L 4 AS 246/12 B ER

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
4
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 24 AS 1558/12 ER
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 4 AS 246/12 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
In einem Rechtsstreit über ein Hausverbot für die Räume des Trägers der Grundsicherung für Arbeitsuchende gegenüber einem Leistungsempfänger ist der Verwaltungsrechtsweg gegeben.
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hamburg vom 22. Juni 2012 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten des Antragsstellers sind im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten. Die Beschwerde gegen diesen Beschluss ist nicht zulässig.

Gründe:

Die am 24. Juli 2012 erhobene Beschwerde gegen den am 26. Juni 2012 zugestellten Beschluss des Sozialgerichts ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie ist jedoch unbegründet.

Die Beschwerde ist statthaft nach § 17a Abs. 4 Satz 3 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) i.V.m. § 202 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) und § 172 SGG. Nach § 17a Abs. 4 Satz 3, Abs. 2 GVG ist gegen einen Beschluss, mit dem das Gericht die Unzulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs ausspricht und den Rechtsstreit an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtsweges verweist, die sofortige Beschwerde nach den Vorschriften der jeweils anzuwendenden Verfahrensordnung gegeben. Da das SGG die in § 17a Abs. 4 Satz 3 GVG genannte sofortige Beschwerde nicht kennt, tritt an deren Stelle die Beschwerde nach § 172 SGG (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 21.2.2007, L 23 B 260/06 SO). Einschränkungen für Rechtswegbeschwerden in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 86b SGG ergeben sich aus § 172 SGG nicht (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, a.a.O.; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 1.11.2005, L 8 B 38/05 SO).

Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Das Sozialgericht hat sich zu Recht für unzuständig erklärt und die Verweisung an das örtlich zuständige Verwaltungsgericht ausgesprochen. Der entgegenstehenden Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG, Beschluss vom 1.4.2009, B 14 SF 1/08 R) schließt sich der Senat nicht an.

Die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts ergibt sich aus § 40 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Dass es sich bei dem vorliegenden Eilantrag um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art im Sinne dieser Vorschrift handelt, ist nicht streitig und auch nicht zu bezweifeln. Eine abdrängende Sonderzuweisung, die die Zuständigkeit des Sozialgerichts begründen könnte, findet sich nicht. Insbesondere greift § 51 Abs. 1 Nr. 4a SGG, wonach die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten in Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitsuchende entscheiden, nicht als abdrängende Sonderzuweisung ein. § 51 Abs. 1 Nr. 4a SGG erstreckt sich – ebenso wie die anderen Tatbestände des Zuständigkeitskataloges – nicht auch auf Streitigkeiten um das Hausrecht in den Gebäuden und sonstigen Liegenschaften der Sozialleistungsträger (so bereits LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 5.3.2007, L 16 B 3/07 SF; zum Arbeitsamt: OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 11.2.1998, 25 E 960/97; für Hausverbote in Liegenschaften des Trägers der Grundsicherung für Arbeitsuchende aus der Zeit nach dem Beschluss des BSG vom 1.4.2009 auch OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 13.5.2011, 16 E 174/11; VG Neustadt a.d.W., Beschluss vom 23.2.2010, 4 L 103/10.NW; VG Berlin, Beschluss vom 21.4.2010, 34 K 147.09, und Urteil vom 15.03.2010, 34 K 78.09; VG Hamburg, Beschluss vom 15.12.2011, 5 E 2409/11; zur Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte für Hausverbote in Finanzämtern: FG Münster, Beschluss vom 30.8.2010, 14 K 3004/10). § 51 Abs. 1 Nr. 4a SGG ist einschlägig, wenn das streitige Begehren seine Grundlage im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) findet. Lässt sich dies nicht klar ermitteln, ist danach zu fragen, ob das Begehren in engem sachlichen Zusammenhang zur Verwaltungstätigkeit der Behörden nach dem SGB II steht (BSG, Urteil vom 15.12.2009, B 1 AS 1/08 KL: Haftung des Landes Berlin für von den ARGEn in Berlin angewandte gesetzwidrige Verwaltungsvorschriften). Für die übrigen Tatbestände des § 51 Abs. 1 SGG – von denen allerdings keiner näher in Betracht kommt – gilt entsprechendes.

Seine Grundlage findet das Begehren des Antragstellers – oder umgekehrt das Handeln des Antragsgegners – weder im SGB II noch andernorts im Sozialgesetzbuch. Zwar dürfte sich aus dem Grundsatz der Verwirklichung sozialer Rechte (§ 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch, SGB I) und den diesen Grundsatz umsetzenden allgemeinen Vorschriften über den Zugang zu Sozialleistungen (§§ 13 ff. SGB I; vgl. auch § 93 Viertes Buch Sozialgesetzbuch, SGB IV) unproblematisch auch ein Anspruch auf ungehinderten Zugang zu den Behörden der Sozialleistungsträger ergeben. Eine positiv-rechtliche Ausformung erfährt das Hausrecht der Leistungsträger allerdings nicht (so auch BSG, Beschluss vom 1.4.2009, B 14 SF 1/08 R). Insoweit gilt auch für die Behörden der Sozialleistungsträger der allgemeine öffentlich-rechtliche Grundsatz, wonach das Hausrecht als notwendiger Annex zur öffentlich-rechtlichen Sachkompetenz einer Behörde von deren Leiter kraft der ihm zustehenden Organisationsgewalt zur Gewährleistung und Aufrechterhaltung eines geordneten Dienstbetriebs ausgeübt wird und der Ausspruch eines Hausverbot als präventive Maßnahme gegen künftige Störungen des Betriebsablaufs auch ohne ausdrückliche Ermächtigungsgrundlage möglich ist (vgl. aus neuerer Zeit VG Osnabrück, Beschluss vom 4.5.2012, 6 B 44/12).

Es besteht entgegen der zitierten Entscheidung des Bundessozialgerichts auch kein enger sachlicher Zusammenhang zwischen dem Antragsbegehren und der Verwaltungstätigkeit der Behörden nach dem SGB II.

Soweit das Bundessozialgericht der Sache nach auf den Sachzusammenhang zwischen Aufgabenerfüllung und äußerer Ordnung abstellt, der zur Annahme einer Annexkompetenz des Sozialleistungsträgers führe, genügt dies nicht für die Bejahung auch eines engen sachlichen Zusammenhangs zur Grundsicherung für Arbeitsuchende. Maßnahmen eines der im SGB I genannten Sozialleistungsträger sind nicht automatisch dem Recht des von diesem Träger vollzogenen Leistungsgesetzes zuzuordnen. Der tatsächliche Befund zeigt vielmehr, dass gerade zur Aufrechterhaltung eines geordneten Dienstbetriebes (der gewiss dem Zweck der ordnungsgemäßen Aufgabenerfüllung dient) auch dienst- oder arbeitsrechtliche Maßnahmen oder fiskalische Hilfsgeschäfte gehören, deren Überprüfung eindeutig nicht den Sozialgerichten obliegt. Während all diese Maßnahmen naturgemäß im Dienste der Aufgabenerfüllung stehen, weist ihr rechtlicher Gehalt einen ähnlich akzidentiellen Bezug zum SGB II (und zum SGB insgesamt) auf wie der des Hausrechts.

Weiterhin erfährt das allgemeine, richterrechtlich begründete Hausrecht an öffentlichen Liegenschaften durch Vorschriften des SGB II keine derart prägende grundsicherungsrechtliche Anreicherung, dass von einem eigenen sozial(fürsorge)rechtlichen Hausrecht gesprochen werden könnte. Es kann dahinstehen, ob insbesondere der vom Bundessozialgericht angeführten Vorschrift des § 14 Satz 2 SGB II ein Konzept zugrunde liegt, wonach der Leistungsberechtigte möglichst häufig persönlich bei seinem Ansprechpartner ("Fallmanager") vorsprechen soll. Dass dem persönlichen Kontakt zwischen Bürger und Behörde im SGB II eine höhere Bedeutung zukommen mag als in einigen anderen Bereichen der öffentlichen Verwaltung, ist im Streit um ein Hausverbot zwar sicher zu berücksichtigen, gibt ihm jedoch kein spezifisches Gepräge. Die Ausübung des Hausrechts erfolgt unbeschadet der sonstigen Rechte und Pflichten des Betroffenen. Sie gehört zu den Maßnahmen der sog. Funktionsermöglichung, die eine Behörde erst in die Lage versetzen, ihre Aufgaben beim Vollzug der Gesetze wahrzunehmen, und die dieser eigentlichen Aufgabenerfüllung gedanklich und dogmatisch vorgelagert sind (hierzu und zum Folgenden vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 13.5.2011, 16 E 174/11). Dass beim Hausverbot Besonderheiten derjenigen Gesetze zu beachten sind, die die betroffene Behörde vollzieht, ist kein Spezifikum des Sozialrechts, sondern folgt bereits aus dem allgemeinen Grundsatz, wonach Ordnungsbefugnisse nur zu dem Zweck ausgeübt werden dürfen, die sachgerechte Wahrnehmung der materiellen Verwaltungsaufgaben zu gewährleisten (auch hierzu OVG Nordrhein-Westfalen, a.a.O.).

Schließlich erscheint es gerade vor dem Hintergrund von Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) geboten, die völlig zu Anfang des gerichtlichen Rechtsschutzes stehende Frage nach dem einschlägigen Rechtsweg nicht von richterlichen Wertungen und ggf. von näherer Sachverhaltsaufklärung hinsichtlich eines Zusammenhangs zwischen dem Erscheinen des Betroffenen und einem (im weiteren Sinne verstandenen) Verwaltungsverfahren abhängig zu machen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG. § 17b Abs. 2 Satz 1 GVG gilt nicht auch für die Kosten des Beschwerdeverfahrens gegen den Verweisungsbeschluss (BSG, Beschluss vom 29.9.1994, 3 BS 2/93; BGH, Beschluss vom 17.6.1993, V ZB 31/92; ausführlich zur Gebotenheit der Kostenentscheidung auch BSG, Beschluss vom 1.4.2009, B 14 SF 1/08 R). Anders als in dem vom Bundessozialgericht im Beschluss vom 1.4.2009 entschiedenen Fall sind die Kosten auch nicht aus Billigkeitsgründen dem Antragsgegner aufzuerlegen, denn dieser hat den Antragsteller nicht etwa auf den Sozialrechtsweg verwiesen.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar. Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht ist in Angelegenheiten des einstweiligen Rechtsschutzes ausgeschlossen; § 17a Abs. 4 Satz 4 und 5 GVG finden insoweit keine Anwendung (BSG, Beschluss vom 24.1.2008, B 3 SF 1/08 R, im Anschluss an BVerwG, Beschluss vom 8.8.2006, 6 B 65/06). Dies war im Tenor klarzustellen.
Rechtskraft
Aus
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