Eingliederungshilfe nach den sozialhilferechtlichen Bestimmungen zu erbringen. Dies ergibt sich aus der Zuständigkeitsabgrenzung des § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII. Zwar haben Kinder und Jugendliche nach § 35a Abs. 1 SGB VIII Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist. Auch diese Anspruchsgrundlage ist hier grundsätzlich erfüllt, weil der Kläger offenbar auch seelisch behindert ist. Dieser Anspruch ist aber nachrangig. Denn gemäß § 10 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII gehen Leistungen nach diesem (Achten) Buch Leistungen nach dem Zwölften Buch zwar im Grundsatz vor. § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII bestimmt jedoch eine Ausnahme. Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem Zwölften Buch für junge Menschen, die körperlich oder geistig behindert oder von einer solchen Behinderung bedroht sind, gehen jedoch Leistungen nach diesem (Achten) Buch vor. Der nach dem SGB XII vorrangige Anspruch des Klägers auf stationäre Heimunterbringung ergibt sich aus § 53 Abs.1 SGB XII (ab dem 01.01.2005) und der wortgleichen Vorgängerbestimmung des § 39 BSHG (für die Zeit vom 17.08.2003 bis zum 31.12.2004). Personen, die durch eine Behinderung im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, erhalten gemäß § 53 Abs. 1 SGB XII Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalls, insbesondere nach Art und Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Leistungen der Eingliederungshilfe sind gemäß § 54 SGB IX unter anderem die Leistungen nach §§ 26, 33, 41 und 55 des SGB IX. Als Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft werden gemäß § 55 SGB IX die Leistungen erbracht, die den behinderten Menschen die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft ermöglichen oder sichern ( ...). Leistungen nach § 55 Abs. 1 SGB IX sind gemäß Abs. 2 insbesondere ( ...) gemäß dortiger Ziffer 7 Hilfen zur Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben. Die nähere Ausgestaltung der Eingliederungshilfe ist in der EingliederungshilfeVO geregelt. Menschen sind gemäß § 2 Abs. 1 SGB IX behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft beeinträchtigt ist. Geistig wesentlich behindert im Sinne des § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII sind gemäß § 2 EingliederungshilfeVO Personen, die infolge einer Schwäche ihrer geistigen Kräfte in erheblichem Umfange in ihrer Fähigkeit zur Teilhabe am Leben in der Gesellschaft eingeschränkt sind. Der Kläger ist zur Überzeugung der Kammer geistig wesentlich behindert, da sein Intelligenzquotient 70 beträgt und damit in den Bereich der geistigen Behinderung fällt, der aus medizinischer Sicht bei einem IQ von 70 oder weniger vorliegt. Maßgeblich für die Abgrenzung zwischen der Jugendhilfe für seelisch behinderte Kinder oder Jugendliche und der Eingliederungshilfe für geistig behinderte Kinder oder Jugendliche anhand des § 10 Abs. 4 SGB VIII ist allein die Frage, ob der Hilfeempfänger auch geistig behindert ist. Das ist wie oben dargelegt der Fall. Die von der Beklagten vorgenommenen Erwägungen bei einem Menschen mit geistiger und seelischer Behinderung die Zuständigkeit danach zu bestimmen, ob das Verhalten und die daraus notwendige Heimunterbringung auf der geistigen oder der seelischen Behinderung beruhe, ist zur Überzeugung der Kammer schon nur mit erheblichem Aufwand möglich und für eine formale Zuständigkeitsabgrenzung, die eine andere Behördenzuständigkeit und sogar eine andere Rechtswegzuständigkeit auslöst (Ansprüche nach dem SGB VIII sind vor dem Verwaltungsgericht einzuklagen) nicht zeitnah durchführbar. Denn zur Überzeugung der Kammer ist es schlichtweg bestenfalls mit größtem medizinischen Aufwand feststellbar, wie ein Jugendlicher, der durch eine geistige Behinderung seine ihm auch noch widerfahrene seelische Behinderung in der Tendenz sicher noch schlechter aufarbeiten kann, hypothetisch betrachtet als ein geistig gesunder Jugendlicher die gleiche seelische Behinderung verarbeiten würde und ob sein Verhalten auch dann eine Heimunterbringung erfordern würde. Eine solche Auslegung der Norm über die Zuständigkeitsabgrenzung ist weder erforderlich noch geboten, da der Wortlaut des § 10 Abs. 4 SGB VIII lediglich das Vorliegen einer geistigen Behinderung und keine kompliziertere Abgrenzungsmethode verlangt. Eine Kausalität der geistigen Behinderung in Abgrenzung zu einer Kausalität der seelischen Behinderung für die Heimunterbringung verlangt § 10 Abs. 4 SGB VIII nicht. Und die vorrangige Anspruchsgrundlage des § 53 SGB XII ist dem Grunde nach bei jeder Art der Behinderung erfüllt, also sowohl bei rein geistiger als auch bei rein seelischer Behinderung. Die stationäre Unterbringung seelisch behinderter Jugendlicher ist also immer eine vollkongruente Teilmenge des Anwendungsgebiets des § 53 SGB XII. Bei rein seelisch behinderten Jugendlichen richtet sich die Zuständigkeit dann nach der Jugendhilfe, wie sich aus der allgemeinen Bestimmung des § 10 Abs. 4 Satz 1 SGB XII ergibt. Bei Vorliegen (auch) einer geistigen oder einer körperlichen Behinderung richtet sich die Zuständigkeit aufgrund des § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII hingegen nach dem SGB XII.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Gewährung von Eingliederungshilfe nach dem SGB XII in Abgrenzung zur Jugendhilfe.
Der am 00.00.1984 geborene Kläger leidet an einer ungeklärten Hirnfunktionsstörung mit beeinträchtigter Körperorientierung, Wahrnehmungsstörungen sowie Störung der sinnvollen Anordnung von Einzelbewegungen (Dyspraxie) und weist autistisch anmutende Verhaltensmuster auf. Bei dem Kläger wurde im Rahmen ärztlicher Untersuchungen ein Intelligenzquotient (IQ) von 70 ermittelt. Er lebt in der Einrichtung T, wo er seit 8 Jahren in dem dort vorhandenen Betrieb des Obsthofes tätig ist. Mit Bescheid vom 14.08.2003 wurde dem Kläger seinerzeit durch den Beklagten, dort durch dessen Abteilung Arbeit und Soziales zunächst Eingliederungshilfe nach §§ 39 ff. BSHG gewährt. In dem Bescheid heißt es, es handle sich um keine rentengleiche Dauerleistung, die Gewährung verlängere sich jedoch stillschweigend von Tag zu Tag, solange die Voraussetzungen erfüllt seien. Mit Bescheid vom 31.07.2006 bewilligte der Beklagte dem Kläger durch sein Jugendamt die laufende Gewährung von Eingliederungshilfe nach den §§ 41, 35a Abs. 2 Nr.4 SGB VIII ab dem 01.08.2006. Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger Klage vor dem Verwaltungsgericht Braunschweig, die dort unter dem Aktenzeichen S 3 A 335/06 geführt wurde. In einem Rechtsstreit vor der 16. Kammer des Sozialgerichts Detmold, der auf einer Abtrennung des Klageantrags auf Gewährung von Eingliederungshilfe nach dem SGB XII aus dem verwaltungsgerichtlichen Klageverfahren S 3 A 335/06 des VG Braunschweig gegen den Bescheid vom 31.07.2006 beruhte, schlossen die Beteiligten folgenden Vergleich: "1. Der Beklagte erklärt sich bereit, über die Einstellung der Sozialhilfegewährung mit Wirkung vom 31.07.2006 gegenüber dem Kläger des hiesigen Verfahrens rechtsmittelfähig zu entscheiden." Unter Ziffer 2 – 4 folgen Regelungen zu den Kosten und zur Erledigung des Rechtsstreits.
Mit dem hier streitgegenständlichen Bescheid vom 02.09.2010 teilte der Beklagte durch sein Amt für Arbeit und Soziales mit, die durch Bescheid vom 14.08.2003 bewilligten Leistungen würden zum 01.08.2006 eingestellt. Gemäß § 2 SGB XII erhalte Sozialhilfe nicht, wer erforderliche Leistungen von anderen, insbesondere Trägern der Sozialhilfe erhalte. Da ab dem 01.08.2006 das Jugendamt seine Zuständigkeit bejaht und Leistungen bewilligt habe, finde hier der Nachrang der Sozialhilfe Anwendung. Dagegen erhob der Kläger Widerspruch, der mit Widerspruchsbescheid vom 24.11.2010 zurückgewiesen wurde. Für die Einzelheiten wird auf den Inhalt des Widerspruchsbescheids Bezug genommen.
Dagegen erhob der Kläger die unter dem hiesigen Aktenzeichen S 2 SO 39/11 geführte Klage. Die Eingliederungshilfe sei hier nach den Bestimmungen des SGB XII und nicht nach den Regeln über die Jugendhilfe im SGB VIII zu erbringen. Nach den Bestimmungen des § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII gingen Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem Zwölften Buch für junge Menschen, die körperlich oder geistig behindert sind oder von einer solchen Behinderung bedroht sind, Leistungen nach dem SGB VIII vor. Dabei sei nicht auf den Schwerpunkt der Behinderung abzustellen. Insbesondere komme es bei Mehrfachbehinderungen nicht darauf an, welchem Behinderungsanteil ein Übergewicht zukomme.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 02.09.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.11.2010 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm in der Zeit vom 01.08.2006 bis zum 19.08.2011 Eingliederungshilfe in Form der stationären Betreuung in der Einrichtung T zu bewilligen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es sei auf den Schwerpunkt der Behinderung abzustellen. Der Kläger leide im Schwerpunkt unter einer starken Lernbehinderung und autistischen Verhaltensmustern, die für das Vorliegen einer wesentlichen seelischen Behinderung verantwortlich seien. Daher seien die Bestimmungen über die Jugendhilfe vorrangig. Das Anerkenntnis der Leistungspflicht des Jugendamtes vom Juli 2006 sei rückwirkend zum 17.08.2003 erfolgt. Somit sei die Jugendhilfe schon vor Vollendung des 21. Lebensjahres gewährt worden und könne daher gemäß § 41 Abs. 1 Satz 2, Halbsatz 2 SGB VIII für einen begrenzten Zeitraum über das 21. Lebensjahr fortgesetzt werden.
Ferner erhob der Kläger während des laufenden Verfahrens S 2 SO 39/11 die weitere Klage S 2 SO 72/12, die die Gewährung von Eingliederungshilfe ab Vollendung des 27. Lebensjahres betrifft.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet. Der Kläger ist im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) beschwert. Denn der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 02.09.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.11.2010 ist rechtswidrig und der Kläger in seinen Rechten verletzt.
Die Leistungen waren hier zur Überzeugung der Kammer für den Kläger ab dem Aufnahmetag am 17.08.2003 als Eingliederungshilfe nach den sozialhilferechtlichen Bestimmungen zu erbringen. Dies ergibt sich aus der Zuständigkeitsabgrenzung des § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII. Zwar haben Kinder und Jugendliche nach § 35a Abs. 1 SGB VIII Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist. Auch diese Anspruchsgrundlage ist hier grundsätzlich erfüllt, weil der Kläger offenbar auch seelisch behindert ist. Dieser Anspruch ist aber nachrangig. Denn gemäß § 10 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII gehen Leistungen nach diesem (Achten) Buch Leistungen nach dem Zwölften Buch zwar im Grundsatz vor. § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII bestimmt jedoch eine Ausnahme. Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem Zwölften Buch für junge Menschen, die körperlich oder geistig behindert oder von einer solchen Behinderung bedroht sind, gehen jedoch Leistungen nach diesem (Achten) Buch vor. Der nach dem SGB XII vorrangige Anspruch des Klägers auf stationäre Heimunterbringung ergibt sich aus § 53 Abs.1 SGB XII (ab dem 01.01.2005) und der wortgleichen Vorgängerbestimmung des § 39 BSHG (für die Zeit vom 17.08.2003 bis zum 31.12.2004). Personen, die durch eine Behinderung im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, erhalten gemäß § 53 Abs. 1 SGB XII Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalls, insbesondere nach Art und Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Leistungen der Eingliederungshilfe sind gemäß § 54 SGB IX unter anderem die Leistungen nach §§ 26, 33, 41 und 55 des SGB IX. Als Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft werden gemäß § 55 SGB IX die Leistungen erbracht, die den behinderten Menschen die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft ermöglichen oder sichern ( ...). Leistungen nach § 55 Abs. 1 SGB IX sind gemäß Abs. 2 insbesondere ( ...) gemäß dortiger Ziffer 7 Hilfen zur Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben. Die nähere Ausgestaltung der Eingliederungshilfe ist in der EingliederungshilfeVO geregelt. Menschen sind gemäß § 2 Abs. 1 SGB IX behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft beeinträchtigt ist. Geistig wesentlich behindert im Sinne des § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII sind gemäß § 2 EingliederungshilfeVO Personen, die infolge einer Schwäche ihrer geistigen Kräfte in erheblichem Umfange in ihrer Fähigkeit zur Teilhabe am Leben in der Gesellschaft eingeschränkt sind. Der Kläger ist zur Überzeugung der Kammer geistig wesentlich behindert, da sein Intelligenzquotient 70 beträgt und damit in den Bereich der geistigen Behinderung fällt, der aus medizinischer Sicht bei einem IQ von 70 oder weniger vorliegt. Maßgeblich für die Abgrenzung zwischen der Jugendhilfe für seelisch behinderte Kinder oder Jugendliche und der Eingliederungshilfe für geistig behinderte Kinder oder Jugendliche anhand des § 10 Abs. 4 SGB VIII ist allein die Frage, ob der Hilfeempfänger auch geistig behindert ist. Das ist wie oben dargelegt der Fall. Die von der Beklagten vorgenommenen Erwägungen bei einem Menschen mit geistiger und seelischer Behinderung die Zuständigkeit danach zu bestimmen, ob das Verhalten und die daraus notwendige Heimunterbringung auf der geistigen oder der seelischen Behinderung beruhe, ist zur Überzeugung der Kammer schon nur mit erheblichem Aufwand möglich und für eine formale Zuständigkeitsabgrenzung, die eine andere Behördenzuständigkeit und sogar eine andere Rechtswegzuständigkeit auslöst (Ansprüche nach dem SGB VIII sind vor dem Verwaltungsgericht einzuklagen) nicht zeitnah durchführbar. Denn zur Überzeugung der Kammer ist es schlichtweg bestenfalls mit größtem medizinischen Aufwand feststellbar, wie ein Jugendlicher, der durch eine geistige Behinderung seine ihm auch noch widerfahrene seelische Behinderung in der Tendenz sicher noch schlechter aufarbeiten kann, hypothetisch betrachtet als ein geistig gesunder Jugendlicher die gleiche seelische Behinderung verarbeiten würde und ob sein Verhalten auch dann eine Heimunterbringung erfordern würde. Eine solche Auslegung der Norm über die Zuständigkeitsabgrenzung ist weder erforderlich noch geboten, da der Wortlaut des § 10 Abs. 4 SGB VIII lediglich das Vorliegen einer geistigen Behinderung und keine kompliziertere Abgrenzungsmethode verlangt. Eine Kausalität der geistigen Behinderung in Abgrenzung zu einer Kausalität der seelischen Behinderung für die Heimunterbringung verlangt § 10 Abs. 4 SGB VIII nicht. Und die vorrangige Anspruchsgrundlage des § 53 SGB XII ist dem Grunde nach bei jeder Art der Behinderung erfüllt, also sowohl bei rein geistiger als auch bei rein seelischer Behinderung. Die stationäre Unterbringung seelisch behinderter Jugendlicher ist also immer eine vollkongruente Teilmenge des Anwendungsgebiets des § 53 SGB XII. Bei rein seelisch behinderten Jugendlichen richtet sich die Zuständigkeit dann nach der Jugendhilfe, wie sich aus der allgemeinen Bestimmung des § 10 Abs. 4 Satz 1 SGB XII ergibt. Bei Vorliegen (auch) einer geistigen oder einer körperlichen Behinderung richtet sich die Zuständigkeit aufgrund des § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII hingegen nach dem SGB XII.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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