L 3 AS 828/11

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 18 AS 946/11
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AS 828/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Die Benennung des nicht statthaften Rechtsmittels Revision in Folge einer Falschbezeichnung ist dahingehend auszulegen, dass das statthafte Rechtsmittel Berufung gewollt ist.

2.a) Das Gebot effektiven Rechtsschutzes erfordert es, dass ein Antrag auf Erteilung der Zusicherung zum Umzug, der sich nach dem Umzug erledigt hat, in einen Antrag auf Übernahme der höheren
Unterkunftskosten für die neue Wohnung umgestellt werden kann, wenn der den Zeitpunkt des Umzuges betreffende Arbeitslosengeld II-Bescheid zu diesem Zeitpunkt bestandskräftig ist
b) Die Umstellung der Klage kann allerdings nur in Bezug auf den Bewilligungsbescheid erfolgen, in dessen
Leistungszeitraum der Monat fällt, zu dem die neue Wohnung als Unterkunft genutzt wird.

3.a) Ein Umzug ist erforderlich im Sinne des § 22 Abs. 4 Satz 2 SGB II, wenn er durch einen vernünftigen Grund gerechtfertigt ist, oder mit anderen Worten, wenn ein plausibler, nachvollziehbarer und verständlicher Grund vorliegt, von dem sich auch ein Nichthilfeempfänger leiten lassen würde. Es ist nicht ausreichend, wenn
der Umzug lediglich sinnvoll oder wünschenswert ist.
b) Aus dem Begriff der Erforderlichkeit folgt auch, dass ein vernünftiger Grund für den Umzug erst dann anerkannt werden kann, wenn das durch den vorgetragenen Grund definierte Ziel des Umzugs zumutbar nicht
auf andere Weise als durch einen Umzug erreicht werden kann

4. Ein Anspruch auf Übernahme von Kosten für Unterkunft und Heizung für eine neue Wohnung, die sich im Rahmen der Angemessenheit halten, jedoch höher sind als die Kosten für die bisherige Wohnung, besteht nur, wenn sich der Umzug als erforderlich erweist.

5.a) Gesundheitliche Beschwerde können die Erforderlichkeit eines Umzuges begründen.
b) Ein Umzug kann erforderlich sein, wenn ein Konflikt mit anderen Hausbewohnern nicht behebbar ist und auf Grund dessen ein weiterer Verbleib in der bisherigen Wohnung nicht zumutbar erscheint. Der Betroffene muss jedoch das zu Gebote stehende unternommen haben, um den Störungen Abhilfe zu schaffen oder zumindest für eine Beruhigung der Situation zu sorgen
c) Bei Mängeln am Mietobjekt kann einen Umzug erst erforderlich werden, wenn der Vermieter eine ihm obliegende Mängelbeseitigung ablehnt oder die Beseitigung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist oder dem Hilfebedürftigen, etwa wegen der Dauer oder des Umfangs der
Beseitigungsmaßnahmen oder nach mehreren fehlgeschlagenen Versuchen, die Fortsetzung des Mietverhältnisses nicht (mehr) zugemutet werden kann. Regelmäßig ist ein vernünftiger Umzugsgrund erst dann anzuerkennen, wenn ein Recht des Hilfebedürftigen zur außerordentlichen Kündigung des Mietvertrages besteht.
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 25. August 2011 wird zurückgewiesen.

II. Die außergerichtlichen Kosten des Klägers sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Erteilung einer Zusicherung zum Umzug wegen der höheren Kosten für seine neue Wohnung.

Der 1981 geborene, erwerbsfähige Kläger bezieht seit 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II). Mit Bescheid vom 21. Oktober 2010 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 26. März 2011 und 31. März 2011 wurden ihm Leistungen für den Zeitraum vom 1. Dezember 2010 bis zum 31. Mai 2011 in Höhe bewilligt, zuletzt in Höhe von monatlich 523,71 EUR bewilligt.

Der Kläger bewohnte eine 32,11 m² große Einraumwohnung mit einer Gesamtmiete in Höhe von 205,24 EUR. In einer "Erklärung zu den Gründen meines Umzugs" gab er am 11. Januar 2011 an, dass er "jetzt schon 12 Jahre in diesem Loch" wohne und "einfach mal nen Tapetenwechsel" brauche. "Mit den neuen Mietern (A )" habe er auch "keinen Bock mehr wie diese zu wohnen". Es sei sein gutes Recht, als Alleinstehender in eine 2-Raum-Wohnung mit 45 m² zu ziehen. Er legte ein Mietangebot der Grundstücks- und Gebäudewirtschafts-Gesellschaft m. b. H. (Chemnitz) für eine 40,24 m² große 2-Raum-Wohnung vor. Die Grundmiete sollte 200,00 EUR, die Vorauszahlungen auf die Betriebskosten sowie auf Heizung- und Warmwasser sollten jeweils 41,00 EUR betragen. Hinzu sollte eine Kaution in Höhe von 400,00 EUR kommen. Ebenfalls am 11. Januar 2011 stellte er einen Antrag auf Wohnungserstausstattung, bestehend aus eines Anbauwand, einem kompletten Schlafzimmer, einem Gefrierschrank, einer Küchenzeile, einer Waschmaschine (falls sie kaputt gehe), einem Teppich oder Auslegware "und halt so was man noch braucht."

Der Beklagte erließ unter dem 13. Januar 2011 drei Bescheide. Mit einem wurde die Zu-sicherung zur Übernahme des Unterkunftskosten, mit einem weiteren die Zusicherung zur Übernahme von Mietkaution, Umzugskosten und Wohnungsbeschaffungskosten abgelehnt. Die Ablehnungen wurden jeweils damit begründet, dass der Umzug nicht vom Leistungsträger veranlasst worden sei. Mit dem dritten Bescheid wurde der Antrag auf Wohnungserstausstattung mit der Begründung abgelehnt, dass die Voraussetzungen für eine gesonderte Erbringung von Leistungen auf der Grundlage von § 23 Abs. 1 SGB II nicht vorlägen.

Mit Schreiben vom 15. Januar 2011 legte der Kläger Widerspruch ein. Darin begehrte er die Zustimmung zum Umzug sowie eine Wohnungserstausstattung.

Der Beklagte wies den Widerspruch betreffend die Ablehnung der Zusicherung zum Umzug mit Widerspruchsbescheid vom 22. Februar 2011 (Az.-Zusatz W 462/11) zurück. Die vom Kläger angegebenen Gründe würden keinen Umzug rechtfertigen.

Der Kläger hat am 24. Februar 2011 Klage erhoben. In der Klageschrift sind seine drei Anliegen (Zustimmung zum Umzug, Übernahme der Umzugskosten, Wohnungserstausstattung) angesprochen. Der auf den oben bezeichneten Widerspruchsbescheid bezogene Klageteil ist unter dem Az. S 18 AS 946/11 geführt worden; das hierauf bezogene Be-rufungsverfahren ist das vorliegende. Die weiteren Klagen sind unter den Az. S 18 AS 975/11 (Beschwerdeverfahren unter Az. L 3 AS 519/12 NZB) und S 18 AS 1006/11 geführt worden.

Zum 1. April 2011 ist der Kläger in die neue Wohnung umgezogen.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 25. August 2011 abgewiesen. Der Wunsch des Klägers, eine größere Zweiraumwohnung zu bewohnen, begründe keine Notwendigkeit eines Umzugs.

Der Kläger hat am 28. August 2011 "Revision" eingelegt. Mit seiner 41 m² großen Wohnung und der monatlichen Gesamtmiete in Höhe von 282,00 EUR liege er unter den Grenzwerten der kommunalen Richtlinie von 45 m² für einen 1-Personen-Haushalt und einer Miete von 292,00 EUR.

Am 16. Dezember 2011 ist ein Erörterungstermin durchgeführt worden. Auf die Niederschrift wird verwiesen. Zu den Zuständen im vorherigen Wohnhaus hat der Kläger mit Schreiben vom 12. Januar 2012 folgende Angaben gemacht: demolierte Briefkästen, unsaubere und verwahrloste Keller, im Haus beschmierte Wände, keine regelmäßige und gründliche Hausordnung in den letzten Jahren. Ferner hat er die Kopie eines Schreibens an die Vermieterin vom 10. Oktober 2010 vorgelegt, in dem sich die Hausgemeinschaft über im Einzelnen bezeichnete Mängel beschwert hat.

Der Kläger hat es abgelehnt, eine Einverständniserklärung zu unterschreiben, auf Grund derer Auskünfte von der vormaligen Vermieterin hätten eingeholt werden können.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 25. August 2011 aufzuheben sowie den Bescheid vom 21. Oktober 2010 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 26. März 2011 und 31. März 2011 dahingehend abzuändern, dass der Beklagte die Kosten für Unterkunft und Heizung für seine Wohnung in der F -M -S , 0 Ch , ab 1. April 2011 in vollem Umfang übernimmt.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die Entscheidung des Sozialgerichtes für zutreffend.

In der mündlichen Verhandlung vom 21. Juni 2012 sind die ehemaligen Mitbewohner im früheren Wohnhaus des Klägers, M ... G , F P , H S und M V , als Zeugen vernommen worden. Wegen deren Aussagen wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten aus beiden Verfahrenszügen sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I. Das Rechtsmittelschreiben des Klägers vom 28. August 2011, in dem er "Revision" eingelegt hat, ist dahingehend auszulegen, dass er die Berufung einlegen wollte.

Die Revision steht den Beteiligten nach Maßgabe von § 160 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) nur gegen ein Urteil eines Landessozialgerichtes zu. Der Kläger wandte sich aber mit seinem Rechtsmittel gegen ein Urteil eines Sozialgerichtes und brachte zum Ausdruck, dass er die Überprüfung durch das zuständige Landessozialgericht wünscht. Dies ist vorliegend nur im Rahmen eines Berufungsverfahrens gemäß § 143 SGG möglich. Die Benennung der "Revision" im Rechtsmittelschreiben ist deshalb als bloße Falschbezeichnung zu verstehen. Die Benennung des nicht statthaften Rechtsmittels Revision ist dahingehend auszulegen, dass das statthafte Rechtsmittel Berufung gewollt ist (vgl. hierzu: Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz [10. Aufl., 2012], Vor § 143 Rdnr. 15a).

II. Wegen des inzwischen erfolgten Umzuges war der ursprüngliche Verpflichtungsantrag in einen Leistungsantrag umzustellen.

Der Kläger hat die Erteilung einer Zusicherung zur Berücksichtigung der Aufwendungen für die neue Unterkunft beantragt. Im Kern ist sein Begehren darauf gerichtet, dass der Beklagte die vollständigen Kosten für Unterkunft und Heizung für seine neue Wohnung übernimmt.

Die Rechtsgrundlagen für dieses Begehren finden sich in § 22 SGB II in der seit 1. Januar 2011 geltenden Fassung (vgl. Artikel 2 Nr. 31 des Gesetzes vom 24. März 2011 [BGBl. I S. 453]). Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind. Wenn sich nach einem nicht erforderlichen Umzug die angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung erhöhen, wird gemäß § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II nur der bisherige Bedarf anerkannt. Gemäß § 22 Abs. 4 Satz 1 SGB II soll vor Abschluss eines Vertrages über eine neue Unterkunft die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person die Zusicherung des für die Leistungserbringung bisher örtlich zuständigen kommunalen Trägers zur Berücksichtigung der Aufwendungen für die neue Unterkunft einholen. Der kommunale Träger ist gemäß § 22 Abs. 4 Satz 2 SGB II zur Zusicherung verpflichtet, wenn der Umzug erforderlich ist und die Aufwendungen für die neue Unterkunft angemessen sind; der für den Ort der neuen Unterkunft örtlich zuständige kommunale Träger ist zu beteiligen. Sofern die Voraussetzungen für die Erteilung der Zusicherung zum Umzug vorliegen sollten, könnten als Bedarfe für die Unterkunft im Sinne von § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II grundsätzlich auch die Kosten der Auszugsrenovierung für die bisherige Wohnung (vgl. BSG, Urteil vom 6. Oktober 2011 – B 14 AS 66/11 R – JURIS-Dokument Rdnr. 12; BSG, Urteil vom 24. November 2011 – B 14 AS 15/11 R – JURIS-Dokument Rdnr. 13) und die Kosten der Einzugsrenovierung für die neue Wohnung (vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2008 – B 4 AS 49/07 RBSGE 102, 194 ff. Rdnr. 24 f. = SozR 4-4200 § 22 Nr. 16 Rdnr. 24 f. = JURIS-Dokument Rdnr. 24 f.) übernommen werden.

Die in § 22 Abs. 4 SGB II (bis zum 31. Dezember 2010: § 22 Abs. 2 SGB II) vorgesehene Zusicherung zu den Aufwendungen vor dem Umzug in eine Wohnung ist im Gegensatz zu der des § 22 Abs. 6 SGB II (bis zum 31. Dezember 2010: § 22 Abs. 3 SGB II), die die Übernahme von Wohnungsbeschaffungskosten, Umzugskosten und der Mietkaution betrifft, keine Anspruchsvoraussetzung (vgl. BSG, Urteil vom 7. November 2006 – B 7b AS 10/06 RBSGE 97, 231 ff. [Rdnr. 27]. = SozR 4-4200 § 22 Nr. 2 Rdnr. 27 = JURIS-Dokument Rdnr. 27). Aus diesem Grund erledigt sich der ursprüngliche Antrag auf Erteilung der Zusicherung im Sinne von § 22 Abs. 4 SGB II durch den Umzug; für die Klage auf Erteilung der Zusicherung ist das Rechtsschutzbedürfnis entfallen (vgl. BSG, Urteil vom 6. April 2011 – B 4 AS 5/10 R – FEVS 63, 109 [111] = JURIS-Dokument Rdnr. 15; Sächs. LSG, Beschluss vom 26. Oktober 2009 – L 3 AS 20/09 – JURIS-Dokument Rdnr. 24; Berlit, in: Münder [Hrsg.], SGB II [4. Aufl., 2011], § 22 Rdnr. 124).

In einem solchen Fall ist über die Frage, ob die Zusicherung zu erteilen gewesen wäre, in einem anderen Streitverfahren zu entscheiden, in dem (zumindest auch) die Höhe der Unterkunftskosten streitig ist (vgl. BSG, Urteil vom 6. April 2011, a. a. O.) ist. Im Gegensatz zu dem Sachverhalt, der dem Urteil des Bundessozialgerichtes vom 6. April 2011 (Az.: B 4 AS 5/10 R) zugrunde lag, ist vorliegend allerdings der Bewilligungsbescheid vom 21. Oktober 2010 einschließlich der zwei Änderungsbescheide vom 26. März 2011 und 31.März 2011 bestandskräftig. Das Gebot effektiven Rechtsschutzes erfordert es deshalb, dass ein Antrag auf Erteilung der Zusicherung zum Umzug, der sich nach dem Umzug erledigt hat, in einen Antrag auf Übernahme der höheren Unterkunftskosten für die neue Wohnung umgestellt werden kann, wenn der den Zeitpunkt des Umzuges betreffende Arbeitslosengeld II-Bescheid zu diesem Zeitpunkt bestandskräftig ist (vgl. auch Piepenstock, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II [3. Aufl., 2011], § 22 Rdnr. 149). Denn dem Kläger stand bislang keine andere Möglichkeit offen, die begehrte Zusicherung oder eine sonstige Entscheidung über die Übernahme der höheren Unterkunftskosten für die neue Wohnung zu erlangen. Er hatte rechtzeitig den Antrag auf Erteilung der Zusicherung gestellt. Nach der Antragsablehnung konnte er eine abschließende, verbindliche, positive Entscheidung nur im Rahmen eines Rechtsbehelf- oder Rechtsmittelverfahrens erlangen, nicht aber in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes. Es gab für ihn keine Veranlassung – und zudem keine Erfolgsaussicht –, gegen den Bewilligungsbescheid vom 21. Oktober 2010 oder einen der beiden Änderungsbescheide vom 26. März 2011 und 31. März 2011 vorzugehen, weil die Bescheide rechtmäßig waren. Die mit dem Umzug verbundenen Kosten konnten in ihnen noch nicht berücksichtigt werden, weil er erst danach stattfand. Ein längeres Zuwarten auf das Anmieten der neuen Wohnung und damit verbunden dem Umzug bis zu einer etwaigen positiven Entscheidung im Klage- oder Rechtsmittelverfahren ist regelmäßig nicht möglich, weil dann die Wohnung an andere Mietinteressenten vergeben wird. Es wäre deshalb mit den Grundsätzen des effektiven Rechtsschutzes nicht vereinbar, wenn der Kläger in dieser Konstellation darauf verwiesen würde, das Verfahren auf Erteilung der Zusicherung nach § 22 Abs. 4 SGB II beenden und stattdessen einen weiteren Antrag nach § 44 des Sozialgesetzbuches Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) oder § 48 SGB X auf Abänderung des maßgebenden Arbeitslosengeld II-Bescheides stellen zu müssen.

Die Umstellung der Klage kann allerdings nur in Bezug auf den Bewilligungsbescheid erfolgen, in dessen Leistungszeitraum der Monat fällt, zu dem die neue Wohnung als Unterkunft genutzt wird. Dies ist vorliegend April 2012. In Bezug auf Bewilligungsbescheide für spätere Leistungszeiträume ist zu unterscheiden. Wenn die Bescheide noch nicht bestandskräftig sind, ist im Rechtsbehelf- oder Rechtsmittelverfahren auch der behauptete Anspruch auf Übernahme der vollen Kosten für Unterkunft und Heizung für die neue Wohnung zu beachten. Sofern die Bescheide – wie vorliegend – bestandskräftig geworden sein sollten, besteht nur noch die Möglichkeit, einen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X zu stellen.

III. Die in diesem Sinne zulässige Berufung ist unbegründet, weil es an der im Gesetz geforderten Erforderlichkeit des Umzugs fehlt und der Kläger demzufolge ab dem 1. April 2012 keinen Anspruch darauf hat, dass der Beklagte mehr als die bis dahin angefallenen und von ihm getragenen Unterkunftskosten übernimmt.

Ein Umzug ist erforderlich im Sinne des § 22 Abs. 4 Satz 2 SGB II, wenn er durch einen vernünftigen Grund gerechtfertigt ist, oder mit anderen Worten, wenn ein plausibler, nachvollziehbarer und verständlicher Grund vorliegt, von dem sich auch ein Nichthilfeempfänger leiten lassen würde (vgl. Sächs. LSG, Beschluss vom 16. April 2008 – L 3 B 136/08 AS-ER – JURIS-Dokument Rdnr. 7; Sächs. LSG, Beschluss vom 25. Januar 2010 – L 3 AS 700/09 B ER – JURIS-Dokument Rdnr. 37, m. w. N.; LSG Baden Württemberg, Urteil vom 17. Juli 2008 – L 7 AS 1300/08 – JURIS-Dokument Rdnr. 27, m. w. N; OVG der Freien Hansestadt Bremen, Beschluss vom 24. November 2008 – S 2 B 558/08, S 2 B 559/08 – JURIS-Dokument Rdnr. 12; vgl. Berlit, in: Münder [Hrsg.], SGB II [4. Aufl., 2012], § 22 Rdnr. 125, m. w. N.; Piepenstock, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II [3. Aufl., 2012], § 22 Rdnr. 151, m. w. N.). Es ist nicht ausreichend, wenn der Umzug lediglich sinnvoll oder wünschenswert ist (vgl. Sächs LSG, Beschlüsse vom 16. April 2008 und vom 25. Januar 2010, jeweils a. a. O.).

Aus dem Begriff der Erforderlichkeit folgt aber auch, dass ein vernünftiger Grund für den Umzug erst dann anerkannt werden kann, wenn das durch den vorgetragenen Grund definierte Ziel des Umzugs zumutbar nicht auf andere Weise als durch einen Umzug erreicht werden kann (vgl. Sächs. LSG, Beschluss vom 16. April 2008, a. a. O.; Sächs. LSG, Beschluss vom 25. Januar 2010 – L 3 AS 700/09 B ER – JURIS-Dokument Rdnr. 38; SG Berlin, Beschluss vom 25. Mai 2007 – S 63 AS 10511/07 ER – JURIS-Dokument Rdnr. 5). Dies korrespondiert mit der in § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB II festgelegten allgemeinen Obliegenheit des erwerbsfähigen Leistungsberechtigten zur Selbsthilfe. Danach ist der erwerbsfähige Leistungsberechtigte vor einer Leistungsgewährung auf die Ausschöpfung aller zumutbaren Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung seiner Hilfebedürftigkeit zu verweisen. Der erwerbsfähige Leistungsberechtigte soll zu "umfassender Eigen-aktivität" (vgl. Berlit, in: Münder [Hrsg.], SGB II [4. Aufl., 2012], § 2 Rdnr. 9, m. w. N.) angehalten werden. Hierzu gehört insbesondere die Verfolgung und Durchsetzung von Ansprüchen gegen andere (vgl. Berlit, a. a. O., § 2 Rdnr. 15).

Die vom Kläger angegebenen Gründe bewirken nicht die Erforderlichkeit eines Umzuges in dem beschriebenen Sinne.

1. Soweit der Kläger sinngemäß die Auffassung vertritt, dass er einen Anspruch als solchen darauf habe, umziehen zu dürfen, solange sich die Kosten für Unterkunft und Heizung im Rahmen der Angemessenheit halten, gibt es hierfür keine Anspruchsgrund-lage. Die Regelungen in § 22 SGB II machen vielmehr deutlich, dass der Gesetzgeber einen Leistungsberechtigten grundsätzlich darauf verweist, in der bisherigen Wohnung zu verbleiben. Höhere Unterkunftskosten – oder zusätzliche Kosten in Folge des Umzuges (z. B. Umzugskosten im Rahmen von § 22 Abs. 6 SGB II) – werden nur übernommen, wenn sich der Umzug als erforderlich erweist. Dem Leistungsberechtigten ist es zwar nicht verwehrt, auch bei fehlender Erforderlichkeit umzuziehen. Er muss jedoch die damit verbundenen (zusätzlichen) Kosten selbst tragen.

Soweit für die Gesetzeslage ab 1. Januar 2005 die Auffassung vertreten wurde, dass Leistungen in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen für eine neue Unterkunft auch dann zu erbringen waren, wenn diese höher waren als die für die bisher bewohnte Unterkunft, aber noch – nach allgemeinen Maßstäben – angemessen (vgl. z. B. LSG Berlin-Branden-burg; Beschluss vom 26. Juni 2006 – L 14 B 471/06 AS ER – JURIS-Dokument Rdnr.4; Berlit, in: Münder [Hrsg.], SGB II [2005], § 22 Rdnr. 56), ist diese Rechtsauffassung seit dem 1. August 2006 überholt. Denn an diesem Tag trat die Begrenzungsregelung in § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II in Kraft, wonach die Leistungen, wenn sich nach einem nicht erforderlichen Umzug die angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung erhöhen, weiterhin nur in Höhe der bis dahin zu tragenden Aufwendungen erbracht werden (vgl. Artikel 1 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. aa des Gesetzes vom 20. Juli 2006 [BGBl. I S. 1706]).

2. Ein Umzug ist erforderlich, wenn er durch den kommunalen Träger oder die SGB II-Behörde veranlasst worden ist (vgl. Piepenstock, a. a. O.). Für eine solche Veranlassung gibt es vorliegend keine Anhaltspunkte. Aus dem Computervermerk zur Vorsprache des Klägers am 6. Januar 2011 ergibt sich vielmehr, dass der Termin bei der Arbeitsvermittlung des Beklagten stattfand. Dort hatte sich der Kläger wegen Modalitäten zum Umzug erkundigt. Die Mitarbeiterin des Beklagten verwies in daraufhin in die Eingangszone, wo ein Termin mit der zuständigen Abteilung vereinbart werden könne. Der Kläger, dem der Computervermerk im Berufungsverfahren zur Kenntnis gegeben wurde, machte nicht geltend, dass der festgehaltene Gesprächsinhalt unzutreffend sei. Vielmehr beschrieb er den Geschehensablauf vom 6. Januar 2011 im Erörterungstermin vom 16. Dezember 2011 in den Grundzügen übereinstimmend.

3. Gesundheitliche Beschwerde können die Erforderlichkeit eines Umzuges begründen (vgl. hierzu z. B. Sächs. LSG, Beschluss vom 16. April 2008 – L 3 B 136/08 AS-ER – JURIS-Dokumant Rdnr. 6 ff.; vgl. auch BSG, Urteil vom 24. November 2011 – B 14 AS 107/10 R – JURIS-Dokumant Rdnr. 16). Für solche Beschwerde ist vorliegend jedoch nichts ersichtlich. Der Kläger gab im Erörterungstermin vom 16. Dezember 2011 diesbezüglich nur an, dass er im Laufe der Zeit fast depressiv geworden sei; er habe deswegen einen Tapetenwechsel gebraucht. Einen Arzt habe er aber nicht aufgesucht. Der Kläger hat danach den Gesichtspunkt der gesundheitlichen Beeinträchtigungen als Umzugsgrund auch nicht mehr aufgegriffen.

4. Der Kläger hat sich über andere Mitbewohner im früheren Wohnhaus beklagt. Vor diesem Hintergrund kann ein Umzug dann erforderlich sein, wenn ein Konflikt mit anderen Hausbewohnern nicht behebbar ist und auf Grund dessen ein weiterer Verbleib in der bisherigen Wohnung nicht zumutbar erscheint (vgl. Sächs. LSG, Beschluss vom 25. Januar 2010 – L 3 AS 700/09 B ER – JURIS-Dokument Rdnr. 46; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 6. Juni 2007 – L 28 B 676/07 AS ER, L 28 B 843/07 AS PKH – JURIS-Dokument Rdnr. 10; SG Berlin, Beschluss vom 25. Mai 2007 – S 63 AS 10511/07 ER – JURIS-Dokument Rdnr. 6; Berlit, a. a. O. § 22 Rdnr. 84).

Diesbezüglich legte der Kläger ein von ihm und dem Zeugen V unterschriebenes Schreiben vom 7. September 2009 vor. Darin beschwerten sich beide gegenüber der Vermieterin, dass Kinder einer Familie die Briefkästen und die Haustür mit Faserstift bemalt hätten. Der Kläger habe den kleinsten Sohn der Familie dabei gesehen und ihn aufge-fordert, es wieder abzuwischen. Dies sei auch geschehen. Die Fahrräder dieser Kinder stünden vor den gesamten Kellereingängen kreuz und quer, dass diese jedesmal weggeräumt werden müssten, wenn der Keller betreten werden solle. Die Kinder hätten sich am Baum vor dem Haus zu schaffen gemacht und etliche Äste abgerissen, die überall herumliegen würden. Schließlich wurden Schmierereien im Treppenhaus angesprochen, die aber niemandem zugeordnet werden könnten. Befragt nach den Problemen mit dieser Familie gab der Zeuge V in der mündlichen Verhandlung am 21. Juni 2012 allerdings nur noch an, dass im Haus mehrere Familien mit Kindern wohnten. Deshalb gebe es schon manchmal Probleme, zum Beispiel wegen umherliegendem Papier. Diese Art der Unordnung wurde auch von den anderen Zeugen bestätigt. Die Zeugen führten dies aber insbesondere darauf zurück, dass in dem Mietshaus mit 24 Wohneinheiten (je zwei 5-Raumwohnungen und zwei 1-Raumwohnungen auf einer Etage) etwa 30 Kinder leben würden, bei denen die elterliche Sorge unterschiedlich stark ausgeprägt sei. Eine bestimmte Familie wurde nicht verantwortlich gemacht.

Im Ergebnis der Beweisaufnahme ist somit festzustellen, dass die Wohnqualität des Klägers in seiner früheren Wohnung zwar beeinträchtigt war. Die Nachbarschaftsverhältnisse zwischen ihm und anderen waren jedoch nicht in dem eingangs beschriebenen Maße gestört, dass ihm ein weiterer Verbleib in der bisherigen Wohnung nicht zumutbar erscheinen wäre.

Selbst wenn es zu nennenswerten Konflikten im Haus, zumindest aber zwischen dem Kläger und einzelnen anderen Mietparteien, gekommen sein sollte, hätte der Kläger nicht dargelegt, dass er das zu Gebote stehende unternommen hätte, um den Störungen Abhilfe zu schaffen oder zumindest für eine Beruhigung der Situation zu sorgen (vgl. hierzu: Sächs. LSG, Beschluss vom 25. Januar 2010 – L 3 AS 700/09 B ER – JURIS-Dokument Rdnr. 57; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 6. Juni 2007 – L 28 B 676/07 AS ER, L 28 B 843/07 AS PKH – JURIS-Dokument Rdnr. 10; SG Berlin, Beschluss vom 25. Mai 2007 – S 63 AS 10511/07 ER – JURIS-Dokument Rdnr. 6; Berlit, a. a. O. § 22 Rdnr. 84). Soweit der Klägerin in diesem Zusammenhang das bereits erwähnte Schreiben vom 7. September 2009 an die Vermieterin vorlegte, ist im Verlaufe des Gerichtsverfahrens offen geblieben, ob und in welcher Weise die Vermieterin hierauf reagierte. Der Kläger konnte oder wollte hierzu keine Angaben machen. Die Vermieterin konnte nicht befragt werden, weil der Kläger sein Einverständnis hierzu nicht erteilte. Das Einverständnis des Klägers war jedoch erforderlich, weil sich im Zuge einer Befragung der Vermieterin, gegebenenfalls in der Form der Vernehmung eines Mitarbeiters, kaum hätte vermeiden lassen, dass Sozialdaten des Klägers offenbar geworden wären. So konnte bereits aus dem Namen des Beklagten ersehen werden, dass es sich um eine Angelegenheit nach dem SGB II handelt. Allein der Umstand des SGB II-Leistungsbezuges wird vom Bundessozialgericht schon als zu schützendes Sozialdatum angesehen (vgl. BSG, Urteil vom 25. Januar 2012 – B 14 AS 65/11 R – JURIS-Dokument Rdnr. 14).

5. Es verbleiben schließlich die behaupteten Mängel am Mietobjekt. Ein Umzug kann in solchen Fällen erst dann erforderlich werden, wenn der Vermieter eine ihm obliegende Mängelbeseitigung ablehnt oder die Beseitigung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist oder dem Hilfebedürftigen, etwa wegen der Dauer oder des Umfangs der Beseitigungsmaßnahmen oder nach mehreren fehlgeschlagenen Versuchen, nicht (mehr) zugemutet werden kann (vgl. Sächs. LSG, Beschluss vom 16. April 208 – L 3 B 136/08 AS-ER – JURIS-Dokument Rdnr. 8). Regelmäßig ist ein vernünftiger Umzugsgrund erst dann anzuerkennen, wenn ein Recht des Hilfebedürftigen zur außerordentlichen Kündigung des Mietvertrages nach § 543 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 oder Satz 2 Nr. 1 i. V. m. § 569 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) besteht (vgl. Sächs. LSG, a. a. O.).

Im Ergebnis der Beweisaufnahme konnte bestätigt werden, dass es Probleme mit der Hausordnung gab. Die Zeugen gaben hierzu aber auch übereinstimmend an, dass sich die Verhältnisse seit etwa Frühjahr 2011 gebessert hätten, als ein neuer Mitarbeiter für die Hausordnung eingesetzt worden sei. Für die Unordnung im Haus wurde von den Zeugen der Umstand benannt, dass im Mietshaus zahlreiche Kinder wohnen. Entsprechendes gilt auch für den Zustand des Treppenhauses, in dem vor einigen Wochen Malerarbeiten durchgeführt worden sind.

Die Zeugin G gab zudem an, dass ihr Briefkasten kaputt gewesen sei und ihre Klingel am Hauseingang nicht funktioniert habe. Wenn sie die Vermieterin angerufen habe, sei immer jemand gekommen. Der Zeuge P berichtete, dass eine Glasscheibe im Eingangsbereich ausgewechselt worden sei. Dies belegt, dass die Vermieterin bemüht ist, Schäden und Mängel zeitnah zu beseitigen.

6. Soweit der Kläger im Verfahren L 3 AS 519/12 NZB angegeben hat, dass er andere Bezieher von Arbeitslosengeld II kenne, deren Umzugskosten der Beklagte übernommen habe, kann daraus nicht die Erforderlichkeit des Umzugs des Klägers hergeleitete werden. Denn die Erforderlichkeit eines Umzuges hängt immer von den Umständen des Einzelfalles ab. Ihre Voraussetzungen sind in jedem Einzelfall gesondert zu prüfen.

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.

V. Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

Dr. Scheer Höhl Atanassov
Rechtskraft
Aus
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