L 6 U 51/09

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6.
1. Instanz
SG Stendal (SAN)
Aktenzeichen
S 6 U 96/07
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 6 U 51/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin Anspruch auf Verletztenrente hat, weil bei ihr psychische Folgen eines Überfalls verblieben sind.

Die damals 51-jährige Klägerin war Marktleiterin in einem Baumarkt. Am 19. März 2004 verließ sie nach Geschäftsschluss abends gegen 19.30 Uhr das Gebäude durch die Hintertür. Neben privaten Gegenständen trug sie drei Geldbomben mit etwa 28.000,- EUR bei sich. Als sie die Tür hinter sich abschließen wollte, wurde sie von drei maskierten Männern zu Boden gerissen. Einer der Räuber sagte ihr, wenn sie sich nicht wehre, werde ihr nichts geschehen. Die Personen fesselten sie an Händen, Füßen und Mund durch Klebestreifen. Da das Klebeband auf dem Mund sehr locker saß, rief die Klägerin den Tätern hinterher, sie sollten wenigstens ihre Tasche da lassen. Sie zog sich das Klebeband vom Mund, wobei eine leicht blutende Wunde aufplatzte. Nachdem sie die Tür geöffnet hatte, hüpfte sie in den Markt hinein, da sie von draußen weg wollte, und entfernte die Klebebänder. Die Zeit außerhalb des Marktes schätzte die Klägerin etwa mit fünf Minuten ein. Bei der Aufnahme dieses Tatherganges gegenüber einem Polizeibeamten am gleichen Abend wirkte die Klägerin sehr mitgenommen und beruhigte sich nur allmählich wieder. Der Tathergang ist auch Gegenstand einer Unfallanzeige vom 15. Oktober 2004.

Nach einem Befundbericht des Facharztes für Allgemeinmedizin H. behandelte dieser die Klägerin erstmals am 23. März 2004 um 16 Uhr. Während kein organpathologischer Befund zu erheben war, schilderte die Klägerin eine depressive Stimmungslage, Konzentrationsstörungen, Herzrasen und Schweißausbrüche. Arbeitsunfähigkeit bestand vom 20. bis zum 27. März 2004. Am letztgenannten Tag wurde auch die Behandlung abgeschlossen. Bei der Vernehmung vor der Polizei am 24. März 2004 gab die Klägerin u. a. an, sie sei bis zu diesem Zeitpunkt nicht psychologisch betreut worden. Sie glaube auch nicht, dass dies nötig sei.

Während der Allgemeinmediziner H. in dem Bericht vom 15. März 2005 die Vordruckfrage nach dem Zustand der "Verletzung" als ausgeheilt bezeichnete, teilte er in einem Befundbericht (an das Landesverwaltungsamt) vom 4. März 2005 mit, im Rahmen eines Psychotraumas lägen auch zum Zeitpunkt der Berichterstattung noch vereinzelt Konzentrations- und Schlafstörungen vor. Eine spezifische Therapie werde nicht durchgeführt.

Nach den Aufzeichnungen ihres Hausarztes war die Klägerin seit dem 3. November 2005 erneut arbeitsunfähig. Nach dem Vorerkrankungsverzeichnis der Krankenkasse war dies seit dem 5. Dezember 2005 – wegen einer Depression – der Fall. Nach beiden Unterlagen bestand zwischen den genannten Arbeitsunfähigkeitszeiten im Frühjahr 2004 und Spätherbst 2005 keine Arbeitsunfähigkeit. Vom 11. Januar bis 17. März 2006 begab die Klägerin sich in die Fachabteilung für psychosomatische Medizin und Psychotherapie des Fachkrankenhauses J., wo sie unter der Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung behandelt wurde. Die Klägerin gab dort an, der Überfall sei sehr schlimm für sie gewesen. Sie leide seitdem unter starken Depressionen, könne nicht schlafen, nicht essen, habe abgenommen und stehe oft neben sich. Besonders wenn sie allein sei, komme Angst hoch und sie sehe die Bilder des Überfalls wieder vor sich. Sie habe jedoch – u. a. durch ihren Geschäftsführer – Druck gespürt, dass sie trotzdem zu arbeiten und Leistung zu bringen habe. Sie sei mehrmals krankgeschrieben worden, da sie sich einfach schlecht gefühlt habe, kraftlos, interesselos, lustlos und unkonzentriert. Auch im privaten Bereich sei seit dem Überfall alles anders. Sie weine viel, sei nicht mehr so lustig und unternehmungsfreudig wie vorher. Sie habe ständig einen Kopf wie ein Ballon und Nackenkopfschmerzen. Zum 31. Mai 2006 sei ihr (mit Schreiben vom 16. Dezember 2005) gekündigt worden. Aus dem Bericht geht hervor, die Klägerin habe hierüber unter Tränen, angespannt, vorwurfsvoll und verärgert gesprochen. Psychotherapeutische Behandlungen habe sie noch nicht in Anspruch genommen. Zum Befund ist mitgeteilt, die Klägerin sei in allen Ebenen orientiert, bewußtseinsklar, weine viel und wirke affektlabil. Sie wirke affektiv eingeschränkt schwingungsfähig, sehe immer wieder die Bilder des Überfalls und leide unter innerer Unruhe und Konzentrationsstörungen. Eine Beeinträchtigung des Antriebs sei nicht deutlich. Merkfähigkeit und Gedächtnis seien nicht beeinträchtigt; für krankhafte Denk- und Wahrnehmungsinhalte bestünde kein Anhalt. Eine akute psychotische Symptomatik oder Suizidalität lägen nicht vor. Eine Persönlichkeitsstörung sei zunächst nicht deutlich wahrzunehmen. Zum Therapieverlauf wird mitgeteilt, innere Anspannung, schwere Schlafstörungen und körperliche Symptome wie Kopfschmerzen, Übelkeit und Magenbeschwerden seien in der achten Behandlungswoche allmählich abgeklungen. Die Entlassung sei bei immer noch etwas erhöhter innerer Anspannung, im Übrigen aber nahezu symptomfrei erfolgt. Eine Wiedervorstellung in der Ambulanz sei im Abstand von vier Wochen vereinbart, um die Erforderlichkeit weiterer psychotherapeutischer Maßnahmen und die Fortsetzung der antidepressiven Medikation zu überprüfen. Nach einem Befundbericht des dortigen Chefarztes Dr. H. vom 15. September 2006 befand die Klägerin sich weiterhin in seiner ambulanten psychotherapeutischen Behandlung und war durch den Hausarzt arbeitsunfähig geschrieben. Es bestünde eine erhebliche psychische Symptomatik fort. Die Klägerin sei noch deutlich depressiv herabgestimmt. Es lägen Schlafstörungen, eine innere Angespanntheit und psychovegetative Unruhe vor. Hinzu kämen psychosomatische Begleitsymptome. Das Vollbild der posttraumatischen Belastungsstörung zeige sich nicht mehr. Viele der Symptome seien jedoch weiterhin vorhanden. Es gebe immer wieder traumaspezifische Erinnerungen sowohl an den Überfall als auch die nachfolgenden Auseinandersetzungen mit dem Arbeitgeber. Letztere habe die Klägerin als Demütigungen und Entwertungen erlebt, gegen die sie sich wegen der schon eingetretenen psychosomatischen und psychischen Symptome nicht angemessen habe abgrenzen können. Neben der psychotherapeutischen Behandlung werde auch die antidepressive Medikation fortgesetzt.

Im Rahmen einer Heilverfahrenskontrolle gab der Dipl.-Psychologe Dr. U. am 8. November 2006 die Beurteilung ab, das Unfallgeschehen sei in seiner Schwere durchaus geeignet gewesen, eine schwere psychotraumatologische Beeinträchtigung hervorzurufen. Die Klägerin habe trotz des Schockzustandes bereits eine Woche nach dem Geschehen wieder ihre Tätigkeit aufgenommen. Darin sehe sie jetzt ein Handeln unter einem Schockzustand. Nach Beobachtungen Dritter habe sie sich in den folgenden eineinhalb Jahren auf der Arbeit ziemlich zurückgezogen und sei häufig übererregt gewesen. Dies habe sie selbst nicht wahrgenommen, und sie sei auch nur in geringem Maße darauf hingewiesen worden. Die Kündigung habe sie deshalb völlig unerwartet getroffen. Man habe ihr mitgeteilt, eine kranke Mitarbeiterin nicht weiter beschäftigen zu können. Körperlich würden kaum Beschwerden angegeben. Die Klägerin fühle sich aber antriebsarm mit einem Morgentief und Schläfrigkeit über den Tag hinweg. Sie gebe weiterhin die Auswirkungen der Beschwerden einer posttraumatischen Belastungsstörung an, vor allem in Form von Übererregung und einer erheblichen Vermeidungsreaktion. Ein intrusives Geschehen zeige sich vor allem in albtraumartigen Zuständen während des Nachtschlafes. Als konkurrierende psychische Beeinträchtigung liege eine deutliche depressive Verstimmung aufgrund der Kränkung vor, die die Klägerin bei der Kündigung wahrgenommen habe. Diese sei in der Schwere gleichbedeutend mit den jetzt vorhandenen psychoreaktiven Beschwerden. Die depressive Verstimmung zeige sich an einer starken Zurückgezogenheit und pessimistischen Grundhaltung. Die Auswirkungen des Überfalls aus dem Jahr 2004 könnten als ein subsyndromaler Beschwerdekomplex der posttraumatischen Belastungsstörung angesehen werden. Die aktuelle psychotraumatologische Behandlung sei dadurch indiziert. Die depressive Verstimmung werde durch die ausgesprochene Kündigung maßgeblich verstärkt. Das psychische Zustandsbild sei heterogen. Die Beschwerden würden mit einer gewissen Verdeutlichungstendenz vorgetragen. Die begonnene psychotraumatologische Behandlung solle noch mit einer Dauer von höchstens 25 Stunden bei Dr. H. weitergeführt werden. Von den unfallabhängigen Beschwerden her sei die Klägerin arbeitsfähig. Ihr subjektives Empfinden einer Arbeitsunfähigkeit sei Folge der depressiven Verstimmung, die als unfallunabhängiges Phänomen zu werten sei. Eine erhebliche Minderung der Erwerbsfähigkeit liege von fachpsychotherapeutischem Gebiet her nicht vor. Die Klägerin sei zunächst über Monate arbeitsfähig gewesen. Die Symptomatik sei extrem aufgeflackert, nachdem ihr die Kündigung ausgesprochen worden sei. Nach Abschluss der vorgeschlagenen psychotraumatologischen Behandlung könne eine Weiterbehandlung nur noch zu Lasten der Krankenversicherung durchgeführt werden.

Die Beklagte holte ein Gutachten von Dr. U. vom 3. April 2007 ein, in dem er als Gutachter zum gleichen Ergebnis gelangte: Es bestehe ein subsyndromaler Beschwerdekomplex einer posttraumatischen Belastungsstörung nach den Kriterien der ICD-10. Nach den DSM IV-Kriterien sei kein Vollbild der Störung vorhanden. Es dominiere eine schwere depressive Verstimmung. Diese Diagnose sei unfallunabhängig. Die ausgesprochene Kündigung, die jahrelange Abwesenheit ihres Mannes durch Montagetätigkeit und die Pflege der Mutter im eigenen Haus stellten konkurrierende Faktoren dar, neben denen das Unfallereignis nicht als "alleiniger und wesentlicher Faktor" für die Aufrechterhaltung der jetzigen Beschwerdesymptomatik angesehen werden könne.

Mit Bescheid vom 25. April 2007 erkannte die Beklagte den Arbeitsunfall an und lehnte einen Anspruch der Klägerin auf Verletztenrente ab. Als Folge des Arbeitsunfalls bezeichnete sie einen geringgradig ausgeprägten Beschwerdekomplex im Sinne einer posttraumatischen Belastungsreaktion nach tätlichem Übergriff. Sie lehnte die Anerkennung einer "unfallunabhängigen schweren depressiven Verstimmung mit erheblicher Antriebsarmut" als Folge des Arbeitsunfalls ab. Zur Begründung berief sie sich auf das eingeholte Gutachten.

Mit dem noch im gleichen Monat erhobenen Widerspruch verwies die Klägerin auf ihre fortbestehenden, behandlungsbedürftigen Beschwerden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 25. September 2007 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch zurück.

Mit der am 12. Oktober 2007 beim Sozialgericht Stendal eingegangenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, das Gutachten von Dr. U. sei widersprüchlich. Sie kenne ihren Ehemann bereits seit ihrem 17. Lebensjahr. Die Montagetätigkeit nehme dieser schon seit vielen Jahren – auch vor dem Überfall – wahr. Daraus hätten sich vor dem Überfall keinerlei Probleme ergeben. Sie lebe auch schon seit langem mit ihrer Mutter zusammen, ohne dass sich der Gesundheitszustand der Mutter oder die Beziehung zwischen ihr und ihrer Mutter verschlechtert hätten. Dies alles sei gegenüber der Zeit vor dem Überfall unverändert. Der Gutachter habe auch selbst ausgeführt, vor dem Unfallgeschehen hätten weder psychische noch körperliche Probleme vorgelegen. Aufgrund ihrer Berufstätigkeit sei von einer robusten Verfassung und guten Leistungsfähigkeit auszugehen. Sie sei auch, was ebenfalls aus dem Gutachten hervorgehe, kaum krankheitsbedingt ausgefallen. Es fehle jeder Beleg für die Art und Weise des Einflusses der angeblich gegenüber dem Überfall konkurrierenden Ursachen für die psychische Erkrankung.

Das Sozialgericht hat einen Befundbericht von dem Allgemeinmediziner H ... vom 18. April 2008, Bl. 36 - 38 d. A., eingeholt. Es hat sodann ein psychiatrisches Gutachten von Priv.-Doz. Dr. G. vom 16. Januar 2009 eingeholt, wegen dessen Inhalt im Einzelnen auf Bl. 62 - 84 d. A. verwiesen wird. Der Sachverständige hat im Wesentlichen mitgeteilt, bei der Untersuchung habe sich kein psychiatrisches Krankheitsbild sichern lassen. Mit Ausnahme eines nahezu nächtlich auftretenden Albtraumes fehlten auch alle Merkmale einer posttraumatischen Belastungsstörung. Es habe eine Diskrepanz zwischen den Schilderungen von Lust- und Freudlosigkeit im Verhältnis zum psychopathologischen Befund wie auch den umfangreichen Tages- und Urlaubsaktivitäten bestanden. Zweifelsfrei liege keine überdauernde Funktionsbeeinträchtigung durch die in der Vergangenheit diagnostizierte posttraumatische Belastungsstörung oder eine Depression vor. Es handele sich um einen Zustand nach Anpassungsstörung bei Kündigung (ICD-10 F43.2) und einen Zustand nach remittierter depressiver Episode (ICD-10 F33.4). Insofern bestünden nur noch subjektive Beschwerden ohne Beeinträchtigung der Alltagsaktivitäten. Zeitweise hätten Zeichen einer posttraumatischen Belastungsstörung (ICD-10 F43.1) mit nur leichter Ausprägung bestanden. Mit Ausnahme des passageren posttraumatischen Belastungssyndroms wären alle Gesundheitsstörungen auch ohne den Unfall allein durch eine vergleichbar kränkende Kündigung aufgetreten. Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit um 20 v. H. lasse sich nur für den Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit nach dem Überfall und bis zum Abschluss der stationären Behandlung im Fachkrankenhaus J. einschätzen.

Bei genauer Betrachtung des Überfallgeschehens sei das Leben der Klägerin nicht bedroht worden. Die Fesselung sei flüchtig gewesen und habe eine Befreiung unmittelbar nach dem Überfall ermöglicht. Das Verhalten der Klägerin nach dem Überfall sei durchgängig gerichtet und logisch gewesen. Es gäbe keine Hinweise auf eine Panikreaktion. Die Klägerin habe sogar noch hinter den Tätern hergerufen, wenigstens ihre Tasche am Ort zu lassen. Die Schwelle einer außergewöhnlichen Bedrohung sei nur gerade eben überschritten. Die Klägerin erinnere sich an Einzelheiten des Überfalls. Ausblendungen bei der Beschreibung fänden sich nicht. Die Schilderung erfolge ohne erkennbare Erregungszeichen. Nach Ablauf der Arbeitsunfähigkeit habe sie kein Vermeidungsverhalten gezeigt, sondern weiterhin ihre Arbeitsaufgaben als Marktleiterin wahrgenommen. Wesentliche Funktionseinschränkungen hätten sich für diesen Zeitraum nicht von ihr erfragen lassen. Psychiatrische und psychotherapeutische Behandlung hätten erst nach der als kränkend erlebten Entlassung eingesetzt. Hierzu hatte die Klägerin angegeben, sie sei erst nach einem Gespräch mit dem Baumarktinhaber krankgeschrieben worden, in dem dieser ihr die Kündigungsabsicht offenbart habe.

Mit Gerichtsbescheid vom 11. Juni 2009 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, der Arbeitsunfall habe bis zum 17. März 2006 ein andauerndes leichtes posttraumatisches Belastungssyndrom hervorgerufen. Dieses vorübergehende Belastungssyndrom rechtfertige nicht die Zahlung von Verletztenrente. Sowohl nach dem Gutachten von Dr. U. als auch dem von Priv.-Doz. Dr. G. hätten nur Zeichen eines leichten posttraumatischen Belastungssyndroms vorgelegen, die nach der einschlägigen Literatur eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 0 bis 10 v. H. rechtfertigten. Die Kammer folge auch in der Bewertung Dr. U ...

Mit der am 10. Juli 2009 eingegangenen Berufung macht die Klägerin geltend, sie habe nach dem Überfall keineswegs vollwertig weitergearbeitet. Die vom Sozialgericht für schlüssig gehaltenen Gutachten seien in Wirklichkeit widersprüchlich.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stendal vom 11. Juni 2009 und den Bescheid der Beklagten vom 25. April 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. September 2007 aufzuheben und

die Beklagte zu verurteilten, ihr vom 28. März 2004 an Verletztenrente zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie bleibt bei ihrer Entscheidung und hält den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts für zutreffend.

Das Gericht hat auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG ein Gutachten des Chefarztes der Fachabteilung für psychosomatische Medizin und Psychotherapie des Fachkrankenhauses J., Dr. L., Facharzt für Psychosomatische Medizin/Psychotherapie, Allgemeinmedizin und Arbeitsmedizin vom 9. März 2011 eingeholt, wegen dessen Inhalt im einzelnen auf Bl. 156 - 238 d. A. Bezug genommen wird. Der Sachverständige ist im Wesentlichen zu dem Ergebnis gekommen, seit dem Unfalltag habe eine posttraumatische Belastungsstörung bestanden, die vom 18. März 2006 an nur noch mit einer Restsymptomatik vorliege, weiterhin seit dem Unfalltag eine sonstige anhaltende affektive Störung in Form eines lange anhaltenden mittelschweren depressiven Zustandes einschließlich einer Angstsymptomatik (ICD-10 F38.8). Die Symptomatik einer posttraumatischen Belastungsstörung und einer Depression gehe aus allen bisherigen Gutachten und psychiatrischen Entlassungsberichten hervor. Schon von den Prämissen Dr. U.s aus habe der Überfall vom 19. März 2004 zu einem Bruch im lebensgeschichtlichen Längsschnitt des psychischen Zustandes der Klägerin geführt. Die ihr bis dahin selbstverständlich gewesene psychische Gesundheit sei an diesem Tag verloren gegangen, und sie habe ihre bis dahin praktizierte Lebensweise danach nie wieder erreichen können. Der Umstand einer unmittelbaren Arbeitsunfähigkeit von nur einer Woche und nachfolgenden Wiederaufnahme der früheren Tätigkeit stünde einer posttraumatischen Belastungsstörung zu dieser Zeit nicht entgegen. Die anhaltende affektive Störung bestehe nicht erst seit dem Ausspruch der Kündigung, sondern schon seit dem Unfalltag. Die nach der Kündigung eingetretene Akzentuierung sei nicht als eine Verschiebung der Wesensgrundlage dieser Gesundheitsstörung anzusehen. Die von Dr. U. herangezogenen konkurrierenden Belastungsfaktoren seien geradezu ein Beleg für die frühere psychische Stärke der Klägerin, weil sie schon lange vor Beginn der psychischen Störungen bestanden hätten. Die Symptomatik der posttraumatischen Belastungsstörung ziehe bis zum 17. März 2006 eine Minderung der Erwerbsfähigkeit um 30, danach um 20 v. H. nach sich. Die anhaltende affektive Störung habe durchgehend eine Minderung der Erwerbsfähigkeit um 20 v. H. zur Folge. Insgesamt ergebe sich für die Zeit bis zum 17. März 2006 eine Minderung der Erwerbsfähigkeit um 40 v. H. und um 30 v. H. für die anschließende Zeit. Zu den Angaben der Klägerin ist u. a. wiedergegeben: Bei dem Überfall habe sie die ganze Zeit den Marktschlüssel weiter fest in der Hand halten können. Die Täter seien selbst offenbar auch sehr aufgeregt gewesen und hätten zum Glück ziemlich "unprofessionell" gehandelt. Sie habe sich nach dem Überfall mit den verbundenen Händen das Pflaster vom Mund reißen und den flüchtenden Tätern nachrufen können: "Lasst wenigstens meine Handtasche hier!" Danach habe sie gar nicht realisieren können, wie ihr das passieren konnte bzw. dass ihr das passiert ist. Sie habe sich für den Überfall schuldig gefühlt. In der Folge habe sie starke Kopf- und Magenschmerzen gehabt und ihre Stimmung sei immer schlechter geworden. Sie sei auch immer mal wieder arbeitsunfähig krankgeschrieben worden. Im Dezember 2004 sei der Marktbetreiber persönlich zu ihr gekommen und habe ihr gekündigt. Er habe ihr einen in den letzten Monaten aufgetretenen Umsatzrückgang vorgeworfen und vorgehalten, man könne mit einer kranken Mitarbeiterin nicht weiter arbeiten. Ihre Mitarbeiter hätten später geäußert, sie könnten die Kündigung nicht verstehen. Allerdings hätten sie ihr im Nachhinein auch gesagt, in ihr habe nicht mehr so viel Power gesteckt.

Die Beklagte widerspricht dem Gutachten unter Vorlage einer Stellungnahme des beratenden Arztes Prof. Dr. S. vom 20. April 2011, wegen deren Inhalt im Einzelnen auf Bl. 241 - 244 d. A. verwiesen wird. Er rügt methodische Fehler und hält alle Gesichtspunkte, die für psychische Unfallfolgen angeführt werden, für nicht hinreichend begründet.

In der mündlichen Verhandlung und bei der Beratung hat die Akte der Beklagten – Az. – vorgelegen.

Entscheidungsgründe:

Die gem. §§ 143, 144 Abs. 1 S. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte Berufung hat keinen Erfolg.

Der Bescheid der Beklagten vom 25. April 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. September 2007 beschwert die Klägerin nicht im Sinne von §§ 157, 54 Abs. 2 S. 1 SGG, weil die Beklagte darin zu Recht den Anspruch auf Zahlung einer Verletztenrente abgelehnt hat.

Die Klägerin hat gem. § 56 Abs. 1 S. 1, 2, Abs. 2 des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VII – G. v. 7.8.1996, BGBl. I S. 1254) keinen Anspruch auf Verletztenrente aus dem Arbeitsunfall vom 19. März 2004, weil die dadurch verursachte Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens keine Minderung der Erwerbsfähigkeit um 20 v. H. bedingt; eine Minderung der Erwerbsfähigkeit um 10 v. H. reicht nicht aus, weil weitere Versicherungsfälle oder gleichgestellte Schädigungsfälle im Sinne von § 56 Abs. 1 S. 2 - 4 SGB VII nicht vorliegen.

Körperliche Unfallfolgen haben über die 26. Woche nach dem Unfall hinaus nicht bestanden und werden von der Klägerin auch nicht behauptet. Die psychischen Unfallfolgen bedingen nach der Überzeugung des Gerichts nur eine Minderung der Erwerbsfähigkeit um weniger als 20 v. H., weil insbesondere das Vollbild einer posttraumatischen Belastungsstörung im maßgeblichen Zeitraum nach Ablauf der 26. Woche nach dem Unfall in Form des Überfalls nicht nachzuweisen ist.

Bei der Klägerin lag unmittelbar nach dem Überfall eine nachgewiesene Krankheit im Sinne einer akuten Reaktion bei psychischer Belastung vor, die Dr. U. und Priv.-Doz. Dr. G. wohl als Ausdruck einer – jedenfalls nicht im Vollbild nachweisbaren – posttraumatischen Belastungsstörung einordnen. Dies bedarf für den erhobenen Anspruch auf Verletztenrente keiner vollständigen Klärung, weil sich die für das Entstehen eines Rentenanspruchs maßgeblichen Verhältnisse bei Ablauf der 26. Woche nach dem Arbeitsunfall jedenfalls im Sinne eines Fehlens der Rentenvoraussetzungen darstellen.

Für den Zeitraum nach dem 27. April 2004 folgt das Gericht für den gesamten Zeitraum der nachfolgenden Arbeitsfähigkeit – mindestens während der eineinhalb Jahre bis zum 2. November 2005 – Dr. U., soweit dieser nicht mehr von einem beachtlichen psychischen Krankheitsbild ausgeht und keine Minderung der Erwerbsfähigkeit erkennt. Für diese Zeit hält Dr. U. weiterhin einen subsyndromalen Beschwerdekomplex der posttraumatischen Belastungsstörung für gegeben, der sich jedoch nur noch in einer Anspannung geäußert hat, die kein psychisches Krankheitsbild ausfüllt. Es kann dahinstehen, dass ein subsyndromales Bild einer posttraumatischen Belastungsstörung mit vereinzelten Konzentrations- und Schlafstörungen, wie es nach dem 27. März 2004 vorgelegen hat, entgegen der Formulierung Dr. U.s rechtlich durchaus den Begriff einer Krankheit ausfüllen dürfte. Der Senat teilt aber mit Priv.-Doz. Dr. G. die im Hintergrund der Aussage Dr. U.s stehende Einschätzung, wonach während der Zeit nach dem 27. März 2004 keine Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens (im Sinne von § 56 Abs. 2 S. 1 SGB VII) bestand, zumal die Klägerin während dieser Zeit ohne psychiatrisch/psychotherapeutische Behandlung durchgehend gearbeitet hat. Mit seiner entsprechenden Beschreibung für die Zeit der Weiterarbeit nach dem Unfallgeschehen wertet Dr. U. zugleich – ohne Widerspruch dazu – die Mitteilungen des Hausarztes der Klägerin H. in seinen Berichten vom 4. und 15. März 2005 aus, es bestünden nach einem Psychotrauma noch vereinzelt Konzentrations- und Schlafstörungen, während die "Verletzung" ausgeheilt sei. Auch dieser letzte Satz des Hausarztes ist auf das Psychotrauma zu beziehen, weil der Arzt an anderer Stelle des Berichts mitteilt, er habe nach dem Überfall – neben psychischen Auffälligkeiten – keinen organpathologischen Befund erheben können. Einer weiteren Klärung dieser Deutung bedarf es im Hinblick auf die ohnehin überzeugende Einordnung der "vereinzelten" Störungen durch Dr. U. nicht.

Der Senat hat keine Bedenken, auch die Beurteilung von Dr. U. als psychologischem Psychotherapeuten in die Würdigung der medizinischen Gesichtspunkte einzubeziehen, auch wenn es sich dabei nicht um eine ärztliche Beurteilung handelt. Zunächst ist festzuhalten, dass Priv.-Doz. Dr. G. die Auffassung Dr. U.s als medizinisch fundierte Meinung bestätigt, indem er sich ihr als Arzt pauschal voll anschließt. Soweit er im Detail – etwa mit der Erwägung einer Rentenberechtigung der Klägerin für den Zeitraum des stationären Aufenthaltes in J. – gleichwohl davon abweicht, fehlen seiner eigenen Einschätzung tatsächliche Grundlagen, ohne dass es auf Besonderheiten ärztlicher Sachkunde ankäme. Auch Dr. L. setzt sich mit der Auffassung Dr. U.s inhaltlich argumentativ auseinander, ohne dass er Hinweise auf eine grundsätzlich unmedizinische Betrachtungsweise Dr. U.s gäbe.

Priv.-Doz. Dr. G. ergänzt die Ausführungen Dr. U.s überzeugend mit der Beurteilung, für diesen Zeitraum ließen sich keine "wesentlichen" Funktionseinschränkungen nachweisen. Auch insoweit bedarf es im Hinblick auf die klaren Aussagen Dr. U.s, denen Priv.-Doz. Dr. G. sich ausdrücklich anschließt, keiner Klärung, welche Ausprägung genau Funktionsstörungen in der Beurteilung von Priv.-Doz. Dr. G. als "wesentlich" erscheinen lässt. Auch im Hinblick auf die Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit besteht insoweit Übereinstimmung zwischen Dr. U. und Priv.-Doz. Dr. G ... Zwar ist dessen Einschätzung, eine Minderung der Erwerbsfähigkeit liege bis zum Ende der ersten Arbeitsunfähigkeit am 27. März 2004 und bis zum Ende des stationären Aufenthaltes in J. vor, sprachlich unklar, soweit sie kein Anfangsdatum der zweiten Phase benennt. Folgerichtig ist die Benennung des Abschlusses der ersten Arbeitsunfähigkeit als Enddatum aber nur bei einem späteren Wiedereintritt einer Minderung der Erwerbsfähigkeit, der nach den inhaltlichen Einschätzungen von Priv.-Doz. Dr. G. nur in der Wiedererkrankung Ende 2005 liegen kann. Insoweit bedarf es aber im Hinblick auf die klaren und überzeugenden Ausführungen Dr. U.s keiner weiteren sprachlichen Vervollständigung des Gutachtens von Priv.-Doz. Dr. G ... Zumindest lässt sich auch nicht unterstellen, Priv.-Doz. Dr. G. schlage im Rahmen der Erstellung eines Gutachtens zur Feststellung einer rentenberechtigenden Minderung der Erwerbsfähigkeit eine solche für einen Zeitraum vor, für den er aus seiner Sicht wesentliche Funktionseinschränkungen nicht hat erheben können.

Auch die erneute Erkrankung der Klägerin gegen Ende des Jahres 2005 begründet keine unfallbedingte, zum Bezug einer Verletztenrente berechtigende Minderung der Erwerbsfähigkeit. Der Senat stützt sich auch insoweit auf das weitgehend überzeugende Gutachten von Dr. U., der dem – nach seiner Meinung fortbestehenden – subsyndromalen Beschwerdekomplex einer posttraumatischen Belastungsstörung keine wesentliche Bedeutung mehr gegenüber einer depressiven Verstimmung durch Konkurrenzursachen beimisst. Dabei kommt es nicht darauf an, dass die aufgezeigten Konkurrenzursachen teilweise überbewertet erscheinen. So ist der Klägerin bei der Überlegung recht zu geben, die überwiegende Abwesenheit des Ehemannes und die Anwesenheit der Mutter der Klägerin in ihrem Haushalt könnten keine wesentliche Erklärung für das Entstehen ihres psychischen Krankheitsbildes geben, weil dieser Zustand seit Jahren bestanden habe. Dementsprechend greift Priv.-Doz. Dr. G. die Einschätzung dieser Umstände als Konkurrenzursachen auch nachvollziehbar nicht mehr auf. Schon Dr. U. hebt aber die Kündigung überzeugend als "vor allem" konkurrierende Ursache heraus. Dementsprechend sieht Priv.-Doz. Dr. G. in der Kündigung und ihren Umständen die überragende Ursache für die depressive Episode und eine Anpassungsstörung, die er neben einem posttraumatischen Belastungssyndrom diagnostiziert. Dies zeigt sich daran, dass er ausführt, diese wären bei der Klägerin nach jeder entsprechenden Kränkung durch Kündigung aufgetreten, auch wenn sich der Überfall nicht ereignet hätte. Grundsätzlich erkennen auch die behandelnden Ärzte der stationären Psychotherapie einen Einfluss der Kündigung, wenn sie beschreiben, dort seien auch die Kränkung und der Ärger der Klägerin über die mangelnde Unterstützung und die Kündigung durch den Arbeitgeber bearbeitet worden.

Nicht überzeugend erscheint es, wenn Priv.-Doz. Dr. G. trotz dieser Abgrenzungen (jedenfalls) für die Zeit der Wiedererkrankung bis zur Entlassung aus der stationären Behandlung eine Beurteilung mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 20 v. H. vorschlägt. Offenbar geht er für diesen Zeitraum von einer im Vollbild bestehenden posttraumatischen Belastungsstörung aus und will sich insoweit den stationär behandelnden Ärzten anschließen. Befunde, die eine unfallbedingte psychische Erkrankung tragen könnten, hat er aber selbst nicht erhoben, zumal er auf Grund seiner eigenen Untersuchungsergebnisse nicht mehr von einem psychiatrischen Krankheitsbild ausgeht. Demgegenüber gibt Dr. U. (auch) für diesen Zeitraum die Einschätzung ab, die aufgetretenen Beschwerden und nachweisbaren Befunde seien nicht wesentlich durch eine posttraumatische Belastungsstörung bedingt, sondern durch die anderen, unfallunabhängigen Krankheitsbilder. Dies bringt er zum Ausdruck, indem er für die Funktionsbeeinträchtigungen von einer "Verschiebung der Wesensgrundlage" ausgeht, wonach die krankheitsbedingten Funktionsstörungen nach der langen weiteren Beschäftigungszeit der Klägerin im Baumarkt durch die unstrittig aufgetretene Depression bedingt seien. Dass darin für den weiteren Krankheitsverlauf die überragende Ursache zu sehen ist, beschreibt überzeugend auch Priv.-Doz. Dr. G.; die nur in der Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit andere Gewichtung des stationären Aufenthaltes begründet er aber nicht überzeugend. Der Senat schließt sich der Einschätzung Dr. U.s an, es habe (weiterhin) nicht das volle Bild einer posttraumatischen Belastungsstörung, sondern ein dieses nicht ausfüllendes, "subsyndromales" Bild vorgelegen. Zweifel an der Beurteilung einer erwerbsmindernden posttraumatischen Belastungsstörung werden dadurch begründet, dass sie wesentlich auf Beschwerdeäußerungen der Klägerin beruht und diese nicht in ausreichendem Umfang glaubhaft sind.

Bereits die Anamnese im Abschlussbericht über die stationäre psychotherapeutische Behandlung bis zum 17. März 2006 enthält zu Grunde gelegte Behauptungen, die der Senat nicht als bewiesen ansehen kann. So sprechen die eingeholten Auskünfte gegen die dortige Angabe der Klägerin, sie sei (nach der Arbeitsunfähigkeit im unmittelbaren Anschluss an den Überfall) mehrmals krankgeschrieben worden. Tatsächlich war dies für mehr als eineinhalb Jahre nach dem Überfall nicht der Fall. Was die übrigen Angaben der Klägerin zu Ängsten, Antriebsminderung, Schlaf- und Appetitstörungen angeht, sind sie nach den Erhebungen von Dr. U. nicht als belegt anzusehen. So weist Dr. U. auf eine erhebliche Tendenz zur Verdeutlichung der Beschwerden in Exploration und Testdiagnostik hin. Auch Priv.-Doz. Dr. G. betont die Vagheit und Diffusität der vorgetragenen Beschwerden und stellt dar, dass testdiagnostisch Antworten der Klägerin zu erwarten sind, die im Sinne sozialer Erwünschtheit ausfallen. Schließlich gelangt der Psychologe C. in der Auswertung seiner Testverfahren bei der Prüfung der Offenheit mit einem Prozentrang von 7 zu dem am meisten überhaupt von der Norm abweichenden Ergebnis der Teste, nämlich hier einer erheblichen Verschlossenheit der Klägerin. Wieso er und Dr. L. gleichwohl die Angaben der Klägerin nicht stärker hinterfragen, bleibt im Hinblick auf die Bedenken von Dr. U. und Priv.-Doz. Dr. G. unerfindlich und wird von Prof. Dr. S. für die Beklagte zu Recht kritisiert. Priv.-Doz. Dr. G. gibt auch Hinweise auf einen möglichen Antrieb für ein verdeutlichendes Verhalten, indem er die wörtliche Einschätzung der Ärzte der Rehabilitationsklinik Neufahrland wiedergibt, die Gesichtspunkte sekundären Krankheitsgewinns für wahrscheinlich halten.

Im Übrigen werden neben Beschreibungen der Klägerin selbst nur Eindrücke häufigen Weinens und von Affektlabilität, von Anspannung, einer vorwurfsvollen Haltung und Verärgerung, insbesondere bei der Schilderung der Kündigungsumstände, beschrieben. Dass Dr. U. diese Symptome in Abgrenzung zu einer Depression nicht vorrangig einer posttraumatischen Belastungsstörung zuordnen will, hält der Senat für nachvollziehbar, zumal auch die behandelnden Ärzte im Entlassungsbericht eine depressive Verstimmung mitteilen. Umgekehrt bestehen Hinweise darauf, dass Dr. H. Gesichtspunkte, die mit dem Überfallerlebnis selbst nichts zu tun haben, in rechtlich nicht nachzuvollziehender Weise in Zusammenhang mit dem Trauma bringt. So bezeichnet er in seinem späteren Bericht über die ambulante Nachbehandlung Erinnerungen der Klägerin an Auseinandersetzungen mit dem Arbeitgeber, die zeitlich nach dem Überfall liegen, und die diese als Demütigungen und Entwertungen erlebt habe, als "traumaspezifisch", obwohl sie das traumatische Ereignis nicht zum Gegenstand haben. Der Bezug auf eine schon hier überragend bedeutende Anpassungsstörung bezüglich der Kündigung, die Priv.-Doz. Dr. G. vom Ansatz her für gegeben hält, scheint viel schlüssiger. Wenn Dr. H. in dem Bericht den Zusammenhang zum Unfall gleichwohl über eine fehlende Abgrenzungsfähigkeit der Klägerin wegen der bereits nach dem Unfall eingetretenen psychosomatischen und psychischen Symptome herstellen will, betrifft dies den Zeitraum während der Fortsetzung der Arbeit nach dem Überfall, für den jegliche Belege für solche psychosomatischen und psychischen Symptome fehlen.

Für die Zeit nach der Entlassung der Klägerin aus der stationären Psychotherapie am 17. März 2006 besteht wiederum Einigkeit zwischen Dr. U. und Priv.-Doz. Dr. G., dass schon wegen der überragenden Bedeutung unfallunabhängiger Krankheitsbilder für den weiteren Verlauf, aber auch einer unterdessen eingetretenen Symptomarmut, eine Minderung der Erwerbsfähigkeit um 20 v. H. nicht besteht. Deren Einschätzung schließt sich das Gericht an. Dabei macht es keinen Unterschied, dass Priv.-Doz. Dr. G. als früheren Zustand nicht nur die depressive Episode, sondern terminologisch genauer auch eine Anpassungsstörung nach Kündigung benennt. Dies bezieht sich auf die gleiche Symptomatik, die Dr. U. und Dr. L. diagnostisch allein im Rahmen der Depression formulieren. Den insoweit fehlenden sachlichen Unterschied stellt Dr. L. analysierend schlüssig dar.

Insbesondere Priv.-Doz. Dr. G. gibt überzeugende Hinweise darauf, dass nicht der frühere Überfall, sondern die Entlassung der Klägerin die überragende Ursache für ihre nachfolgenden psychischen Auffälligkeiten darstellt. Dass diese der Entlassung nachgefolgt sind, zeigt sich an der Festlegung der Klägerin, sie habe sich erst nach dem Gespräch mit ihrem Arbeitgeber krankschreiben lassen, in dem er ihr die bevorstehende Kündigung offenbart hatte; für eine Erkrankung vor der ersten nachweisbaren Krankschreibung nach dem 27. März 2004 gibt es keine Hinweise. Zunächst zitiert Priv.-Doz. Dr. G. hinsichtlich des Einflusses der Kündigung wörtlich die psychodynamische Verhaltensanalyse aus dem Abschlussbericht der Reha-Klinik N., in der die Ärzte – zeitlich schon vor der ersten Stellungnahme von Dr. U. – die für die Klägerin unverständliche Kündigung überzeugend als Erlebnis eines erneuten psychischen Übergriffs mit der Folge einer erneuten psychischen Dekompensation einschätzen. Auch Priv.-Doz. Dr. G. beurteilt die mit der Kündigung verbundene Kränkung als überragende Ursache für die nachfolgende psychische Entwicklung. Ein solches Kränkungsgefühl durch die für sie unvermittelte Kündigung hat die Klägerin Dr. U. auch ausdrücklich mitgeteilt. Dies stellt sich als Kehrseite ihrer Mitteilungen an gleicher Stelle dar, sie habe sich sehr mit ihrer Leistungsfähigkeit identifiziert und ihren Lebensinhalt immer in einer beruflichen Tätigkeit gesehen. Schließlich teilt selbst Dr. L. als Ergebnis der psychologischen Teste Anzeichen für Verzweiflung über den Verlust der beruflichen Selbsterfüllung, die für die Klägerin im Mittelpunkt ihres Erlebens gestanden habe, mit. Wieso die Funktion als Mittelpunkt nur "bis zum Überfallereignis" bestanden haben soll, begründet er an keiner Stelle, obwohl dies angesichts der wiederholten Bekundungen der Klägerin angezeigt gewesen wäre, wie sehr sie die unvermittelte Kündigung getroffen habe. Anhaltspunkte für diese zeitliche Beschränkung finden sich im Übrigen ohnedies nicht; insoweit überzeugt die Gewichtung der Kündigung durch die anderen Ärzte bzw. Psychotherapeuten.

Das Gericht folgt insgesamt nicht dem Sachverständigen Dr. L., soweit dieser durchgehend von unfallbedingten psychiatrischen Funktionseinschränkungen in rentenberechtigendem Ausmaß ausgeht. Dr. L. unterstellt eine durchgehende Leistungsschwäche nach dem Überfall allein auf Grund der Angaben der Klägerin, obwohl sich schon aus seiner eigenen Anamnese Hinweise auf andere Gesichtspunkte ergeben. So finden sich in der Darstellung der Klägerin von einer geradlinig vom Überfall zur Kündigung führenden Leistungsminderung Brüche, die es ausschließen, die medizinische Beurteilung mit Dr. L. auf einen solchen Ablauf zu stützen. Neben den Ungereimtheiten bei der Darstellung der Arbeitsunfähigkeit fehlt auch nach der von Dr. L. selbst erhobenen Anamnese jeder Beleg für den von der Klägerin gesehenen Zusammenhang der Kündigung mit Folgen des Überfalls. Soweit der Arbeitgeber der Klägerin vorgehalten haben soll, er könne nicht mit einer kranken Mitarbeiterin weiterarbeiten, fehlt mit dem unterbliebenen Nachweis von Arbeitsunfähigkeitszeiten über eineinhalb Jahre jeder objektive Hintergrund für eine solche Äußerung. Umgekehrt hat die Klägerin Dr. L. gegenüber mitgeteilt, ihr Arbeitgeber habe ihr einen in den letzten Monaten aufgetretenen Umsatzrückgang vorgehalten. Zwar will sie selbst diesen wohl pauschal mit einer eigenen Leistungsminderung in Verbindung bringen; konkrete Vorhaltungen ihres Arbeitgebers dazu oder sonstige Zusammenhänge zwischen beidem hat sie aber zu keinem Zeitpunkt dargestellt. Ein solcher Zusammenhang hat auch nicht zwingend bestanden, zumal die Klägerin Dr. L. selbst mitgeteilt hat, ihre Mitarbeiter hätten ihr gegenüber ihr Unverständnis über die Kündigung ausgedrückt. Auch vermutet sie gegenüber Dr. U. anlässlich dessen Berichterstattung vom 8. November 2006 unabhängig von Gesichtspunkten der Leistungsfähigkeit, Personalwechsel in der Unternehmensführung könnten die Kündigung herbeigeführt haben. Dass sie dies an anderer Stelle auch anders bewertet hat, ermöglicht nicht, allein mit solchen Angaben einen ununterbrochenen Zustand seelischer Traumatisierung während der Arbeit zwischen Frühjahr 2004 und Spätherbst 2005 zu belegen.

Abgesehen von nicht überprüfbaren und – wie oben bereits dargelegt - anzuzweifelnden Angaben der Klägerin fehlt auch jeder Hinweis auf Tatsachen, auf die Dr. L. die Diagnose eines längeren depressiven Zustandes vor der Kündigung der Klägerin stützen könnte; andere Belege führt Dr. L. auch nicht auf.

Weiterhin finden sich keine Hinweise auf eine im Sinne von Dr. L. krankhafte Angstsymptomatik, die nicht auf den Angaben der Klägerin selbst beruhten; auch insoweit bestehen Zweifel an der Tendenzfreiheit ihrer Angaben, die insbesondere Priv.-Doz. Dr. G. unter Hinweis auf die Diffusität der einschlägigen Beschwerdeschilderungen auch äußert. So ist schon die von der Klägerin selbst abgegebene Schilderung der Überfallsituation nicht von Angst geprägt. Vielmehr wertet sie gegenüber Dr. L. das Verhalten der Räuber aus einer übergeordnet beurteilenden Sicht als ängstlich und unprofessionell und schildert wiederholend ihren offenbar uneingeschüchtert unternommenen Versuch, die Räuber zurück zu rufen, um ihre persönlichen Gegenstände zurück zu erhalten. Ihre gefühlsmäßige Betroffenheit durch den Überfall schildert sie vorrangig mit Schuldgefühlen und dem Unverständnis darüber, dass gerade sie Opfer eines Überfalls wird. Beide Gefühle haben keinen Bezug zu Panik in Wahrnehmung unmittelbarer Bedrohung von Leib oder Leben.

Soweit der Sachverständige Dr. L. die Beurteilung Dr. U.s für nicht folgerichtig hält, weil auch eine Teilsymptomatik eines posttraumatischen Belastungssyndroms (unter zutreffendem Hinweis auf unfallrechtliche Literatur) schon eine Minderung der Erwerbsfähigkeit "bis" 20 v. H. erwarten lasse, setzt er sich nicht damit auseinander, dass Dr. U. gerade von allenfalls geringfügigen Funktionsstörungen ausgeht, denen er folgerichtig den Einfluss einer höheren Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht beimisst. Dabei steht er hinsichtlich der Einschätzung der Funktionsstörungen in Einklang mit der Beurteilung von Priv.-Doz. Dr. G., der diese für nicht wesentlich hält.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1, 2 SGG bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
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