L 3 U 115/10

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Frankfurt (Oder) (BRB)
Aktenzeichen
S 18 U 84/04
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 3 U 115/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 26. April 2010 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten eine höhere Verletztenrente wegen der Folgen eines Arbeitsunfalls.

Der 1954 geborene Kläger erlitt einen später von der Beklagten anerkannten Arbeitunfall, als er im Rahmen seiner Beschäftigung als Haustechniker bei am 20. September 2001 von einer Leiter aus etwa 1,5 m Höhe auf das Gesäß fiel und sofort erhebliche Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule (LWS) hatte, derentwegen er auf dem Boden liegen blieb. Nach Einlieferung mit dem Notarztwagen wurden im Klinikum zunächst unfallabhängig eine instabile Kompressionsfraktur des ersten LWS-Körpers (L1) und unfallunabhängig eine Adipositas festgestellt, vgl. Durchgangsarztbericht vom 26. Oktober 2001. Der Kläger wurde tags drauf laut Bericht des Klinikums vom 11. Oktober 2001 mittels einer Reposition und dorsaler Distraktionsspondylodese vom Wirbelkörper Th12 bis zum Wirbelkörper L2 mittels BWM-Fixateur und am 04. Oktober 2001 im Wege einer bisegmentalen Spondylodese mit Cage-Interposition über eine linksseitige Thoraktomie operiert. Er wurde im Anschluss mit einem Dreipunkt-Stützkorsett mobilisiert. Es wurde erweiterte ambulante Physiotherapie (EAP) verordnet. Am 16. April 2002 wurde der Fixateur entfernt.

Unter dem 20. Dezember 2002 berichtete das Unfallkrankenhaus (U) – Abteilung Physikalische Therapie – über die Evaluation der funktionellen Leistungsfähigkeit (EFL) nach S. Isernhagen. Die Beklagte ließ durch den Chefarzt der Unfall-, Wiederherstellungs- und Handchirurgie am Klinikum Dr. H das sog. Erste Rentengutachten vom 11. April 2003 erstellen, in welchem er als wesentliche Unfallfolgen einen in guter Stellung ohne statisch wirksamen Achsenknick und ohne neurologische Defizite mit Versteifung der Bewegungssegmente TH12/ L1 und L1/ L2 stabil ausgeheilten Berstungsbruch des ersten Lendenwirbelkörpers und eine erhebliche Bewegungseinschränkung der BWS und LWS feststellte. Unfallunabhängig bestehe eine Adipositas per magna. Die unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage 20 vom Hundert (v.H.). Zusatzbegutachtungen auf psychiatrisch-psychosomatischem sowie neurologischem Fachgebiet durch die Fachärzte für Neurologie und Psychiatrie R und Dr. F vom 28. März 2003 und 06. März 2003 erbrachten keine weitergehenden unfallabhängigen Funktionsbeeinträchtigungen. Laut ergänzender Stellungnahme von Dr. H vom 12. Mai 2003 handelte es sich bei den im Röntgenbefund beschriebenen degenerativen Veränderungen der mittleren BWS und unteren LWS um röntgenmorphologische Veränderungen, die bereits auf den Aufnahmen zum Unfallzeitpunkt erkennbar gewesen seien und keine klinisch Relevanz hätten. Vom 16. April bis zum 07. Mai 2003 führte der Kläger eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme durch, über welche die Klinik B am 20. Mai 2003 unter den Diagnosen Lumbalsyndrom bei Zustand nach operativ versorgter Fraktur des ersten LWS-Körpers vom September 2001, Morbus Forestier, Diabetes mellitus IIb, hochgradige Adipositas und Hyperlipidämie berichtete.

Die Beklagte gewährte dem Kläger mit Bescheid vom 06. August 2003 wegen der Folgen des Arbeitsunfalls eine Rente als vorläufige Entschädigung ab 20. März 2003 unter Zugrundelegung einer MdE von 20 v.H. Sie erkannte als Arbeitsunfallfolgen eine Bewegungseinschränkung am Übergang von der BWS zur LWS nach operativ versorgtem, in achsengerechter Stellung ohne neurologische Beeinträchtigung verheiltem Berstungsbruch des ersten LWS-Körpers bei verbliebenem Titanmaterial (Titan-Cage) an. Unfallunabhängig bestünden degenerative Veränderungen der BWS (Morbus Forestier) und der LWS, Diabetes mellitus, hochgradiges Übergewicht (Adipositas) und Hyperlipidämie.

Der Kläger erhob unter dem 25. August 2003 Widerspruch mit dem Ziel, eine höhere Rente zu erhalten. Die Beklagte zog u.a. einen Bericht vom 08. Dezember 2003 über das Ergebnis einer am Kläger durchgeführten berufsgenossenschaftlichen stationären Weiterbehandlung (BGSW) in der Zeit vom 03. November bis zum 05. Dezember 2003 (Diagnosen: chronisches Schmerzsyndrom nach dorsoventraler Spondylodese einer LWK1-Berstungsfraktur 9/01, Spondylosis hyperostatica (Morbus Forestier), Anpassungsstörung, Adipositas per magna, Diabetes mellitus IIb, Hyperlipidämie) sowie einen Zwischenbericht des U – Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie - vom 19. Februar 2004 bei, wonach eine regelrechte Lage des Cages und eine regelrechte Konfiguration der Wirbelsäule radiologisch festzustellen seien und eine Änderung der MdE von 20 v.H. sich nicht ergebe. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 19. Mai 2004 als unbegründet zurück. Unter dem 01. Juni 2006 erstellte Dr. H das sog. Zweite Rentengutachten, in welchem er im Wesentlichen bei seiner bisherigen Einschätzung verblieb.

Der Kläger hat sein Begehren mit der am 21. Juni 2004 zum Sozialgericht (SG) Frankfurt (Oder) erhobenen Klage weiterverfolgt und behauptet, dass bei ihm eine unfallbedingte MdE von zumindest 60 v.H. gegeben sei. Dies liege insbesondere an der Versteifung der Wirbelsäule und an den anhaltenden Schmerzzuständen.

Die Beklagte gewährte dem Kläger mit Bescheid vom 19. Juli 2004 wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 20. September 2001 eine Rente auf unbestimmte Zeit unter Zugrundelegung einer MdE von 20 v.H.

Das SG hat u.a. einen Befundbericht des den Kläger seit 28. Mai 1996 behandelnden Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. K vom 18. Oktober 2004 beigezogen und auf Antrag des Klägers das schriftliche Sachverständigengutachten der Fachärztin für Orthopädie Dr. A vom 26. August 2008 eingeholt, welche als unmittelbare Unfallfolge ein chronisch persistierendes vertebragenes lumbales pseudoradikuläres Schmerzsyndrom bei einer unfallbedingten MdE von 30 v.H. annahm. Das SG hat ferner aus dem Rentenstreitverfahren S 19 RJ 100/04 des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) das schriftliche Sachverständigengutachten des Chirurgen und Sozialmediziners Dr. B vom 25. Juli 2005 beigezogen, wonach objektiv nach operativer Versorgung der ohne radiologische feststellbare wesentliche Höhenminderung ausgeheilten Berstungsfraktur zwar funktionelle Einschränkungen im LWS-Abschnitt bestünden, darüber hinaus aber auch degenerative Veränderungen in der BWS nachweisbar seien, welche unfallunabhängig aufgrund degenerativer Verschleißprozesse zustande gekommen seien, ferner die Leistungsfähigkeit des Klägers entscheidend durch die exzessive und massive alimentäre Übergewichtigkeit vermindert werde, welche die Tragfähigkeit der Wirbelsäule überbeanspruche. Das SG hat im Folgenden aus dem Berufungsverfahren L 1 R 898/06 des Landessozialgerichts (LSG) Berlin-Brandenburg das schriftliche, aufgrund einer Untersuchung des Klägers vom 19. Juli 2007 erstellte Sachverständigengutachten des Orthopäden und Sportmediziners Dr. M beigezogen und von diesem im vorliegenden Verfahren das schriftliche, aufgrund einer Untersuchung des Klägers am 14. Januar 2008 erstellte Sachverständigengutachten nebst einer ergänzenden Stellungnahme vom 08. Februar 2008 eingeholt. Er hat als unfallbedingt ein Postdisketomie-Syndrom und einen Zustand nach Spondylodese Th12 bis L2 wegen LWK-Fraktur L1, ein reaktives depressives Syndrom und ein chronisches Schmerzsyndrom angenommen. Die unfallbedingte MdE betrage 30 v.H. Im Anschluss hat das SG das schriftliche Sachverständigengutachten des Arztes für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychoanalyse Dr. U vom 09. Oktober 2008 eingeholt, welcher auf seinem Fachgebiet keine rentenberechtigenden Unfallfolgen festgestellt hat. Nachdem das SG aus dem Berufungsverfahren L 1 R 898/06 das dort erstellte schriftliche Sachverständigengutachten des Chefarztes der Abteilung Orthopädie des N-Stifts Dr. H vom 11. Juni 2008 beigezogen hatte, hat es das schriftliche Sachverständigengutachtendes Arztes für Chirurgie, Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. S vom 16. November 2009 eingeholt, wonach zwar die knöchern stabil ausgeheilte Fraktur vom 20. September 2001, welche ausschließlich für die Versteifung der Segmente Th12/ L1 und L2 ursächlich sei, auch als eine wesentliche Teilursache für die Manifestation der Schmerzerscheinungen am verletzten Wirbelsäulenabschnitt anzusehen sei, woraus aber nur unfallbedingte Funktionsstörungen resultierten, welche eine MdE von 20 v.H. rechtfertigten.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 26. April 2010 abgewiesen, weil keine Gesundheitsstörungen bestünden, welche mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf den Arbeitsunfall zurückzuführen seien und mit einer MdE von mehr als 20 v.H. zu bewerten seien. Hierfür sei sich maßgeblich auf die Ergebnisse der Begutachtungen durch Dr. U und Dr. S zu stützen. Insbesondere stimme die MdE-Einschätzung Dr. S mit den Bewertungsmaßstäben des einschlägigen arbeitsmedizinischen Schrifttums überein. Der MdE-Einschätzung von Dr. M und Dr. A sei nicht zu folgen, weil keine nachvollziehbare Trennung von Unfallfolgen und unfallunabhängigen Erkrankungen stattfinde.

Der Kläger hat gegen das ihm am 07. Juni 2010 zugestellte Urteil am 17. Juni 2010 Berufung eingelegt und sein erstinstanzliches Vorbringen vertieft. Er behauptet, dass bei ihm eine unfallbedingte MdE von 30 v.H. vorliege. Er verweist zur Untermauerung seines Vorbringens u.a. auf eine gutachterliche Äußerung des Facharztes für Orthopädie und Chirotherapie Dr. H vom 03. Juni 2010.

Der Kläger beantragt (sachdienlich gefasst),

das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 26. April 2010 aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom 03. August 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 19. Mai 2004 und des Bescheides vom 19. Juli 2004 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm aufgrund des Arbeitsunfalls vom 20. September 2001 eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30 vom Hundert zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Der Senat hat auf Antrag des Klägers das schriftliche Sachverständigengutachten von Dr. H vom 17. Mai 2011 und dessen ergänzende Stellungnahme vom 30. Dezember 2011 eingeholt. Dr. Hennecke ist zur Einschätzung gelangt, dass allein der Bruch des ersten Lendenwirbelkörpers mit der Folge der operativen Versteifung zwischen dem zwölften Brustwirbelkörper und dem zweiten Lendenwirbelkörper durch den Unfall verursacht worden seien. Bei der MdE-Bewertung sei der Einschätzung Dr. S zu folgen, wonach eine unfallbedingte MdE von 20 v.H. anzunehmen sei.

Die Beteiligten haben mit Schriftsätzen vom 12. und 09. März 2012 einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch den Berichterstatter anstelle des Senats zugestimmt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts, des Ergebnisses der Beweisaufnahme und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen und inhaltlich Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Berichterstatter kann, weil die vorliegende Streitsache weder besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist noch von grundsätzlicher Bedeutung ist, in Ausübung des insofern eröffneten richterlichen Ermessens anstelle des Senats im schriftlichen Verfahren ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben, vgl. §§ 155 Abs. 3 und 4, 153 Abs. 1 in Verbindung mit § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und beschweren den Kläger nicht. Denn er hat nach dem Gesamtergebnis der medizinischen Ermittlungen keinen Anspruch auf eine höhere Verletztenrente aus § 56 Abs. 1 S. 1 des Siebten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB VII).

Nach § 56 Abs. 1 S. 1 des Siebten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB VII) haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Nach § 56 Abs. 1 S. 2 SGB VII besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente, wenn die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert ist und die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20 erreichen. Nach § 56 Abs. 1 S. 3 SGB VII sind die Folgen eines Versicherungsfalls nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v.H. mindern. Versicherungsfälle sind gemäß § 7 Abs. 1 SGB VII Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten.

Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit. Für einen Arbeitsunfall ist danach in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt hat (Unfallkausalität) und dass das Unfallereignis einen Gesundheitsschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität); das Entstehen von Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitsschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls (etwa Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 02. April 2009 – B 2 U 29/07 R -, zitiert nach juris Rn. 15). Hinsichtlich des Beweismaßstabes gilt, dass die Merkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung zur Zeit des Unfalls", "Unfallereignis" sowie "Gesundheitserst- bzw. Gesundheitsfolgeschaden" im Wege des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, für das Gericht feststehen müssen. Demgegenüber genügt für den Nachweis der wesentlichen Ursachenzusammenhänge zwischen diesen Voraussetzungen die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (etwa BSG, a.a.O., Rn. 16). Ob der Gesundheitsschaden eines Versicherten durch einen Arbeitsunfall (wesentlich) verursacht wurde, entscheidet sich - bei Vorliegen einer Kausalität im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne - danach, ob das Unfallereignis selbst - und nicht eine andere, unfallunabhängige Ursache - die wesentliche Bedingung für den Eintritt des Gesundheitsschadens war (BSG, Urteil vom 09. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R -, zitiert nach juris Rn. 13 ff.).

Erst dann, wenn sich die haftungsausfüllende Kausalität annehmen lässt, stellt sich die Frage nach der Bemessung der MdE und hängt diese von zwei Faktoren ab: Den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust unter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, haben keine verbindliche Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel (etwa BSG, Urteil vom 22. Juni 2004 – B 2 U 14/03 R -, zitiert nach juris Rn. 12).

Hiervon ausgehend ist der Senat nicht im nach § 128 Abs. 1 S. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) erforderlichen Maße überzeugt, dass beim Kläger infolge des Unfalls vom 20. September 2001 tatsächlich eine höhere rentenberechtigende MdE vorliegt. Von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe wird zunächst abgesehen, weil die Berufung aus den überzeugenden Gründen des angefochtenen Urteils als unbegründet zurückzuweisen ist, § 153 Abs. 2 SGG.

Nur ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die zutreffende Einschätzung Dr. S bereits durch die im Verwaltungsverfahren gewonnen Erkenntnisse gestützt wird. Dr. H schätzte die MdE bereits bei Erstellung seiner zwei Rentengutachten ausgehend von den erhobenen Befunden plausibel auf 20 v.H. ein. Auch aus dem Zwischenbericht des U – Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie - vom 19. Februar 2004 ergibt sich keine höhere MdE. Ferner hat auch das im Berufungsverfahren auf Antrag des Klägers eingeholte schriftliche Sachverständigengutachten von Dr. H keine höhere MdE erbracht. Soweit sich hierfür Dr. H den Ausführungen Dr. S anschließt, erscheint dies plausibel. Denn beide Sachverständige beziehen bei der Folgenbetrachtung zunächst sachgerecht die bereits im Zeitpunkt des Unfalls bestehenden Leiden – vor allem Morbus Forestier und Adipositas – mit ein und nehmen – im Gegensatz zu Dr. Aund Dr. M – eine hinreichend trennscharfe Differenzierung zwischen den auf dem Unfall und auf den Vorerkrankrungen beruhenden Funktionsbeeinträchtigungen vor. Hiervon ausgehend schließt sich Dr. H bei der Bewertung der MdE konsequenter Dr. S an, welcher nachvollziehbar, weil anhand konkreter, objektiver Befunde nachweist, dass die den Morbus Forestier kennzeichnenden knöchernen Veränderungen bereits im Unfallzeitpunkt bestanden, und plausibel erklärt, dass ein Zusammenhang zwischen den Knochenbruchverletzung des ersten Lendenwirbels und dem Fortschreiten der Forestier-Krankheit an der BWS nicht hergestellt werden kann, weil die knöchernen Veränderungen unverändert zum Ausgangsbefund im Unfallzeitpunkt generalisiert den mittleren und unteren Abschnitt der BWS betreffen und kein signifikante Verstärkung in den an die unfallbedingt versteiften Segmente unmittelbar angrenzenden Abschnitten der BWS erfuhren und sich auch keine auffälligen sekundären Verschleißumformungen der LWS finden. Hiervon anhebend stellt Dr. S in der Tat überzeugend dar, dass für die MdE-Bewertung letztlich allein auf die Versteifung in günstiger Stellung zwischen Th12 und L2 abzustellen ist, welche eine MdE von mehr als allenfalls 20 v.H. nicht rechtfertigt, ohne dass den hierauf zurückzuführenden typischen Schmerzzuständen bei der MdE-Bemessung eine eigenständige Bedeutung zukommt (vgl. Schönberger/ Mehrtens/ Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage 2010, Kap. 5.5.10, S. 221).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens in der Sache selbst.

Die Revision ist mangels Zulassungsgrunds nach § 160 Abs. 2 SGG nicht zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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