S 4 KN 20/12 U

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Duisburg (NRW)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 4 KN 20/12 U
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 4 U 472/12
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Die Klage wird abgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Anerkennung und Entschädigung einer Berufskrankheit nach der Nr. 2103 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) im Zugunstenverfahren.

Mit Bescheid vom 20.01.2004 lehnte die Beklagte erstmals die Anerkennung einer Berufskrankheit der Nr. 2103 der Berufskrankheitenliste (Erkrankungen durch Erschütterung bei Arbeit mit Druckluftwerkzeugen oder gleichartig wirkenden Werkzeugen oder Maschinen) bei dem 1958 geborenen Kläger mit der Begründung ab, die medizinischen Voraussetzungen würden nicht vorliegen. Den hiergegen gerichteten Widerspruch nahm der Kläger durch seine damaligen Bevollmächtigten mit Schreiben vom 06.05.2004 wieder zurück.

Mit Schreiben vom 09.11.2004 stellte er über seine neuen Bevollmächtigten einen Überprüfungs- und Verschlimmerungsantrag. Auf der Grundlage eines Gutachtens von Dr. B. vom 02.02.2005 stellte die Beklagte mit Bescheid vom 10.03.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.06.2006 fest, dass ein Anspruch auf Rücknahme des bestandskräftigen Bescheides vom 20.01.2004 und auf Entschädigung aus Anlass einer Berufskrankheit Nr. 2103 nicht bestehe. Die beim Kläger bestehende Daumensattelgelenksarthrose gehöre nicht zum Krankheitsbild der Berufskrankheit Nr. 2103. Im Rahmen einer hiergegen beim Sozialgericht Duisburg zum Az.: S 26 KN 6/05 U erhobenen Klage holte das Gericht von Amts wegen ein Gutachten von Dr. H. vom 18.11.2005 ein. Der Sachverständige Dr. H. wies darauf hin, dass die beim Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen (Daumensattelgelenksarthrose) einer Berufserkrankung nach Nr. 2103 in dieser isolierten Form in keiner Weise zuzuordnen seien. Sie seien auch nicht wesentlich durch eine Berufserkrankung mitverursacht worden. Nach gesicherten medizinisch-wissenschaftlichen und arbeitsmedizinisch-wissenschaftlichen Untersuchungen seien isolierte Daumensattelgelenksarthrosen nicht typisch für langjährige Arbeiten mit Druckluftwerkzeugen. Mit Urteil vom 12.12.2006 wies das Sozialgericht Duisburg die Klage unter Hinweis auf das Gutachten von Dr. H. ab. Im Rahmen einer hiergegen eingelegten Berufung beim LSG NRW (Az.: L 2 KN 24/07 U) holte das Gericht auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG ein Gutachten von Dr. Z. vom 20.11.2007 ein. Auch dieser Sachverständige gelangte zu dem Ergebnis, dass die beim Kläger vorliegende Daumensattelgelenksarthrose nicht Gegenstand der Berufskrankheit Nr. 2103 ist. Durch Urteil vom 29.01.2009 wies das LSG NRW die Berufung zurück und legte dem Kläger Mutwillenskosten in Höhe 225,00 Euro gem. § 192 SGG auf.

Mit Schreiben vom 30.07.2009 stellte der Kläger über seine Prozessbevollmächtigten einen weiteren Überprüfungsantrag gemäß § 44 SGB X. Mit Bescheid vom 22.09.2009 lehnte die Beklagte die Rücknahme des Bescheides vom 20.01.2004 ab, weil dieser nicht rechtswidrig sei. Den hiergegen eingelegten Widerspruch vom 26.10.2009 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 15.12.2009 zurück. Die Rücknahme eines bestandskräftigen Bescheides setze gemäß § 44 Abs. 1 SGB X voraus, dass infolge eines Rechtsanwendungsfehlers oder eines unrichtig angenommenen Sachverhaltes Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden seien. Die Behörde dürfe sich ohne jede Sachprüfung auf die Bindungswirkung berufen, wenn keine neuen Tatsachen oder Beweismittel vorgebracht würden oder aber ihre Überprüfung ergebe, dass die vorgebrachten Gesichtspunkte nicht tatsächlich vorliegen oder für die frühere Entscheidung nicht erheblich waren. Der Vortrag des Klägers sei nicht neu. Dazu habe das LSG NRW im Urteil vom 29.01.2009 ausgeführt, dass der Senat den medizinischen Sachverhalt umfassend aufgeklärt habe und es der Einholung anderer als medizinischer, insbesondere physiotherapeutisch / ergonomischer Gutachten nicht bedürfe.

Hiergegen hat der Kläger erneut Klage beim Sozialgericht Duisburg zum Az.: S 4 K 54/10 U erhoben. Mit Gerichtsbescheid vom 06.08.2010 wies das Sozialgericht die Klage als unbegründet unter Hinweis auf den Widerspruchsbescheid vom 15.12.2009 zurück. Der Kläger habe im Klageverfahren keine Anhaltspunkte dafür geliefert, dass der angegriffene Bescheid rechtswidrig sein sollte. Sein gesamtes Vorbringen sei bereits Gegenstand des Urteils des LSG vom 29.01.2009, Az.: L 2 KN 74/07 U gewesen. Neue Tatsachen oder Beweismittel seien nicht vorgetragen worden.

Im hiergegen eingelegten Berufungsverfahren vor dem LSG NRW, Az.: L 2 KN 279/10 U wies der Berichterstatter in der öffentlichen Sitzung des 2. Senats vom 05.05.2011 darauf hin, dass gegenüber der mit Urteil des erkennenden Senates vom 29.01.2009 beschrie-benen tatsächlichen Situation auch zwischenzeitlich keine Veränderung eingetreten sei. Insbesondere deswegen nicht, da auch zwischenzeitlich keinerlei Anhaltspunkte für das Vorliegen von medizinischen Erkenntnissen gegeben seien, die den Verordnungsgeber anzuhalten hätten, das Erkrankungsbild einer Daumensattelgelenksarthrose in das Erkrankungsbild der BK 2103 und somit in das Merkblatt mit aufzunehmen. Soweit seitens der Prozessbevollmächtigten des Klägers darauf hingewiesen werde, dass im Fundus ihrer Mandanten eine Vielzahl derartiger Erkrankungsbilder aufgetreten seien, werde den Prozessbevollmächtigten des Klägers anheim gestellt, sich diesbezüglich an den Verordnungsgeber zu wenden und eine Änderung der Verordnung anzuregen. Daraufhin erklärte die Bevollmächtigte des Klägers die Berufungsrücknahme.

Mit Schreiben vom 15.08.2011 beantragte der Kläger erneut die Entschädigung seiner Daumensattelgelenksarthrose im Rahmen eines Zugunstenbescheides. Es könne nicht sein, dass der offenkundige Arbeitsschaden angeblich als schicksalhaft abgetan werde. Die Daumensattelgelenksarthrose sei gehäuft bei Bergleuten feststellbar, und zwar als Erkrankungsbild einer Listenberufskrankheit. Deswegen sei es auch keineswegs die Frage an den Verordnungsgeber, weil die Berufskrankheit Nr. 2103 weit gefasst sei für die Entschädigung einschlägiger Fälle dieser Art.

Mit Bescheid vom 24.08.2011 lehnte die Beklagte die Einleitung eines Überprüfungsver-fahrens nach § 44 SGB X ab. Die Behörde dürfe sich ohne jede Sachprüfung auf die Bindungswirkung eines Bescheides berufen, wenn keine neuen Tatsachen oder Beweismittel vorgebracht würden oder aber ihre Überprüfung ergebe, dass die vorgebrachten Gesichtspunkte tatsächlich nicht vorliegen oder für die frühere Entscheidung nicht erheblich waren. Der Kläger habe keine neuen Tatsachen oder Beweismittel vorgebracht.

Hiergegen hat der Kläger Widerspruch erhoben und darauf verwiesen, dass im Tatsächlichen die arbeitstechnischen Voraussetzungen für Jahrzehnte der Bergbautätigkeit vorlägen. Die Berufsgenossenschaft dürfe den wesentlichen Zusammenhang nicht leugnen, wenn die arbeitstechnischen Voraussetzungen gegeben seien und das Zielorgan beschädigt sei nämlich die Daumensattelgelenke. Dies werde insbesondere dadurch verursacht, dass sich die Daumengelenke öffneten, wenn der Presslufthammer gegriffen werde. Es wäre die Rekonstruktion der Arbeitsbedingungen durch einen Physiotherapeuten angezeigt, der dann auch den Wirkungsmechanismus der Griffhaltung für die schädigende Einwirkung deutlich machen könne. Wie schwer der Schaden sei, erhelle sich daraus, dass bei dem Kläger schon eine porzellanprothetische Versorgung vorliege.

Mit Widerspruchsbescheid vom 07.12.2011 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Es bestehe kein Anspruch auf Rücknahme der bestandskräftigen Bescheide, mit denen die Anerkennung einer Berufskrankheit gemäß Nr. 2103 abgelehnt worden sei. Im vorliegenden Fall lägen die medizinischen Voraussetzungen zur Anerkennung einer BK 2103 weiterhin nicht vor. Die gehörten Gutachter hätten bestätigt, dass eine Daumensattelgelenksarthrose nicht zum Krankheitsbild der BK 2103 gehöre. Im Termin am 05.05.2011 vor dem LSG NRW habe der Vorsitzende ausgeführt, dass auch zwischenzeitlich keinerlei Anhaltspunkte für das Vorliegen von medizinischen Erkenntnissen gegeben seien, die den Verordnungsgeber anzuhalten hätten, das Erkrankungsbild einer Daumensattelgelenksarthrose in das Erkrankungsbild der Berufskrankheit Nr. 2103 und somit in das Merkblatt mit aufzunehmen.

Hiergegen hat der Kläger erneut binnen Monatsfrist Klage erhoben.

Zur Begründung führte er über seine Bevollmächtigten aus, bei der jahrzehntelange Belastung durch den Umgang mit einem Presslufthammer seien die Daumensattelgelenke geöffnet durch die Griffhaltung, so dass die Erschütterungen ungeschützt auf ihn einwirkten. Es sei gerade die offene Stellung der Daumensattelgelenke, die dann das Zielorgan ungeschützter Erschütterung aussetzten. Das Erkrankungsbild der Daumensattelgelenksarthrose brauche auch nicht in die Verordnung aufgenommen zu werden, weil die Berufskrankheit Nr. 2103 abstrakt generell gefasst sei, nämlich Erkrankungen durch Erschütterungen bei Arbeit mit Druckluftwerkzeugen oder gleichartig wirkenden Werkzeugen oder Maschinen.

Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 24.08.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.12.2011 zu verurteilen, die bestands-kräftigen Bescheide aufzuheben und dem Kläger aus Anlass einer BK 2103 eine Entschädigung insbesondere in Form der Verletztenrente und gegebe-nenfalls der Übergangsleistungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist zur Begründung auf ihren Widerspruchsbescheid.

Im Klageverfahren überreichte der Kläger über seine Bevollmächtigten ein Schreiben des Deutschen Bundestags, Petitionsausschuss vom 09.02.2012 nebst Anlage, auf dessen Inhalt verwiesen wird.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und die den Kläger betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten, die dem Gericht im Zeitpunkt der Entscheidung vorgelegen haben, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Nach § 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten sind vorher zu hören. Diese Voraussetzungen sind erfüllt.

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Kläger ist durch den angegriffenen Bescheid vom 24.08.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.12.2011 nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG beschwert, weil diese Bescheide nicht rechtswidrig sind. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, die bestandskräftigen Bescheide zurückzunehmen und eine BK 2103 anzuerkennen und zu entschädigen.

Die Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X liegen nämlich nicht vor. Die Prüfung des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X erfolgt im Rahmen eines Dreischritts:

Ergibt sich im Verlaufe des Überprüfungsverfahrens nichts, was für die Unrichtigkeit der Ausgangsentscheidung sprechen könnte, darf sich die zuständige Behörde ohne jede Sachprüfung auf die Bindungswirkung berufen. Werden zwar neue Tatsachen oder Er-kenntnisse vorgetragen und neue Beweismittel benannt, ergibt aber die Prüfung, dass die vorgebrachten Gesichtspunkte nicht tatsächlich vorliegen oder für die frühere Entscheidung nicht erheblich waren, darf sich die Verwaltung ebenfalls auf die Bindungswirkung stützen. Nur wenn die Prüfung zu dem Ergebnis führt, dass ursprünglich nicht beachtete Tatsachen oder Erkenntnisse vorliegen, die für die Entscheidung wesentlich sind, ist ohne Rücksicht auf die Bindungswirkung erneut zu entscheiden (vgl. BSGE 63, 33).

Dem vorliegenden Verfahren fehlt es bereits an einem Tatsachenvorbringen im Sinne des ersten Prüfungsschritts. Die Beklagte hatte seinerzeit den Anspruch des Klägers auf Anerkennung und Entschädigung der BK 2103 der Anlage zur BKV mangels Vorliegens der medizinischen Voraussetzungen abgelehnt, da die beim Kläger vorliegende Daumensattelgelenksarthrose nicht zum Erkrankungsbild der Berufskrankheit Nr. 2103 gehört. Das Landessozialgericht hat im seinerzeitigen Berufungsverfahren L 2 KN 24/07 nach medizinischer Beweisaufnahme diese Sichtweise ausdrücklich bestätigt, und darauf hingewiesen, dass es keine gesicherten medizinisch-wissenschaftlichen Erfahrungen gibt, dass langjährige Arbeit mit druckluftgefährdenden Werkzeugen speziell zu Daumensattelgelenksarthrosen führen. Bei der BK Nr. 2103 stehe das Ellenbogengelenk deutlich im Vordergrund und mit weitem Abstand dann das distale Speichengelenk und das Schultereckgelenk. Alle diese Gelenke zeigen jedoch bei dem Kläger radiologisch wie klinisch keine wesentlichen degenerativen Veränderungen, die über das Alter hinausgehen. Daher sei auch kein physiotherapeutisch / ergonomisches Gutachten zum Beweis der Schädigung durch die Pressluftarbeit einzuholen.

Bei dieser Sachlage ist im Rahmen des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X zu fordern, dass im Hinblick auf die arbeitstechnischen und medizinischen Voraussetzungen neue Tatsachen vorgebracht werden. An einem solchen neuen Tatsachenvorbringen fehlt es jedoch. Darüber hinaus ist es auch nicht ausreichend, dass sich eine andere Bewertung der im Ausgangsverfahren bekannten Tatsachen ergibt. Die Möglichkeit einer lediglich anderen Beweiswürdigung eröffnet die Sachprüfung im Rahmen des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X nicht (vgl. LSG NRW vom 18.02.2010: Az.: L 10 B 9/09).

Das Gericht sieht darüber hinaus nach § 105 Abs. 1 Satz 3, § 136 Abs. 3 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und verweist stattdessen auf die Begründung des Widerspruchsbescheides vom 07.12.2011, die es nach eigener Überprüfung der Sach- und Rechtslage für in vollem Umfang zutreffend erachtet.

Darüber hinaus muss die Auferlegung von Mutwillenskosten nach § 192 SGG der zweiten Instanz vorbehalten bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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