Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 5 KR 103/08
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 31.08.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.02.2008 sowie des Bescheides vom 04.08.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.04.2010 verurteilt, die Klägerin von ihren Verbindlichkeiten gegenüber der Fa. F für die Anschaffung des Haarersatzes in 2008 und in 2010 in Höhe von 1.727,96 Euro frei zu stellen. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 2/3.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin die Kosten für die Anschaffung einer Perücke zu erstatten.
Die am 00.00.1936 geborene und bei der Beklagten gegen Krankheit versicherte Klägerin leidet unter einer vollständigen Haarlosigkeit des Kopfes. Es besteht lediglich ein Kranz von wenigen und sehr dünnen Haaren am Ansatz.
Die Klägerin war in der Vergangenheit regelmäßig mit einer maßangefertigten Echthaarperücke versorgt, deren Kosten die Beklagte übernommen hat. Soweit die Beklagte ihre Verpflichtung zur vollständigen Kostenübernahme der angeschafften Perücke verneint hatte, ist es nach Durchführung von gerichtlichen Verfahren jeweils zu Vergleichsregelungen gekommen.
Mit Attest vom 06.07.2007 bescheinigte der Arzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten X Q die Erforderlichkeit eines erneuten medizinischen Haarersatzes auf der Grundlage der bei der Klägerin bestehenden Alopecia totales mit irreversiblem Haarausfall. Die Fa. F, die über eine Zulassung nach §126 Sozialgesetzbuch, 5. Buch in der bis zum 31.03.2007 geltenden Fassung verfügt, erstellte am 15.08.2007 einen Kostenvoranschlag, wonach für die medizinische Maßanfertigung einer europäischen Echthaarperücke (vollhandgeknüpft) Kosten in Höhe von 2.285,00 Euro anfallen.
Am 31.08.2007 erteilte die Beklagte einen Bescheid, mit dem die Leistungspflicht zwar bestätigt wurde, die Klägerin müsse aber einen Vertragspartner der Beklagten in Anspruch nehmen. Die Fa. D, die eine Niederlassung in C unterhalte, biete Echthaarperücken zu einem Preis von 799,00 Euro an. Eine Zuzahlung des Versicherten sei dabei nicht erforderlich. Gleichzeitig bewilligte die Beklagte einen Kostenzuschuss für die Haarprothetik in Höhe von 800,00 Euro incl. Mehrwertsteuer.
Die Klägerin erhob hiergegen Widerspruch und führte zur Begründung aus, sie benötige Haarersatz, der geeignet sei, um die Behinderung auszugleichen. Der Verweis auf die Fa. D sei nicht zulässig. Über die konkrete Ausgestaltung des Hilfsmittels müsse eine ausgebildete Fachkraft entscheiden. Die Auswahl der Perücke könne nicht für jeden gleich sein, sondern müsse auf den Einzelfall bezogen erfolgen. Ferner müsse verhindert werden, dass sich die Klägerin als Betroffene aus dem Leben und der Gesellschaft zurück ziehe. Da die Kahlköpfigkeit eine entstellende Wirkung habe, müsse eine Perücke im Rahmen des unmittelbaren Behinderungsausgleichs dafür sorgen, dass der Umstand für Außenstehende nicht erkennbar sei. Vor diesem Hintergrund müsse die Perücke auch aus europäischem Echthaar gefertigt werden. Auf diese Weise sehe sie wesentlich natürlicher aus. Außerdem leide die Qualität asiatischen Echthaars auf Grund des Färbeprozesses erheblich, mit der Folge, dass die Tragedauer einer asiatischen Echthaarperücke wesentlich kürzer sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 13.02.2008 wurde der Widerspruch der Klägerin zurückgewiesen. Die Beklagte führte aus, eine qualitativ hochwertige und wirtschaftliche Versorgung könne durch die Bezuschussung mit einem Betrag in Höhe von 800,00 Euro erfolgen. Auf dieser Basis bestünden Vereinbarungen mit der Fa. D GmbH, so dass die Beklagte mit der Bewilligung dieses Betrages ihrer Leistungsverpflichtung vollständig nachgekommen sei. Mehrkosten müsse die Klägerin selbst tragen. Außerdem sei zu bedenken, dass der Leistungserbringer für die Klägerin eine fest verklebte Haarprothetik vorgesehen habe. Zu einer solchen Leistung sei die Beklagte ohnehin nicht verpflichtet. Auch bei Frauen komme im Falle des Haarverlustes lediglich eine Perückenversorgung in Betracht.
Mit Attest vom 13.07.2009 verordnete der Hautarzt X Q erneut medizinischen Haarersatz. Laut Kostenvoranschlag der Fa. F sollten Kosten in Höhe von 1.735,00 Euro anfallen. Erneut verwies die Beklagte mit Bescheid vom 04.08.2009 auf die Möglichkeit, kostengünstigere Perücken bei Vertragspartnern zu erhalten. Ein Zuschuss in Höhe von 852,04 Euro wurde bewilligt. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 08.04.2010 zurückgewiesen. Zur Begründung wiederholte die Beklagte im Wesentlichen ihre bereits vorgetragenen Argumente.
Gegen die Widerspruchsbescheide vom 13.02.2008 und 08.04.2010 hat die Klägerin Klage erhoben und zunächst beantragt, eine ausreichende, wirtschaftliche und zweckmäßige Versorgung sicherzustellen. Bereits nach Erteilung des angefochtenen Bescheides vom 31.08.2007 hat sich die Klägerin die Perücke von der Fa. F anfertigen lassen. Ausweislich der Rechnung vom 27.02.2008 sind ihr Kosten hierfür in Höhe von 1.685,00 Euro entstanden. Bei dem tatsächlich angefertigten Produkt handelt es sich um eine etwas abgeänderte Perücke gegenüber derjenigen, die im Kostenvoranschlag genannt war. Die Kosten hierfür waren daher auch auf Grund der finanziellen Situation der Klägerin etwas niedriger als zuvor von dem Leistungserbringer angekündigt. Die Neuversorgung erfolgte im April 2010. Ausweislich der Rechnung vom 07.04.2010 fielen hierfür Kosten in Höhe von 1.685,00 Euro an.
Die Klägerin war aufgrund ihrer finanziellen Situation nicht in der Lage, die Kosten für die Versorgung aufzubringen. Mit der Fa. F wurde eine Stundungsvereinbarung geschlossen.
Die Klägerin begehrt nunmehr die Freistellung von den Verbindlichkeiten gegenüber der Fa. F im Hinblick auf die für den Haarersatz (angeschafft im Jahr 2008 und 2010) angefallenen Kosten und führt zur Begründung aus, in der Rechtsprechung sei inzwischen anerkannt, dass die Krankenkassen nicht berechtigt seien, sich auf (geringfügige) Zuschüsse für die Beschaffung von Haarersatz zurückzuziehen, vielmehr dürfe der Perücke nicht angesehen werden, dass sie künstlich ist. Ihre Trägerin solle hierdurch nicht verkleidet, sondern natürlich aussehen.
Während des Gerichtsverfahrens hat die Klägerin mitgeteilt, dass ihr im Hinblick auf die notwendige Perückenversorgung im Jahr 2008 weitere Folgekosten in Höhe von 743,15 Euro entstanden sind. 498,15 Euro entfallen dabei auf notwendige Reinigungs- und Befestigungsmittel. Für die Instandhaltung sind Kosten in Höhe von 245,00 Euro aufgewendet worden (Reparatur des Haarersatzes im März 2010). Die Klägerin legt hierzu die Rechnungen der Fa. F vor. Hierzu hat die Beklagte am 21.03.2011 einen weiteren Bescheid erteilt, mit dem sie ihre Erstattungspflicht verneinte. Der Widerspruch der Klägerin ist mit Widerspruchsbescheid zurückgewiesen worden. Die hiergegen erhobene Klage war zunächst unter dem Aktenzeichen S 5 KR 397/11 anhängig. Im Verhandlungstermin vom 25.01.2012 hat das Gericht alle anhängigen Verfahren der Klägerin verbunden. Den Teil der Klage, der ursprünglich unter dem Aktenzeichen S 5 KR 397/11 anhängig war, hat die Klägerin zurückgenommen.
Sie beantragt nunmehr,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 31.08.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.02.2008 sowie des Bescheides vom 04.08.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.04.2010 zu verurteilen, die Klägerin von den Verbindlichkeiten gegenüber der Fa. F für die Anschaffung des Haarersatzes im Jahr 2008 und im Jahr 2010 in Höhe von 1.727,96 Euro freizustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie vertritt die Auffassung, die angefochtenen Bescheide entsprächen der Sach- und Rechtslage und seien daher nicht zu beanstanden. Zur Begründung bezieht sie sich zunächst auf ihre Ausführungen im Verwaltungsverfahren und weist nochmals darauf hin, dass die Versorgung mit einer Haarprothetik, d. h. einem fest verklebtem Haarersatz begehrt werde. Diese Maßnahme gehöre nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung. Sie nimmt insoweit Bezug auf die Ausführungen des Sozialgerichts Duisburg im Urteil vom 16.03.2007 (S 9 KR 242/06). Der der Klägerin bewilligte Betrag von 800,00 Euro bzw. 852,04 Euro entspräche dem Betrag, den die Beklagte mit Hilfsmittellieferanten, also mit zugelassenen Perückenmachern vereinbart habe.
Nach Durchführung eines ersten Erörterungstermins mit den Beteiligten hat die Klägerin darauf hingewiesen, dass sie auf Grund ihres Kopfumfangs von 56 cm keine konfektionierte Perücke tragen könne. Dies habe sie im Rahmen einer Anprobe festgestellt. Die verschiedensten Größen und Anfertigungen rutschten bereits nach wenigen Bewegungen vom Kopf. Außerdem könne wegen des nur noch sehr dünnen Haarkranzes eine Perücke nicht befestigt werden.
Das Gericht hat sodann eine Stellungnahme des Bundesverbandes der Zweithaareinzelhändler und zertifizierter Zweithaarpraxen (BVZ) eingeholt. Ferner hat das Gericht Befund- und Behandlungsberichte von X Q angefordert und die Fa. D angeschrieben, auf die die Beklagte als Vertragspartnerin verwiesen hatte. Auf die jeweiligen Stellungnahmen nimmt die Kammer Bezug.
Sodann hat das Gericht ein dermatologisches Gutachten und ein Gutachten eines Zweithaarspezialisten eingeholt. Auf Inhalt und Ergebnisse der am 07.12.2009 von dem Dermatologen Dr. I und am 07.09.2010 von dem Friseurmeister F1 vorgelegten Gutachten wird verwiesen. Im Verhandlungstermin vom 25.01.2012 hat der Sachverständige F1 sein Gutachten erläutert. Auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift wird insoweit ebenfalls verwiesen.
Wegen der weiteren Darstellung des Sachverhalts im übrigen nimmt die Kammer Bezug auf den Inhalt der Gerichtsakten und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten sowie die beigezogenen Verfahren mit den Aktenzeichen S 5 KR 13/06 und S 5 KR 10/06 ER.
Entscheidungsgründe:
Hinsichtlich des noch anhängigen Teils ist die Klage zulässig und begründet.
Die Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide vom 31.08.2007 und vom 04.08.2009 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 13.02.2008 und 08.04.2010 beschwert im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz, denn die Bescheide sind rechtswidrig.
Die Klägerin hat gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Freistellung von ihren Verbindlichkeiten gegenüber der Fa. F für die Anschaffung des Haarersatzes im Jahr 2008 und im Jahr 2010.
Das vom Sachleistungsprinzip geprägte System der gesetzlichen Krankenversicherung erlaubt eine Kostenerstattung nur auf der Grundlage des § 13 Abs. 3 Sozialgesetzbuch, 5. Buch (SGB V). Soweit die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder für den Fall, dass sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dem Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war.
Auch wenn die Klägerin selbst noch keine Kosten verauslagt hat und der von der Beklagten bewilligte Zuschuss sowohl für die Versorgung mit Haarersatz im Jahr 2008 als auch im Jahr 2010 an den Leistungserbringer ausgekehrt worden ist, ist die Klägerin einem Honoraranspruch der Fa. F in Höhe des jeweiligen Restbetrages ausgesetzt.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist anerkannt, dass § 13 Abs. 3 SGB V neben dem Kostenerstattungsbegehren einen Freistellungsanspruch enthält, wenn der Versicherte einer rechtsgültigen Zahlungsverpflichtung ausgesetzt ist (BSG, SozR 3-2500 § 13 Nr. 21). Ausweislich der Rechnungen vom 27.02.2008 und vom 07.04.2010 der Fa. F hat die Klägerin jeweils Haarersatz als Sonderanfertigung nach Muster zu einem Preis von insgesamt jeweils 1.685,00 Euro erhalten. Der Zuschuss der Krankenkasse wurde an den Leistungserbringer jeweils überwiesen, so dass Restkosten in Höhe des tenorierten Betrages offen sind.
Die Klägerin hat hierzu glaubhaft vorgetragen, eine Stundungsvereinbarung mit der Fa. F getroffen zu haben. Vor diesem Hintergrund hatte die Kammer keinen Zweifel daran, dass die Klägerin einer tatsächlichen Zahlungsverpflichtung ausgesetzt ist. Während im Jahr 2008 ausweislich der Rechnung der Fa. F trotz der Befreiung eine Zuzahlung der Klägerin in Höhe von 10,00 Euro einbehalten wurde (der Krankenkassenzuschuss wurde mit 790,00 Euro ausgewiesen), erfolgte im Kalenderjahr 2010 kein Einbehalt. Damit ist aus der Rechnung vom 27.02.2008 ein Rechnungsbetrag in Höhe von 895,00 Euro offen und aus der Rechnung vom 07.04.2010 ein Teilbetrag in Höhe von 832,96 (Bewilligung in Höhe von 852,04 Euro).
Die Klägerin kann von der Beklagten die Freistellung von den Verbindlichkeiten sowohl für die Versorgung im Jahr 2008 als auch im Jahr 2010 verlangen, da diese die Versorgung mit Haarersatz entsprechend dem Kostenvoranschlag der Fa. F jeweils zu Unrecht abgelehnt hat.
Nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V i.V.m. § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB ausgeschlossen sind.
Auch die Beklagte geht zutreffend davon aus, dass der vollständige Haarverlust, unter dem die Klägerin leidet, eine Krankheit im Sinne der genannten Vorschriften darstellt und die Klägerin deshalb Anspruch auf angemessene Versorgung durch Haarersatz hat.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 23.07.2002, B 3 KR 66/01 R) stellt der totale Haarverlust bei einer Frau eine Behinderung im Sinne des § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V dar. Die Klägerin ist deshalb in ihrer körperlichen Funktion beeinträchtigt, da eine solche nicht nur dann vorliegt, wenn es sich um den Verlust oder um Funktionsstörungen von Körperteilen wie Gliedmaßen und Sinnesorgane handelt. Vielmehr können auch Krankheiten und Verletzungen mit entstellender Wirkung hierunter fallen. Auch wenn die Kahlköpfigkeit nicht zum Verlust oder zur Störung einer motorischen oder geistigen Funktion führt, so bedeutet sie bei einer Frau, dass sie sich nicht mehr frei und unbefangen unter den Mitmenschen bewegen kann. Naturgemäß zieht daher eine kahlköpfige Frau ständig alle Blick auf sich und wird zum Objekt der Neugier (vgl. BSG aaO). Dies hat sich nach Auffassung der Kammer auch nicht dadurch geändert, dass der Haarschmuck einem ständigen gesellschaftlichen Wandel unterliegt. Auch wenn die Kahlköpfigkeit bei Männern eine gewisse Modeerscheinung darstellt und dieser Zustand zum Teil auch gewollt herbeigeführt wird, so lässt sich hieraus nicht ableiten, dass die entstellende Wirkung der Kahlköpfigkeit bei Frauen aufgehoben wird. Nach wie vor zieht der haarlose Kopf einer Frau die Blicke Anderer auf sich, auch wenn im Einzelfall auch Frauen auf den Haarschmuck verzichten und sich einer Rasur aus modischen Gründen unterziehen.
Ebenso wenig scheitert der Anspruch an der Ausnahmeregelung des § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Der Haarersatz stellt keinen allgemeinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens dar. Vielmehr wurde er sowohl im Jahr 2008 als auch im Jahr 2010 für die speziellen Bedürfnisse der Klägerin hergestellt. Eine Nutzung eines solchen Haarteils aus rein modischen Gründen ist ausgeschlossen.
Zutreffend weist die Beklagte darauf hin, dass sich der Anspruch allerdings nicht aus den in der Vergangenheit erfolgten Versorgungen durch die Beklagte herleiten lässt. Vielmehr ist bei jeder Bewilligung erneut zu prüfen, ob das begehrte Hilfsmittel weiterhin notwendig, geeignet und wirtschaftlich ist (BSG SozR3-2500 § 33 Nr. 21). Aus früheren Bewilligungen oder von der Beklagten akzeptierten Vergleichen kann die Klägerin daher den begehrten Freistellungsanspruch nicht ableiten.
Die Beklagte kann sich zur Verneinung ihrer Leistungspflicht nicht darauf berufen, dass die Klägerin einen Leistungserbringer in Anspruch genommen hat, der jedenfalls vorübergehend nicht Mitglied des Bundesverbandes für Zweithaarspezialisten war und damit auch kein Vertragspartner der Beklagten war.
Nach § 126 Abs. 1 SGB V dürfen Hilfsmittel an Versicherte nur auf der Grundlage von Verträgen nach § 127 Abs. 1, 2 und 3 SGB V abgegeben werden. § 126 Abs. 1 S. 2 SGB V legt fest, dass Vertragspartner der Krankenkassen nur Leistungserbringer sein können, die die Voraussetzungen für eine ausreichende, zweckmäßige und funktionsgerechte Herstellung, Abgabe und Anpassung der Hilfsmittel erfüllen. Hierzu gibt der Spitzenverband Bund der Krankenkassen Empfehlungen für eine einheitliche Anwendung der Anforderungen nach Satz 2 einschließlich der Fortbildung der Leistungserbringer ab.
Die Fa. F verfügt über eine Zulassung nach § 126 Abs. 1 SGB V in der bis zum 31.03.2007 geltenden Fassung, wonach für Leistungserbringer von Hilfsmitteln ein förmliches Zulassungsverfahren, das im Wesentlichen dem Zulassungsverfahren für Leistungserbringer von Heilmitteln (§ 124 SGB V a.F.) entsprach, vorgesehen war. Mit dem Übergang vom Zulassungsmodell zum Vertragsmodell geht zwar grundsätzlich eine Einschränkung der Wahlfreiheit der Versicherten auf die Leistungserbringer, die über vertragliche Beziehungen zu den gesetzlichen Krankenkassen verfügen, einher, jedoch bestimmt § 126 Abs. 2 SGB V, dass für diejenigen Leistungserbringer, die am 31.03.2007 über eine Zulassung nach § 126 SGB V in der zu diesem Zeitpunkt geltenden Fassung verfügten, die Voraussetzungen nach § 126 Abs. 1 Satz 2 SGB V bis zum 30.06.2010 als erfüllt gelten. Mit Einführung des § 126 Abs. 1 a SGB V, nach dem die Krankenkassen die Möglichkeit haben, ein Qualifizierungsverfahren einzuführen, mit dem sich die Leistungserbringer bestätigen lassen können, dass sie die Anforderungen des § 126 Abs. 1 Satz 1 erfüllen, war die Übergangsfrist des § 126 Abs. 2 SGB V um weitere sechs Monate verlängert worden (Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung GKV ORG WG vom 15.12.2008). Vor diesem Hintergrund durfte die Klägerin trotz fehlender vertraglicher Grundlage die Fa. F als Leistungserbringerin in Anspruch nehmen. Ob die Klägerin auch in Zukunft hierzu berechtigt sein kann, wird daran zu messen sein, ob die Beklagte Vertragsbeziehungen zu Leistungserbringern unterhält, die die Anforderungen an den von der Klägerin benötigten Haarersatz zu erfüllen vermögen.
Der von der Klägerin im Jahr 2008 und im Jahr 2010 gewählte Haarersatz entspricht den Voraussetzungen des § 33 Abs. 1 i.V.m. § 12 Abs. 1 SGB V. Insbesondere stellt sich der teilverklebte Haarersatz als ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich dar. Die Beklagte kann sich dem gegenüber nicht darauf berufen, dass sie nach der Bestimmung des § 12 Abs. 2 SGB V den Haarersatz als nicht notwendige oder unwirtschaftliche Leistung nicht finanzieren dürfe.
Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BSG zur Abgrenzung eines unmittelbaren Behinderungsausgleichs von einem mittelbaren Behinderungsausgleich (vgl. hierzu Urt. v. 18.05.2011, B 3 KR 12/10 R m.w.N., www.juris.de) kommt die Kammer zu dem Ergebnis, dass Haarersatz im Falle der weiblichen Kahlköpfigkeit von den Krankenkassen im Rahmen des mittelbaren Behinderungsausgleichs zur Verfügung zu stellen ist. Haarersatz stellt nämlich kein Körperersatzstück dar, das die ursprüngliche Funktion der ausgefallenen Körperfunktion unmittelbar ersetzt, sondern er dient der Beseitigung der indirekten Folge der Behinderung, nämlich der erstellenden Wirkung. Schließlich steht auch der Schutz vor Kälte und Hitze durch das üblicherweise vorhandene Haupthaar nicht im Vordergrund. Die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft, ohne ständig die Blicke anderer auf sich zu ziehen, soll durch das Tragen des Haarersatzes ermöglicht werden. Dies stellt die Beseitigung einer mittelbaren Folge der Behinderung dar, so dass die hierzu entwickelten Kriterien Anwendung finden müssen.
Im Rahmen des mittelbaren Behinderungsausgleichs schuldet die Krankenkasse lediglich einen Basisausgleich. Es geht nicht um einen Ausgleich im Sinne des vollständigen Gleichziehens mit den letztlich unbegrenzten Möglichkeiten eines nichtbehinderten Menschen. Denn Aufgabe der GKV ist in allen Fällen allein die medizinische Rehabilitation, also die möglichst weitgehende Wiederherstellung der Gesundheit und der Organfunktionen einschließlich der Sicherung des Behandlungserfolges, um ein selbstständiges Leben zu führen und die Anforderungen des Alltags meistern zu können. Ein Hilfsmittel zum mittelbaren Behinderungsausgleich ist daher von der GKV nur zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderungen im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betrifft. Nach ständiger Rechtsprechung gehören zu den allgemeinen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens das Gehen, Stehen, Sitzen, Liegen, Greifen, Sehen, Hören, Nahrungsaufnehmen, Ausscheiden, die elementare Körperpflege, das selbstständige Wohnen sowie die Erschließung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums (BSG aaO).
Da vorliegend die Krankheit der Klägerin an die körperliche Entstellung anknüpft, sind alle Grundbedürfnisse betroffen, soweit sie im öffentlichen Raum, im Beisein anderer Menschen wahrgenommen werden. Der Behinderungsausgleich wird erreicht, wenn der Verlust des natürlichen Haupthaares für einen unbefangenen Beobachter nicht sogleich erkennbar ist (BSG Urteil vom 23.07.2002, aaO). Die Klägerin hat daher Anspruch auf eine Versorgung, mit der es ihr ermöglicht wird, sich unter ihren Mitmenschen frei zu bewegen.
Diese Funktion erfüllt der Haarersatz der Fa. F.
Darüber hinaus muss sich die Klägerin nicht auf eine günstigere Möglichkeit insbesondere auf eine klassische Perückenversorgung verweisen lassen.
Der Beklagten ist zwar zuzugeben, dass sich der Versorgungsanspruch auf ein im Einzelfall ausreichendes, zweckmäßiges und wirtschaftliches Hilfsmittel richtet. Eine Opitmalversorgung oder gar Luxusversorgung schuldet die GKV nicht. Die Klägerin hat daher keinen Anspruch auf ein teureres Hilfsmittel, wenn eine kostengünstigere Versorgung für den angestrebten Nachteilsausgleich funktionell in gleicher Weise geeignet ist (BSG, Urteil vom 16.04.1998, SozR 3-2500 § 33 Nr. 26).
Entgegen der Auffassung der Beklagten handelt es sich bei dem gewählten Haarersatz jedoch nicht um ein solches Hilfsmittel, das lediglich Gebrauchsvorteile für die Klägerin beinhaltet, die sich auf einen besseren Komfort oder eine bessere Optik beschränken (BSG Urteil vom 06.06.2002, B 3 KR 68/01 R, SozR 3-2500 § 33 Nr. 44).
Die Beklagte verkennt nämlich bei ihrer Argumentation, dass die Klägerin auf Grund ihrer individuellen anatomischen Verhältnisse auf eine Versorgung wie sie von der Fa. F im Jahr 2008 und 2010 angefertigt wurde, angewiesen ist.
Dies hat der Sachverständige Friseurmeister U F1 für die Kammer gut nachvollziehbar dargelegt.
Der Kopf der Klägerin hat zunächst einen großen Umfang, darüber hinaus ist der Hinterkopf der Klägerin nicht abgerundet, sondern flach und geht auf Grund der körperlichen Konstitution unmittelbar in den Nacken über. Bereits diese anatomischen Verhältnisse lassen nach Auffassung der Kammer eine konfektionierte Perückenversorgung, auf die die Beklagte die Klägerin verweisen möchte, kaum möglich erscheinen. Gerade bei der Erforderlichkeit einer dauerhaften Versorgung muss darauf geachtet werden, dass der Haarersatz bei typischen Bewegungen im Rahmen der oben bezeichneten Grundbedürfnisse nicht verrutscht. Schließlich ist es das Ziel der Versorgung, die Kahlköpfigkeit vor den Blicken anderer zu verstecken. Eine Perücke, die bereits bei Drehbewegungen des Kopfes, die beispielsweise im Straßenverkehr erforderlich sind, droht zu verrutschen, erfüllt die erforderliche Funktion nicht. Der Sachverständige hat darüber hinaus in seinem Gutachten und in seinen ergänzenden Erläuterungen im Verhandlungstermin vom 25.01.2012 dargelegt, dass eine Befestigung der Perücke bei der Klägerin nicht möglich ist. Üblicherweise werden konfektionierte Perücken mit Spangen oder Clips an dem noch vorhandenen Resthaar befestigt. Dieses ist bei der Klägerin allerdings so dünn, dass ein sicherer Halt nicht gewährleistet ist. Vor diesem Hintergrund ist für die Kammer gut nachvollziehbar, dass im Falle der Klägerin anders als bei vielen anderen weiblichen Versicherten, die unter einer Alopezia totales leiden eine maßangefertigte Zweithaarversorgung erforderlich ist.
Die Beklagte kann sich darüber hinaus auch nicht darauf berufen, dass die Versorgung mit festverklebtem Haarersatz kein Hilfsmittel im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung darstellt. In diesem Zusammenhang verkennt sie bereits, dass die Funktion - nämlich die Beseitigung der entstellenden Wirkung - im Vordergrund der Versorgung steht. Kommt eine konfektionierte Perücke hierfür nicht Betracht, muss die gesetzliche Krankenkasse das im Einzelfall notwendige und geeignete Hilfsmittel zur Verfügung stellen. Ein gesetzlicher Ausschluss für verklebte Haarteile existiert nicht. Vielmehr kommt es stets auf die individuellen Bedürfnisse des Versicherten an (vgl. LSG Sachsen-Anhalt Urteil vom 21.01.2010, L 10 KR 22/07). Soweit sich die Beklagte zur Begründung ihrer Argumentation auf eine Entscheidung des Sozialgerichts Duisburg vom 16.03.2007 (S 9 KR 242/06) beruft, ist anzumerken, dass in dem dort zu entscheidenden Fall die Möglichkeit bestand, andere Befestigungsmöglichkeiten zu ergreifen. Die sichere Befestigung ist im Falle der Klägerin, wie sich aus dem Sachverständigengutachten überzeugend ergibt, ausgeschlossen, so dass die individuellen Verhältnisse der Klägerin den hier geltend gemachten Versorgungsanspruch begründen.
Ferner ist nach Auffassung der Kammer auf die Wirtschaftlichkeit der von der Klägerin begehrten Versorgung hinzuweisen. Selbst unter Berücksichtigung der bestehenden Verträge ist eine Versorgung für Dauerträgerinnen mit konfektionierten Perücken ca. alle 12 Monate erforderlich. Die Klägerin hingegen behandelt - dies zeigt die lange Nutzungsdauer der Haarteile in der Vergangenheit - die ihr zur Verfügung gestellten Hilfsmittel sehr pfleglich und wendet eigene Kosten auf, um die Langlebigkeit des Haarersatzes zu erhalten. Bedenkt man, dass sie den Haarersatz von 2008 über einen Zeitraum von 31 Monaten getragen hat und auch danach eine weitere Nutzung als Ersatz für den Fall einer erforderlichen Reparatur des neuen Haarteils möglich ist, kann sich die Beklagte auf Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkte zur Begründung des von ihr bewilligten Zuschusses nicht stützen. Der Sachverständige hat auch in diesem Zusammenhang überzeugend dargelegt, dass bei pfleglicher Behandlung mit einer langen Nutzungszeit zu rechnen ist, so dass eine Versorgung, wie die Klägerin sie begehrt hat, letztlich auch für die Beklagte eine kostengünstige Alternative darstellt.
Der Klage war daher stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG und berücksichtigt den Umstand, dass die Klägerin erst im Verhandlungstermin die Klage im Hinblick auf die aufgewendeten Instandhaltungs- und Pflegekosten - insoweit war der Beschaffungsweg bereits nicht eingehalten - zurückgezogen hat.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin die Kosten für die Anschaffung einer Perücke zu erstatten.
Die am 00.00.1936 geborene und bei der Beklagten gegen Krankheit versicherte Klägerin leidet unter einer vollständigen Haarlosigkeit des Kopfes. Es besteht lediglich ein Kranz von wenigen und sehr dünnen Haaren am Ansatz.
Die Klägerin war in der Vergangenheit regelmäßig mit einer maßangefertigten Echthaarperücke versorgt, deren Kosten die Beklagte übernommen hat. Soweit die Beklagte ihre Verpflichtung zur vollständigen Kostenübernahme der angeschafften Perücke verneint hatte, ist es nach Durchführung von gerichtlichen Verfahren jeweils zu Vergleichsregelungen gekommen.
Mit Attest vom 06.07.2007 bescheinigte der Arzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten X Q die Erforderlichkeit eines erneuten medizinischen Haarersatzes auf der Grundlage der bei der Klägerin bestehenden Alopecia totales mit irreversiblem Haarausfall. Die Fa. F, die über eine Zulassung nach §126 Sozialgesetzbuch, 5. Buch in der bis zum 31.03.2007 geltenden Fassung verfügt, erstellte am 15.08.2007 einen Kostenvoranschlag, wonach für die medizinische Maßanfertigung einer europäischen Echthaarperücke (vollhandgeknüpft) Kosten in Höhe von 2.285,00 Euro anfallen.
Am 31.08.2007 erteilte die Beklagte einen Bescheid, mit dem die Leistungspflicht zwar bestätigt wurde, die Klägerin müsse aber einen Vertragspartner der Beklagten in Anspruch nehmen. Die Fa. D, die eine Niederlassung in C unterhalte, biete Echthaarperücken zu einem Preis von 799,00 Euro an. Eine Zuzahlung des Versicherten sei dabei nicht erforderlich. Gleichzeitig bewilligte die Beklagte einen Kostenzuschuss für die Haarprothetik in Höhe von 800,00 Euro incl. Mehrwertsteuer.
Die Klägerin erhob hiergegen Widerspruch und führte zur Begründung aus, sie benötige Haarersatz, der geeignet sei, um die Behinderung auszugleichen. Der Verweis auf die Fa. D sei nicht zulässig. Über die konkrete Ausgestaltung des Hilfsmittels müsse eine ausgebildete Fachkraft entscheiden. Die Auswahl der Perücke könne nicht für jeden gleich sein, sondern müsse auf den Einzelfall bezogen erfolgen. Ferner müsse verhindert werden, dass sich die Klägerin als Betroffene aus dem Leben und der Gesellschaft zurück ziehe. Da die Kahlköpfigkeit eine entstellende Wirkung habe, müsse eine Perücke im Rahmen des unmittelbaren Behinderungsausgleichs dafür sorgen, dass der Umstand für Außenstehende nicht erkennbar sei. Vor diesem Hintergrund müsse die Perücke auch aus europäischem Echthaar gefertigt werden. Auf diese Weise sehe sie wesentlich natürlicher aus. Außerdem leide die Qualität asiatischen Echthaars auf Grund des Färbeprozesses erheblich, mit der Folge, dass die Tragedauer einer asiatischen Echthaarperücke wesentlich kürzer sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 13.02.2008 wurde der Widerspruch der Klägerin zurückgewiesen. Die Beklagte führte aus, eine qualitativ hochwertige und wirtschaftliche Versorgung könne durch die Bezuschussung mit einem Betrag in Höhe von 800,00 Euro erfolgen. Auf dieser Basis bestünden Vereinbarungen mit der Fa. D GmbH, so dass die Beklagte mit der Bewilligung dieses Betrages ihrer Leistungsverpflichtung vollständig nachgekommen sei. Mehrkosten müsse die Klägerin selbst tragen. Außerdem sei zu bedenken, dass der Leistungserbringer für die Klägerin eine fest verklebte Haarprothetik vorgesehen habe. Zu einer solchen Leistung sei die Beklagte ohnehin nicht verpflichtet. Auch bei Frauen komme im Falle des Haarverlustes lediglich eine Perückenversorgung in Betracht.
Mit Attest vom 13.07.2009 verordnete der Hautarzt X Q erneut medizinischen Haarersatz. Laut Kostenvoranschlag der Fa. F sollten Kosten in Höhe von 1.735,00 Euro anfallen. Erneut verwies die Beklagte mit Bescheid vom 04.08.2009 auf die Möglichkeit, kostengünstigere Perücken bei Vertragspartnern zu erhalten. Ein Zuschuss in Höhe von 852,04 Euro wurde bewilligt. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 08.04.2010 zurückgewiesen. Zur Begründung wiederholte die Beklagte im Wesentlichen ihre bereits vorgetragenen Argumente.
Gegen die Widerspruchsbescheide vom 13.02.2008 und 08.04.2010 hat die Klägerin Klage erhoben und zunächst beantragt, eine ausreichende, wirtschaftliche und zweckmäßige Versorgung sicherzustellen. Bereits nach Erteilung des angefochtenen Bescheides vom 31.08.2007 hat sich die Klägerin die Perücke von der Fa. F anfertigen lassen. Ausweislich der Rechnung vom 27.02.2008 sind ihr Kosten hierfür in Höhe von 1.685,00 Euro entstanden. Bei dem tatsächlich angefertigten Produkt handelt es sich um eine etwas abgeänderte Perücke gegenüber derjenigen, die im Kostenvoranschlag genannt war. Die Kosten hierfür waren daher auch auf Grund der finanziellen Situation der Klägerin etwas niedriger als zuvor von dem Leistungserbringer angekündigt. Die Neuversorgung erfolgte im April 2010. Ausweislich der Rechnung vom 07.04.2010 fielen hierfür Kosten in Höhe von 1.685,00 Euro an.
Die Klägerin war aufgrund ihrer finanziellen Situation nicht in der Lage, die Kosten für die Versorgung aufzubringen. Mit der Fa. F wurde eine Stundungsvereinbarung geschlossen.
Die Klägerin begehrt nunmehr die Freistellung von den Verbindlichkeiten gegenüber der Fa. F im Hinblick auf die für den Haarersatz (angeschafft im Jahr 2008 und 2010) angefallenen Kosten und führt zur Begründung aus, in der Rechtsprechung sei inzwischen anerkannt, dass die Krankenkassen nicht berechtigt seien, sich auf (geringfügige) Zuschüsse für die Beschaffung von Haarersatz zurückzuziehen, vielmehr dürfe der Perücke nicht angesehen werden, dass sie künstlich ist. Ihre Trägerin solle hierdurch nicht verkleidet, sondern natürlich aussehen.
Während des Gerichtsverfahrens hat die Klägerin mitgeteilt, dass ihr im Hinblick auf die notwendige Perückenversorgung im Jahr 2008 weitere Folgekosten in Höhe von 743,15 Euro entstanden sind. 498,15 Euro entfallen dabei auf notwendige Reinigungs- und Befestigungsmittel. Für die Instandhaltung sind Kosten in Höhe von 245,00 Euro aufgewendet worden (Reparatur des Haarersatzes im März 2010). Die Klägerin legt hierzu die Rechnungen der Fa. F vor. Hierzu hat die Beklagte am 21.03.2011 einen weiteren Bescheid erteilt, mit dem sie ihre Erstattungspflicht verneinte. Der Widerspruch der Klägerin ist mit Widerspruchsbescheid zurückgewiesen worden. Die hiergegen erhobene Klage war zunächst unter dem Aktenzeichen S 5 KR 397/11 anhängig. Im Verhandlungstermin vom 25.01.2012 hat das Gericht alle anhängigen Verfahren der Klägerin verbunden. Den Teil der Klage, der ursprünglich unter dem Aktenzeichen S 5 KR 397/11 anhängig war, hat die Klägerin zurückgenommen.
Sie beantragt nunmehr,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 31.08.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.02.2008 sowie des Bescheides vom 04.08.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.04.2010 zu verurteilen, die Klägerin von den Verbindlichkeiten gegenüber der Fa. F für die Anschaffung des Haarersatzes im Jahr 2008 und im Jahr 2010 in Höhe von 1.727,96 Euro freizustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie vertritt die Auffassung, die angefochtenen Bescheide entsprächen der Sach- und Rechtslage und seien daher nicht zu beanstanden. Zur Begründung bezieht sie sich zunächst auf ihre Ausführungen im Verwaltungsverfahren und weist nochmals darauf hin, dass die Versorgung mit einer Haarprothetik, d. h. einem fest verklebtem Haarersatz begehrt werde. Diese Maßnahme gehöre nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung. Sie nimmt insoweit Bezug auf die Ausführungen des Sozialgerichts Duisburg im Urteil vom 16.03.2007 (S 9 KR 242/06). Der der Klägerin bewilligte Betrag von 800,00 Euro bzw. 852,04 Euro entspräche dem Betrag, den die Beklagte mit Hilfsmittellieferanten, also mit zugelassenen Perückenmachern vereinbart habe.
Nach Durchführung eines ersten Erörterungstermins mit den Beteiligten hat die Klägerin darauf hingewiesen, dass sie auf Grund ihres Kopfumfangs von 56 cm keine konfektionierte Perücke tragen könne. Dies habe sie im Rahmen einer Anprobe festgestellt. Die verschiedensten Größen und Anfertigungen rutschten bereits nach wenigen Bewegungen vom Kopf. Außerdem könne wegen des nur noch sehr dünnen Haarkranzes eine Perücke nicht befestigt werden.
Das Gericht hat sodann eine Stellungnahme des Bundesverbandes der Zweithaareinzelhändler und zertifizierter Zweithaarpraxen (BVZ) eingeholt. Ferner hat das Gericht Befund- und Behandlungsberichte von X Q angefordert und die Fa. D angeschrieben, auf die die Beklagte als Vertragspartnerin verwiesen hatte. Auf die jeweiligen Stellungnahmen nimmt die Kammer Bezug.
Sodann hat das Gericht ein dermatologisches Gutachten und ein Gutachten eines Zweithaarspezialisten eingeholt. Auf Inhalt und Ergebnisse der am 07.12.2009 von dem Dermatologen Dr. I und am 07.09.2010 von dem Friseurmeister F1 vorgelegten Gutachten wird verwiesen. Im Verhandlungstermin vom 25.01.2012 hat der Sachverständige F1 sein Gutachten erläutert. Auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift wird insoweit ebenfalls verwiesen.
Wegen der weiteren Darstellung des Sachverhalts im übrigen nimmt die Kammer Bezug auf den Inhalt der Gerichtsakten und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten sowie die beigezogenen Verfahren mit den Aktenzeichen S 5 KR 13/06 und S 5 KR 10/06 ER.
Entscheidungsgründe:
Hinsichtlich des noch anhängigen Teils ist die Klage zulässig und begründet.
Die Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide vom 31.08.2007 und vom 04.08.2009 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 13.02.2008 und 08.04.2010 beschwert im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz, denn die Bescheide sind rechtswidrig.
Die Klägerin hat gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Freistellung von ihren Verbindlichkeiten gegenüber der Fa. F für die Anschaffung des Haarersatzes im Jahr 2008 und im Jahr 2010.
Das vom Sachleistungsprinzip geprägte System der gesetzlichen Krankenversicherung erlaubt eine Kostenerstattung nur auf der Grundlage des § 13 Abs. 3 Sozialgesetzbuch, 5. Buch (SGB V). Soweit die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder für den Fall, dass sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dem Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war.
Auch wenn die Klägerin selbst noch keine Kosten verauslagt hat und der von der Beklagten bewilligte Zuschuss sowohl für die Versorgung mit Haarersatz im Jahr 2008 als auch im Jahr 2010 an den Leistungserbringer ausgekehrt worden ist, ist die Klägerin einem Honoraranspruch der Fa. F in Höhe des jeweiligen Restbetrages ausgesetzt.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist anerkannt, dass § 13 Abs. 3 SGB V neben dem Kostenerstattungsbegehren einen Freistellungsanspruch enthält, wenn der Versicherte einer rechtsgültigen Zahlungsverpflichtung ausgesetzt ist (BSG, SozR 3-2500 § 13 Nr. 21). Ausweislich der Rechnungen vom 27.02.2008 und vom 07.04.2010 der Fa. F hat die Klägerin jeweils Haarersatz als Sonderanfertigung nach Muster zu einem Preis von insgesamt jeweils 1.685,00 Euro erhalten. Der Zuschuss der Krankenkasse wurde an den Leistungserbringer jeweils überwiesen, so dass Restkosten in Höhe des tenorierten Betrages offen sind.
Die Klägerin hat hierzu glaubhaft vorgetragen, eine Stundungsvereinbarung mit der Fa. F getroffen zu haben. Vor diesem Hintergrund hatte die Kammer keinen Zweifel daran, dass die Klägerin einer tatsächlichen Zahlungsverpflichtung ausgesetzt ist. Während im Jahr 2008 ausweislich der Rechnung der Fa. F trotz der Befreiung eine Zuzahlung der Klägerin in Höhe von 10,00 Euro einbehalten wurde (der Krankenkassenzuschuss wurde mit 790,00 Euro ausgewiesen), erfolgte im Kalenderjahr 2010 kein Einbehalt. Damit ist aus der Rechnung vom 27.02.2008 ein Rechnungsbetrag in Höhe von 895,00 Euro offen und aus der Rechnung vom 07.04.2010 ein Teilbetrag in Höhe von 832,96 (Bewilligung in Höhe von 852,04 Euro).
Die Klägerin kann von der Beklagten die Freistellung von den Verbindlichkeiten sowohl für die Versorgung im Jahr 2008 als auch im Jahr 2010 verlangen, da diese die Versorgung mit Haarersatz entsprechend dem Kostenvoranschlag der Fa. F jeweils zu Unrecht abgelehnt hat.
Nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V i.V.m. § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB ausgeschlossen sind.
Auch die Beklagte geht zutreffend davon aus, dass der vollständige Haarverlust, unter dem die Klägerin leidet, eine Krankheit im Sinne der genannten Vorschriften darstellt und die Klägerin deshalb Anspruch auf angemessene Versorgung durch Haarersatz hat.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 23.07.2002, B 3 KR 66/01 R) stellt der totale Haarverlust bei einer Frau eine Behinderung im Sinne des § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V dar. Die Klägerin ist deshalb in ihrer körperlichen Funktion beeinträchtigt, da eine solche nicht nur dann vorliegt, wenn es sich um den Verlust oder um Funktionsstörungen von Körperteilen wie Gliedmaßen und Sinnesorgane handelt. Vielmehr können auch Krankheiten und Verletzungen mit entstellender Wirkung hierunter fallen. Auch wenn die Kahlköpfigkeit nicht zum Verlust oder zur Störung einer motorischen oder geistigen Funktion führt, so bedeutet sie bei einer Frau, dass sie sich nicht mehr frei und unbefangen unter den Mitmenschen bewegen kann. Naturgemäß zieht daher eine kahlköpfige Frau ständig alle Blick auf sich und wird zum Objekt der Neugier (vgl. BSG aaO). Dies hat sich nach Auffassung der Kammer auch nicht dadurch geändert, dass der Haarschmuck einem ständigen gesellschaftlichen Wandel unterliegt. Auch wenn die Kahlköpfigkeit bei Männern eine gewisse Modeerscheinung darstellt und dieser Zustand zum Teil auch gewollt herbeigeführt wird, so lässt sich hieraus nicht ableiten, dass die entstellende Wirkung der Kahlköpfigkeit bei Frauen aufgehoben wird. Nach wie vor zieht der haarlose Kopf einer Frau die Blicke Anderer auf sich, auch wenn im Einzelfall auch Frauen auf den Haarschmuck verzichten und sich einer Rasur aus modischen Gründen unterziehen.
Ebenso wenig scheitert der Anspruch an der Ausnahmeregelung des § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Der Haarersatz stellt keinen allgemeinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens dar. Vielmehr wurde er sowohl im Jahr 2008 als auch im Jahr 2010 für die speziellen Bedürfnisse der Klägerin hergestellt. Eine Nutzung eines solchen Haarteils aus rein modischen Gründen ist ausgeschlossen.
Zutreffend weist die Beklagte darauf hin, dass sich der Anspruch allerdings nicht aus den in der Vergangenheit erfolgten Versorgungen durch die Beklagte herleiten lässt. Vielmehr ist bei jeder Bewilligung erneut zu prüfen, ob das begehrte Hilfsmittel weiterhin notwendig, geeignet und wirtschaftlich ist (BSG SozR3-2500 § 33 Nr. 21). Aus früheren Bewilligungen oder von der Beklagten akzeptierten Vergleichen kann die Klägerin daher den begehrten Freistellungsanspruch nicht ableiten.
Die Beklagte kann sich zur Verneinung ihrer Leistungspflicht nicht darauf berufen, dass die Klägerin einen Leistungserbringer in Anspruch genommen hat, der jedenfalls vorübergehend nicht Mitglied des Bundesverbandes für Zweithaarspezialisten war und damit auch kein Vertragspartner der Beklagten war.
Nach § 126 Abs. 1 SGB V dürfen Hilfsmittel an Versicherte nur auf der Grundlage von Verträgen nach § 127 Abs. 1, 2 und 3 SGB V abgegeben werden. § 126 Abs. 1 S. 2 SGB V legt fest, dass Vertragspartner der Krankenkassen nur Leistungserbringer sein können, die die Voraussetzungen für eine ausreichende, zweckmäßige und funktionsgerechte Herstellung, Abgabe und Anpassung der Hilfsmittel erfüllen. Hierzu gibt der Spitzenverband Bund der Krankenkassen Empfehlungen für eine einheitliche Anwendung der Anforderungen nach Satz 2 einschließlich der Fortbildung der Leistungserbringer ab.
Die Fa. F verfügt über eine Zulassung nach § 126 Abs. 1 SGB V in der bis zum 31.03.2007 geltenden Fassung, wonach für Leistungserbringer von Hilfsmitteln ein förmliches Zulassungsverfahren, das im Wesentlichen dem Zulassungsverfahren für Leistungserbringer von Heilmitteln (§ 124 SGB V a.F.) entsprach, vorgesehen war. Mit dem Übergang vom Zulassungsmodell zum Vertragsmodell geht zwar grundsätzlich eine Einschränkung der Wahlfreiheit der Versicherten auf die Leistungserbringer, die über vertragliche Beziehungen zu den gesetzlichen Krankenkassen verfügen, einher, jedoch bestimmt § 126 Abs. 2 SGB V, dass für diejenigen Leistungserbringer, die am 31.03.2007 über eine Zulassung nach § 126 SGB V in der zu diesem Zeitpunkt geltenden Fassung verfügten, die Voraussetzungen nach § 126 Abs. 1 Satz 2 SGB V bis zum 30.06.2010 als erfüllt gelten. Mit Einführung des § 126 Abs. 1 a SGB V, nach dem die Krankenkassen die Möglichkeit haben, ein Qualifizierungsverfahren einzuführen, mit dem sich die Leistungserbringer bestätigen lassen können, dass sie die Anforderungen des § 126 Abs. 1 Satz 1 erfüllen, war die Übergangsfrist des § 126 Abs. 2 SGB V um weitere sechs Monate verlängert worden (Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung GKV ORG WG vom 15.12.2008). Vor diesem Hintergrund durfte die Klägerin trotz fehlender vertraglicher Grundlage die Fa. F als Leistungserbringerin in Anspruch nehmen. Ob die Klägerin auch in Zukunft hierzu berechtigt sein kann, wird daran zu messen sein, ob die Beklagte Vertragsbeziehungen zu Leistungserbringern unterhält, die die Anforderungen an den von der Klägerin benötigten Haarersatz zu erfüllen vermögen.
Der von der Klägerin im Jahr 2008 und im Jahr 2010 gewählte Haarersatz entspricht den Voraussetzungen des § 33 Abs. 1 i.V.m. § 12 Abs. 1 SGB V. Insbesondere stellt sich der teilverklebte Haarersatz als ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich dar. Die Beklagte kann sich dem gegenüber nicht darauf berufen, dass sie nach der Bestimmung des § 12 Abs. 2 SGB V den Haarersatz als nicht notwendige oder unwirtschaftliche Leistung nicht finanzieren dürfe.
Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BSG zur Abgrenzung eines unmittelbaren Behinderungsausgleichs von einem mittelbaren Behinderungsausgleich (vgl. hierzu Urt. v. 18.05.2011, B 3 KR 12/10 R m.w.N., www.juris.de) kommt die Kammer zu dem Ergebnis, dass Haarersatz im Falle der weiblichen Kahlköpfigkeit von den Krankenkassen im Rahmen des mittelbaren Behinderungsausgleichs zur Verfügung zu stellen ist. Haarersatz stellt nämlich kein Körperersatzstück dar, das die ursprüngliche Funktion der ausgefallenen Körperfunktion unmittelbar ersetzt, sondern er dient der Beseitigung der indirekten Folge der Behinderung, nämlich der erstellenden Wirkung. Schließlich steht auch der Schutz vor Kälte und Hitze durch das üblicherweise vorhandene Haupthaar nicht im Vordergrund. Die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft, ohne ständig die Blicke anderer auf sich zu ziehen, soll durch das Tragen des Haarersatzes ermöglicht werden. Dies stellt die Beseitigung einer mittelbaren Folge der Behinderung dar, so dass die hierzu entwickelten Kriterien Anwendung finden müssen.
Im Rahmen des mittelbaren Behinderungsausgleichs schuldet die Krankenkasse lediglich einen Basisausgleich. Es geht nicht um einen Ausgleich im Sinne des vollständigen Gleichziehens mit den letztlich unbegrenzten Möglichkeiten eines nichtbehinderten Menschen. Denn Aufgabe der GKV ist in allen Fällen allein die medizinische Rehabilitation, also die möglichst weitgehende Wiederherstellung der Gesundheit und der Organfunktionen einschließlich der Sicherung des Behandlungserfolges, um ein selbstständiges Leben zu führen und die Anforderungen des Alltags meistern zu können. Ein Hilfsmittel zum mittelbaren Behinderungsausgleich ist daher von der GKV nur zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderungen im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betrifft. Nach ständiger Rechtsprechung gehören zu den allgemeinen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens das Gehen, Stehen, Sitzen, Liegen, Greifen, Sehen, Hören, Nahrungsaufnehmen, Ausscheiden, die elementare Körperpflege, das selbstständige Wohnen sowie die Erschließung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums (BSG aaO).
Da vorliegend die Krankheit der Klägerin an die körperliche Entstellung anknüpft, sind alle Grundbedürfnisse betroffen, soweit sie im öffentlichen Raum, im Beisein anderer Menschen wahrgenommen werden. Der Behinderungsausgleich wird erreicht, wenn der Verlust des natürlichen Haupthaares für einen unbefangenen Beobachter nicht sogleich erkennbar ist (BSG Urteil vom 23.07.2002, aaO). Die Klägerin hat daher Anspruch auf eine Versorgung, mit der es ihr ermöglicht wird, sich unter ihren Mitmenschen frei zu bewegen.
Diese Funktion erfüllt der Haarersatz der Fa. F.
Darüber hinaus muss sich die Klägerin nicht auf eine günstigere Möglichkeit insbesondere auf eine klassische Perückenversorgung verweisen lassen.
Der Beklagten ist zwar zuzugeben, dass sich der Versorgungsanspruch auf ein im Einzelfall ausreichendes, zweckmäßiges und wirtschaftliches Hilfsmittel richtet. Eine Opitmalversorgung oder gar Luxusversorgung schuldet die GKV nicht. Die Klägerin hat daher keinen Anspruch auf ein teureres Hilfsmittel, wenn eine kostengünstigere Versorgung für den angestrebten Nachteilsausgleich funktionell in gleicher Weise geeignet ist (BSG, Urteil vom 16.04.1998, SozR 3-2500 § 33 Nr. 26).
Entgegen der Auffassung der Beklagten handelt es sich bei dem gewählten Haarersatz jedoch nicht um ein solches Hilfsmittel, das lediglich Gebrauchsvorteile für die Klägerin beinhaltet, die sich auf einen besseren Komfort oder eine bessere Optik beschränken (BSG Urteil vom 06.06.2002, B 3 KR 68/01 R, SozR 3-2500 § 33 Nr. 44).
Die Beklagte verkennt nämlich bei ihrer Argumentation, dass die Klägerin auf Grund ihrer individuellen anatomischen Verhältnisse auf eine Versorgung wie sie von der Fa. F im Jahr 2008 und 2010 angefertigt wurde, angewiesen ist.
Dies hat der Sachverständige Friseurmeister U F1 für die Kammer gut nachvollziehbar dargelegt.
Der Kopf der Klägerin hat zunächst einen großen Umfang, darüber hinaus ist der Hinterkopf der Klägerin nicht abgerundet, sondern flach und geht auf Grund der körperlichen Konstitution unmittelbar in den Nacken über. Bereits diese anatomischen Verhältnisse lassen nach Auffassung der Kammer eine konfektionierte Perückenversorgung, auf die die Beklagte die Klägerin verweisen möchte, kaum möglich erscheinen. Gerade bei der Erforderlichkeit einer dauerhaften Versorgung muss darauf geachtet werden, dass der Haarersatz bei typischen Bewegungen im Rahmen der oben bezeichneten Grundbedürfnisse nicht verrutscht. Schließlich ist es das Ziel der Versorgung, die Kahlköpfigkeit vor den Blicken anderer zu verstecken. Eine Perücke, die bereits bei Drehbewegungen des Kopfes, die beispielsweise im Straßenverkehr erforderlich sind, droht zu verrutschen, erfüllt die erforderliche Funktion nicht. Der Sachverständige hat darüber hinaus in seinem Gutachten und in seinen ergänzenden Erläuterungen im Verhandlungstermin vom 25.01.2012 dargelegt, dass eine Befestigung der Perücke bei der Klägerin nicht möglich ist. Üblicherweise werden konfektionierte Perücken mit Spangen oder Clips an dem noch vorhandenen Resthaar befestigt. Dieses ist bei der Klägerin allerdings so dünn, dass ein sicherer Halt nicht gewährleistet ist. Vor diesem Hintergrund ist für die Kammer gut nachvollziehbar, dass im Falle der Klägerin anders als bei vielen anderen weiblichen Versicherten, die unter einer Alopezia totales leiden eine maßangefertigte Zweithaarversorgung erforderlich ist.
Die Beklagte kann sich darüber hinaus auch nicht darauf berufen, dass die Versorgung mit festverklebtem Haarersatz kein Hilfsmittel im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung darstellt. In diesem Zusammenhang verkennt sie bereits, dass die Funktion - nämlich die Beseitigung der entstellenden Wirkung - im Vordergrund der Versorgung steht. Kommt eine konfektionierte Perücke hierfür nicht Betracht, muss die gesetzliche Krankenkasse das im Einzelfall notwendige und geeignete Hilfsmittel zur Verfügung stellen. Ein gesetzlicher Ausschluss für verklebte Haarteile existiert nicht. Vielmehr kommt es stets auf die individuellen Bedürfnisse des Versicherten an (vgl. LSG Sachsen-Anhalt Urteil vom 21.01.2010, L 10 KR 22/07). Soweit sich die Beklagte zur Begründung ihrer Argumentation auf eine Entscheidung des Sozialgerichts Duisburg vom 16.03.2007 (S 9 KR 242/06) beruft, ist anzumerken, dass in dem dort zu entscheidenden Fall die Möglichkeit bestand, andere Befestigungsmöglichkeiten zu ergreifen. Die sichere Befestigung ist im Falle der Klägerin, wie sich aus dem Sachverständigengutachten überzeugend ergibt, ausgeschlossen, so dass die individuellen Verhältnisse der Klägerin den hier geltend gemachten Versorgungsanspruch begründen.
Ferner ist nach Auffassung der Kammer auf die Wirtschaftlichkeit der von der Klägerin begehrten Versorgung hinzuweisen. Selbst unter Berücksichtigung der bestehenden Verträge ist eine Versorgung für Dauerträgerinnen mit konfektionierten Perücken ca. alle 12 Monate erforderlich. Die Klägerin hingegen behandelt - dies zeigt die lange Nutzungsdauer der Haarteile in der Vergangenheit - die ihr zur Verfügung gestellten Hilfsmittel sehr pfleglich und wendet eigene Kosten auf, um die Langlebigkeit des Haarersatzes zu erhalten. Bedenkt man, dass sie den Haarersatz von 2008 über einen Zeitraum von 31 Monaten getragen hat und auch danach eine weitere Nutzung als Ersatz für den Fall einer erforderlichen Reparatur des neuen Haarteils möglich ist, kann sich die Beklagte auf Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkte zur Begründung des von ihr bewilligten Zuschusses nicht stützen. Der Sachverständige hat auch in diesem Zusammenhang überzeugend dargelegt, dass bei pfleglicher Behandlung mit einer langen Nutzungszeit zu rechnen ist, so dass eine Versorgung, wie die Klägerin sie begehrt hat, letztlich auch für die Beklagte eine kostengünstige Alternative darstellt.
Der Klage war daher stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG und berücksichtigt den Umstand, dass die Klägerin erst im Verhandlungstermin die Klage im Hinblick auf die aufgewendeten Instandhaltungs- und Pflegekosten - insoweit war der Beschaffungsweg bereits nicht eingehalten - zurückgezogen hat.
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